Produktdetails
- Falters CityWalks Bd.4
- Verlag: Falter
- Seitenzahl: 128
- Deutsch
- Abmessung: 210mm
- Gewicht: 194g
- ISBN-13: 9783854393290
- ISBN-10: 3854393296
- Artikelnr.: 10676044
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.05.2004Vor dem Einkauf ein Besuch beim Friseur
Ein kulinarischer Spaziergang durch Wien / Von Alexander Bartl
Beim Schnitzel hört der Spaß auf, auch wenn dessen Wiener Spielart, der "Schmäh", ansonsten ziemlich belastbar ist. Denn in Wien wurde das geklopfte Fleisch so erfolgreich eingemeindet, daß man sich mit Hingabe um sein Ansehen sorgt. Das Schnitzel kommt eigentlich aus Norditalien, aber damit nimmt es der Wiener nicht so genau. Prompt beharren manche Gasthauspatrioten in einschlägigen Internet-Foren hartnäckig sogar darauf, daß allenfalls die Idee aus Mailand stamme. Den meisten Bewohnern ist es zum Glück ziemlich egal, was da wann vom Süden her über die Alpen kam und an der Donau heimisch wurde.
Weich muß das Schnitzel sein, das versteht sich von selbst, und dennoch knusprig. Als wäre diese Doppelnatur noch nicht genug, sollte das Nationalgericht auch groß sein, so groß, daß es über den Tellerrand ragt. Das ist natürlich kein zuverlässiges Maß, denn wenn der Teller entsprechend klein ist, sieht jedes Schnitzel opulent aus; und die optische Täuschung nimmt man gerne hin, solange es schmeckt. Vermutlich weiß jeder Wiener, wo er das beste Schnitzel bekommt, und wie auch bei der heißen Wurst, die der eine lieber am Hohen Markt und der andere vornehmlich an der Wurstbude gleich hinter der Staatsoper zu sich nimmt, ist die Wahl reine Geschmackssache. Zumindest in Wien hat das ultimative Schnitzel zahlreiche Heimstätten.
Wir wollen, mit Verlaub, das Schnitzel im Gasthaus "Zu den zwei Lieseln" empfehlen. Das Lokal an der Burggasse 63, geführt von den beiden Schwestern Elisabeth und Lieselotte, bürgt schon allein deshalb für unverfälschte Küche, weil es abseits der städtischen Attraktionen liegt und mithin eher selten Touristen sieht, die mehrsprachige Speisekarten und weltweit anerkannte Konsens-Kulinarik einfordern würden. Hier regiert echte Wirtshausküche, und daß einen Frau Elisabeth duzt, gehört zum kostenlosen Service.
Lieselotte ist im Moment nicht zugegen, aber auch eine Wirtin allein hat die "Zwei Lieseln" gut im Griff. Wir sind ganz unter uns, nehmen die holzgetäfelten Wände in Augenschein und das Linoleum unter den Sohlen. Daß es nicht nur Gasthaus, sondern zugleich eine Art Foyer für das dahinter- und darüberliegende Mietshaus ist, verleiht dem Lokal seinen besonderen Charme. Die Bewohner kommen nicht an den Lieseln vorbei, wenn sie das Gebäude verlassen, und wer viel zu erzählen hat, bestellt ein Bier und bleibt sitzen.
Vor dreiundreißig Jahren haben die beiden Wirtsschwestern das 1887 gegründete Lokal übernommen und im Lauf der Zeit offensichtlich das erforderliche Augenmaß für ihre Gäste und deren Hunger entwickelt: Während man selbst noch darüber nachgrübelt, ob nicht ein kleines Schnitzel ausreicht, nimmt einem Frau Elisabeth kurzerhand die Entscheidung ab. "Für dich ein Großes", urteilt sie, öffnet die Hintertür und gibt die Bestellung quer durchs Treppenhaus in die Küche auf der Rückseite des Hauses durch. Spätestens jetzt weiß jeder Hausbewohner, was unten in der Kneipe läuft. Nebenan wird fleißig gehämmert, allerdings ist hier nicht die Köchin mit dem Schnitzelfleisch zu Gange. Bauarbeiter stemmen die Fliesen von der Toilettenwand, weil irgendwas mit den Wasserrohren nicht stimmt.
