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Können Wälder denken? Können Hunde träumen? In diesem modernen Klassiker der Anthropologie stellt Eduardo Kohn unsere zentralen Annahmen darüber infrage, was es bedeutet, ein Mensch zu sein - und sich damit von allen anderen Lebensformen zu unterscheiden. Auf der Grundlage von jahrelanger Feldforschung bei den Runa im oberen Amazonasgebiet Ecuadors beschreibt Kohn, wie die Amazonasbewohner mit den vielen Lebewesen interagieren, die eines der komplexesten Ökosysteme der Welt bewohnen. Ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht: Unser gesamtes anthropologisches Instrumentarium beruht auf dem, was…mehr

Produktbeschreibung
Können Wälder denken? Können Hunde träumen? In diesem modernen Klassiker der Anthropologie stellt Eduardo Kohn unsere zentralen Annahmen darüber infrage, was es bedeutet, ein Mensch zu sein - und sich damit von allen anderen Lebensformen zu unterscheiden. Auf der Grundlage von jahrelanger Feldforschung bei den Runa im oberen Amazonasgebiet Ecuadors beschreibt Kohn, wie die Amazonasbewohner mit den vielen Lebewesen interagieren, die eines der komplexesten Ökosysteme der Welt bewohnen. Ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht: Unser gesamtes anthropologisches Instrumentarium beruht auf dem, was uns als Menschen auszeichnet - Sprache, Symbole, Abstraktion. Richten wir unsere Aufmerksamkeit jedoch auf die Art und Weise, wie wir uns zu anderen Arten von Lebewesen verhalten, versagen diese Instrumente, die uns vom Rest der Welt trennen. Wie Wälder denken begreift eben dieses Versagen als Chance. Ohne die Eigenarten menschlicher Existenz zu verleugnen, eröffnet Kohn durch die eingehende Beobachtung der lebendigen Welt um uns herum wundersame und überraschende Sichtweisen für ein neues Miteinander von Menschen und Nichtmenschen.
Autorenporträt
Eduardo Kohn, 1968 in Kanada geboren, ist Anthropologe und außerordentlicher Professor and der McGill University in Montreal. In seinem Buch How Forests Think, dem eine vierjährige Feldforschung im Amazonasgebiet vorausging, verbindet er Semiotik, Ethnografie und Naturwissenschaft zu einer Studie, die heute als Standardwerk der Anthropologie gilt. Alexander Weber, 1969 geboren, ist promovierter Anglist und lebt als freier Übersetzer in Berlin. Er hat u. a. Werke von Gay Talese, Robert Gerwarth und Solomon Northup ins Deutsche übertragen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Heike Delitz findet das im Original vor zehn Jahren erschienene Buch des Anthropologen Eduardo Kohn eindrücklich. Weniger Kohns an Lévi-Strauss und die Zeichentheorie von Charles S. Peirce anknüpfender philosophischer Ansatz einer Dekolonisierung des anthropologischen Denkens ist es, was Delitz begeistert, als vielmehr die "Übersetzungsarbeit", die der Autor im Hinblick auf den Stamm der Runa und ihr Denken leistet. Der Leser gelangt so zur Vorstellung von Denkweisen "jenseits des Menschen", versichert Delitz.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.09.2023

Vom Wald gedacht werden
Eduardo Kohn über Lektionen aus der Beschreibung amerindianischen Welt- und Selbstverständnisses

Eduardo Kohns Buch "Wie Wälder denken", im Original bereits vor zehn Jahren erschienen, beginnt mit einer emblematischen Figur: mit der Jaguar-Person, die zu diesem Wald in Ecuador ebenso gehört wie die Quechua sprechenden Runa und Tausende weiterer Lebewesen, Geister und Menschen. In vielen amazonischen Gesellschaften ist der Jaguar nicht nur das paradigmatische Raubtier. Menschen werden ihrerseits zu Jaguaren, und umgekehrt sieht sich der Jaguar - wie viele andere Tiere auch - selbst als Mensch. Er erfährt seine Aktivitäten als sozial und kulturell: Was wir Menschen für Blut halten, ist für den Jaguar Maniokbier. Mit anderen Worten, in diesem Denken ist der Begriff des "Menschen" ein anderer; er umgreift sehr viel mehr Wesen als der im Westen geläufige.

Im Vergleich zu den beiden Autoren, die solche anderen Begriffe des Menschen (und der Nichtmenschen) als Erste ernst genommen haben - nämlich Philippe Descola und Eduardo Viveiros de Castro -, geht der kanadische Anthropologe Eduardo Kohn noch einen Schritt weiter: Das Ziel ist, eine Anthropologie "jenseits des Menschen", eine Anthropologie nichtmenschlicher Wirklichkeiten zu etablieren (etwa der des Jaguars). Es geht darum, Aussagen über die "Beschaffenheit der Wirklichkeit" insgesamt zu treffen - ein "zwangsläufig" ontologisches Vorhaben, so Kohn, auch wenn er es anders als die Philosophie strikt empirisch, nämlich ethnographisch verfolge.

