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Mit einem Strom von Worten - und Gefühlen - überschüttete Rudolf Borchardt (1877-1945) die elf Jahre jüngere Bildhauerin und spätere Schriftstellerin Christa Winsloe (1888-1944), die er 1912 in München kennengelernt hatte und 1913 in Florenz wiedertraf. Es blieb eine einseitige Beziehung, wie auch die Überlieferung des Briefwechsels einseitig ist, denn nach zwei wechselseitigen Rückgabe-Aktionen sind nur die Briefe Borchardts von 1913 einigermaßen vollzählig erhalten. Als Dokument einer Amour fou stellen sie das Monument einer singulären Rhetorik dar, die nach Bedarf auf mehrere Fremdsprachen…mehr

Produktbeschreibung
Mit einem Strom von Worten - und Gefühlen - überschüttete Rudolf Borchardt (1877-1945) die elf Jahre jüngere Bildhauerin und spätere Schriftstellerin Christa Winsloe (1888-1944), die er 1912 in München kennengelernt hatte und 1913 in Florenz wiedertraf. Es blieb eine einseitige Beziehung, wie auch die Überlieferung des Briefwechsels einseitig ist, denn nach zwei wechselseitigen Rückgabe-Aktionen sind nur die Briefe Borchardts von 1913 einigermaßen vollzählig erhalten. Als Dokument einer Amour fou stellen sie das Monument einer singulären Rhetorik dar, die nach Bedarf auf mehrere Fremdsprachen ausgreift, zugleich aber auch das Beispiel eines wertkonservativen Bekehrungsversuchs und ein anrührendes Zeugnis der Einsamkeit des dichterischen Ichs ist.
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Autorenporträt
Rudolf Borchardt wurde 1877 in Königsberg geboren und wuchs in Berlin auf. Nach dem Studium der Klassischen Philologie in Bonn und Göttingen lebte er als freier Schriftsteller überwiegend in Italien. Sein Werk umfasst Gedichte, Dramen, Erzählungen und einen Roman, wissenschaftliche, literarische und politische Essays und Reden, Übertragungen und Anthologien. Borchardt war literarisch eng verbunden mit Hugo von Hofmannsthal und Rudolf Alexander Schröder. Sein ideelles Ziel war ,Schöpferische Restauration'. Borchardt konnte nach 1933 wegen der nationalsozialistischen Rassenpolitik in Deutschland nicht mehr publizieren. 1944 mit seiner Familie aus dem italienischen Frontgebiet zwangsweise ins Deutsche Reich gebracht, starb er im Januar 1945 in Tirol.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.06.2019

Der süße Kerl mag plötzlich nicht mehr schreiben
Seelending für Seelendrang: Rudolf Borchardts Briefe an die motorisierte Bildhauerin Christa Winsloe

Im Mai 1912 ist Rudolf Borchardt mit einem Rückzugsmanöver beschäftigt. Sein Blumenstrauß an die Adresse der in München lebenden Bildhauerin Christa Winsloe, die Borchardt bei einer Abendgesellschaft seines Freundes Alfred Heymel kennenlernt, hat nicht den gewünschten Effekt. Die Winsloe zeigt sich empört über die unmäßige Größe des Straußes. Sie ist als freischaffende Künstlerin und "Selbstfahrerin" schnittiger Automobile nicht eben ein bigottes Fräulein. Aber eine ehrbare Frau zu sein, darauf legt die Offizierstochter mit englischen Wurzeln Wert. Und Rudolf Borchardt, der zu diesem Zeitpunkt mit der Malerin Karoline Ehrmann in der Toskana lebt, hat sie brüskiert. Ein Missverständnis, lamentiert der Kavalier: "Sie schreiben, als hätte ich die Gärten Armidens gebrandschatzt oder Sie unter Veilchen erstickt wie Nero, und dabei habe ich in einem lumpigen Laden einen lumpigen Strauss recht lumpig gekauft."

Eine lumpige Sache insgesamt. Gefolgt von einer mehrmonatigen Funkstille. Erneute Kontaktaufnahme ist der Spätherbst des gleichen Jahres. Und darin formuliert Borchardt jetzt in aufgeräumter Ritterlichkeit den "treulichen Vorsatz einer guten Nachbarschaft auf dieser gebrechlichen Erde". Er schlägt außerdem einen Austausch der Briefe vor. Er müsse jetzt einsehen, dass er vor dem Blumenstraußdesaster nicht seiner schönen Christa geschrieben habe, sondern einem "Wahnbild".