Das Schnitzel bricht dann tatsächlich alle Rekorde, nicht nur, was die Größe betrifft. Während man also Bissen für Bissen genießt, fällt das Lokal nach hinten hin ein bißchen auseinander. Frau Elisabeth läßt sich unterdessen von einem sitzengebliebenen Hausbewohner erzählen, worüber man spricht im Bezirk. Und von Zeit zu Zeit guckt die Köchin um die Ecke und nimmt wohlwollend zur Kenntnis, daß man sich mit dem wahrhaft imposanten Schnitzel ordentlich plagt. Es wäre gewiß übertrieben, das Gasthaus seiner unvergleichlichen Atmosphäre wegen als Szenetreff zu bezeichnen, und doch spielen sich hier Szenen ab, die Urwiener Charme haben.
*
Das, was sich neumodisch "Szene" nennt, ist heute rund um den Naschmarkt daheim, wo eine Flanier-Meile im Werden ist, die mit dem Rustikalflair gründlich aufräumt und alles sein will, nur nicht typisch wienerisch. Das "Amacord" an der Rechten Wienzeile 15 liegt nur einen Buchstaben von Fellinis Erinnerungssatire "Amarcord" entfernt und ist nicht nur dem Namen nach der italienischen Lebensart zugetan. Man betritt das Bistro und vermeint fast das Schwanken von Fellinis Traumschiff unter den Füßen zu spüren, lange bevor man sich durch das reiche Wein-Sortiment gekostet hat.
Im Souterrain gelegen, bekennt sich das Wiener "Amacord" zu einem konsequenten Minimalismus im Design. Das weiß getünchte, schnörkellose Deckengewölbe setzt einen schönen Kontrast zur phantasievollen Küche. Denn so streng die Linien des Interieurs, so verspielt wirkt das Angebot: Gekocht wird italo-wienerisch; mal dominiert der deftige Geschmack der österreichischen Hauptstadt, mal die Sonne des Südens. Das Lokal gab es schon, als die Naschmarkt-Szene kaum mehr war als ein Gerücht, als sich ganz Wien noch im "Bermudadreieck" einfand, jenem Viertel am anderen Ende der Innenstadt, in dem heute vor allem Halbwüchsige verschwinden, um zu erproben, wieviel Alkohol sie ohne Gedächtnisverlust verkraften.
So kommt die Rechte Wienzeile zu ihrem Fellini und die Szenegänger zu einem Bistro, das nichts gemein hat mit der Heurigenkultur, die in den Augen vieler Gäste zu Wien gehört wie die Salzburger Mozartkugeln, obwohl das so offensichtlich ein Widerspruch ist.
*
Vom "Amacord" aus hat man einen schönen Blick auf den Naschmarkt gleich gegenüber, der sich zwischen Getreidemarkt und Kettenbrückengasse erstreckt. Dort reiht sich ein Delikatessenladen an den anderen, und was Gaumenfreuden angeht, erhält man auf dem wohl prominentesten unter den Märkten Wiens alles, und das vom Feinsten. Die Naschmarkt-Kultur liegt dem Wiener allein deshalb am Herzen, weil sie die unglaublichsten Spezialisten hervorgebracht hat. Andere Märkte mögen Gemüsehändler aufbieten, hier ist das Gemüse nochmals in Fachgebiete unterteilt.
Ein schönes Beispiel für dieses feinsinnige Expertentum ist Leo Strmiska, den sie hier den "Gurkerlkaiser" nennen. Sein Laden am Standplatz 248 ist von oben bis unten aufgefüllt mit eingelegten Gurken im Glas - und daß er auch Sauerkraut in unzähligen Sorten anbietet, erklärt ihn fast zum Exzentriker. Dafür hat er den Stammbaum jeder noch so entlegenen Kraut- und Gurkengattung verinnerlicht, und während er mit ausladender Geste seine Ware aus den Holzfässern schöpft, unterhält er seine Kunden etwa mit einem Exkurs über Champagnerkraut, veredelt mit kulinarischen Aphorismen, die selbst dann noch Appetit wecken, wenn man gerade ein großes Schnitzel bei den "Zwei Lieseln" bewältigt hat. Alle Verheißungen, wonach Gurken und Kraut groß und stark und offenbar auch ziemlich redselig machen, bräuchte der "Gurkerlkaiser" erst gar nicht kundzutun. Man sieht sie ihm an.
*
Der Naschmarkt ist, wenn man so will, Wiens größtes Szenelokal, besiedelt von Originalen aus allen Teilen der Welt, denn asiatische Spezialitäten sind hier genauso vertreten wie französische, griechische und türkische. Sein atmosphärisches Gegenstück findet er eine U-Bahnstation weiter am Graben. Dort, an der Stirnseite der Einkaufsmeile, residiert der Gourmetsupermarkt "Meinl am Graben" auf drei Etagen. Natürlich kann man auch anderswo in Wien Erlesenes kaufen, aber erwähnenswert ist "Meinl am Graben", weil sich seine Klientel für einen Einkaufsbummel herausputzt wie für die Opernpremiere. Daß der nicht eben kostengünstige Innenstadt-Friseur rechts gegenüber so gut läuft, hat wohl auch damit zu tun, denn im "Meinl am Graben" werden, wie es scheint, fehlende Körperzentimeter der weiblichen Kundschaft durch um so opulenter getürmte Haarkreationen wettgemacht. Kaufen und gesehen werden.
Man schiebt den Einkaufswagen zwischen dunkel getönten Regalen aus Massivholz hindurch und probt schon mal den akkuraten Hüftschwung. Die feinen Waren werden dank aufwendiger Lichtregie besonders verlockender inszeniert als anderswo; kurz, wer hier auffallen will, schaut vorher lieber zweimal in den Spiegel. Schließlich sind wir in einem Stadtteil, der auf Maskerade soviel hält wie darauf, akademische Titel bei der Anrede zu erwähnen, als sei man das der Frau Doktor und dem Herrn Magister schon schuldig. Besonders Unerschrockene können ja mal versuchen, hier jemanden zu duzen.
Zwölf Touren durch Wiener Szenelokale hat der österreichische Restaurantkritiker Florian Holzer zu einem Stadtführer zusammengestellt: "Wiener Szenelokale", Falter Verlag. 128 Seiten. 8 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein kulinarischer Spaziergang durch Wien / Von Alexander Bartl
Beim Schnitzel hört der Spaß auf, auch wenn dessen Wiener Spielart, der "Schmäh", ansonsten ziemlich belastbar ist. Denn in Wien wurde das geklopfte Fleisch so erfolgreich eingemeindet, daß man sich mit Hingabe um sein Ansehen sorgt. Das Schnitzel kommt eigentlich aus Norditalien, aber damit nimmt es der Wiener nicht so genau. Prompt beharren manche Gasthauspatrioten in einschlägigen Internet-Foren hartnäckig sogar darauf, daß allenfalls die Idee aus Mailand stamme. Den meisten Bewohnern ist es zum Glück ziemlich egal, was da wann vom Süden her über die Alpen kam und an der Donau heimisch wurde.
Weich muß das Schnitzel sein, das versteht sich von selbst, und dennoch knusprig. Als wäre diese Doppelnatur noch nicht genug, sollte das Nationalgericht auch groß sein, so groß, daß es über den Tellerrand ragt. Das ist natürlich kein zuverlässiges Maß, denn wenn der Teller entsprechend klein ist, sieht jedes Schnitzel opulent aus; und die optische Täuschung nimmt man gerne hin, solange es schmeckt. Vermutlich weiß jeder Wiener, wo er das beste Schnitzel bekommt, und wie auch bei der heißen Wurst, die der eine lieber am Hohen Markt und der andere vornehmlich an der Wurstbude gleich hinter der Staatsoper zu sich nimmt, ist die Wahl reine Geschmackssache. Zumindest in Wien hat das ultimative Schnitzel zahlreiche Heimstätten.
Wir wollen, mit Verlaub, das Schnitzel im Gasthaus "Zu den zwei Lieseln" empfehlen. Das Lokal an der Burggasse 63, geführt von den beiden Schwestern Elisabeth und Lieselotte, bürgt schon allein deshalb für unverfälschte Küche, weil es abseits der städtischen Attraktionen liegt und mithin eher selten Touristen sieht, die mehrsprachige Speisekarten und weltweit anerkannte Konsens-Kulinarik einfordern würden. Hier regiert echte Wirtshausküche, und daß einen Frau Elisabeth duzt, gehört zum kostenlosen Service.
Lieselotte ist im Moment nicht zugegen, aber auch eine Wirtin allein hat die "Zwei Lieseln" gut im Griff. Wir sind ganz unter uns, nehmen die holzgetäfelten Wände in Augenschein und das Linoleum unter den Sohlen. Daß es nicht nur Gasthaus, sondern zugleich eine Art Foyer für das dahinter- und darüberliegende Mietshaus ist, verleiht dem Lokal seinen besonderen Charme. Die Bewohner kommen nicht an den Lieseln vorbei, wenn sie das Gebäude verlassen, und wer viel zu erzählen hat, bestellt ein Bier und bleibt sitzen.
Vor dreiundreißig Jahren haben die beiden Wirtsschwestern das 1887 gegründete Lokal übernommen und im Lauf der Zeit offensichtlich das erforderliche Augenmaß für ihre Gäste und deren Hunger entwickelt: Während man selbst noch darüber nachgrübelt, ob nicht ein kleines Schnitzel ausreicht, nimmt einem Frau Elisabeth kurzerhand die Entscheidung ab. "Für dich ein Großes", urteilt sie, öffnet die Hintertür und gibt die Bestellung quer durchs Treppenhaus in die Küche auf der Rückseite des Hauses durch. Spätestens jetzt weiß jeder Hausbewohner, was unten in der Kneipe läuft. Nebenan wird fleißig gehämmert, allerdings ist hier nicht die Köchin mit dem Schnitzelfleisch zu Gange. Bauarbeiter stemmen die Fliesen von der Toilettenwand, weil irgendwas mit den Wasserrohren nicht stimmt.
Das Schnitzel bricht dann tatsächlich alle Rekorde, nicht nur, was die Größe betrifft. Während man also Bissen für Bissen genießt, fällt das Lokal nach hinten hin ein bißchen auseinander. Frau Elisabeth läßt sich unterdessen von einem sitzengebliebenen Hausbewohner erzählen, worüber man spricht im Bezirk. Und von Zeit zu Zeit guckt die Köchin um die Ecke und nimmt wohlwollend zur Kenntnis, daß man sich mit dem wahrhaft imposanten Schnitzel ordentlich plagt. Es wäre gewiß übertrieben, das Gasthaus seiner unvergleichlichen Atmosphäre wegen als Szenetreff zu bezeichnen, und doch spielen sich hier Szenen ab, die Urwiener Charme haben.
*
Das, was sich neumodisch "Szene" nennt, ist heute rund um den Naschmarkt daheim, wo eine Flanier-Meile im Werden ist, die mit dem Rustikalflair gründlich aufräumt und alles sein will, nur nicht typisch wienerisch. Das "Amacord" an der Rechten Wienzeile 15 liegt nur einen Buchstaben von Fellinis Erinnerungssatire "Amarcord" entfernt und ist nicht nur dem Namen nach der italienischen Lebensart zugetan. Man betritt das Bistro und vermeint fast das Schwanken von Fellinis Traumschiff unter den Füßen zu spüren, lange bevor man sich durch das reiche Wein-Sortiment gekostet hat.
Im Souterrain gelegen, bekennt sich das Wiener "Amacord" zu einem konsequenten Minimalismus im Design. Das weiß getünchte, schnörkellose Deckengewölbe setzt einen schönen Kontrast zur phantasievollen Küche. Denn so streng die Linien des Interieurs, so verspielt wirkt das Angebot: Gekocht wird italo-wienerisch; mal dominiert der deftige Geschmack der österreichischen Hauptstadt, mal die Sonne des Südens. Das Lokal gab es schon, als die Naschmarkt-Szene kaum mehr war als ein Gerücht, als sich ganz Wien noch im "Bermudadreieck" einfand, jenem Viertel am anderen Ende der Innenstadt, in dem heute vor allem Halbwüchsige verschwinden, um zu erproben, wieviel Alkohol sie ohne Gedächtnisverlust verkraften.
