Überraschendes Konzept: Ulla Hahn antwortet auf ihre eigenen früheren Gedichte.
Schon mit ihrem ersten Gedichtband "Herz über Kopf" (1981) hat Ulla Hahn eine begeisterte Leserschaft gewonnen. Nun, dreißig Jahre Lebenserfahrung später, hat die vielfach preisgekrönte Autorin ein Gespräch mit ihrem jungen poetischen Selbst aufgenommen. In "Wiederworte" stellt sie ihren frühen Gedichten neue gegenüber, gibt ihnen wieder Worte, auch Widerworte. Lässig, lüstern, lebensfroh sind diese Antworten. Doch auch vor einer sehr direkten, mitunter schmerzhaften Sprache scheut sich Ulla Hahn nicht. Liebe und Vergänglichkeit, Geschichte und Gegenwart - die großen Themen sind geblieben, geändert hat sich der Blick der Dichterin, ist ernsthafter geworden und verspielter zugleich.
Nach Jahren des Wartens endlich wieder neue Gedichte von Ulla Hahn - poetische Wahrheiten, in denen wir allen Verfremdungen und Verkleidungen zum Trotz uns wiedererkennen. Liebes- und Lebenslyrik, die bleibt.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Schon mit ihrem ersten Gedichtband "Herz über Kopf" (1981) hat Ulla Hahn eine begeisterte Leserschaft gewonnen. Nun, dreißig Jahre Lebenserfahrung später, hat die vielfach preisgekrönte Autorin ein Gespräch mit ihrem jungen poetischen Selbst aufgenommen. In "Wiederworte" stellt sie ihren frühen Gedichten neue gegenüber, gibt ihnen wieder Worte, auch Widerworte. Lässig, lüstern, lebensfroh sind diese Antworten. Doch auch vor einer sehr direkten, mitunter schmerzhaften Sprache scheut sich Ulla Hahn nicht. Liebe und Vergänglichkeit, Geschichte und Gegenwart - die großen Themen sind geblieben, geändert hat sich der Blick der Dichterin, ist ernsthafter geworden und verspielter zugleich.
Nach Jahren des Wartens endlich wieder neue Gedichte von Ulla Hahn - poetische Wahrheiten, in denen wir allen Verfremdungen und Verkleidungen zum Trotz uns wiedererkennen. Liebes- und Lebenslyrik, die bleibt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2011Plötzlich zupft es mich am Ohr
Qualität der Differenz: Ulla Hahn antwortet auf ihre frühen Gedichte - und ist so kess, frech, gebildet und unverhohlen geblieben, wie man hoffen konnte.
Von Wulf Segebrecht
Wieder und wider. Beides ist mit dem Titel gemeint: Wiederholung und Erwiderung. Ulla Hahn wiederholt sich: Sie holt ihre alten Gedichte wieder hervor und widerspricht ihnen. Ihr neuester Gedichtband enthält zur einen Hälfte alte Gedichte aus den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als sie mit "Herz über Kopf", "Spielende", "Freudenfeuer" und "Unerhörte Nähe" sensationell schnell bekannt wurde. Marcel Reich-Ranicki hat diese frühen Gedichte der Autorin damals geradezu enthusiastisch gepriesen, was sicherlich zu ihrem großen Erfolg, aber auch dazu beigetragen hat, dass sie, wie ihr Rezensent, gelegentlich umstritten waren. Die andere Hälfte des Buches bilden neue Gedichte, die den alten Texten aus heutiger Sicht antworten: Jedem einzelnen der früheren Gedichte stellt Ulla Hahn ein Gegengedicht, ein Widerwort gegenüber, so dass man Stück für Stück beobachten kann, ob und was und wie sich etwas seither verändert hat in ihrem Denken und Dichten.
Eine originelle Buchidee. Ein Vergnügen nur für Philologen, die auf Fassungsvergleiche, Wortfelduntersuchungen und Motivtraditionen aus sind? Keineswegs! Vielmehr eine höchst unterhaltsame, an- und aufregende Lektüre für jeden, der Lust daran hat, im Gegenwärtigen Vergangenes und im Vergangenen Gegenwärtiges zu entdecken.
