Harald Weinrich, einer der großen Literatur- und Sprachwissenschaftler unserer Zeit, hat in seinen Werken viele Themenkreise berührt. 'Tempus', 'Linguistik der Lüge', 'Lethe', 'Knappe Zeit' - schon die Titel seiner berühmten Bücher legen Zeugnis davon ab, wie weit das Spektrum der Fragen reicht, denen der Autor in ihnen nachgeht. Die sinnliche Anschauung, geschärft durch den hermeneutisch geschulten Blick, ist dabei stets ein Kennzeichen seines Stils gewesen.
Ist Goethes Mephistopheles, wie Madame de Staël gemeint hat, ein 'zivilisierter Teufel'? Und wo verlaufen überhaupt die Grenzen von Gut und Böse im Spiegel der Literatur? Mit solchen und ähnlichen Fragen befaßt sich Harald Weinrich in den zwanzig kurzen Essays dieses Buches. In ihnen greift er weit aus in die Kulturgeschichte, in die Philosophie und Theologie und übergeht auch nicht, neben vielen hellen Erscheinungen, die dunkelsten Jahre der deutschen Geschichte. Immer bleibt jedoch seine Anschauungsbasis die europäische Literatur, betrachtet in einer nahen und dichten Lektüre ihrer großen Werk.
Ist Goethes Mephistopheles, wie Madame de Staël gemeint hat, ein 'zivilisierter Teufel'? Und wo verlaufen überhaupt die Grenzen von Gut und Böse im Spiegel der Literatur? Mit solchen und ähnlichen Fragen befaßt sich Harald Weinrich in den zwanzig kurzen Essays dieses Buches. In ihnen greift er weit aus in die Kulturgeschichte, in die Philosophie und Theologie und übergeht auch nicht, neben vielen hellen Erscheinungen, die dunkelsten Jahre der deutschen Geschichte. Immer bleibt jedoch seine Anschauungsbasis die europäische Literatur, betrachtet in einer nahen und dichten Lektüre ihrer großen Werk.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2007Wollen Sie wissen, wie kunstvoll Verführung sein kann?
Dann lesen Sie dieses Buch unseres größten Universalisten: Harald Weinrich macht Stippvisiten bei Gut und Böse / Von Andreas Platthaus
Was ist das für ein Gelehrter, der das eigene Fach ins Unrecht setzt gegen dessen Gegenstand? Oder besser gesagt: nicht ins Unrecht, aber an die zweite Stelle. Harald Weinrich schreibt in seinem neuen Buch "Wie zivilisiert ist der Teufel?" in einem Kapitel über die Bibelrezeption: "Selbst die stimmigste Theorie der Narrativität muss notwendig als inadäquat gelten gegenüber einer einfachen vor- oder nacherzählten Geschichte, die den Hörer oder Leser zum ,Täter des Wortes' werden lässt, so dass von ihm wiederum erzählt werden kann." Das ist ein wunderbar vieldeutiger Satz, weil er beide Folgen von Erzählungen beschreibt: Der Täter des Wortes kann einerseits selbst die ihm erzählte Geschichte weitererzählen, oder aber es kann von ihm erzählt werden als von einem, der durch die Erzählung auf einen neuen Weg gebracht wurde. Um bei der Bibel zu bleiben: Für den ersten Fall stehen die Evangelisten - sie haben erzählt, was ihnen erzählt wurde. Für den zweiten steht Paulus - über ihn wird erzählt. Dass er im Kontext des Neuen Testaments selbst mit seinen Briefen wieder zum Erzähler wird, ist nur die besonders glückliche Verbindung der beiden Rezeptionsebenen.
Harald Weinrich nun ist längst zu einer Person geworden, über die man genauso begeistert erzählen kann, wie man von ihr erzählt bekommt. Längst ist er, der unlängst achtzig Jahres alt wurde, eine lebende Legende seiner Disziplin. Deshalb ist es tatsächlich eine kleine Bosheit von ihm, das Selbstbewusstsein der Forscherkollegen durch sein Lob der Erzähler in Frage zu stellen, denn auf ihn selbst trifft das selbstdiagnostizierte Defizit nicht zu. Wer es nicht glauben will, der lese sein neues Buch und erkenne, was da für ein bemerkenswerter Erzähler schreibt.