Von diesen Briefen an ein Wahnbild sind insgesamt nur vier Stück erhalten geblieben. Und die allein wären der Rede nicht wert, wenn Borchardts Biograph Peter Sprengel nicht auf einen weiteren Packen gestoßen wäre. Siebenundfünfzig Briefe einer Liebe mit stotterndem Motor liegen jetzt jenseits der Gesamtausgabe als Publikation der Rudolf-Borchardt-Gesellschaft vor. Die meisten verfasst im Frühsommer 1913 - spektakulär aus mindestens zwei Gründen.

Vor einem Jahr hat Rudolf Borchardt die Literaturgemeinde nämlich mit einem pornographischen Fragment aus seinem Nachlass überrascht. Ein mehr als tausend Seiten umfassendes Kopulationsepos, angesiedelt im Berlin der späten Kaiserzeit, geschrieben in den dreißiger Jahren, als Borchardt schon ziemlich isoliert in Italien vor sich hin brütete und versuchte, Mussolini mit seiner Dante-Aneignung in deutscher Sprache zu beeindrucken. Im "Weltpuff Berlin", so hieß das Fragment, wimmelte es von verderbten Damen, die ohne Ziererei die "Flöte" eines hyperaktiven Ich-Erzählers spielten. Der nannte sich selbstbewusst Rudolf Borchardt und arbeitet effizient Gespielin nach Gespielin ab. Kai Kauffmann, Vorstandsmitglied der Borchardt-Gesellschaft, kommentierte die Cochonnerien des poeta doctus so: Die gescheiterte "Schöpferische Restauration" habe bei Borchardt irgendwann zur "Schöpferischen Erektion" geführt.

Wie dem auch sei: In den Briefen, die Borchardt im Vorkriegseuropa mit der Tierbildhauerin Christa Winsloe wechselt, erleben wir den Erotomanen von einer anderen Seite. "Als ich blutjung war", heißt es jetzt nicht ohne Tremolo, "habe ich die Welt im Bilde der Minne begriffen, der verzichtenden Anbetung." Den vier, fünf Kurz- und Kürzestbegegnungen stehen im Frühsommer 1913 bald sechzig minneartige Briefe gegenüber - ausschließlich aus Borchardts Feder. Die Gegenseite, aus der immerhin zitiert wird, ist leider verloren.

Zum zweiten geben uns diese Briefe Gelegenheit, freilich durch die Augen Borchardts, eine Frau kennenzulernen, die sowohl als Künstlerin als auch als weiblicher Sozialtypus der Vorkriegszeit interessant ist. Denn Christa Winsloe, Jahrgang 1888, die seit 1909 an der Münchner Kunstgewerbeschule studierte und Teil der Schwabinger Boheme war, gehörte zur sogenannten ersten Generation von bildenden Künstlerinnen. Ihre Tierskulpturen von Meerschweinchen, Murmeltieren und Buschbabys wurden erst im vergangenen Jahr im Berliner Kolbemuseum ausgestellt - waren dort überhaupt erstmals von einem größeren Publikum zu entdeckten. Winsloe war ein paar Eingeweihten eher als Drehbuchautorin von Leontine Sagans "Mädchen in Uniform" (1931) bekannt - einer autobiographischen Geschichte über erste Mädchenliebe in einem erzkonservativen Internat. Dass Winsloe, die kurz nach der Liaison mit dem um elf Jahre älteren Borchardt einen ungarischen Baron heiratete, ab den zwanziger Jahren offen lesbisch lebte, ist eine Pointe ihrer verwegenen Biographie. Die bereitetet auch ihrem idealistischen Verehrer einige Seelennöte. Das, was ihn an Winsloe ("ein süsser Kerl") anzog, war ihm gleichzeitig ein Graus: Lange Tangonächte in Schwabing; Umgang mit unernsthaften Verehrern; Liebe zwischen Studentinnen. "Lachend und wild belustigt ging ich durch alle die grellen harten Weiber dieses heutigen Deutschlands, mit ihren falschen Stimmen und ihren angeblasenen Phrasen", stöhnt er einmal brieflich. Ausgerechnet in der Autonärrin Christa will Borchardt partout etwas anderes sehen!

