Produktdetails
  • Verlag: Kiepenheuer & Witsch
  • 1999.
  • Seitenzahl: 555
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 752g
  • ISBN-13: 9783462028355
  • ISBN-10: 3462028359
  • Artikelnr.: 08127140
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.12.1999

Kakanisch ist die Kokotterie
Beschreibungswütig: Lilian Faschingers Wiener Passion · Von Ulrich Weinzierl

Der erste Eindruck: ein Schmöker. Immerhin hat Lilian Faschingers "Wiener Passion" nicht weniger als 562 Seiten. Doch die Lektüre scheint uns eines Besseren zu belehren. Dieser Roman beginnt als ebenso elegante wie witzige Krankengeschichte. Da spricht ein mutterkomplexgeplagter Hypochonder von seinen tagtäglichen Wehwehchen und seiner Obsession, unbedingt in Schuberts Sterbehaus wohnen zu wollen. Im zweiten Erzählstrang berichtet eine gewisse Magnolia Brown, die Tochter einer aus Wien stammenden Mutter und eines Afroamerikaners, vom Abenteuer ihrer Wien-Reise. Weil sie die Anna Freud in einem Freud-Musical spielen soll, ist sie zur Gesangsausbildung nach Österreich gekommen. Naturgemäß wird der musikpathologische Herr Horvath aus Kapitel eins ihr Lehrer und schließlich ihr Liebhaber. Das dritte Handlungselement besteht aus den nachgelassenen Papieren der anno 1900 gehenkten Gattenmörderin Rosa Havelka, die in der Todeszelle Rückschau auf ihr Leben gehalten hatte. Magnolia Brown findet die Autobiographie in der Wohnung der seltsamen Tante Pia, wo sie für mehrere Wochen Quartier bezieht.

Dass Lilian Faschinger Österreichs fabulierfreudigste Schriftstellerin ist, weiß man seit ihrem Prosadebüt "Die neue Scheherazade" aus dem Jahr 1986. Die Bände "Lustspiel" und "Magdalena Sünderin" haben diesen Ruf durchaus gefestigt. Das jüngste Produkt ihrer munter sprudelnden Phantasie übertrifft indes vom Umfang und des transportierten Bildungsguts her die früheren bei weitem. Bewundernswert, wie Lilian Faschinger die Prosafäden spinnt und zum bunten Textteppich knüpft. Irgendwie hängt zum Schluss alles mit allem zusammen: Rosa Havelka war Magnolia Browns Urgroßmutter. Auch eine Pointe.

Frau Faschingers Stil - böse funkelnde Satzkaskaden erinnern zuweilen an Thomas Bernhard - wirkt ungeachtet einiger Ausflüge ins Gezierte sehr gediegen, ja erlesen. Beglückt begegnet man zum Beispiel dem in der Zunft leider längst ausgestorbenen Konjunktiv "nennten" und freut sich auch an manch trefflicher Beobachtung. Warum ermatten wir trotzdem relativ rasch? Merkwürdigerweise benützen sämtliche wortmächtige Figuren im Roman die gleiche Sprachmaske. Solche Undifferenziertheit verhindert die Entwicklung von Charakteren, deren Schicksal uns auf Dauer interessieren könnte. Nicht einmal die Moritat von Rosa Havelka und die fatale erotische Karriere der unehelich geborenen böhmischen Dienstmagd bis zum Henkersstrick sind tatsächlich eine Passion im doppelten Verständnis, vermögen uns zu fesseln.

Der Grund dafür, dass wir ihr sogar unser Mitgefühl verweigern müssen, heißt nicht Herzlosigkeit allein. Denn Rosas Lebenslauf wird zum Schweinsgalopp durch die Kulturgeschichte des Wiener Fin de Siècle: zwischen frommer Perversion und brutaler Ausbeutung, zwischen Sigmund Freud, dem Scharfrichter Lang und Kronprinz Rudolf, dem sie kurz als "k.k. Kokotte" dient. Wahrlich eine abstruse Fabel - wie von Herzmanovsky-Orlando ersonnen, nur ohne dessen unbändigen Witz, der jegliche Verkrampfung sofort löst. Um die Affäre zwischen dem Thronfolger und ausgerechnet diesem Stuben- und Straßenmädchen denkbar zu machen, wird eine Fülle von historischen Details bemüht, die reale Vergangenheit simulieren und Glaubwürdigkeit zu erzeugen versuchen.

Hier stolpert Lilian Faschinger über ihre auch sonst des öfteren störende fremdenführerhafte Beschreibungswut: Noch vor Rudolfs Selbstmord 1889 demoliert sie das 1896 geschlossene Literatencafé Griensteidl. Auch darum gleicht das an chronischer Motivverschlingung fast erstickende Buch einem zu lang geratenen Virtuosenstück, einer Etüde von Sonatenanspruch. Der erste Eindruck hat also nicht getrogen. "Wiener Passion" ist in der Tat ein Schmöker. Aber einer auf beträchtlichem Niveau.

Lilian Faschinger: "Wiener Passion". Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999. 562 S., geb., 45,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die Hassliebe zu Wien ist die Inspiration dieses Buches, meint Meike Fessman und berichtet, wie drei zunächst unverbundene Personen von der kraftvollen Erzählerin mit psychoanalytisch geschultem Scharfsinn ins Netz der "Wiener Melange diffuser Gefühle" geknüpft werden. Die Tochter Sigmund Freuds und eine Dienstbotengeschichte aus dem 19.Jahrhundert machen einen Wiener Gesangslehrer und seine amerikanische Schülerin zu einem Paar, und die Hauptrolle übernimmt die Stadt Wien. Jedenfalls gemütlicher als das erste, vor Morden strotzende Buch der Autorin, befindet eine gut unterhaltene Rezensentin.

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