Allerdings muss man nicht einmal intimer Kenner des Weinrichschen Werks sein, um die eingangs zitierte Stelle verdächtig vertraut zu finden. Ja, sie ist berühmt und fast dreieinhalb Jahrzehnte alt. 1973 veröffentlichte der Romanist in "Concilium", einer internationalen theologischen Zeitschrift, seinen Aufsatz "Narrative Theologie", der nun, leicht bearbeitet, zu einer der im Untertitel genannten Stippvisiten bei Gut und Böse geworden ist. Wie überhaupt zu allen Kapiteln dieses Buches Vorstudien und Vorläufer existieren, die nun erstmals in einen festen Zusammenhang gebracht sind, der gerade in der Dichotomie des Themas Einheit stiftet. Welche Besuche eher dem Guten und welche dem Bösen gelten, das bleibt den Lesern überlassen, denn Weinrichs Abstecher gelten guten Menschen in bösen Zeiten (zum Beispiel dem großen Romanistenkollegen Ernst Robert Curtius im Ersten Weltkrieg und "Dritten Reich") und bösen Geschöpfen in guten Tagen (etwa Hitler als literarischer Figur bei Feuchtwanger in der Weimarer Republik). Ob es sich um eine Bösbestimmung oder ein Gutgeschick handelt, kann man also nur dadurch feststellen, dass man selbst von Weinrichs Besuchen erzählt; dann wird man schon sehen, ob eine Gute-Nacht- oder eine Horrorgeschichte daraus wird.
Der Titel des Buches verdankt sich Madame de Staël - und Harald Weinrich wird es schätzen, dass ich just diese Bezeichnung wähle, denn wie er spöttisch ausführt, ist die französische Anrede der Schriftstellerin eine Marotte der Literaturkritik, weshalb er selbst konsequent "Frau von Staël" schreibt. In ihrem berühmten 1813 erschienenen Buch über Deutschland porträtiert sie Goethe und nennt dessen Figur des Mephistopheles "den zivilisierten Teufel". Diese Beobachtung einer Dame, die von der Unbeständigkeit Fausts genauso abgestoßen war wie von der schlichten Herkunft Margaretes und deshalb in Mephisto den Helden von Goethes deutschem Schicksalsdrama sah, passte auch auf Weinrichs Verführungskünste. Doch hier werden sie mit besten Absichten eingesetzt, weshalb man den Autor im Rahmen seiner Zunft einen zivilisierten Gott nennen könnte. Angesichts dessen, was uns die Bibel an Berichtsstoff bietet, ist dieses Epitheton eher noch irritierender als die Rede vom zivilisierten Teufel.
Weinrich erdet die Erzählungen von Göttern und Teufeln, indem er sie als literarische Ereignisse nimmt. Fortsetzung folgt: Das ist das Prinzip des Lebens, also auch des Geistes. So werden in dem meisterhaften Aufsatz zum sehr Großen und sehr Kleinen in der Literatur die zahlreichen Erzählungen von Menschen zusammengestellt, die von Walen verschluckt worden sein sollen. Doch Weinrich spart sich den Vorwurf an sie, nicht originell genug zu sein, weil etwas Ähnliches einem gewissen Herrn Jonas passiert ist, vor zirka zweitausend Jahren. Es ist ein evolutionärer Weg, den er immer wieder freilegt.
Diese Position erregte 1973 bei den Lesern von "Concilium" Aufsehen, denn hier bestritt ihnen ein Fachfremder nicht nur die Leitkompetenz bei der Auslegung, sondern auch den buchstäblichen Charakter der Schrift. Nicht, dass Weinrich sich theologisches Wissen angemaßt hätte, aber er zeigte, wie sehr ebenjenes auf literarischen Traditionen beruht, durch die sich "allmähliche Kumulation von erzählter Lebens- und Heilserfahrung zu säkularer Weisheit verrechnen lässt". Er macht kein Hehl daraus, dass er die Aufklärung höher schätzt als den blinden Glauben, weshalb er auch das Prinzip der säkular-bürgerlich begründeten Höflichkeit gegen den metaphysisch begründeten Ehrbegriff des Adels stark macht. Das eine gilt der ganzen Welt, der andere nur der eigenen Klasse.
