Nach wie vor gibt es an deutschen Hochschulen sehr viel weniger Professorinnen als Professoren. Christine Färber zeigt in ihrer auf zahlreichen Interviews basierenden Studie, dass eine wichtige Ursache hierfür die Berufungsverfahren sind. Selten gibt es einheitliche Regelungen zur Gleichstellung. Die Auswahlkriterien sind oft nicht transparent. Entscheidend sind immer noch informelle Netzwerke, in denen vorwiegend Männer vertreten sind. In einem Vergleich der rechtlichen Regelungen einzelner Hochschulen und der Länder verdeutlichen die Autorinnen, wo Handlungsbedarf besteht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.04.2008Ohne Quote wird es nicht anders werden
Eine Studie über Berufungsverfahren illustriert die Schwierigkeit, mehr Frauen auf Lehrstühle an deutschen Hochschulen zu bringen.
Zunächst, es geht um Ungleichheit, ein paar Zahlen: In den Jahren 1997 bis 2002 lag der Frauenanteil bei Berufungen in Deutschland bei knapp achtzehn Prozent, je nach Bundesland zwischen 10,4 (Thüringen) und 28,8 (Hamburg) Prozent. Vor allem in Rheinland-Pfalz, in Bayern und im Osten war er fast überall besonders gering, von den Flächenstaaten hatten Brandenburg und Hessen die meisten Berufungen von Frauen. Was die Fächer betrifft, so liegen die Anteile weiblicher Lehrstuhlinhaber außerhalb der Kulturwissenschaften und Künste deutlich unter zwanzig Prozent, bei den Naturwissenschaften sind es 12,4, bei den Ingenieurwissenschaften 6,4 und bei den Medizinern 8,2 Prozent.
Eine vom Bundesbildungsministerium geförderte Studie hat nun versucht, als eine Ursache für diese Asymmetrie des Zugangs zu Hochschullehrerstellen das Berufungsverfahren zu identifizieren. Dabei stützt sich die Soziologin Christine Färber, langjährige Frauenbeauftragte der FU Berlin, zusammen mit der Juristin Ulrike Spangenberg vor allem auf Interviews mit Teilnehmern an solchen Verfahren: mit weiblichen wie männlichen Bewerbern, mit solchen, die die Stelle bekommen haben, und abgelehnten Kandidaten, mit Kommissionsvorsitzenden und Frauenbeauftragten ("Wie werden Professuren besetzt?" Chancengleichheit in Berufungsverfahren, Frankfurt am Main 2008).
Solche Verfahren dauern in Deutschland, einer Umfrage des Wissenschaftsrats zufolge, im Durchschnitt vierzehn Monate an Fachhochschulen und zwanzig Monate an Universitäten. Kommt es zu einem Verfahrensgang über die normalen Schritte von der Ausschreibung über die Kommissionsbestellung, die Bewerberauswahl und die Anhörung bis zu den Gutachten und die Berufungsverhandlungen hinaus, erhöht sich die Verfahrensdauer durchschnittlich auf spektakuläre 2,7 Jahre. Würde eine Verkürzung den Frauen helfen? Schon bei dieser Frage zeigt sich, was die gesamte Untersuchung kennzeichnet: eine tiefe Ambivalenz ihrer Vermutungen. Denn einerseits, formulieren die Autorinnen, wären kürzere Verfahren doppelt günstig für weibliche Bewerber: Da sie durchschnittlich später promoviert werden und sich habilitieren als Männer, und da die immense Dauer von Berufungen jene Hinterbühnenaktionen und Netzwerkeleien begünstige, die Frauen weniger zugutekämen. Das eigentliche Geschehen, sagten alle Befragten wenig überraschend, finde außerhalb der Kommissionssitzungen statt. Wie blauäugig aber wäre es nun anzunehmen, man könne das über Zeitdruck ändern?
