Katrin Askan legt eine Sammlung mit Erzählungen vor. Diese dreizehn sehr unterschiedlichen Texte bestätigen erneut, es hier mit einer Autorin zu tun zu haben, die eine eigene Sprache gefunden hat, ihren Blick auf die Welt in Geschichten zu fassen. Es ist ein sehr genauer Blick, dem keines der scheinbar unwesentlichen und doch charakteristischen Details der jeweils eingefangenen Situationen und Menschen entgeht. So wird Realität erzeugt, die auf eine derart sichtbare Weise real ist, dass sie durchsichtig wird für das Surreale.
Da ist die junge Thailand-Touristin. Einen Tag lang streunt sie durch Bangkok, ihre Wirklichkeit im bunten Gewimmel der Stadt ist synästhetisch greifbar: gegen die Schuppen gestrichen ist der Fisch schleimig, die rosa Wurstscheiben sind bräunlich verfärbt, doch obwohl wir sogar wissen, dass die Klimaanlage im Hotel über einen Drehknopf, die Lichtschalter über das Telefon zu bedienen sind, wissen wir a m Ende nicht, was sich an diesem Tag tatsächlich ereignethat. Und während wir noch immer ganz im Bann der Bangkokbilder stehen, entdecken wir zu unserer eigenen Überraschung im radikal Fremden das Eigene und staunen wieder einmal über die Wirkung der Literatur. Jenseits von Bangkok und Berlin, Auckland oder Köln denken wir plötzlich nach über das Wesen von Fremdheit und Identität.
Da ist die junge Thailand-Touristin. Einen Tag lang streunt sie durch Bangkok, ihre Wirklichkeit im bunten Gewimmel der Stadt ist synästhetisch greifbar: gegen die Schuppen gestrichen ist der Fisch schleimig, die rosa Wurstscheiben sind bräunlich verfärbt, doch obwohl wir sogar wissen, dass die Klimaanlage im Hotel über einen Drehknopf, die Lichtschalter über das Telefon zu bedienen sind, wissen wir a m Ende nicht, was sich an diesem Tag tatsächlich ereignethat. Und während wir noch immer ganz im Bann der Bangkokbilder stehen, entdecken wir zu unserer eigenen Überraschung im radikal Fremden das Eigene und staunen wieder einmal über die Wirkung der Literatur. Jenseits von Bangkok und Berlin, Auckland oder Köln denken wir plötzlich nach über das Wesen von Fremdheit und Identität.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.04.2002Sie mag ihn einfach nicht mehr so
Katrin Askan durchleuchtet das Lastgepäck des Lebens
Die Sprache als Instrument des Hellsehens - wenn man Katrin Askans Erzählstrategie auf den Punkt bringen will, muß man zu dieser Formel greifen. Der Code der sechsunddreißigjährigen Berliner Autorin ist weder besonders ambitioniert noch elaboriert, aber sie rückt den Dingen mit so klaren Formulierungen und unterkühlter Ausdrucksweise zu Leibe, daß sie wie durchsichtig vor dem Leser stehen. In ihrem Erzählband durchleuchtet sie banale Alltagsereignisse, gewöhnliche Beziehungsärgernisse, ordentliche Verhältnisse und schrullige Figuren bis zu dem Punkt, an dem sie ihr miserables Geheimnis freigeben. Zwölf Kurzerzählungen, zwölf Röntgenbilder des Lebenskörpers, die dem Leser klare Befunde erlauben. Das ist der eindeutige Vorzug dieser Geschichten - für eine unter ihnen ist die Autorin im vergangenen Jahr in Klagenfurt mit dem 3Sat-Preis ausgezeichnet worden. Der Nachteil? Bei aller Geradlinigkeit der Ausdrucksweise würde man sich ab und zu auch eine Sprache wünschen, die etwas vielschichtiger wäre, so daß sie in ihrem Kern komplexere Wahrheiten transportieren könnte.
