Produktdetails
- Verlag: Langen/Müller
- Seitenzahl: 286
- Abmessung: 215mm
- Gewicht: 439g
- ISBN-13: 9783784426990
- Artikelnr.: 07547935
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.09.1998Sacher und Wider-Sacher
Österreich aus Sehnsuchtssicht: Ein Lesebuch zu Friedrich Torberg
"Entweder du liest eine Frau, oder du umarmst ein Buch, beides zugleich geht nicht. Jetzt aber ist Junggesellenzeit - umarmen wir ein Buch." So begann Kurt Tucholsky anno 1930 seine Kritik von Friedrich Torbergs Erstlingsroman "Der Schüler Gerber hat absolviert". Nun - Torberg wäre heute neunzig Jahre alt geworden - ist Jubiläumszeit. Also laßt uns ein "Lesebuch" aus seinen gesammelten Werken umarmen. "Wien oder Der Unterschied" hat schon auf dem Vorsatzpapier eine kleine Bosheit zu bieten. Den Seitenhieb gegen die germanistische Editionspraxis führen allerdings die Herausgeber. Denn, man höre und staune, da steht: "Torbergs manchmal eigenwilliger literarischer Stil wurde durchwegs beibehalten." Wahrlich keine Überraschung, bloß eine nette Pointe.
Anlaß zu Nachdenklichkeit und Amüsement bietet indes auch die Auswahl genug. Mit einem Bekenntnis Torbergs zum Judentum hebt der Band an, er hört auch damit auf. Sport, Kaffeehaus, Literatur und Theater, Franz und Alma Werfel heißen andere Kapitel. Besonders wichtig erscheinen zwei Themenbereiche: jener über Österreich aus der Sehnsuchtssicht des Emigranten und der über Wien in den Jahren 1934 bis 1938, geschrieben von einem politisch ungemein wachen Beobachter. Der nach den Februarkämpfen 1934 entstandene, titelgebende Text ist überhaupt eine Erstveröffentlichung. Trotz eines Irrtums des Autors - Dollfuß stammt nicht "aus der Gegend von Kirchberg am Wechsel", sondern aus der von Kirnberg südlich der Wachau, doch "Surm" bleibt "Surm" - möchte man die ebenso scharfsichtige wie scharfsinnige Polemik keinesfalls missen.
Naturgemäß kommt es hier außerdem zur höchst erfreulichen Wiederbegegnung mit Glanzstücken von Torbergs Prosa: etwa mit dem Demel-Hymnus "Urbis Conditor" oder der mittlerweile klassischen Darstellung des Rechtsstreits um Wiens berühmteste Torte: "Sacher und Wider-Sacher". Wunderbar auch die Proben des genialen "Briefstellers" Torberg. Witz und Melancholie, Weisheit und virtuose Sprache machen die Lektüre zum reinen Vergnügen. Max Brod gegenüber meinte Torberg einmal, er wolle sein "öffentliches Wirken" so gestalten, "daß möglichst viele Nichtjuden den Tod des letzten deutsch-jüdischen Schriftstellers als Verlust empfinden; ob trauernd oder aufatmend ist mir gleichgültig, sie sollen nur merken, daß etwas zu Ende gegangen ist, wofür sie keinen Ersatz haben . . ." Das ist ihm, leider bereits im und seit November 1979, ohne Zweifel gelungen. ULRICH WEINZIERL
Friedrich Torberg: "Wien oder Der Unterschied". Ein Lesebuch. Herausgegeben von David Axmann und Marietta Torberg. Langen Müller Verlag, München 1998. 288 S., geb., 29,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Österreich aus Sehnsuchtssicht: Ein Lesebuch zu Friedrich Torberg
"Entweder du liest eine Frau, oder du umarmst ein Buch, beides zugleich geht nicht. Jetzt aber ist Junggesellenzeit - umarmen wir ein Buch." So begann Kurt Tucholsky anno 1930 seine Kritik von Friedrich Torbergs Erstlingsroman "Der Schüler Gerber hat absolviert". Nun - Torberg wäre heute neunzig Jahre alt geworden - ist Jubiläumszeit. Also laßt uns ein "Lesebuch" aus seinen gesammelten Werken umarmen. "Wien oder Der Unterschied" hat schon auf dem Vorsatzpapier eine kleine Bosheit zu bieten. Den Seitenhieb gegen die germanistische Editionspraxis führen allerdings die Herausgeber. Denn, man höre und staune, da steht: "Torbergs manchmal eigenwilliger literarischer Stil wurde durchwegs beibehalten." Wahrlich keine Überraschung, bloß eine nette Pointe.
Anlaß zu Nachdenklichkeit und Amüsement bietet indes auch die Auswahl genug. Mit einem Bekenntnis Torbergs zum Judentum hebt der Band an, er hört auch damit auf. Sport, Kaffeehaus, Literatur und Theater, Franz und Alma Werfel heißen andere Kapitel. Besonders wichtig erscheinen zwei Themenbereiche: jener über Österreich aus der Sehnsuchtssicht des Emigranten und der über Wien in den Jahren 1934 bis 1938, geschrieben von einem politisch ungemein wachen Beobachter. Der nach den Februarkämpfen 1934 entstandene, titelgebende Text ist überhaupt eine Erstveröffentlichung. Trotz eines Irrtums des Autors - Dollfuß stammt nicht "aus der Gegend von Kirchberg am Wechsel", sondern aus der von Kirnberg südlich der Wachau, doch "Surm" bleibt "Surm" - möchte man die ebenso scharfsichtige wie scharfsinnige Polemik keinesfalls missen.
Naturgemäß kommt es hier außerdem zur höchst erfreulichen Wiederbegegnung mit Glanzstücken von Torbergs Prosa: etwa mit dem Demel-Hymnus "Urbis Conditor" oder der mittlerweile klassischen Darstellung des Rechtsstreits um Wiens berühmteste Torte: "Sacher und Wider-Sacher". Wunderbar auch die Proben des genialen "Briefstellers" Torberg. Witz und Melancholie, Weisheit und virtuose Sprache machen die Lektüre zum reinen Vergnügen. Max Brod gegenüber meinte Torberg einmal, er wolle sein "öffentliches Wirken" so gestalten, "daß möglichst viele Nichtjuden den Tod des letzten deutsch-jüdischen Schriftstellers als Verlust empfinden; ob trauernd oder aufatmend ist mir gleichgültig, sie sollen nur merken, daß etwas zu Ende gegangen ist, wofür sie keinen Ersatz haben . . ." Das ist ihm, leider bereits im und seit November 1979, ohne Zweifel gelungen. ULRICH WEINZIERL
Friedrich Torberg: "Wien oder Der Unterschied". Ein Lesebuch. Herausgegeben von David Axmann und Marietta Torberg. Langen Müller Verlag, München 1998. 288 S., geb., 29,90 DM.
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