Allerdings: Wirklich ganz neue Themen kann es nicht geben, wo Wi(e)derworte Wiederhergeholtem gelten. Das führt zwingend zu erneuten Konfrontationen mit den hergebrachten Formen und alten Inhalten. Erst der Vergleich zwischen den alten und den neuen Texten lässt die Qualität der Differenz zwischen ihnen erkennbar werden. Es ist die Differenz der Perspektive, nicht die der Thematik. Inhaltlich geht es nach wie vor und in erster Linie in Ulla Hahns Gedichten um die Liebe in mancherlei Spielarten zwischen Lust und Verlust; es geht sodann immer noch und nicht weniger vorrangig um alles, was mit dem Wort, der Sprache, dem Gedicht und den Dichtern zusammenhängt; es geht auch um das nun allerdings älter gewordene eigene Ich mit seinen persönlichen Erinnerungen und Einschätzungen über Gott und die Welt; und es geht schließlich um gesellschafts- und geschichtskritische Betrachtungen, überwiegend in der Form von Anklagen, beispielsweise gegen die Beschneidung von Mädchen oder den KZ-Tourismus - "Gutgemeinte Gedichte?", wie einmal selbstkritisch gefragt wird.
Die Liebesgedichte sind seit je Ulla Hahns ureigenes Revier. Darin sang und wilderte sie schon seit ihren Anfängen im ironisch gebrochenen Wehmutston Heinrich Heines: kess, frech und gebildet. Alles das ist noch da, wie man den Gegenüberstellungen der frühen mit den späteren Liebesgedichten entnehmen kann. Sehr weise ist sie zum Glück inzwischen immer noch nicht geworden, und unverstellte Innigkeit atmen ihre Verse ganz selten einmal. Dennoch hat sich etwas verändert: Aus den Liebesgedichten der frühen Jahre sind offensichtlich Ehegedichte geworden.
In dem Gedicht "Wartende" (aus dem Band "Spielende") wird die Situation einer Frau entworfen, die allein im Café sitzt und sich vor den sie gierig Beobachtenden in ein Buch rettet, schließlich "zahlt und geht". Die gleiche Situation im Gegengedicht. "Kaum was hat sich verändert". Aber es kommt auf das "Kaum" an. Nun spricht Ulla Hahn nicht mehr von einer fremden Frau, sondern von sich selbst: "Ich sitze hier so wie vor dreißig Jahren". Und anders auch der Schluss: Ein Du erscheint: "Da plötzlich zupft es mich am linken Ohr". Das vergebliche Warten aus dem ersten Gedicht hat nun ein Ende. "Wartend-ende" heißt das neue Gedicht.
Ein Du ist hinzugekommen, mit dem sie sich liebend verbunden hat. Im "Winterlied" (aus "Herz über Kopf") artikuliert sich - sogar mit Tränen - Abschieds- und Trennungsschmerz ("Als ich heute von dir ging / fiel der erste Schnee"), im Antwortgedicht ("Als ich heute zu dir ging / schmolz der letzte Schnee") dagegen funkelt endlich der "Ring // den ich trag seitdem du mich / fragtest ob ich will / und ich sagte: Allezeit! / Starten wir das Spiel".
Das "Spiel" ist hier wie sonst ganz unverhohlen das Liebesspiel. Es drastisch beim Namen zu nennen und die entsprechenden Körperbewegungen demonstrativ und lustvoll zu präsentieren, das gehört nach wie vor zu Ulla Hahns poetischer Liebeskunst-Manier. Wohlanständige Grenzen des guten Geschmacks machen ihr da keine großen Sorgen: "Heut und morgen übers Jahr / wolln wir uns verstricken / Auf den Reim verzichten wir / Auf zum Frühlings . . . klardoch". Wer sich darauf einen Reim machen kann, ist selbst schuld; aber er liegt richtig. Ebenso derjenige, dem im Gedicht "Ein ständiges Sonett" (dem Gegengedicht zu dem berühmten Text "Anständiges Sonett") kokett unterstellt wird, er frage allzu neugierig nach den Liebespraktiken: "ich nehm dich // beim Wort und sonstwo / - Wo? - / Das bleibt allein / nur unter mir und meinem / Liebsten" - So? Wird es nicht, so gesagt, auch der Phantasie der Leser mitgeteilt?
