Aus tiefster Ächtung ist der Krieg in der westlichen Welt binnen kurzem wieder zu starker Beachtung gelangt: als Krieg gegen den Terrorismus, als Krieg für das Völkerrecht, als Krieg für Menschenrechte und Selbstbestimmung auf dem Balkan.
Die Karriere des Krieges innerhalb eines Jahrzehnts zeichnet das Buch nach: als Geschichte geteilter Gefühle zum Krieg. Denn kollektive moralische Gefühle, die von vielen geteilt werden und im Konflikt zu den Gefühlen anderer stehen, sind grundlegende Bewegungskräfte des sozialen Lebens, im Frieden wie im Krieg. »Lehrmeister Krieg« reißt uns aus unseren Gefühlsverankerungen und lehrt uns das, was wir im Frieden nicht lernen wollen. Mit den Zielen der Kriegsführenden ist es nie identisch. Es erschließt sich, wenn überhaupt, im Nachhinein, in den unerwünschten und schmerzlichen Folgen von Kriegen: in der Erfahrung der Grenzen von Macht, in der Revision von Macht- und Zielvorstellungen, in der Lösung von Konflikten oder in der Einsicht, daß man mit ihnen leben muss. Die neuen Kriege schaffen und bestärken Nationalstaaten, deren Ende wir gekommen sahen, und sie schaffen übernationale Gefühls- und Gewaltgemeinschaften als Ordnungskräfte der Weltgesellschaft. Der jeweils neueste Krieg scheint immer ein ganz anderer zu sein. Das Buch zeigt aber auch, wie sich die Kriege gleichen, wie sie sich erschöpfen und wie begrenzt die Macht des Krieges ist.
Die Karriere des Krieges innerhalb eines Jahrzehnts zeichnet das Buch nach: als Geschichte geteilter Gefühle zum Krieg. Denn kollektive moralische Gefühle, die von vielen geteilt werden und im Konflikt zu den Gefühlen anderer stehen, sind grundlegende Bewegungskräfte des sozialen Lebens, im Frieden wie im Krieg. »Lehrmeister Krieg« reißt uns aus unseren Gefühlsverankerungen und lehrt uns das, was wir im Frieden nicht lernen wollen. Mit den Zielen der Kriegsführenden ist es nie identisch. Es erschließt sich, wenn überhaupt, im Nachhinein, in den unerwünschten und schmerzlichen Folgen von Kriegen: in der Erfahrung der Grenzen von Macht, in der Revision von Macht- und Zielvorstellungen, in der Lösung von Konflikten oder in der Einsicht, daß man mit ihnen leben muss. Die neuen Kriege schaffen und bestärken Nationalstaaten, deren Ende wir gekommen sahen, und sie schaffen übernationale Gefühls- und Gewaltgemeinschaften als Ordnungskräfte der Weltgesellschaft. Der jeweils neueste Krieg scheint immer ein ganz anderer zu sein. Das Buch zeigt aber auch, wie sich die Kriege gleichen, wie sie sich erschöpfen und wie begrenzt die Macht des Krieges ist.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.06.2002Weltgewissen
Karl Otto Hondrich betrachtet
den Krieg vom Gefühl her
In Wahrheit gehorcht der jüngste Krieg den ältesten Prinzipien der universellen Moral. Das Prinzip der Reziprozität löste ihn aus, als Amerika Afghanistan als Replik auf den Anschlag vom 11. September angriff. Das Prinzip der Präferenz des Eigenen ließ keinen Zweifel an der Legitimität des Unterfangens, weil der „gute” Westen gegen den „bösen” Terrorstaat vorging. Das Prinzip der kollektiven Identifikation schweißte militärisch zur Einheit, was eigentlich ökonomisch um Weltmärkte konkurriert.
In Wahrheit straft die Wahrheit moderner Kriege die Wahrheit alter Kriege lügen. Denn der Staat als einzige legitime Gewaltinstanz provoziert keine Kriege, sondern schützen vor ihnen. Im globalen Kampf bündelt der Nationalstaat kollektive Gefühle und verspricht Sicherheit. Erst „wo Gewaltmonopole in Frage gestellt werden und zerbrechen, tritt Gewalt in ihrer ursprünglichen, anarchischen Form wieder in Erscheinung”, schreibt der Soziologe Karl Otto Hondrich.
In Wahrheit ist der Krieg kein vermeidbares Versagen, sondern eine soziale Notwendigkeit. Wo die kulturelle Entwicklung nicht weitergeht, weil sich Gesellschaften gegenseitig in ihrem Fortkommen blockieren, löst er gewaltsam, was friedlich unlösbar scheint.