Der Plot ist meist einfach. In "Der lächelnde Buddha" tingelt die Ich-Erzählerin als Touristin durch Thailand und verbringt einen Tag in Bangkok. Unter den Augen der Fremden aus dem Westen leuchten die Merkwürdigkeiten des gigantischen Großstadt-Ungeheuers grell auf. Plötzlich fährt ein Riß durch das Hochglanzbild des Tourismusprospektes, das der Leser verinnerlicht hat. Schon im Taxi vom Flughafen in der Stadt, das sich halsbrecherisch durch den Verkehr fädelt, wird es der Frau schlecht. Das Hotelzimmer sieht enttäuschend europäisch aus. Im Frühstücksraum verschlägt ihr ein penetranter Geruch nach gebratenen Würsten den Appetit. Die Stadt ist wie ein glühender Backofen. Viele Passanten tragen Tücher, mit denen sie Nase und Mund bedecken. Im Fluß, an dessen Ufern die Erzählerin durch die Stadt spaziert, schwimmen Innereien. Das erinnert die Frau an die Frühstückssuppe im Hotel. - Ein lakonisches, gnadenloses Porträt einer Reise.
Die Methode des minutiösen Zerlegens in Einzelbeobachtungen bewährt sich vor allem in den Beziehungsgeschichten. Es gibt ein paar Skizzen aus dem Leben scheiternder Paare, die Erkenntnis vor allem durch die Schlichtheit der präzis erzählten Details vermitteln. "Landläufig" beispielsweise, ein Text über einen Ausflug auf der Insel Fuerteventura. Katrin Askan hebt die Stimme an keiner Stelle. Nie wird sie aufdringlich, selten leidenschaftlich. Und doch betreibt sie vor dem Leser gnadenlos die schleichende Demontage eines scheinbar harmonischen Paares. Stück um Stück zerschellen die Lebenslügen an den Klippen der platten Wirklichkeit.
Eigentlich will Gerd, ein Rechtsanwalt, mit seiner ehemaligen Sekretärin Marion nur die südländische Idylle genießen. Das Paar hat das teuerste Modell eines Jeeps gemietet, um vom Hotel aus einen Ausflug ins gebirgige Landesinnere und ans Meer zu machen. Noch beschwört Gerd die Traumhaftigkeit dieser Exkursion krampfhaft. Noch lobt er die Insel, den Ausblick, den Jeep und stellt sogar, übermütig geworden, eine Heirat im Sommer in Aussicht. Daß Marion ihn im Motorenlärm nicht verstehen kann, bemerkt er nicht; daß sie unter seinem Fahrstil leidet, übersieht er; und ihre bösen Blicke, mit denen sie den Dicken beim Schokoladetorten-Schlemmen auf der Terrasse des ärmlichen Ausflugsrestaurants beobachtet, kann er beim besten Willen nicht deuten. An keiner Stelle kommentiert die Autorin den unvermeidlichen Bruch. Nur als wir Marion allein beim Bade im Meer beobachten und zusehen, wie sie vom Wasser weggesaugt und von meterhohen Wellen hochgeschleudert wird, wie sie sich, verletzt von der Wucht der Brandung, mit letzter Kraft rettet, während Gerd hinter der Düne nichtsahnend in der Sonne schläft, ahnen wir die definitive Ungleichzeitigkeit der Gefühle, die diese beiden auseinandertreiben wird.
Es gibt auch ein Gegenbeispiel in diesem Buch, an dem sich zeigen läßt, daß die Methode des Zergliederns nicht immer funktioniert. "Katzensprung" beschreibt den Sturz - oder ist es ein freiwilliger Sprung? - der Ich-Erzählerin aus dem fünften Stock. Sie überlebt, schwer verletzt. Hat der Unfall das Gedächtnis und damit die eigene Identität ausgelöscht? Katrin Askan holt mit knappen Erzählbewegungen die Lebenswirklichkeit der jungen Frau ins Bild: den Freund Adam, von dem sie plötzlich nicht mehr weiß, ob er sie liebt. Die Schwester Tanja, von der Adam behauptet, daß sie ihn der Schwester in den Tagen vor dem Sturz habe entreißen wollen. Die Mutter, die Adam mit einer anderen gesehen haben will.
Es ist nicht unraffiniert, wie es die Autorin schafft, auf kleinstem Raum alle Gewißheiten ins Wanken zu bringen. Aber damit hat es sich auch schon. Weitere Erkenntnisse verbietet der Text. Die Motive bleiben im dunkeln, die Figuren verkümmern zum Klischee, und die Geschichte bleibt auf halbem Wege stehen. Und die schöne Schlichtheit verwandelt sich in diesen Passagen unversehens ins Gegenteil: in eine freundliche Unbedarftheit.
PIA REINACHER.