Dass die Liebes- und Leibesübungen dieser Art auch im fortgeschrittenen Alter forsch und frech, ja übermütig ausfallen können, konnte man ansatzweise schon Ulla Hahns letztem Gedichtband "So offen die Welt" (2004) entnehmen, dem Albert von Schirnding ungnädig eine "geriatrische Komponente" attestierte. In der Tat fordert Eva in "Evas Lied" ihren alten "Adam im weißen Haar" auf, den berüchtigten Apfel noch einmal zu nehmen: "Und beiß rein!" Und im Maistern-Lied - "noch sind wir zu zweien" - werden die Hormone wild: "der Lenz spielt uns / raus aus Hemd und Hose runter / untern Lindenbaum auf der // grünen Vogelweide paart er uns / mit Sang und Schalle lässt die Östro- / Gestagene Testostèron Tango tanzen".
Die weitaus meisten Gedichte aus alter Zeit, denen Ulla Hahn nun Antworten zuteil werden lässt, standen zuerst in ihrem ersten Gedichtband, "Herz über Kopf" aus dem Jahr 1981, den viele für ihren besten halten. Auch das aus diesem Band stammende, längst in den Kanon der Gegenwartslyrik eingerückte ironische Paradestück "Ars poetica" ("Danke ich brauch keine neuen / Formen") findet nun sein Widerwort mit dem Gedicht "Einfach auslöffeln", das mit der Gegenthese "Wir brauchen neue / Formen sagst du" einsetzt und dann auf furiose Weise, geradezu selbstzerstörerisch und mit lässigen Kommentaren versehen ("Jung wie das löppt"), alles Traditionelle rüde über oder auf den ungereimten Haufen wirft, einschließlich der entstellten Zitate aus Rilkes berühmtem Herbst-Gedicht: ich "befehl / den letzten Früchtchen / voll zu sein (1,4 Promille) Lalaleluja / (oijoijoi böser Kalauer)".
Man sieht: Ulla Hahn macht es ihren Lesern nicht leicht; sie setzt alles daran, nicht bequem konsumierbar zu sein. Man darf, man soll sich auch über sie ärgern. Die Gegengedichte geben oft die wohlklingenden Reime ihrer Vorgänger auf, sie sind weniger melodisch, neigen zu mehr Gedanklichkeit und Räsonnement, so dass sie häufig auch umfangreicher ausfallen als die Gedichte, auf die sie antworten.
Und was sollen sie letztlich bewirken? "Wenn ihr fühlen wollt was / Leiden sei fasst in eure eigenen Seelen", heißt es im Gedicht "Lebenshilfe", der Antwort auf das Gedicht "Meine Damen und Herren" aus dem Band "Unerhörte Nähe". "Lebenshilfe" schließt mit dem ausdrücklichen erneuten Bekenntnis zum Titel des ersten Gedichtbandes von Ulla Hahn: "Wer ob jung ob alt kein Herz überm Kopf hat: / der lese Bilanzen geh Kanufahren".
Ulla Hahn: "Wiederworte". Gedichte.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2011. 192 S., geb., 16,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Qualität der Differenz: Ulla Hahn antwortet auf ihre frühen Gedichte - und ist so kess, frech, gebildet und unverhohlen geblieben, wie man hoffen konnte.