Es sind diese Thesen, die in zwölf zumeist schon publizierten Aufsätzen von Karl Otto Hondrich durchklingen und die jetzt gesammelt in der Edition Suhrkamp unter dem Titel „Wieder Krieg” erschienen sind. „Momentaufnahmen” nennt sie der Autor, mit denen er anhand von Balkan-, Golf- und Afghanistan-Krieg die soziologische und moralische Seite von Kriegslust und Friedensfrust nachzeichnet. Bisweilen provokativ hält Hondrich den Europäern einen Spiegel vor, der ihre Kriegsaversion als bloßen Reflex auf das Trauma zweier Weltkriege enthüllt, und der in ihrer zum Weltgewissen aufgeblasenen „okzidentalen Moral” denselben Chauvinismus bloßstellt, der vormals ihren Nationen innewohnte. Vor allem deshalb ist Hondrichs Artikel- Sammlung ein erhellendes Buch zu einem düsteren Thema.
tth
KARL OTTO HONDRICH: Wieder Krieg. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 193 Seiten, 9 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Karl Otto Hondrich betrachtet
den Krieg vom Gefühl her
In Wahrheit gehorcht der jüngste Krieg den ältesten Prinzipien der universellen Moral. Das Prinzip der Reziprozität löste ihn aus, als Amerika Afghanistan als Replik auf den Anschlag vom 11. September angriff. Das Prinzip der Präferenz des Eigenen ließ keinen Zweifel an der Legitimität des Unterfangens, weil der „gute” Westen gegen den „bösen” Terrorstaat vorging. Das Prinzip der kollektiven Identifikation schweißte militärisch zur Einheit, was eigentlich ökonomisch um Weltmärkte konkurriert.
In Wahrheit straft die Wahrheit moderner Kriege die Wahrheit alter Kriege lügen. Denn der Staat als einzige legitime Gewaltinstanz provoziert keine Kriege, sondern schützen vor ihnen. Im globalen Kampf bündelt der Nationalstaat kollektive Gefühle und verspricht Sicherheit. Erst „wo Gewaltmonopole in Frage gestellt werden und zerbrechen, tritt Gewalt in ihrer ursprünglichen, anarchischen Form wieder in Erscheinung”, schreibt der Soziologe Karl Otto Hondrich.
In Wahrheit ist der Krieg kein vermeidbares Versagen, sondern eine soziale Notwendigkeit. Wo die kulturelle Entwicklung nicht weitergeht, weil sich Gesellschaften gegenseitig in ihrem Fortkommen blockieren, löst er gewaltsam, was friedlich unlösbar scheint.
Es sind diese Thesen, die in zwölf zumeist schon publizierten Aufsätzen von Karl Otto Hondrich durchklingen und die jetzt gesammelt in der Edition Suhrkamp unter dem Titel „Wieder Krieg” erschienen sind. „Momentaufnahmen” nennt sie der Autor, mit denen er anhand von Balkan-, Golf- und Afghanistan-Krieg die soziologische und moralische Seite von Kriegslust und Friedensfrust nachzeichnet. Bisweilen provokativ hält Hondrich den Europäern einen Spiegel vor, der ihre Kriegsaversion als bloßen Reflex auf das Trauma zweier Weltkriege enthüllt, und der in ihrer zum Weltgewissen aufgeblasenen „okzidentalen Moral” denselben Chauvinismus bloßstellt, der vormals ihren Nationen innewohnte. Vor allem deshalb ist Hondrichs Artikel- Sammlung ein erhellendes Buch zu einem düsteren Thema.
tth
KARL OTTO HONDRICH: Wieder Krieg. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 193 Seiten, 9 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2002Keine Allheilmittel
KRIEG. Es waren nicht viele, die nach dem Zusammenbruch der alten Weltordnung den Mut und die Weitsicht hatten, den neuen Realitäten ins Auge zu sehen. Dabei war bereits 1990/91 unübersehbar, daß das Ende des Kalten Krieges und seiner diversen internationalen Sicherungsmechanismen fast zwangsläufig zu einer Renaissance von Krieg und Bürgerkrieg führen würde. Man könne "nicht die Augen davor verschließen, daß sich Konflikte in der Weltgesellschaft weiter so zuspitzen, daß die Beteiligten den Krieg wollen, weil sie keinen besseren Ausweg sehen", schrieb Karl Otto Hondrich Anfang 1991. Seither hat sich der Frankfurter Soziologe regelmäßig zum Thema "Krieg" zu Wort gemeldet. Elf seiner Beiträge hat er um die Einführung über "Die Zukunft des Krieges" erweitert und noch einmal in Buchform vorgelegt. Sie bleiben lesenswerte "Momentaufnahmen von kollektiven Gefühlslagen" und Interpretationen - so die Beobachtung, daß Nationalstaaten aus Kriegen entstanden seien und Nationalstaaten Kriege geführt hätten, was sie suspekt mache. Wo aber stabile Nationalstaaten fehlten, da sei der Krieg "erst recht zur Stelle". Und was die seit mehr als zehn Jahren wieder in einem Nationalstaat lebenden Deutschen angeht, attestiert ihnen Hondrich einen bemerkenswerten Wechsel der Perspektive: Anders als den Zweiten Weltkrieg, in dem sie die Angreifer und Schuldigen waren, sehen die Deutschen "die neuen Kriege als Verteidigungskriege", und das ist wohl die Voraussetzung dafür, daß sie sich auf die Seite der Angegriffenen schlagen und ihrerseits wieder Krieg führen können. Selbstverständlich geht es Hondrich nicht um ein Plädoyer für den Krieg, schon gar nicht um einen Aufruf an die Deutschen, wieder zu den Waffen zu greifen. Aber er sucht nach einer Erklärung und auch nach einer Legitimation für das Unvermeidliche. Wenn die Kluft zwischen Arm und Reich und die Kluft zwischen Mächtigen und Ohnmächtigen für das "Entstehen von Kriegen verantwortlich" sind, dann ist ihr Schließen eine "Aufgabe, die ihren moralischen Wert in sich selbst hat". Gewiß, auch für Hondrich sind das "Zusammenwirken oder gar der Ausgleich von okzidentaler und universaler Moral" kein Allheilmittel gegen den Krieg. Aber sie können, solange Krieg und Kriegsdrohung als Ordnungsfaktoren in der Welt bleiben, "die Chancen und Leiden des Krieges verringern". Ohne das "Prinzip Hoffnung" kann allerdings auch Hondrich diese Erkenntnis nicht begründen. (Karl Otto Hondrich: Wieder Krieg. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 193 Seiten, 9,- Euro.)