So ist das Buch auch kein rein romanistisches Werk, sondern ein universalwissenschaftliches, das von der immensen Verstandesschärfe seines Autors kündet. Der literaturwissenschaftliche Malus der Neuzeit, die durch die Etablierung des Buchmarkts "die Leser zunehmend von der intensiven zur extensiven Lektüre umgeschult hat", wie Weinrich kühl feststellt, wird in seinem eigenen Schreiben zum kulturgeschichtlichen Bonus, denn was für ein Segen ist es, solch universal belesene Gelehrte zu haben. Nur eine einzige Stelle im ganzen Werk gibt es, wo sich leiser Zweifel regt, ob Weinrich tatsächlich alle für die Analyse seiner Gegenstände notwendigen Interessen und Leidenschaften in sich vereint. Bei seiner Erörterung des Konzepts der Weltliteratur zitiert er für den Erfolg postkolonialer Romane einen Satz von Salman Rushdie: "The Empire writes back", und an keiner seiner Ausführungen dazu lässt sich spüren, dass Weinrich den Science-Fiction-Film kennte, dessen Titel Rushdie hier variiert. Wäre dies der Fall, so müsste Weinrich die inhärente Bosheit Rushdies aufgefallen sein.
So perfekt, wie sich die Texte zum Ganzen runden, so faszinierend ist das Selbstgespräch, das sich darin artikuliert. Es gibt Leitmotive, von denen offenbleibt, ob sie von Weinrich selbst auskomponiert worden sind. In seinem großen Aufsatz über das Deutschland-Bild von Curtius - dem längsten Kapitel des Buches und zugleich auch der offensten Selbstbeschreibung von Weinrich in Abgrenzung wie Bewunderung zu Curtius - wird einmal André Gide zitiert, der dem deutschen Romanisten 1921 bescheinigte, er "beruhige" Frankreich (rassurer). Wie wunderbar, dass Curtius selbst achtundzwanzig Jahre und einen Weltkrieg später in seinem Bekenntnis zu Goethe als Begründung anführte: "Dieser große Mann beruhigt." Und wie generös, dass Weinrich diese Bezugnahme unkommentiert lässt - generös gegen Curtius, dessen Selbstgleichsetzung mit Goethe ausgesprochen, aber philologisch unerklärt bleibt, und generös gegenüber uns Lesern, die wir diesen Schluss als unseren eigenen genießen dürfen.
Eine winzige Eitelkeit nur hat sich Weinrich gestattet, und man mag sie auch als feinste Ironie werten. Beschlossen wird das Buch von einer Betrachtung zur Flut von Gedenkjahren - "Memorial-Historie" nennt sie der Autor, aber was er beschreibt, ist eher Memorial-Hysterie. Das aber in einem Band, der genau zum achtzigsten Geburtstag seines Autors erschienen ist? Honi soit qui mal y pense. Aber nicht teuflisch.
Harald Weinrich: "Wie zivilisiert ist der Teufel?". Kurze Besuche bei Gut und Böse. Verlag C. H. Beck, München 2007. 255 S., geb., 24,90 [Euro].
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Dann lesen Sie dieses Buch unseres größten Universalisten: Harald Weinrich macht Stippvisiten bei Gut und Böse / Von Andreas Platthaus
Was ist das für ein Gelehrter, der das eigene Fach ins Unrecht setzt gegen dessen Gegenstand? Oder besser gesagt: nicht ins Unrecht, aber an die zweite Stelle. Harald Weinrich schreibt in seinem neuen Buch "Wie zivilisiert ist der Teufel?" in einem Kapitel über die Bibelrezeption: "Selbst die stimmigste Theorie der Narrativität muss notwendig als inadäquat gelten gegenüber einer einfachen vor- oder nacherzählten Geschichte, die den Hörer oder Leser zum ,Täter des Wortes' werden lässt, so dass von ihm wiederum erzählt werden kann." Das ist ein wunderbar vieldeutiger Satz, weil er beide Folgen von Erzählungen beschreibt: Der Täter des Wortes kann einerseits selbst die ihm erzählte Geschichte weitererzählen, oder aber es kann von ihm erzählt werden als von einem, der durch die Erzählung auf einen neuen Weg gebracht wurde. Um bei der Bibel zu bleiben: Für den ersten Fall stehen die Evangelisten - sie haben erzählt, was ihnen erzählt wurde. Für den zweiten steht Paulus - über ihn wird erzählt. Dass er im Kontext des Neuen Testaments selbst mit seinen Briefen wieder zum Erzähler wird, ist nur die besonders glückliche Verbindung der beiden Rezeptionsebenen.