Katrin Askan: "Wiederholungstäter". Erzählungen. Berlin Verlag, Berlin 2002. 188 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Katrin Askan durchleuchtet das Lastgepäck des Lebens
Die Sprache als Instrument des Hellsehens - wenn man Katrin Askans Erzählstrategie auf den Punkt bringen will, muß man zu dieser Formel greifen. Der Code der sechsunddreißigjährigen Berliner Autorin ist weder besonders ambitioniert noch elaboriert, aber sie rückt den Dingen mit so klaren Formulierungen und unterkühlter Ausdrucksweise zu Leibe, daß sie wie durchsichtig vor dem Leser stehen. In ihrem Erzählband durchleuchtet sie banale Alltagsereignisse, gewöhnliche Beziehungsärgernisse, ordentliche Verhältnisse und schrullige Figuren bis zu dem Punkt, an dem sie ihr miserables Geheimnis freigeben. Zwölf Kurzerzählungen, zwölf Röntgenbilder des Lebenskörpers, die dem Leser klare Befunde erlauben. Das ist der eindeutige Vorzug dieser Geschichten - für eine unter ihnen ist die Autorin im vergangenen Jahr in Klagenfurt mit dem 3Sat-Preis ausgezeichnet worden. Der Nachteil? Bei aller Geradlinigkeit der Ausdrucksweise würde man sich ab und zu auch eine Sprache wünschen, die etwas vielschichtiger wäre, so daß sie in ihrem Kern komplexere Wahrheiten transportieren könnte.
Der Plot ist meist einfach. In "Der lächelnde Buddha" tingelt die Ich-Erzählerin als Touristin durch Thailand und verbringt einen Tag in Bangkok. Unter den Augen der Fremden aus dem Westen leuchten die Merkwürdigkeiten des gigantischen Großstadt-Ungeheuers grell auf. Plötzlich fährt ein Riß durch das Hochglanzbild des Tourismusprospektes, das der Leser verinnerlicht hat. Schon im Taxi vom Flughafen in der Stadt, das sich halsbrecherisch durch den Verkehr fädelt, wird es der Frau schlecht. Das Hotelzimmer sieht enttäuschend europäisch aus. Im Frühstücksraum verschlägt ihr ein penetranter Geruch nach gebratenen Würsten den Appetit. Die Stadt ist wie ein glühender Backofen. Viele Passanten tragen Tücher, mit denen sie Nase und Mund bedecken. Im Fluß, an dessen Ufern die Erzählerin durch die Stadt spaziert, schwimmen Innereien. Das erinnert die Frau an die Frühstückssuppe im Hotel. - Ein lakonisches, gnadenloses Porträt einer Reise.
Die Methode des minutiösen Zerlegens in Einzelbeobachtungen bewährt sich vor allem in den Beziehungsgeschichten. Es gibt ein paar Skizzen aus dem Leben scheiternder Paare, die Erkenntnis vor allem durch die Schlichtheit der präzis erzählten Details vermitteln. "Landläufig" beispielsweise, ein Text über einen Ausflug auf der Insel Fuerteventura. Katrin Askan hebt die Stimme an keiner Stelle. Nie wird sie aufdringlich, selten leidenschaftlich. Und doch betreibt sie vor dem Leser gnadenlos die schleichende Demontage eines scheinbar harmonischen Paares. Stück um Stück zerschellen die Lebenslügen an den Klippen der platten Wirklichkeit.
Eigentlich will Gerd, ein Rechtsanwalt, mit seiner ehemaligen Sekretärin Marion nur die südländische Idylle genießen. Das Paar hat das teuerste Modell eines Jeeps gemietet, um vom Hotel aus einen Ausflug ins gebirgige Landesinnere und ans Meer zu machen. Noch beschwört Gerd die Traumhaftigkeit dieser Exkursion krampfhaft. Noch lobt er die Insel, den Ausblick, den Jeep und stellt sogar, übermütig geworden, eine Heirat im Sommer in Aussicht. Daß Marion ihn im Motorenlärm nicht verstehen kann, bemerkt er nicht; daß sie unter seinem Fahrstil leidet, übersieht er; und ihre bösen Blicke, mit denen sie den Dicken beim Schokoladetorten-Schlemmen auf der Terrasse des ärmlichen Ausflugsrestaurants beobachtet, kann er beim besten Willen nicht deuten. An keiner Stelle kommentiert die Autorin den unvermeidlichen Bruch. Nur als wir Marion allein beim Bade im Meer beobachten und zusehen, wie sie vom Wasser weggesaugt und von meterhohen Wellen hochgeschleudert wird, wie sie sich, verletzt von der Wucht der Brandung, mit letzter Kraft rettet, während Gerd hinter der Düne nichtsahnend in der Sonne schläft, ahnen wir die definitive Ungleichzeitigkeit der Gefühle, die diese beiden auseinandertreiben wird.