Das Hinzuziehen externer Gutachter wird von den Gleichstellungsforschern als günstig interpretiert. Ebendieses Hinzuziehen aber verlängert seinerseits das Verfahren. Oder mehr Personenkenntnis durch Einzelgespräche, die Vorurteile schwinden lassen? Verlängert das Verfahren. Wenn die Frauenbeauftragte der Humboldt-Universität Berlin dann noch, wie geschehen, den Vorschlag ablehnt, das Verfahren durch Einladung von nur fünf Bewerbern zu vereinfachen, weil bei einer ungeraden Zahl die paritätische Einladung der Geschlechter nicht gewährleistet sei, dann zeigt auch diese Verwaltungsanekdote das doppelte Dilemma der Gleichstellung: mit formalen Aktionen gegen vermutete informelle Gründe von Benachteiligung agieren zu müssen und nur Maßnahmen zur Hand zu haben, die selber zweideutig sind.
So plädiert die Studie für stark standardisierte Verfahren, bei denen nicht nachträglich die Stellenbeschreibung den Kandidaten angepasst wird. Dann aber würde sich doch vermutlich die informelle Aktivität der Männerkreise stärker auf den Verfahrensteil "Ausschreibung" konzentrieren, etwa indem die Stellen von vornherein "weicher" definiert würden. Außerdem teilen die Autorinnen selber mit, Frauen bewürben sich seltener auf Stellen, die nicht genau auf sie passten. Wenn überdies eine Befragte, die seit Jahren im Ausland unterrichtet und dort oft für eine englische Muttersprachlerin gehalten werde, angibt, ihr sei im Verfahren schlechtes Englisch attestiert worden, dann ist die Variationsbreite der strategischen Ausbremsung unerwünschter Kandidaten offenbar auch innerhalb enger Kriterien immens hoch.
Allgemein sind die Beschreibungen aus den Berufungsverfahren niederschmetternd, was den Stil des Umganges mit Bewerbern angeht. Es wird eigens lobend erwähnt, wenn ihnen an der Bauhaus-Universität Weimar der Eingang ihrer Unterlagen bestätigt wird. Manche Bewerber wussten nicht einmal, dass ihr Antrag nach zwei Jahren noch lief. Anderen, die aus dem fernen Ausland zum "Vorsingen" anreisen, werden nicht mehr als eine Uhrzeit und ein Raum mitgeteilt. Hierbei herrscht Geschlechtergleichheit, man wird sehen, ob sich das ändert, wenn die Hochschulen einmal froh sein müssen, überhaupt noch Bewerber um ihre schlecht bezahlten Posten zu bekommen.
Was die Gleichstellung angeht, so landet die Studie bei der Formulierung: "Eine Reform der Entscheidungsstrukturen, die übersieht, dass die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger dem Gleichstellungsgedanken verpflichtet sein müssen, greift gleichstellungsbezogen zu kurz." Die Frage ist, ob es andere Mittel gibt als die Einführung einer Frauenquote, die eine solche Verpflichtung sicherstellen können. Und die Antwort ist, nach allem, was man weiß, negativ.
JÜRGEN KAUBE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Studie über Berufungsverfahren illustriert die Schwierigkeit, mehr Frauen auf Lehrstühle an deutschen Hochschulen zu bringen.
Zunächst, es geht um Ungleichheit, ein paar Zahlen: In den Jahren 1997 bis 2002 lag der Frauenanteil bei Berufungen in Deutschland bei knapp achtzehn Prozent, je nach Bundesland zwischen 10,4 (Thüringen) und 28,8 (Hamburg) Prozent. Vor allem in Rheinland-Pfalz, in Bayern und im Osten war er fast überall besonders gering, von den Flächenstaaten hatten Brandenburg und Hessen die meisten Berufungen von Frauen. Was die Fächer betrifft, so liegen die Anteile weiblicher Lehrstuhlinhaber außerhalb der Kulturwissenschaften und Künste deutlich unter zwanzig Prozent, bei den Naturwissenschaften sind es 12,4, bei den Ingenieurwissenschaften 6,4 und bei den Medizinern 8,2 Prozent.