Harald Weinrich nun ist längst zu einer Person geworden, über die man genauso begeistert erzählen kann, wie man von ihr erzählt bekommt. Längst ist er, der unlängst achtzig Jahres alt wurde, eine lebende Legende seiner Disziplin. Deshalb ist es tatsächlich eine kleine Bosheit von ihm, das Selbstbewusstsein der Forscherkollegen durch sein Lob der Erzähler in Frage zu stellen, denn auf ihn selbst trifft das selbstdiagnostizierte Defizit nicht zu. Wer es nicht glauben will, der lese sein neues Buch und erkenne, was da für ein bemerkenswerter Erzähler schreibt.
Allerdings muss man nicht einmal intimer Kenner des Weinrichschen Werks sein, um die eingangs zitierte Stelle verdächtig vertraut zu finden. Ja, sie ist berühmt und fast dreieinhalb Jahrzehnte alt. 1973 veröffentlichte der Romanist in "Concilium", einer internationalen theologischen Zeitschrift, seinen Aufsatz "Narrative Theologie", der nun, leicht bearbeitet, zu einer der im Untertitel genannten Stippvisiten bei Gut und Böse geworden ist. Wie überhaupt zu allen Kapiteln dieses Buches Vorstudien und Vorläufer existieren, die nun erstmals in einen festen Zusammenhang gebracht sind, der gerade in der Dichotomie des Themas Einheit stiftet. Welche Besuche eher dem Guten und welche dem Bösen gelten, das bleibt den Lesern überlassen, denn Weinrichs Abstecher gelten guten Menschen in bösen Zeiten (zum Beispiel dem großen Romanistenkollegen Ernst Robert Curtius im Ersten Weltkrieg und "Dritten Reich") und bösen Geschöpfen in guten Tagen (etwa Hitler als literarischer Figur bei Feuchtwanger in der Weimarer Republik). Ob es sich um eine Bösbestimmung oder ein Gutgeschick handelt, kann man also nur dadurch feststellen, dass man selbst von Weinrichs Besuchen erzählt; dann wird man schon sehen, ob eine Gute-Nacht- oder eine Horrorgeschichte daraus wird.
Der Titel des Buches verdankt sich Madame de Staël - und Harald Weinrich wird es schätzen, dass ich just diese Bezeichnung wähle, denn wie er spöttisch ausführt, ist die französische Anrede der Schriftstellerin eine Marotte der Literaturkritik, weshalb er selbst konsequent "Frau von Staël" schreibt. In ihrem berühmten 1813 erschienenen Buch über Deutschland porträtiert sie Goethe und nennt dessen Figur des Mephistopheles "den zivilisierten Teufel". Diese Beobachtung einer Dame, die von der Unbeständigkeit Fausts genauso abgestoßen war wie von der schlichten Herkunft Margaretes und deshalb in Mephisto den Helden von Goethes deutschem Schicksalsdrama sah, passte auch auf Weinrichs Verführungskünste. Doch hier werden sie mit besten Absichten eingesetzt, weshalb man den Autor im Rahmen seiner Zunft einen zivilisierten Gott nennen könnte. Angesichts dessen, was uns die Bibel an Berichtsstoff bietet, ist dieses Epitheton eher noch irritierender als die Rede vom zivilisierten Teufel.
Weinrich erdet die Erzählungen von Göttern und Teufeln, indem er sie als literarische Ereignisse nimmt. Fortsetzung folgt: Das ist das Prinzip des Lebens, also auch des Geistes. So werden in dem meisterhaften Aufsatz zum sehr Großen und sehr Kleinen in der Literatur die zahlreichen Erzählungen von Menschen zusammengestellt, die von Walen verschluckt worden sein sollen. Doch Weinrich spart sich den Vorwurf an sie, nicht originell genug zu sein, weil etwas Ähnliches einem gewissen Herrn Jonas passiert ist, vor zirka zweitausend Jahren. Es ist ein evolutionärer Weg, den er immer wieder freilegt.
