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Der dritte Band der "Wiener Ausgabe" enthält die Manuskriptbände V und VI, Mss 109 und 110 aus dem literarischen Nachlass von Ludwig Wittgenstein. Sie sind im Besitz der Nachlassverwalter, Wren Library, Trinity College, Cambridge. Den Band "Bemerkungen V." hatte Wittgenstein am 11. August 1930 in Österreich begonnen. Nach den Sommerferien setzt er die Arbeiten in Cambridge fort; dann, über die Weihnachtsferien in Wien am Band VI, und wieder in Cambridge beendet er schließlich Band V. Der Band "VI. Philosophische Bemerkungen" ist also Teil und unmittelbare Fortsetzung von Band V. Am Band VI…mehr

Produktbeschreibung
Der dritte Band der "Wiener Ausgabe" enthält die Manuskriptbände V und VI, Mss 109 und 110 aus dem literarischen Nachlass von Ludwig Wittgenstein. Sie sind im Besitz der Nachlassverwalter, Wren Library, Trinity College, Cambridge. Den Band "Bemerkungen V." hatte Wittgenstein am 11. August 1930 in Österreich begonnen. Nach den Sommerferien setzt er die Arbeiten in Cambridge fort; dann, über die Weihnachtsferien in Wien am Band VI, und wieder in Cambridge beendet er schließlich Band V. Der Band "VI. Philosophische Bemerkungen" ist also Teil und unmittelbare Fortsetzung von Band V. Am Band VI schreibt Wittgenstein in Cambridge bis zum 6. Juli 1931. Beide Bände werden in der "Wiener Ausgabe" erstmals veröffentlicht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.04.1995

Keine Angst vor Rot und Blau
Die Bedeutung eines Nachlasses ist sein Gebrauch: Die ersten Bände der neuen Wittgenstein-Ausgabe

Der langerwartete Beginn eines großen Projekts: Die ersten beiden Bände einer weitgehend vollständigen Ausgabe von Ludwig Wittgensteins nachgelassenen Schriften liegen vor. Geplant ist vorerst die Edierung der kompletten Aufzeichnungen aus den Jahren 1929 bis 1933 in insgesamt elf Bänden, von denen jährlich zwei bis fünf erscheinen sollen. Für die Fortsetzung dieser von Michael Nedo betreuten "Wiener Ausgabe" ist dann ein weiteres Plazet von Wittgensteins Nachlaßverwaltern notwendig.

Die Arbeit an diesem Editionsprojekt reicht bis in die siebziger Jahre zurück. Damals wurde klar, daß die von den Nachlaßverwaltern betreute Ausgabe kaum mehr der stetig wachsenden Bedeutung Wittgensteins gerecht werden konnte. Wittgensteins Texte waren einfach ein zu zentraler Bezugspunkt der philosophischen Diskussionen geworden, als daß man sich einfach auf die von Elizabeth Anscombe, Rush Rhees und Georg Henrik von Wright zusammengestellten Bände verlassen wollte. Zumal die vollständige Verfilmung des Nachlasses Mitte der siebziger Jahre deutlich zeigte, wie frei die Nachlaßverwalter bei der editorischen Aufbereitung der Aufzeichnungen teilweise verfahren waren.

Daß es dann doch noch fünfzehn Jahre dauerte, bis die ersten Bände erschienen, verdankte sich einer Folge von editorischen Querelen: Die 1974 gegründete Arbeitsgruppe am Tübinger Wittgenstein-Archiv ging 1980 in die Brüche. Michael Nedo, einer ihrer beiden Leiter, übersiedelte daraufhin nach Cambridge, um dort mit Billigung der Nachlaßverwalter weiter an der Ausgabe zu arbeiten. Die damals bereits hergestellten Transkriptionen wurden jedoch von den ausgebooteten Tübinger Mitarbeitern Nedos an eine norwegische Gruppe weitergegeben, die sich eine vollständige maschinenlesbare Erfassung von Wittgensteins Texten zum Ziel gesetzt hatte. Sie mußte 1987 die Arbeit einstellen, weil die Nachlaßverwalter mit rechtlichen Schritten drohten.

1990 überlegten es sich die Nachlaßverwalter - an die Stelle des verstorbenen Rush Rhees waren inzwischen Peter Winch und Anthony Kenny getreten - wieder anders. Die Norweger erhielten die Erlaubnis zur Weiterarbeit, während das Vertrauen zu Nedo in der Zwischenzeit offenbar etwas gelitten hatte. Wie um das Verwirrspiel komplett zu machen, erschien zwischendurch auch noch eine erstmals vollständige Ausgabe von Wittgensteins Tagebüchern aus dem Ersten Weltkrieg, ediert von einem religiös bewegten österreichischen Philosophiedozenten, der sich Zugang zu den Beständen des Tübinger Archivs verschafft hatte. Auf eine besonders glückliche Hand der Nachlaßverwalter läßt das alles nicht schließen. Aber nun besteht immerhin Hoffnung, daß die Verzögerungen ein Ende haben und die neue Ausgabe zügig erscheinen wird.

