Gewohnheiten und Veränderungen
Psychotherapeut Vincent Deary analysiert in „Wie wir sind“ menschliche Verhaltensmuster. Diese beruhen zum Teil auf Denkmustern. Im Fokus steht einerseits die Macht von Gewohnheiten und andererseits die Motivation für Veränderungsprozesse. Entsprechend dieser
gedanklichen Zweiteilung ist auch das Buch formal strukturiert. Damit verstärkt der Autor im Sinne seiner…mehrGewohnheiten und Veränderungen
Psychotherapeut Vincent Deary analysiert in „Wie wir sind“ menschliche Verhaltensmuster. Diese beruhen zum Teil auf Denkmustern. Im Fokus steht einerseits die Macht von Gewohnheiten und andererseits die Motivation für Veränderungsprozesse. Entsprechend dieser gedanklichen Zweiteilung ist auch das Buch formal strukturiert. Damit verstärkt der Autor im Sinne seiner eigenen Thesen die Kraft seiner Aussagen. Es handelt sich um den ersten Band einer Trilogie zu menschlichen Verhaltensweisen.
Ausgetretene Pfade erfordern ein Minimum an Energie und so erklärt sich schon rein physikalisch die Anziehungskraft bewährter Routinen. Diese Routinen haben einen entscheidenden Nachteil: Die Prozesse laufen unbewusst ab. Wir verschlafen quasi einen Teil unseres Lebens, wenn wir uns nicht mit Veränderungen beschäftigen. Der Neurowissenschaftler Gerhard Roth, auf den sich Deary u.a. bezieht (54), hat die Zusammenhänge in „Das Gehirn und seine Wirklichkeit“ erläutert.
Damit ist aber noch nicht die Motivation für Veränderungen beschrieben. „Alle Veränderung resultiert aus Leid“ erkannte bereits Goethe. „Jedes menschliche Verhalten ist bedürfnisorientiert“, sagt Thomas Müller in „Bestie Mensch“. Deary spricht nicht von Leid und nicht von Bedürfnissen, sondern (an zahlreichen Stellen seines Buches) von Begehren. Das widerspricht dem zwar nicht, hätte aber differenzierter ausgeführt werden können.
Das Buch enthält zahlreiche markante Aussagen und Gedankengänge, die erläutert und begründet werden. So ist das Gedächtnis kein präzises Archiv (66), nennen wir Manifestationen des Begehrens Kultur (22), gibt es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Denken und Sprache (98) und haben Requisiten eine Bedeutung, die schnell unterschätzt wird (100). Dass sich mancher Mafiosi in seinem Verhalten an seinem Film-Double orientiert, ist schon eine seltsam anmutende Wechselwirkung (230).
„Wie wir sind“ ist kein typischer Ratgeber, es ist eher ein unterhaltsames Aufklärungsbuch. Es handelt im Sinne von Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ davon, wie aus Möglichkeitswelten eine Wirklichkeitswelt generiert wird. Durch das Buch werden die Leser „aus dem Automatik-Modus gerissen und ins Reich der bewussten Überlegungen katapultiert“ (261). Damit ist das Ziel erreicht. Mehr kann man von einem anregenden Buch nicht erwarten.