Von Wulf Segebrecht
Wieder und wider. Beides ist mit dem Titel gemeint: Wiederholung und Erwiderung. Ulla Hahn wiederholt sich: Sie holt ihre alten Gedichte wieder hervor und widerspricht ihnen. Ihr neuester Gedichtband enthält zur einen Hälfte alte Gedichte aus den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als sie mit "Herz über Kopf", "Spielende", "Freudenfeuer" und "Unerhörte Nähe" sensationell schnell bekannt wurde. Marcel Reich-Ranicki hat diese frühen Gedichte der Autorin damals geradezu enthusiastisch gepriesen, was sicherlich zu ihrem großen Erfolg, aber auch dazu beigetragen hat, dass sie, wie ihr Rezensent, gelegentlich umstritten waren. Die andere Hälfte des Buches bilden neue Gedichte, die den alten Texten aus heutiger Sicht antworten: Jedem einzelnen der früheren Gedichte stellt Ulla Hahn ein Gegengedicht, ein Widerwort gegenüber, so dass man Stück für Stück beobachten kann, ob und was und wie sich etwas seither verändert hat in ihrem Denken und Dichten.
Eine originelle Buchidee. Ein Vergnügen nur für Philologen, die auf Fassungsvergleiche, Wortfelduntersuchungen und Motivtraditionen aus sind? Keineswegs! Vielmehr eine höchst unterhaltsame, an- und aufregende Lektüre für jeden, der Lust daran hat, im Gegenwärtigen Vergangenes und im Vergangenen Gegenwärtiges zu entdecken.
Allerdings: Wirklich ganz neue Themen kann es nicht geben, wo Wi(e)derworte Wiederhergeholtem gelten. Das führt zwingend zu erneuten Konfrontationen mit den hergebrachten Formen und alten Inhalten. Erst der Vergleich zwischen den alten und den neuen Texten lässt die Qualität der Differenz zwischen ihnen erkennbar werden. Es ist die Differenz der Perspektive, nicht die der Thematik. Inhaltlich geht es nach wie vor und in erster Linie in Ulla Hahns Gedichten um die Liebe in mancherlei Spielarten zwischen Lust und Verlust; es geht sodann immer noch und nicht weniger vorrangig um alles, was mit dem Wort, der Sprache, dem Gedicht und den Dichtern zusammenhängt; es geht auch um das nun allerdings älter gewordene eigene Ich mit seinen persönlichen Erinnerungen und Einschätzungen über Gott und die Welt; und es geht schließlich um gesellschafts- und geschichtskritische Betrachtungen, überwiegend in der Form von Anklagen, beispielsweise gegen die Beschneidung von Mädchen oder den KZ-Tourismus - "Gutgemeinte Gedichte?", wie einmal selbstkritisch gefragt wird.
Die Liebesgedichte sind seit je Ulla Hahns ureigenes Revier. Darin sang und wilderte sie schon seit ihren Anfängen im ironisch gebrochenen Wehmutston Heinrich Heines: kess, frech und gebildet. Alles das ist noch da, wie man den Gegenüberstellungen der frühen mit den späteren Liebesgedichten entnehmen kann. Sehr weise ist sie zum Glück inzwischen immer noch nicht geworden, und unverstellte Innigkeit atmen ihre Verse ganz selten einmal. Dennoch hat sich etwas verändert: Aus den Liebesgedichten der frühen Jahre sind offensichtlich Ehegedichte geworden.
In dem Gedicht "Wartende" (aus dem Band "Spielende") wird die Situation einer Frau entworfen, die allein im Café sitzt und sich vor den sie gierig Beobachtenden in ein Buch rettet, schließlich "zahlt und geht". Die gleiche Situation im Gegengedicht. "Kaum was hat sich verändert". Aber es kommt auf das "Kaum" an. Nun spricht Ulla Hahn nicht mehr von einer fremden Frau, sondern von sich selbst: "Ich sitze hier so wie vor dreißig Jahren". Und anders auch der Schluss: Ein Du erscheint: "Da plötzlich zupft es mich am linken Ohr". Das vergebliche Warten aus dem ersten Gedicht hat nun ein Ende. "Wartend-ende" heißt das neue Gedicht.