GREGOR SCHÖLLGEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
KRIEG. Es waren nicht viele, die nach dem Zusammenbruch der alten Weltordnung den Mut und die Weitsicht hatten, den neuen Realitäten ins Auge zu sehen. Dabei war bereits 1990/91 unübersehbar, daß das Ende des Kalten Krieges und seiner diversen internationalen Sicherungsmechanismen fast zwangsläufig zu einer Renaissance von Krieg und Bürgerkrieg führen würde. Man könne "nicht die Augen davor verschließen, daß sich Konflikte in der Weltgesellschaft weiter so zuspitzen, daß die Beteiligten den Krieg wollen, weil sie keinen besseren Ausweg sehen", schrieb Karl Otto Hondrich Anfang 1991. Seither hat sich der Frankfurter Soziologe regelmäßig zum Thema "Krieg" zu Wort gemeldet. Elf seiner Beiträge hat er um die Einführung über "Die Zukunft des Krieges" erweitert und noch einmal in Buchform vorgelegt. Sie bleiben lesenswerte "Momentaufnahmen von kollektiven Gefühlslagen" und Interpretationen - so die Beobachtung, daß Nationalstaaten aus Kriegen entstanden seien und Nationalstaaten Kriege geführt hätten, was sie suspekt mache. Wo aber stabile Nationalstaaten fehlten, da sei der Krieg "erst recht zur Stelle". Und was die seit mehr als zehn Jahren wieder in einem Nationalstaat lebenden Deutschen angeht, attestiert ihnen Hondrich einen bemerkenswerten Wechsel der Perspektive: Anders als den Zweiten Weltkrieg, in dem sie die Angreifer und Schuldigen waren, sehen die Deutschen "die neuen Kriege als Verteidigungskriege", und das ist wohl die Voraussetzung dafür, daß sie sich auf die Seite der Angegriffenen schlagen und ihrerseits wieder Krieg führen können. Selbstverständlich geht es Hondrich nicht um ein Plädoyer für den Krieg, schon gar nicht um einen Aufruf an die Deutschen, wieder zu den Waffen zu greifen. Aber er sucht nach einer Erklärung und auch nach einer Legitimation für das Unvermeidliche. Wenn die Kluft zwischen Arm und Reich und die Kluft zwischen Mächtigen und Ohnmächtigen für das "Entstehen von Kriegen verantwortlich" sind, dann ist ihr Schließen eine "Aufgabe, die ihren moralischen Wert in sich selbst hat". Gewiß, auch für Hondrich sind das "Zusammenwirken oder gar der Ausgleich von okzidentaler und universaler Moral" kein Allheilmittel gegen den Krieg. Aber sie können, solange Krieg und Kriegsdrohung als Ordnungsfaktoren in der Welt bleiben, "die Chancen und Leiden des Krieges verringern". Ohne das "Prinzip Hoffnung" kann allerdings auch Hondrich diese Erkenntnis nicht begründen. (Karl Otto Hondrich: Wieder Krieg. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 193 Seiten, 9,- Euro.)
GREGOR SCHÖLLGEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
In seinem Aufsatzband über neue Kriegslust hält der Soziologe Karl Otto Hondrich gerade den Europäern einen Spiegel vor die Nase, in dem sie ein Antlitz erkennen werden, das ihnen sicher nicht gefallen wird, ist der Rezensent mit dem Kürzel "tth" überzeugt. Denn Hondrich erinnert Europa daran, dass seine "Kriegsaversion" letztlich auf einen "bloßen Reflex" auf die Niederlagen der beiden Weltkriege zurückzuführen sei, so "tth". Anhand des Golfkriegs, des Balkankriegs und des Afghanistan-Kriegs zeichne der Autor soziologische und moralische Seiten von "Kriegslust und Friedensfrust" nach und bringe mit seinen "bisweilen provokativen" Thesen "erhellende" Aspekte zu einem "düsteren Thema" zur Sprache, freut sich der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH