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Die grundlegende Annahme in diesem überraschenden und politisch-programmatischen Essay ist die Fiktionalität der Konstruktion von Recht - insbesondere die der Rechtspersönlichkeit. Der Philosoph und Ökonom Sacha Bourgeois-Gironde sieht darin die nur scheinbar paradoxe Möglichkeit, uns der Natur näher zu bringen und die Spaltung von Natur und Kultur aufzuheben. Durch die Zuweisung des Status eigenständiger Rechtssubjekte gelänge es uns, die Natur und ihre Belange besser zu identifizieren und letztlich sie und unsere Existenz in ihr zu schützen. Diese Position mag gegen eine Anfechtung des…mehr

Produktbeschreibung
Die grundlegende Annahme in diesem überraschenden und politisch-programmatischen Essay ist die Fiktionalität der Konstruktion von Recht - insbesondere die der Rechtspersönlichkeit. Der Philosoph und Ökonom Sacha Bourgeois-Gironde sieht darin die nur scheinbar paradoxe Möglichkeit, uns der Natur näher zu bringen und die Spaltung von Natur und Kultur aufzuheben. Durch die Zuweisung des Status eigenständiger Rechtssubjekte gelänge es uns, die Natur und ihre Belange besser zu identifizieren und letztlich sie und unsere Existenz in ihr zu schützen. Diese Position mag gegen eine Anfechtung des Rechts zugunsten eines idealen und imaginären Naturgesetzes sprechen, das die Menschen auf ihrer Suche nach der Natur und dem Wunsch nach Harmonie mit der Umwelt anstreben. Es wäre ein Weg der endogenen Veränderung und nicht einer, der von innen über Naturrechtsvorstellungen hinausführt. Eine neue juristische Fassung der Beziehung von Mensch und Natur könnte auch indigene Vorstellungen von Natur inkludieren und über eine neue Verfassung anerkennen.
Autorenporträt
Sacha Bourgeois-Gironde ist Philosoph und Wirtschaftswissenschaftler. Er lehrt als Professor für Ökonomie und Kognitionswissenschaften an der Université Paris 2 und der École normale supérieure. Seine Forschungen befassen sich mit der Beziehung zwischen den kognitiven Fähigkeiten des Menschen und den Umgebungen und Institutionen, in denen sie zum Einsatz kommen. Er ist Autor zahlreicher Bücher, Wie uns das Recht der Natur näherbringt sein erstes Buch auf Deutsch.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Milos Vec liest die Gedanken des Philosophen und Wirtschaftswissenschaftlers Sacha Bourgeois-Gironde über die Idee, Ökosysteme als juristische Personen zu behandeln, mit Interesse. Die Fachgrenzen überschreitende "Natur-Rechts-Philosophie" des Autors benötigt aufmerksame Lektüre, rät Vec. Eine Richtung "Common-Law" tendierende "Bricolage" aus Talmud, Antike, Maori-Kosmologie und westlichem Patent-, Erb- und Eigentumsrecht, die Vec dazu geeignet scheint, die Idee der Menschheit als "Vermächtnisempfänger der Umwelt" mit "juristischer Substanz" zu füllen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.2023

Was verschafft dem Gletscher Achtung?

Neue Rechte für den Schutz der Natur: Sacha Bourgeois-Gironde

sondiert die Verfahren, Ökosystemen

Rechtspersönlichkeit beizulegen.

Te Awa Tupua Act: So heißt das Gesetz, mit dem man die neuen Rechte der Natur anschaulich machen kann. Die juristische Innovation ließe sich wörtlich übersetzen als "Fluss als Ahne"-Gesetz. Der Fluss, um den es geht, ist der Whanganui, drittgrößter Neuseelands, und das neuseeländische Gesetz von 2017 hat ihn als "unteilbares und lebendiges Ganzes . . . in der Gesamtheit seiner physischen und metaphysischen Bestandteile" anerkannt. Seitdem besitzt er juristische Persönlichkeit, und das ist ein ziemlicher Bruch mit bisherigen, westlich geprägten Rechtstraditionen.

Aber der Whanganui, von besonderer kultureller Bedeutung für die Maori, steht damit nicht allein: In den vergangenen Jahren sind an verschiedenen Orten der Welt ähnliche Vorstöße zu verzeichnen, der Natur Rechtspersönlichkeit zu verleihen - in Verfassungen, Gesetzen, Gerichtsurteilen. Der Essay von Sacha Bourgeois-Gironde ist eine konzentrierte theoretische Reflexion darüber, wie man das moderne Recht umgestalten könnte, um die Natur zu schützen und unsere planetare beziehungsweise lokale Zukunft zu retten.

Dass Bourgeois-Gironde sich als Philosoph und Wirtschaftswissenschaftler so intensiv mit dem Recht auseinandersetzt, kann man als Rechtskritik und Rechtsoptimismus zugleich lesen: Die bisherigen Rechtsvorstellungen haben zu unserer globalen ökologischen Krise massiv beigetragen, sie betrachteten die Natur als dem Menschen unterworfene Ressource und haben Anreize zu ihrer Ausplünderung gesetzt, die wir aufarbeiten müssen: Was genau im Recht hat autorisiert, dass unsere Flüsse austrocknen, die Ozeane versauern und die Gletscher schmelzen? Aber dieses Recht birgt auch Reformpotential: Richtig angefasst, könnten Institutionen des geltenden westlichen Rechts als ökojuristischer Hoffnungsschimmer eine Wende ermöglichen.