Ein Du ist hinzugekommen, mit dem sie sich liebend verbunden hat. Im "Winterlied" (aus "Herz über Kopf") artikuliert sich - sogar mit Tränen - Abschieds- und Trennungsschmerz ("Als ich heute von dir ging / fiel der erste Schnee"), im Antwortgedicht ("Als ich heute zu dir ging / schmolz der letzte Schnee") dagegen funkelt endlich der "Ring // den ich trag seitdem du mich / fragtest ob ich will / und ich sagte: Allezeit! / Starten wir das Spiel".
Das "Spiel" ist hier wie sonst ganz unverhohlen das Liebesspiel. Es drastisch beim Namen zu nennen und die entsprechenden Körperbewegungen demonstrativ und lustvoll zu präsentieren, das gehört nach wie vor zu Ulla Hahns poetischer Liebeskunst-Manier. Wohlanständige Grenzen des guten Geschmacks machen ihr da keine großen Sorgen: "Heut und morgen übers Jahr / wolln wir uns verstricken / Auf den Reim verzichten wir / Auf zum Frühlings . . . klardoch". Wer sich darauf einen Reim machen kann, ist selbst schuld; aber er liegt richtig. Ebenso derjenige, dem im Gedicht "Ein ständiges Sonett" (dem Gegengedicht zu dem berühmten Text "Anständiges Sonett") kokett unterstellt wird, er frage allzu neugierig nach den Liebespraktiken: "ich nehm dich // beim Wort und sonstwo / - Wo? - / Das bleibt allein / nur unter mir und meinem / Liebsten" - So? Wird es nicht, so gesagt, auch der Phantasie der Leser mitgeteilt?
Dass die Liebes- und Leibesübungen dieser Art auch im fortgeschrittenen Alter forsch und frech, ja übermütig ausfallen können, konnte man ansatzweise schon Ulla Hahns letztem Gedichtband "So offen die Welt" (2004) entnehmen, dem Albert von Schirnding ungnädig eine "geriatrische Komponente" attestierte. In der Tat fordert Eva in "Evas Lied" ihren alten "Adam im weißen Haar" auf, den berüchtigten Apfel noch einmal zu nehmen: "Und beiß rein!" Und im Maistern-Lied - "noch sind wir zu zweien" - werden die Hormone wild: "der Lenz spielt uns / raus aus Hemd und Hose runter / untern Lindenbaum auf der // grünen Vogelweide paart er uns / mit Sang und Schalle lässt die Östro- / Gestagene Testostèron Tango tanzen".
Die weitaus meisten Gedichte aus alter Zeit, denen Ulla Hahn nun Antworten zuteil werden lässt, standen zuerst in ihrem ersten Gedichtband, "Herz über Kopf" aus dem Jahr 1981, den viele für ihren besten halten. Auch das aus diesem Band stammende, längst in den Kanon der Gegenwartslyrik eingerückte ironische Paradestück "Ars poetica" ("Danke ich brauch keine neuen / Formen") findet nun sein Widerwort mit dem Gedicht "Einfach auslöffeln", das mit der Gegenthese "Wir brauchen neue / Formen sagst du" einsetzt und dann auf furiose Weise, geradezu selbstzerstörerisch und mit lässigen Kommentaren versehen ("Jung wie das löppt"), alles Traditionelle rüde über oder auf den ungereimten Haufen wirft, einschließlich der entstellten Zitate aus Rilkes berühmtem Herbst-Gedicht: ich "befehl / den letzten Früchtchen / voll zu sein (1,4 Promille) Lalaleluja / (oijoijoi böser Kalauer)".
Man sieht: Ulla Hahn macht es ihren Lesern nicht leicht; sie setzt alles daran, nicht bequem konsumierbar zu sein. Man darf, man soll sich auch über sie ärgern. Die Gegengedichte geben oft die wohlklingenden Reime ihrer Vorgänger auf, sie sind weniger melodisch, neigen zu mehr Gedanklichkeit und Räsonnement, so dass sie häufig auch umfangreicher ausfallen als die Gedichte, auf die sie antworten.