Es gibt auch ein Gegenbeispiel in diesem Buch, an dem sich zeigen läßt, daß die Methode des Zergliederns nicht immer funktioniert. "Katzensprung" beschreibt den Sturz - oder ist es ein freiwilliger Sprung? - der Ich-Erzählerin aus dem fünften Stock. Sie überlebt, schwer verletzt. Hat der Unfall das Gedächtnis und damit die eigene Identität ausgelöscht? Katrin Askan holt mit knappen Erzählbewegungen die Lebenswirklichkeit der jungen Frau ins Bild: den Freund Adam, von dem sie plötzlich nicht mehr weiß, ob er sie liebt. Die Schwester Tanja, von der Adam behauptet, daß sie ihn der Schwester in den Tagen vor dem Sturz habe entreißen wollen. Die Mutter, die Adam mit einer anderen gesehen haben will.
Es ist nicht unraffiniert, wie es die Autorin schafft, auf kleinstem Raum alle Gewißheiten ins Wanken zu bringen. Aber damit hat es sich auch schon. Weitere Erkenntnisse verbietet der Text. Die Motive bleiben im dunkeln, die Figuren verkümmern zum Klischee, und die Geschichte bleibt auf halbem Wege stehen. Und die schöne Schlichtheit verwandelt sich in diesen Passagen unversehens ins Gegenteil: in eine freundliche Unbedarftheit.
PIA REINACHER.
Katrin Askan: "Wiederholungstäter". Erzählungen. Berlin Verlag, Berlin 2002. 188 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.07.2002Das Abendprogramm einer beinverletzten Ballerina
Katzensprünge aus dem fünften Stock: Katrin Askans Erzählband „Wiederholungstäter”
Katrin Askan kommt schnell zur Sache. Sie leitet ihre Geschichten gern mit knappen Sätzen ein: „Der Fotograf ist pünktlich.” Oder: „Sie bewunderte den Jeep.” Oder: „Sie streift sich die Schuhe von den Füßen.” Solche Anfänge haben in der Häufung etwas Auftrumpfendes, als wollten sie sagen: Seht her, ich beherrsche mein Handwerk.
Die 1966 in Ostberlin geborene Autorin, die ihre Flucht gen Westen in dem vielbeachteten Roman „Aus dem Schneider” verarbeitete, kann sich den selbstbewussten Auftritt leisten. Ihre Technik ist so tadellos, als hätte sie mehrere Semester „Kreatives Schreiben” mit Auszeichnung absolviert. Jede ihrer lakonischen Eröffnungen ist die Keimzelle einer sauberen, stimmigen Erzählkonstruktion, die sich so selbstverständlich und unangestrengt entfaltet wie eine Kletterpflanze am Spalier. Blüten bringen diese Gewächse nicht hervor, sie sind von der pflegeleichten, winterharten Sorte, und um ihre Wurzeln freizulegen, muss man nicht tief graben. Doch in ihrem eigensinnigen, zielstrebigen Ranken strukturieren sie die Oberfläche des Alltäglichen derart, dass im glücklichsten Fall die Verhältnisse, die Motive und selbstbetrügerischen Tricks der handelnden Personen wie unter einem Vergrößerungsglas bloßliegen. Das ist kaum jemals aufregend oder verstörend; viel eher gelingt es der Autorin, uns zu beruhigen: durch ihre verlässliche Vordergründigkeit, durch ihre Kunst, mit einem Minimum an sprachlichem Aufwand und einem Maximum an Klischeetoleranz ein gewisses Niveau nicht zu unterschreiten.
Das Ost-West-Paar, das im Urlaub auf Fuerteventura per Jeep in die Beziehungskrise braust, passt in jede Frauenzeitschrift, ist aber seziermesserscharf beobachtet: Für diese Erzählung wurde Katrin Askan in Klagenfurt mit dem 3sat-Preis belohnt. Der Erlebnisbericht einer Thailand- Reisenden, die beim Kurzaufenthalt in Bangkok mit den unangenehmen Seiten des Exotischen in Berührung kommt, bereichert das Genre der alternativen Reisereportage. Die Malerin, die von einem Fotografen porträtiert wird, nutzt die Sitzung dazu, die Reihe ihrer Liebhaber vor dem inneren Auge paradieren zu lassen - gnadenlos, aber auch entschieden freudlos. Eine zugewanderte Hausfrau, die ihren Gatten „während seines Urlaubs in ihrer Heimat” kennengelernt hat, frönt unter dem strengen Blick der Autorin ihrem Sauberkeitswahn, ein Schriftsteller, der in fortgeschrittenem Alter noch auf den „großen Durchbruch” wartet, gibt sich während einer Zugfahrt zweiter Klasse seiner depressiven Nabelschau hin. Auf Sardinien scheitert die Liebesbeziehung zwischen der Ich-Erzählerin und einem etwas überspannten Zeichner, und in der deutschen Provinz verhilft eine junge Frau der Großmutter ihres Ex-Mannes zum ersten Flug ihres hundertjährigen Lebens.
Wo Katrin Askans kühle, flachbrüstige Sprache auf unspektakuläre Begebenheiten trifft, erweist sie sich als klug gehandhabtes Instrument der Zerlegung, Durchleuchtung und Entlarvung. Dort, wo der Kontext dramatischer ist, rutscht der gesuchte Effekt leicht ins Triviale ab.
Das gilt für die Erzählung „Katzensprung”, deren Heldin einen Sturz aus dem fünften Stock überlebt hat und mit ihrem Erinnerungsverlust kokettiert, ebenso wie für die Geschichte „Der Skorpion”, die von einer unter abenteuerlichen Bedingungen recherchierenden Reporterin handelt. Der „Wiederholungstäter”, ein Serien-Sittenstrolch, und die Schriftstellerin, die ihn belauert, sind in reichlich reißerischer Manier zusammengespannt, und die beinverletzte Ballerina, die im einsamen Appartement ihr „Abendprogramm” zelebriert, während sich im Fernseher der Nachbarwohnung das Glücksrad dreht, trippelt todesmutig am Abgrund des Kitsches entlang.
Katrin Askan bewegt sich, was das Schreibhandwerk betrifft, auf respektabler Höhe, und sie lässt ihre Figuren weit herumkommen. Rätselhaft bleibt, warum sie sich dem Blick in die Tiefe so hartnäckig verschließt.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
KATRIN ASKAN: Wiederholungstäter. Erzählungen. Berlin Verlag, Berlin 2002. 188 Seiten, 18 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Katzensprünge aus dem fünften Stock: Katrin Askans Erzählband „Wiederholungstäter”
Katrin Askan kommt schnell zur Sache. Sie leitet ihre Geschichten gern mit knappen Sätzen ein: „Der Fotograf ist pünktlich.” Oder: „Sie bewunderte den Jeep.” Oder: „Sie streift sich die Schuhe von den Füßen.” Solche Anfänge haben in der Häufung etwas Auftrumpfendes, als wollten sie sagen: Seht her, ich beherrsche mein Handwerk.
Die 1966 in Ostberlin geborene Autorin, die ihre Flucht gen Westen in dem vielbeachteten Roman „Aus dem Schneider” verarbeitete, kann sich den selbstbewussten Auftritt leisten. Ihre Technik ist so tadellos, als hätte sie mehrere Semester „Kreatives Schreiben” mit Auszeichnung absolviert. Jede ihrer lakonischen Eröffnungen ist die Keimzelle einer sauberen, stimmigen Erzählkonstruktion, die sich so selbstverständlich und unangestrengt entfaltet wie eine Kletterpflanze am Spalier. Blüten bringen diese Gewächse nicht hervor, sie sind von der pflegeleichten, winterharten Sorte, und um ihre Wurzeln freizulegen, muss man nicht tief graben. Doch in ihrem eigensinnigen, zielstrebigen Ranken strukturieren sie die Oberfläche des Alltäglichen derart, dass im glücklichsten Fall die Verhältnisse, die Motive und selbstbetrügerischen Tricks der handelnden Personen wie unter einem Vergrößerungsglas bloßliegen. Das ist kaum jemals aufregend oder verstörend; viel eher gelingt es der Autorin, uns zu beruhigen: durch ihre verlässliche Vordergründigkeit, durch ihre Kunst, mit einem Minimum an sprachlichem Aufwand und einem Maximum an Klischeetoleranz ein gewisses Niveau nicht zu unterschreiten.
Das Ost-West-Paar, das im Urlaub auf Fuerteventura per Jeep in die Beziehungskrise braust, passt in jede Frauenzeitschrift, ist aber seziermesserscharf beobachtet: Für diese Erzählung wurde Katrin Askan in Klagenfurt mit dem 3sat-Preis belohnt. Der Erlebnisbericht einer Thailand- Reisenden, die beim Kurzaufenthalt in Bangkok mit den unangenehmen Seiten des Exotischen in Berührung kommt, bereichert das Genre der alternativen Reisereportage. Die Malerin, die von einem Fotografen porträtiert wird, nutzt die Sitzung dazu, die Reihe ihrer Liebhaber vor dem inneren Auge paradieren zu lassen - gnadenlos, aber auch entschieden freudlos. Eine zugewanderte Hausfrau, die ihren Gatten „während seines Urlaubs in ihrer Heimat” kennengelernt hat, frönt unter dem strengen Blick der Autorin ihrem Sauberkeitswahn, ein Schriftsteller, der in fortgeschrittenem Alter noch auf den „großen Durchbruch” wartet, gibt sich während einer Zugfahrt zweiter Klasse seiner depressiven Nabelschau hin. Auf Sardinien scheitert die Liebesbeziehung zwischen der Ich-Erzählerin und einem etwas überspannten Zeichner, und in der deutschen Provinz verhilft eine junge Frau der Großmutter ihres Ex-Mannes zum ersten Flug ihres hundertjährigen Lebens.
Wo Katrin Askans kühle, flachbrüstige Sprache auf unspektakuläre Begebenheiten trifft, erweist sie sich als klug gehandhabtes Instrument der Zerlegung, Durchleuchtung und Entlarvung. Dort, wo der Kontext dramatischer ist, rutscht der gesuchte Effekt leicht ins Triviale ab.
Das gilt für die Erzählung „Katzensprung”, deren Heldin einen Sturz aus dem fünften Stock überlebt hat und mit ihrem Erinnerungsverlust kokettiert, ebenso wie für die Geschichte „Der Skorpion”, die von einer unter abenteuerlichen Bedingungen recherchierenden Reporterin handelt. Der „Wiederholungstäter”, ein Serien-Sittenstrolch, und die Schriftstellerin, die ihn belauert, sind in reichlich reißerischer Manier zusammengespannt, und die beinverletzte Ballerina, die im einsamen Appartement ihr „Abendprogramm” zelebriert, während sich im Fernseher der Nachbarwohnung das Glücksrad dreht, trippelt todesmutig am Abgrund des Kitsches entlang.
Katrin Askan bewegt sich, was das Schreibhandwerk betrifft, auf respektabler Höhe, und sie lässt ihre Figuren weit herumkommen. Rätselhaft bleibt, warum sie sich dem Blick in die Tiefe so hartnäckig verschließt.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
KATRIN ASKAN: Wiederholungstäter. Erzählungen. Berlin Verlag, Berlin 2002. 188 Seiten, 18 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Den größten Vorzug der zwölf kurzen Erzählungen sieht Pia Reinacher in der klaren kühlen Sprache, die durch genaue Beobachtungen Einblicke in die "miserablen Geheimnisse" hinter den banalen Alltagserfahrungen der Protagonisten erlaubt. Dabei seien die Plots "meist einfach", wie in der Geschichte vom "lächelnden Buddha", in der deprimierende Reiseerlebnisse in Thailand geschildert werden. Die Rezensentin lobt vor allem das "minutiöse Zerlegen in Einzelbeobachtungen", die Erkenntnisse erlauben, wie sie meint, und sie schätzt die Zurückhaltung der Autorin. Dass aber Zergliedern nicht immer zum Erfolg führt, legt Reinacher in der Kritik an der Erzählung "Katzensprung" dar, in der sie den Erkenntnisgewinn gering findet und die "schöne Schlichtheit", mit der Askan in anderen Erzählungen überzeugt, durch "freundliche Unbedarftheit" abgelöst sieht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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