Kohn nimmt hier den "ontological turn", für den Descola und Viveiros de Castro stehen, sehr wörtlich. Im Grunde geht es in dem, was in diesem "turn" zur Debatte steht, nicht um Aussagen über das 'Sein' der Welt. Im Gegenteil geht es darum, die eigene, geläufige Weltauffassung zum Gegenstand des Vergleichs zu machen. Dieser Vergleich setzt bei den Grundbegriffen "Natur" und "Kultur" an, die nun in fremdem Licht erscheinen. Das gilt auch für alle weiteren Begriffe der Kultur- und Gesellschaftstheorie, einschließlich des Begriffs des "Menschen". Weil sie nicht eine universelle (von Menschen und Tieren geteilte) Natur den vielen, allein menschlichen Kulturen gegenüberstellt, ist es gerade die amerindianische Version, die in diesem Zusammenhang das Interesse auf sich zieht: In ihr ist umgekehrt die Kultur universell. Tiere und Menschen teilen eine allgemeine Menschlichkeit, sie sind Subjekte; und es sind dagegen gerade die körperlichen Merkmale, die sie untereinander und von uns trennen.

Es geht in diesem Ansatz letztlich um eine Weiterführung des Werks von Claude Lévi-Strauss, nämlich um ein weniger eurozentrisches Denken, so Descola, oder mit Viveiros de Castro: um die Dekolonisierung des anthropologischen Denkens. Diese Formel verwendet auch Kohn. Doch bei ihm nimmt das damit beschriebene Vorhaben eine andere Wendung. Das anthropologische Denken sei von der Sprache "kolonisiert" und müsse sich von ihr befreien: Auch nichtsprachliche Zeichen bedeuten etwas, und da auch andere Lebewesen Zeichen deuten, denken auch sie, haben eigene Wirklichkeiten, die der Gegenstand einer konsequenten Anthropologie sind. Das ist die Grundthese des Buches. Für sie stützt sich der Autor auf die Zeichentheorie von Charles S. Peirce, der Zeichen von Symbolen dadurch unterschieden hatte, dass Erstere direkt etwas bedeuten.

Einsichtig gemacht wird diese Behauptung - es gibt Denkweisen und Wirklichkeiten jenseits des Menschen - durch die Einführung in das Denken der Runa. Wenn diese bei der Jagd lautmalerische Zeichen verwenden, bezeichnen sie die Beute direkt: Der Laut "tsupu" etwa habe etwas "von einem Schwein, das ins Wasser platscht". Und auch Tiere deuten Zeichen; sie denken also ihrerseits. Oder sie sind "Selbste", und die Welt des Waldes insgesamt ist eine "Ökologie der Selbste", in welche die Runa ebenso eingebunden sind wie etwa Ameisen oder Hunde.

Selbste sind relativ zu den Blicken der anderen: Nur wenn die Runa den Blick des Jaguars erwidern, erlauben sie ihm, sie "als Selbste zu behandeln". Umgekehrt werden diese zu Jaguaren, wenn sie von diesem als Raubtier (und nicht Beute) betrachtet werden. Im prädatorischen Kontext des Regenwaldes sehen sich die Selbste nicht nur als eng verwandt, im permanenten Raubtier-oder-Beute-Sein transformieren sich die Selbste auch ineinander. Auch der Jaguar (puma) ist zuweilen Objekt, nämlich der Geister, die ihn als Haustier halten. Er ist zudem ein "mehrdeutiges Geschöpf", in dem etwa der verstorbene Vater steckt (runa puma). Angesichts dieser Instabilität des Selbst sind die Runa bei ihren Kommunikationen mit anderen Wesen darauf bedacht, das Ich vor endgültigen Transformationen zu schützen. Gespräche mit Hunde-Selbsten etwa erfordern Vorsichtsmaßnahmen (wie die Anrede des Hundes nur in der dritten Person). Sind Tiere ihrerseits Personen, so macht es die Jagd umgekehrt erforderlich, sie zu Nicht-Selbsten zu machen. Dafür verfügen die Runa über eigene Techniken der Perspektivierung - wenn sie Ameisen essen, machen sie dies nicht als Mensch, sondern indem sie "in gewisser Weise" zu Affen werden. Es ist ein anderes Denken als das uns geläufige, das hier fassbar wird. Der Mensch hat darin eine andere Gestalt und Konsistenz, und der Wald denkt "durch" sie, die runa puma, hindurch.

Kohn zeigt zugleich, wie sehr dieses vom Paradigma Jäger-Beute bestimmte Denken gleichwohl kolonial geprägt ist. In Träumen werden weiter Tribute gezahlt, nicht mehr an Kolonialbeamte, sondern an weiße Schutzgeister; es tauchen in den Träumen weiße Polizisten auf; und wenn sich die Runa als Mensch-Jaguar-Mischwesen (runa puma) verstehen und eine "puma-Werdung" anstreben, um nach dem Tod im Jaguar-Körper weiterzuleben, streifen sie nicht nur dessen Fell über, sondern auch die "Hosen des weißen Mannes". Insgesamt gibt sich diese Welt als kolonial geprägt zu erkennen: Ohne diese Erfahrung "gäbe es keine höhere Position, die sich einnehmen lässt, um die eigene zu überblicken".

"Wie Wälder denken" ist ein eindrucksvolles Buch - vielleicht weniger in seiner (streitbaren) philosophischen Grundthese als in der Übersetzungsarbeit, die er für die Weltauffassung der runa puma leistet. Und es verfolgt auch ein politisches Ziel: Auch diesem Autor geht es, so wie Descola und Viveiros de Castro, um eine politische Ökologie, um ein Plädoyer für eine andere Haltung gegenüber den "nicht-menschlichen Menschen". auf seine Weise ist es ebenso ein Schritt zu einer allgemeineren, weniger eurozentrischen Kultur- und Gesellschaftstheorie. HEIKE DELITZ

Eduardo Kohn: "Wie Wälder denken". Eine Anthropologie jenseits des Menschlichen.

Aus dem Englischen von Alexander Weber. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2023. 383 S., geb., 32,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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