Und was sollen sie letztlich bewirken? "Wenn ihr fühlen wollt was / Leiden sei fasst in eure eigenen Seelen", heißt es im Gedicht "Lebenshilfe", der Antwort auf das Gedicht "Meine Damen und Herren" aus dem Band "Unerhörte Nähe". "Lebenshilfe" schließt mit dem ausdrücklichen erneuten Bekenntnis zum Titel des ersten Gedichtbandes von Ulla Hahn: "Wer ob jung ob alt kein Herz überm Kopf hat: / der lese Bilanzen geh Kanufahren".
Ulla Hahn: "Wiederworte". Gedichte.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2011. 192 S., geb., 16,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Eine originelle Buchidee" hat Ulla Hahn hier umgesetzt, urteilt Rezensent Wulf Segebrecht anerkennend. Vielen ihrer älteren Gedichte, die hier abermals abgedruckt sind, setzt sie neue entgegen, die laut Segebrecht als "Wi(e)derworte" verstanden werden wollen. Zwangsläufig werden thematisch dieselben Felder bestellt wie damals, allen voran die Liebeswiese - die nun einmal Hahns Spezialgebiet war und ist, wie der Rezensent weiß. Dieser thematische Konservatismus sei aber kein Manko, da es eben auf die Differenzen und Akzentverschiebungen zwischen den bekannten Versen und Hahns heutiger Antwort auf dieselben ankomme. Und hier fällt dem Kritiker vor allem auf, dass die Ehe plötzlich eine Rolle spielt. Weiterhin registriert Segebrecht einen zunehmenden Verzicht auf Reime und einen Hang zu "mehr Gedanklichkeit und Räsonnement". Im Großen und Ganzen aber sei Hahn die Alte geblieben: "kess, frech und gebildet", und - zur großen Freude des Rezensenten - immer noch nicht "sehr weise".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Meisterhafte Gedichte, so leicht und wundervoll wie Mozart." -- WDR 5
"Was für eine schöne Idee: Mit ihrem Lyrikband Wiederworte antwortet Ulla Hahn genau 30 Jahre später auf ihre eigenen Gedichte. Aus "Blinde Flecken" wurden "Blaue Flecken", und die "Schöne Lüge" verwandelte sich in "Fakten". Ein unverstellter, manchmal schmerzhafter, oft heiterer Blick auf sich selbst." -- Brigitte Woman, 12.10.2011
"Als Seelentrost wirken die Verse wie eh und je, aber nun gelingt oft zugleich auch die Seelenprovokation durch Sprache: aufrauende Zeilenbrüche, formale Anlehnungen an Konkrete Poesie, Reimloses. Wiederholen und Widerlegen bedingen einander." -- DIE WELT, 17.09.2011
"Was für eine schöne Idee: Mit ihrem Lyrikband Wiederworte antwortet Ulla Hahn genau 30 Jahre später auf ihre eigenen Gedichte. Aus "Blinde Flecken" wurden "Blaue Flecken", und die "Schöne Lüge" verwandelte sich in "Fakten". Ein unverstellter, manchmal schmerzhafter, oft heiterer Blick auf sich selbst." -- Brigitte Woman, 12.10.2011
"Als Seelentrost wirken die Verse wie eh und je, aber nun gelingt oft zugleich auch die Seelenprovokation durch Sprache: aufrauende Zeilenbrüche, formale Anlehnungen an Konkrete Poesie, Reimloses. Wiederholen und Widerlegen bedingen einander." -- DIE WELT, 17.09.2011
»Ulla Hahn ist eine der erfolgreichsten deutschen Lyrikerinnen.« Welt am Sonntag
»Die Gegenüberstellung von alt und neu ist eine schöne Idee, die der bei DVA erschienene Lyrikband eindrucksvoll umsetzt.«
"Diese Doppelsätze erklingen wie hüpfende Ping-Pong-Bälle, tanzend und luftig leicht in ihrer Kürze und Würze."