Eine vom Bundesbildungsministerium geförderte Studie hat nun versucht, als eine Ursache für diese Asymmetrie des Zugangs zu Hochschullehrerstellen das Berufungsverfahren zu identifizieren. Dabei stützt sich die Soziologin Christine Färber, langjährige Frauenbeauftragte der FU Berlin, zusammen mit der Juristin Ulrike Spangenberg vor allem auf Interviews mit Teilnehmern an solchen Verfahren: mit weiblichen wie männlichen Bewerbern, mit solchen, die die Stelle bekommen haben, und abgelehnten Kandidaten, mit Kommissionsvorsitzenden und Frauenbeauftragten ("Wie werden Professuren besetzt?" Chancengleichheit in Berufungsverfahren, Frankfurt am Main 2008).
Solche Verfahren dauern in Deutschland, einer Umfrage des Wissenschaftsrats zufolge, im Durchschnitt vierzehn Monate an Fachhochschulen und zwanzig Monate an Universitäten. Kommt es zu einem Verfahrensgang über die normalen Schritte von der Ausschreibung über die Kommissionsbestellung, die Bewerberauswahl und die Anhörung bis zu den Gutachten und die Berufungsverhandlungen hinaus, erhöht sich die Verfahrensdauer durchschnittlich auf spektakuläre 2,7 Jahre. Würde eine Verkürzung den Frauen helfen? Schon bei dieser Frage zeigt sich, was die gesamte Untersuchung kennzeichnet: eine tiefe Ambivalenz ihrer Vermutungen. Denn einerseits, formulieren die Autorinnen, wären kürzere Verfahren doppelt günstig für weibliche Bewerber: Da sie durchschnittlich später promoviert werden und sich habilitieren als Männer, und da die immense Dauer von Berufungen jene Hinterbühnenaktionen und Netzwerkeleien begünstige, die Frauen weniger zugutekämen. Das eigentliche Geschehen, sagten alle Befragten wenig überraschend, finde außerhalb der Kommissionssitzungen statt. Wie blauäugig aber wäre es nun anzunehmen, man könne das über Zeitdruck ändern?
Das Hinzuziehen externer Gutachter wird von den Gleichstellungsforschern als günstig interpretiert. Ebendieses Hinzuziehen aber verlängert seinerseits das Verfahren. Oder mehr Personenkenntnis durch Einzelgespräche, die Vorurteile schwinden lassen? Verlängert das Verfahren. Wenn die Frauenbeauftragte der Humboldt-Universität Berlin dann noch, wie geschehen, den Vorschlag ablehnt, das Verfahren durch Einladung von nur fünf Bewerbern zu vereinfachen, weil bei einer ungeraden Zahl die paritätische Einladung der Geschlechter nicht gewährleistet sei, dann zeigt auch diese Verwaltungsanekdote das doppelte Dilemma der Gleichstellung: mit formalen Aktionen gegen vermutete informelle Gründe von Benachteiligung agieren zu müssen und nur Maßnahmen zur Hand zu haben, die selber zweideutig sind.
So plädiert die Studie für stark standardisierte Verfahren, bei denen nicht nachträglich die Stellenbeschreibung den Kandidaten angepasst wird. Dann aber würde sich doch vermutlich die informelle Aktivität der Männerkreise stärker auf den Verfahrensteil "Ausschreibung" konzentrieren, etwa indem die Stellen von vornherein "weicher" definiert würden. Außerdem teilen die Autorinnen selber mit, Frauen bewürben sich seltener auf Stellen, die nicht genau auf sie passten. Wenn überdies eine Befragte, die seit Jahren im Ausland unterrichtet und dort oft für eine englische Muttersprachlerin gehalten werde, angibt, ihr sei im Verfahren schlechtes Englisch attestiert worden, dann ist die Variationsbreite der strategischen Ausbremsung unerwünschter Kandidaten offenbar auch innerhalb enger Kriterien immens hoch.
Allgemein sind die Beschreibungen aus den Berufungsverfahren niederschmetternd, was den Stil des Umganges mit Bewerbern angeht. Es wird eigens lobend erwähnt, wenn ihnen an der Bauhaus-Universität Weimar der Eingang ihrer Unterlagen bestätigt wird. Manche Bewerber wussten nicht einmal, dass ihr Antrag nach zwei Jahren noch lief. Anderen, die aus dem fernen Ausland zum "Vorsingen" anreisen, werden nicht mehr als eine Uhrzeit und ein Raum mitgeteilt. Hierbei herrscht Geschlechtergleichheit, man wird sehen, ob sich das ändert, wenn die Hochschulen einmal froh sein müssen, überhaupt noch Bewerber um ihre schlecht bezahlten Posten zu bekommen.