So kommt die Rechte Wienzeile zu ihrem Fellini und die Szenegänger zu einem Bistro, das nichts gemein hat mit der Heurigenkultur, die in den Augen vieler Gäste zu Wien gehört wie die Salzburger Mozartkugeln, obwohl das so offensichtlich ein Widerspruch ist.
*
Vom "Amacord" aus hat man einen schönen Blick auf den Naschmarkt gleich gegenüber, der sich zwischen Getreidemarkt und Kettenbrückengasse erstreckt. Dort reiht sich ein Delikatessenladen an den anderen, und was Gaumenfreuden angeht, erhält man auf dem wohl prominentesten unter den Märkten Wiens alles, und das vom Feinsten. Die Naschmarkt-Kultur liegt dem Wiener allein deshalb am Herzen, weil sie die unglaublichsten Spezialisten hervorgebracht hat. Andere Märkte mögen Gemüsehändler aufbieten, hier ist das Gemüse nochmals in Fachgebiete unterteilt.
Ein schönes Beispiel für dieses feinsinnige Expertentum ist Leo Strmiska, den sie hier den "Gurkerlkaiser" nennen. Sein Laden am Standplatz 248 ist von oben bis unten aufgefüllt mit eingelegten Gurken im Glas - und daß er auch Sauerkraut in unzähligen Sorten anbietet, erklärt ihn fast zum Exzentriker. Dafür hat er den Stammbaum jeder noch so entlegenen Kraut- und Gurkengattung verinnerlicht, und während er mit ausladender Geste seine Ware aus den Holzfässern schöpft, unterhält er seine Kunden etwa mit einem Exkurs über Champagnerkraut, veredelt mit kulinarischen Aphorismen, die selbst dann noch Appetit wecken, wenn man gerade ein großes Schnitzel bei den "Zwei Lieseln" bewältigt hat. Alle Verheißungen, wonach Gurken und Kraut groß und stark und offenbar auch ziemlich redselig machen, bräuchte der "Gurkerlkaiser" erst gar nicht kundzutun. Man sieht sie ihm an.
*
Der Naschmarkt ist, wenn man so will, Wiens größtes Szenelokal, besiedelt von Originalen aus allen Teilen der Welt, denn asiatische Spezialitäten sind hier genauso vertreten wie französische, griechische und türkische. Sein atmosphärisches Gegenstück findet er eine U-Bahnstation weiter am Graben. Dort, an der Stirnseite der Einkaufsmeile, residiert der Gourmetsupermarkt "Meinl am Graben" auf drei Etagen. Natürlich kann man auch anderswo in Wien Erlesenes kaufen, aber erwähnenswert ist "Meinl am Graben", weil sich seine Klientel für einen Einkaufsbummel herausputzt wie für die Opernpremiere. Daß der nicht eben kostengünstige Innenstadt-Friseur rechts gegenüber so gut läuft, hat wohl auch damit zu tun, denn im "Meinl am Graben" werden, wie es scheint, fehlende Körperzentimeter der weiblichen Kundschaft durch um so opulenter getürmte Haarkreationen wettgemacht. Kaufen und gesehen werden.
Man schiebt den Einkaufswagen zwischen dunkel getönten Regalen aus Massivholz hindurch und probt schon mal den akkuraten Hüftschwung. Die feinen Waren werden dank aufwendiger Lichtregie besonders verlockender inszeniert als anderswo; kurz, wer hier auffallen will, schaut vorher lieber zweimal in den Spiegel. Schließlich sind wir in einem Stadtteil, der auf Maskerade soviel hält wie darauf, akademische Titel bei der Anrede zu erwähnen, als sei man das der Frau Doktor und dem Herrn Magister schon schuldig. Besonders Unerschrockene können ja mal versuchen, hier jemanden zu duzen.