Die ersten zwei Bände berechtigen jedenfalls zu hohen Erwartungen. Sie geben den Text von vier Manuskriptbänden wieder, die Wittgenstein zwischen Februar 1929 und August 1930 mit Aufzeichnungen füllte. In der für ihn typischen Arbeitsweise hat Wittgenstein aus dem Material dieser Manuskriptbände später zwei Typoskripte destilliert, die dann von ihm wiederum in einzelne Zettel zerschnitten, handschriftlich überarbeitet und neu angeordnet wurden. Ein beträchtlicher Teil der ersten vier Manuskriptbände ging dabei in ein geklebtes Zettelbuch ein, das Rush Rhees 1964 unter dem - von Wittgenstein selbst den Aufzeichnungen vorangestellten - Titel "Philosophische Bemerkungen" herausgab. Diese Fassung, die Wittgenstein Ende April 1930 Bertrand Russel vorlegte, hat er nicht mehr weiterbearbeitet.

Intensive Selbstdemontage

Anfang 1929 kam Wittgenstein, nach fast sechzehnjähriger, nur durch einen kurzen Besuch im Sommer 1925 unterbrochener Abwesenheit, wieder nach Cambridge. Mehr als zehn Jahre zuvor hatte er in einem Kriegsgefangenenlager den "Tractatus" abgeschlossen, hatte dann als Volksschullehrer in Niederösterreich gearbeitet und sich schließlich seit dem Herbst 1926 dem Bau des Wiener Hauses für seine Schwester Margaret Stonborough-Wittgenstein gewidmet. Sieht man von den Diskussionen mit einigen Mitgliedern des "Wiener Kreises" in den Jahren 1927/28 ab - von denen jedoch keine Mitschriften existieren -, war es eine Periode weitgehender Abstinenz von philosophischer Beschäftigung.

Um so erstaunlicher ist es, mit welcher Intensität und Bestimmtheit sich Wittgenstein in den sofort nach seiner Ankunft in Cambridge begonnenen Aufzeichnungen an die Demontage zentraler Bestimmungsstücke der logischen Abbildtheorie des "Tractatus" machte. Auf den ersten Blick sieht es freilich so aus, als ob er sich bei seiner Behandlung des Gesichtsraums und des Problems des Sichausschließens von Farben in Detailfragen verbissen hätte. Was sollte schließlich auch die gravierende Schwierigkeit daran sein, daß die elementare Aussage "Dieser Fleck in meinem Gesichtsfeld ist rot" automatisch eine Aussage wie "Dieser (selbe) Fleck ist nicht blau" impliziert.

Doch darin steckte eine Einsicht, die Wittgenstein verblüffend schnell zur Revision seiner im "Tractatus" ausgearbeiteten Ansicht führte, daß Elementarsätze eine wohlgeformte Anordnung von Namen seien, die auf einfache, nicht weiter analysierbare Gegenstände referieren, wobei sich die geforderte wechselweise Unabhängigkeit der "atomaren Tatsachen", die die Substanz der Welt bilden, in der logischen Unabhängigkeit der sie darstellenden Elementarsätze widerspiegelt. Genau diese logische Unabhängigkeit ließ sich nämlich, das zeigte das Beispiel der Sätze über Farben, kaum sinnvoll aufrechterhalten.

Obwohl Wittgenstein noch einige Versuche unternahm, dieses Problem im theoretischen Rahmen des "Tractatus" zu lösen, war damit letztlich der Weg zu einer neuen Betrachtungsweise der Sprache gebahnt: Die Syntax konnte nicht länger ein schablonenhaftes Abbild der Welt sein, und die logischen Eigennamen konnten nicht mehr als die Punkte aufgefaßt werden, an welchen diese Schablone an die Welt festgenagelt war. Denn nicht einzelne Sätze werden an die Welt "angelegt", sondern immer ganze Satzsysteme. Bereits im dritten Manuskriptbuch findet man dazu einen Vergleich, der schließlich mit wenigen Veränderungen am Anfang der 1945 zusammengestellten "Philosophischen Untersuchungen" stehen wird: "Wie in einem Stellwerk mit Handgriffen die verschiedensten Dinge ausgeführt werden, so mit den Wörtern der Sprache, die Handgriffen entsprechen."

Wittgensteins Manuskriptbücher aus den Jahren 1929/30 zeigen deutlicher noch als die aus ihnen komponierten "Philosophischen Bemerkungen", wie sich alte Motive und neue Sichtweisen in der Übergangsphase zur "Spätphilosophie" überkreuzen. Zu einem genaueren Bild von Wittgenstein, seiner philosophischen Bemühungen und der mit ihnen verbundenen Ansprüche an sich selbst tragen sie ihren Teil bei.

Die beiden ersten Bände bestechen durch eine ausgezeichnete typographische Gestaltung. Als nächstes erscheinen die weiteren Manuskriptbände aus den Jahren von 1930 bis 1932, danach die aus ihnen zusammengestellten Typoskripte. Für die Orientierung in den dann sichtbar werdenden Überlagerungen der verschiedenen Textschichten und Fassungen sollen Konkordanzbände sorgen. Man darf gespannt sein, ob sie Wittgensteins Ideal der "übersichtlichen Darstellung" an seinen eigenen Texten werden einlösen können. HELMUT MAYER

Ludwig Wittgenstein: "Wiener Ausgabe". Herausgegeben von Michael Nedo. Band 1: "Philosophische Bemerkungen".Band 2: "Philosophische Betrachtungen. Philosophische Bemerkungen". Springer Verlag, Wien, New York 1994. XIX, 196 und XIII, 333 S., geb., 150,- bzw. 210,- DM. Bei Subskription der Gesamtausgabe 20 Prozent Ermäßigung.

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