Bourgeois-Gironde entwirft eine gelehrte Natur-Rechts-Philosophie, und man muss ziemlich konzentriert bei der Lektüre bleiben, um seinem dichten Gedankengang zu folgen. Wo er Fragen formuliert, ist nicht immer ganz klar, ob die Antwort noch offen ist oder ob sie zur rhetorischen Verstärkung seiner eigenen Argumentation dienen werden. Im Laufe des Büchleins wird man mit einer akademische Fachgrenzen lässig überschreitenden Bricolage an Ideen konfrontiert. Er kombiniert Versatzstücke antiker Stoa, talmudischen Rechts und Maori-Kosmologie, ist sich dabei aber ihrer kulturellen Gebundenheit bewusst. Konzeptionelle Differenzen bei den verschiedenen Zugängen zur Rechtspersönlichkeit der Natur beschäftigen ihn besonders.

Denn die Zuerkennung von Rechtspersönlichkeit an einzelne Ökosysteme ist glokal in begrifflich unterschiedlicher Weise erfolgt: 2017 hat das Oberste Gericht von Uttarakhand die indischen Gletscher Gangotri und Yamunotri (aus denen die Flüsse Ganges und Yamuna hervorgehen) zu "lebenden juristischen Personen" erklärt. Es argumentierte, die Gletscher hätten Anspruch auf Achtung, Rücksichtnahme und Schutz, analog zu menschlichen Personen. Bourgeois-Gironde hält das für einen Fehler, kritisiert "juristischen Animismus", weil es eine zu enge Verschmelzung von Metaphysik, Biologie und Recht bedeute, und erkennt zugleich an, dass es einen tieferen Öko-Zentrismus bedeute als beim neuseeländischen Ansatz. Noch einmal ganz anders hat das kolumbianische Verfassungsgericht 2016 den Schutz des Rio Atrato begründet, dem gleichfalls der Status einer juristischen Person zuerkannt wurde. Es schuf zugunsten des Flusses und des Amazonasgebiets "biokulturelle Rechte" und orientierte sich dabei an Aktivitäten, Praktiken und Werten der lokalen Bevölkerung.

Plausibel scheint Bourgeois-Girondes Einschätzung, das Common-Law-Denken sei flexibler für eine ökologische Wende des Rechts als die kontinentaleuropäische Tradition. Er plädiert für eine neue Abstraktion, mit der wir unsere Beziehung zur Umwelt neu begreifen sollen: Von der Epidemiologie übernimmt er den Begriff des "Exposoms", definiert als die Gesamtheit der Umwelteinflüsse, denen unser Organismus lebenslänglich ausgesetzt ist. Bourgeois-Gironde meint, man solle einen juristischen Status für das Exposom in Betracht ziehen, und findet Charme darin, dass es keine scharfe Grenze ziehe, sondern die Umwelt sich in den Körper hinein fortsetze.

An die Stelle juristischer Begriffsschemen, die sich auf umgrenzbare Entitäten richteten, könne man so besser Wechselwirkungen und Prozesse setzen. Hat nicht der Klimawandel mittlerweile sichtbar infrage gestellt, was "Eigentum" für einen Inhaber bedeutet? Diesem kognitiven Paradigmenwechsel müsse das Recht folgen, das zu lange an seiner stabilisierenden Funktion festgeklebt habe. Beispielsweise könnten wir das Recht des Grundbesitzes neu in maritimen Begriffen denken: Sehen wir doch das Land als ein "sich langsam bewegendes Meer", schreibt Bourgeois-Gironde, als ein "mobiles, fluktuierendes Element, dessen Bewegung sich unter dem Einfluss des Klimas beschleunigt".

Anregungen, um dem gegenwärtigen Schlamassel zu entkommen, zieht er - trotz aller Vorbehalte - ferner aus dem westlichen Patentrecht, Eigentumsrecht sowie Erbrecht: Von Letzterem könne man die Idee einer Beschränkung der völligen Freiheit des Erblassers übernehmen, über sein Eigentum zu verfügen. Stattdessen kennen zahllose Kulturen Rücksichtnahmen auf den Schutz der Familie oder des Kollektivs, gerade weil Weitergaben gewährleisten, dass es überhaupt eine Ahnenlinie gibt. Die metaphorische Vorstellung der Menschheit als Erbe und Vermächtnisempfänger der natürlichen Umwelt würde damit mit juristischer Substanz gefüllt, intergenerationelle Gerechtigkeit geschaffen. Anders gesagt: Über manche Güter darf man in dieser Welt nicht verfügen - und zwar gerade deswegen, weil sie es sind, die unsere Freiheit ermöglichen. MILOS VEC

Sacha Bourgeois- Gironde: "Wie uns das Recht der Natur näherbringt".

Aus dem Französischen von Gustav Roßler. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2023. 91 S., br., 12,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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