Christa Winsloe wird damit zum erotischen Pendant einer "Schöpferischen Restauration", die Borchardt sich auf die Fahnen geschrieben hatte. Hier wird mit allerlei Anspielungen auf antike Motive von Pindar bis Dante tief in den Raum der Literaturgeschichte hineingeliebt. Christa ist das "schwermütig spielende Geheimnis", der Mythos der reinen Liebe selbst. Die Liebe wiederum, das ist bei Borchardt "die gemeinsam geheimnisvolle Entdeckung einer gesteigerten Welt". Christa ist seine Schöpferin und seine Schöpfung. Gemeinsam sind sie weltfremd.

Die Wiederaufnahme der abrupt beendeten brieflichen Beziehungen vom Frühjahr 1912 lässt sich auf einen Autoausflug ein gutes Jahr später datieren. Winsloe saß mit Pilotinnenkappe am Steuer und brauste mit Borchardt durchs Florentiner Hinterland. Und nichts ist nach dieser Autofahrt mehr, wie es war. "Der Wein", schreibt Borchardt, "muss im Höllenbrodel des ersten Jahres seinen jungen Zucker verzehren, um den duftenden Herbstgeist des Rausches zu gewinnen, - jene Atmosphäre in der wir gestern badeten, und die sich mit jedem Male tiefer verklären wird."

Damit ist die Fallhöhe etabliert. Und auch der Ton. Denn obwohl Borchardt eine Haarlocke postalisch erbittet und auch erhält, bleibt die soziale Konvention eines "Freundschaftskontraktes" erhalten. Man spricht idealistisch über das Eigentliche. Unsicher schwankt Borchardt zwischen dem intimen Du und dem sittlichen Sie. Nachdem es zu einem weiteren Tête-à-tête der beiden Ende Mai gekommen ist, setzt Borchardt eine Art offene Ehe bei Karoline Ehrmann durch. Aber es stellen sich auch erste angstvolle Zweifel ein. Denn je mehr Borchardt seine Christa zum Geschöpf seiner promisken Phantasie macht, sogar zum Anlass einer Art écriture automatique, wie Peter Sprengel die Rede von der "instinctiven Function" interpretiert, desto mehr entzieht sich die eher leichtfüßige Korrespondentin dem Musenkorsett.

Das Münchner "Malerinnen-Gesindel" ist Borchardt jetzt suspekt. Das eigentliche Ziel der Frauenkunst, so wird einmal klargestellt, sei die Selbstentbergung der Frau ins Weiblich-Sakrale. "Bildhauerin bist Du, Bildhauerin musst Du bleiben, aus Ton und Holz Dich selber herauskriegen", schreibt Borchardt und schlägt Winsloe vor, ihr höchstpersönlich als Geburtshelfer zur Seite zu stehen, ja sie sogar zu seinem "bildenden Seelending für seinen bildenden Seelendrang" zu machen. Er sähe eine bezaubernde Frau wie sie grundsätzlich nur "an der Seite einer klugen und guten Mutter" oder eben an der "eines energischen und gentlemanliken Mannes".

Schon Mitte Juni fällt Winsloe durch unregelmäßiges Schreibverhalten auf. Anfang August lässt sie den Schwärmer ganz auflaufen. Nach langem mehr Hin als Her wird eine Briefübergabe vereinbart. Das Dokument wiederum, das die technische Abwicklung behandelt, ist von Borchardt in geschäftsmäßigem Englisch verfasst. Ein Jahr später berichtet Borchardt dem gemeinsamen Freund Heymel von der unverhofften Begegnung mit der inzwischen verheirateten Winsloe: "Plötzlich prallte da ein leichenfahles Gesicht vor mir zurück - sie ist fett breit und gelb geworden."

So ist das eben, wenn Musen nicht mehr schmusen. Was bleibt, sind die wunderschönen, aber zugleich auch ärgerlichen Briefe eines Dichters, der im "Höllenbrodel des ersten Jahres" den jungen Zucker einer unerfüllten Liebe verzehrte.

KATHARINA TEUTSCH

Rudolf Borchardt: "Wie wortreich ist die Sehnsucht." Liebesbriefe an Christa Winsloe 1912/13. Einführung von Dieter Burdorf, Nachwort von Peter Sprengel. Quintus Verlag, München 2019. 263 S., br., 28,- [Euro].

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