Diese Position erregte 1973 bei den Lesern von "Concilium" Aufsehen, denn hier bestritt ihnen ein Fachfremder nicht nur die Leitkompetenz bei der Auslegung, sondern auch den buchstäblichen Charakter der Schrift. Nicht, dass Weinrich sich theologisches Wissen angemaßt hätte, aber er zeigte, wie sehr ebenjenes auf literarischen Traditionen beruht, durch die sich "allmähliche Kumulation von erzählter Lebens- und Heilserfahrung zu säkularer Weisheit verrechnen lässt". Er macht kein Hehl daraus, dass er die Aufklärung höher schätzt als den blinden Glauben, weshalb er auch das Prinzip der säkular-bürgerlich begründeten Höflichkeit gegen den metaphysisch begründeten Ehrbegriff des Adels stark macht. Das eine gilt der ganzen Welt, der andere nur der eigenen Klasse.
So ist das Buch auch kein rein romanistisches Werk, sondern ein universalwissenschaftliches, das von der immensen Verstandesschärfe seines Autors kündet. Der literaturwissenschaftliche Malus der Neuzeit, die durch die Etablierung des Buchmarkts "die Leser zunehmend von der intensiven zur extensiven Lektüre umgeschult hat", wie Weinrich kühl feststellt, wird in seinem eigenen Schreiben zum kulturgeschichtlichen Bonus, denn was für ein Segen ist es, solch universal belesene Gelehrte zu haben. Nur eine einzige Stelle im ganzen Werk gibt es, wo sich leiser Zweifel regt, ob Weinrich tatsächlich alle für die Analyse seiner Gegenstände notwendigen Interessen und Leidenschaften in sich vereint. Bei seiner Erörterung des Konzepts der Weltliteratur zitiert er für den Erfolg postkolonialer Romane einen Satz von Salman Rushdie: "The Empire writes back", und an keiner seiner Ausführungen dazu lässt sich spüren, dass Weinrich den Science-Fiction-Film kennte, dessen Titel Rushdie hier variiert. Wäre dies der Fall, so müsste Weinrich die inhärente Bosheit Rushdies aufgefallen sein.
So perfekt, wie sich die Texte zum Ganzen runden, so faszinierend ist das Selbstgespräch, das sich darin artikuliert. Es gibt Leitmotive, von denen offenbleibt, ob sie von Weinrich selbst auskomponiert worden sind. In seinem großen Aufsatz über das Deutschland-Bild von Curtius - dem längsten Kapitel des Buches und zugleich auch der offensten Selbstbeschreibung von Weinrich in Abgrenzung wie Bewunderung zu Curtius - wird einmal André Gide zitiert, der dem deutschen Romanisten 1921 bescheinigte, er "beruhige" Frankreich (rassurer). Wie wunderbar, dass Curtius selbst achtundzwanzig Jahre und einen Weltkrieg später in seinem Bekenntnis zu Goethe als Begründung anführte: "Dieser große Mann beruhigt." Und wie generös, dass Weinrich diese Bezugnahme unkommentiert lässt - generös gegen Curtius, dessen Selbstgleichsetzung mit Goethe ausgesprochen, aber philologisch unerklärt bleibt, und generös gegenüber uns Lesern, die wir diesen Schluss als unseren eigenen genießen dürfen.
Eine winzige Eitelkeit nur hat sich Weinrich gestattet, und man mag sie auch als feinste Ironie werten. Beschlossen wird das Buch von einer Betrachtung zur Flut von Gedenkjahren - "Memorial-Historie" nennt sie der Autor, aber was er beschreibt, ist eher Memorial-Hysterie. Das aber in einem Band, der genau zum achtzigsten Geburtstag seines Autors erschienen ist? Honi soit qui mal y pense. Aber nicht teuflisch.
Harald Weinrich: "Wie zivilisiert ist der Teufel?". Kurze Besuche bei Gut und Böse. Verlag C. H. Beck, München 2007. 255 S., geb., 24,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Intelligent nennt Rezensent Burkhard Müller diese Sammlung aus zwanzig bisher verstreut erschienenen Essays von Harald Weinrich, die von den verschiedensten Punkten ausgehen und sich doch zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügen. Mal wählt der Autor den Stilbegriff bei Buffon, dann die Kreuzesinschrift "INRI" und dann wieder das Erdbeben von Lissabon als Ausgangsthema, nimmt dieses jedoch immer zum Anlass, tiefer in die Geistesgeschichte einzutauchen. Sehr klug und aufschlussreich fand das der Rezensent, den zudem Harald Weinrichs leichte und humorvolle Art alte Themen tiefgründig weiterzudenken, sehr beeindruckt haben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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