Was die Gleichstellung angeht, so landet die Studie bei der Formulierung: "Eine Reform der Entscheidungsstrukturen, die übersieht, dass die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger dem Gleichstellungsgedanken verpflichtet sein müssen, greift gleichstellungsbezogen zu kurz." Die Frage ist, ob es andere Mittel gibt als die Einführung einer Frauenquote, die eine solche Verpflichtung sicherstellen können. Und die Antwort ist, nach allem, was man weiß, negativ.
JÜRGEN KAUBE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Aufschlussreich findet Ingrid Galster dieses Buch über das Berufungsverfahren für Professoren in Deutschland, das Christine Färber und Ulrike Spangenberg vorgelegt haben. Das Ergebnis der Untersuchung fällt in ihren Augen "ernüchternd" aus: im Vergleich zu anderen Ländern schneidet Deutschland besonders schlecht ab, wenn es um den Frauenanteil bei der Besetzung von Professuren geht. Neben der Auswertung einer Reihe von Interviews mit dreizehn Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten sowie fünfzehn Bewerberinnen und fünf Bewerbern um Professuren findet Galster in dem Buch eine Analyse der rechtlichen Grundlagen und Verfahrensregelungen für Berufungsverfahren. Ausführlich führt sie den bei den Berufungsverfahren herrschenden Nepotismus vor Augen, den auch die Frauenbeauftragten nicht verhindern können. Skeptisch betrachtet sie allerdings das Plädoyer der Autorinnen, bei der Bewerbung einer Frau die Messlatte, was Publikationen angeht, nicht so hoch zu legen und etwa ein Kind als Äquivalent für eine Buchpublikation zu werten. Demgegenüber rät sie zu einem Blick nach Frankreich, wo es echte Elitehochschulen mit anonymen Aufnahmeprüfungen und anonyme Staatsprüfungen gibt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Plädoyer für Transparenz
Das Buch "gehört auf den Schreibtisch einers jeden Wissenschaftlers, der eine Hochschulkarriere plant. Ebenso sollten sich alle Professorinnen und Professoren, die bereits in Berufungskommissionen engagiert sind oder vielleicht irgendwann sein werden, sich dieses Buch zu Gemüte führen. Hochschulleitungen sollte der Leitfaden zur Pflicht werden." (literaturkritik.de, 10.11.2008)
"Ein durchaus empfehlenswertes und hilfreiches Buch für alle, die geschlechterpolitische Weichen an Universitäten stellen wollen, oder eigene Berufungsverfahren reflektieren wollen." (Koryphäen, 15.11.2008)
Keine Chancengleichheit
"Die Autorinnen ermitteln in ihrer Untersuchung, wie Berufungsverfahren in ihrer konkreten Ausgestaltung zu der Unterrepräsentation von Frauen führen." (Neue Zürcher Zeitung, 07.02.2009)
Das Buch "gehört auf den Schreibtisch einers jeden Wissenschaftlers, der eine Hochschulkarriere plant. Ebenso sollten sich alle Professorinnen und Professoren, die bereits in Berufungskommissionen engagiert sind oder vielleicht irgendwann sein werden, sich dieses Buch zu Gemüte führen. Hochschulleitungen sollte der Leitfaden zur Pflicht werden." (literaturkritik.de, 10.11.2008)
"Ein durchaus empfehlenswertes und hilfreiches Buch für alle, die geschlechterpolitische Weichen an Universitäten stellen wollen, oder eigene Berufungsverfahren reflektieren wollen." (Koryphäen, 15.11.2008)
Keine Chancengleichheit
"Die Autorinnen ermitteln in ihrer Untersuchung, wie Berufungsverfahren in ihrer konkreten Ausgestaltung zu der Unterrepräsentation von Frauen führen." (Neue Zürcher Zeitung, 07.02.2009)