Zwölf Touren durch Wiener Szenelokale hat der österreichische Restaurantkritiker Florian Holzer zu einem Stadtführer zusammengestellt: "Wiener Szenelokale", Falter Verlag. 128 Seiten. 8 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.01.2003Beisel über Beisel
Bisher gehörte es zum Wiener Stil, in einem Etablissement über Stunden hängen zu bleiben, es sich gemütlich zu machen, was angesichts des Überangebots an guten Lokalen in Wien schade ist. Jetzt ist endlich ein Wanderführer durch die „Wiener Szenelokale” erschienen, der den Gästen Beine macht und sie auf zwölf Routen durch Bars, Beisels, Kaffeehäuser und Restaurants schickt. Ein Führer aus der Reihe „Falters City Walks”.
„Der Falter” ist Wiens Stadtzeitung, die sich in der Verbindung von Spaß und Kultur Sporen verdient und das kulturelle Leben der Stadt wesentlich mitbestimmt hat. Und so verlässlich wie die Zeitung ist auch dieser Führer von Florian Holzer. Das schmale Bändchen, das man sich mühelos in die Sakkotasche stecken kann, bietet neben präzisen Beschreibungen der Lokalitäten viele Fotos und Stadtplanskizzen, die den Weg in die berühmte Bäckerstraße im ersten Bezirk weisen, ins nahe gelegene Bermudadreieck, zum Naschmarkt, zum Spittelberg und bis hinauf zum Gürtel, der äußeren Ringstraße, die sich allmählich zum Boulevard entwickelt.
Holzer beschreibt auch die Stimmung der Lokale, vom In-Lokal bis zum Würstelstand. „Wien ist endlich lustig geworden”, schreibt Holzer. Und so schleppt er seine Leser von den Wiener BoBos, den Bourgeois Bohemiens im Café Prückel, bis zu den Problemzonen, wo sich neben den Branntweinern unter den Bögen der Stadtbahn am Gürtel eine neue Kneipenszene etabliert. Holzer führt und verführt zum „Gehen, Sehen und Genießen”.
HELMUT SCHÖDEL
FLORIAN HOLZER: Wiener Szenelokale. Falter, Wien 2002. 128 Seiten, 8 Euro
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Bisher gehörte es zum Wiener Stil, in einem Etablissement über Stunden hängen zu bleiben, es sich gemütlich zu machen, was angesichts des Überangebots an guten Lokalen in Wien schade ist. Jetzt ist endlich ein Wanderführer durch die „Wiener Szenelokale” erschienen, der den Gästen Beine macht und sie auf zwölf Routen durch Bars, Beisels, Kaffeehäuser und Restaurants schickt. Ein Führer aus der Reihe „Falters City Walks”.
„Der Falter” ist Wiens Stadtzeitung, die sich in der Verbindung von Spaß und Kultur Sporen verdient und das kulturelle Leben der Stadt wesentlich mitbestimmt hat. Und so verlässlich wie die Zeitung ist auch dieser Führer von Florian Holzer. Das schmale Bändchen, das man sich mühelos in die Sakkotasche stecken kann, bietet neben präzisen Beschreibungen der Lokalitäten viele Fotos und Stadtplanskizzen, die den Weg in die berühmte Bäckerstraße im ersten Bezirk weisen, ins nahe gelegene Bermudadreieck, zum Naschmarkt, zum Spittelberg und bis hinauf zum Gürtel, der äußeren Ringstraße, die sich allmählich zum Boulevard entwickelt.
Holzer beschreibt auch die Stimmung der Lokale, vom In-Lokal bis zum Würstelstand. „Wien ist endlich lustig geworden”, schreibt Holzer. Und so schleppt er seine Leser von den Wiener BoBos, den Bourgeois Bohemiens im Café Prückel, bis zu den Problemzonen, wo sich neben den Branntweinern unter den Bögen der Stadtbahn am Gürtel eine neue Kneipenszene etabliert. Holzer führt und verführt zum „Gehen, Sehen und Genießen”.
HELMUT SCHÖDEL
FLORIAN HOLZER: Wiener Szenelokale. Falter, Wien 2002. 128 Seiten, 8 Euro
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de