Ein Tenor wird mit seinem Kostüm ermordet, eine Soubrette unter einem Kulissenteil begraben und eine Sopranistin vergiftet. Und das am weltberühmten Wiener Opernhaus. Die Polizei ist machtlos und bittet Kaufhausdetektivin Carlotta Fiore um Hilfe. Die ist nicht nur gescheiterte Opernsängerin, sondern auch die Tochter der weltberühmten Sopranistin Maria Fiore. Eigentlich wollte Lotta die Welt von egozentrischen, hyperventilierenden Künstlern für immer hinter sich lassen. Sie hasst alles, was damit zusammenhängt. Aber so richtig spannend ist die Arbeit im Kaufhaus auch nicht. Also lässt sie sich als Statistin in die Oper einschleusen. Ihr zur Seite steht Konrad Fürst, ein ehemaliger Kriminalkommissar, der sich als Clown durchschlägt, seit vor langer Zeit seine kleine Tochter verschwunden ist. Doch der Mörder lässt sich nicht aufhalten - sein nächstes Ziel: Lotta Fiore.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.04.2015Große Operette
Theresa Prammers „Wiener Totenlieder“
Wo ließe sich schöner morden als auf der Opernbühne? Mit Orchestermusik. Vor Publikum! Theresa Prammer hat das messerscharf erkannt und einen Krimi geschrieben, der jedes Libretto alt aussehen lässt, die „Fledermaus“ genauso wie die düstersten Shakespeare-Opern Verdis, die traurigsten Melodramen Puccinis und die spritzigsten Mozart-Kracher. Wenn der Titel „Wiener Totenlieder“ heißt, ist das eine klare Ansage: Totenlieder – da wird’s schaurig. Aber Wiener – das ist das Attribut des potenziellen Irrsinns und auch ein Versprechen: Es bedeutet, dass das Buch normalerweise irrsinnig abgefahren wird, wenn sich die Autorin mit Wien auskennt und das Versprechen einzulösen gedenkt.
Die Geschichte beginnt nach einem makabren Vorspiel wie eine Komödie, ziemlich plötzlich knallt dann aber ein dramatischer Strang in die Handlung, und wo er zuvor munter dahinplätschert wie ein Divertimento, wird der Krimi von da an zum Thriller. Zum Glück vergisst Theresa Prammer beim Ausdehnen ihres Spannungsbogens nicht, wo sie herkommt und welchem Humor sie durch ihre Provenienz verpflichtet ist: Prammer ist Wienerin, 1974 kam sie hier zur Welt. Deswegen bleibt ihr Debüt-Krimi mit vielen bizarren Kleinideen wohltuend wienerisch und unskandinavisch. Wo Mankell und seine schwedischen Kollegen ausgebeutete Grubenarbeiter oder radioaktiv verseuchte Kinder nach Luft schnappen lassen würden, fällt der Österreicherin noch ein Schlenker ins Komische, eine Slapstick-Szene oder ein saftiger Liebesdialog ein. Folgerichtig wird der Roman auch extrem schnulzig, und zwar genau da, wo er extrem schnulzig sein darf: am Ende.
Ihre Protagonistin und Ich-Erzählerin Lotta Fiore ist ein wildes Huhn. Mitte, Ende zwanzig, verwaiste Tochter und Opfer einer weltweit gefeierten Opernsopranistin, eine Preisklasse mit der Callas und der Netrebko. Bei der Aufnahmeprüfung der Polizei gescheitert, promiskuitiv, Trinkerin. Finanziert sich ihren Schnaps als Kaufhausdetektivin in einem Möbelgroßmarkt, wo sie täglich Besuch bekommt von der dicken Henriette, einer offenbar geistig behinderten Frau aus dem städtischen Versorgungsheim, die klaut, um mit Lotta Kaffee trinken zu dürfen. Wie Prammer die beiden Frauen am Ende wieder zusammenführt, ist meisterhafte Webkunst.
Durch diesen Teppich aus Ereignissen ziehen sich drei Hauptfäden: die Morde auf der Bühne der Wiener Oper, die Übergriffe eines Psychopathen, den Lotta zufällig zum nächtlichen Zeitvertreibssex abschleppte, und die Geschichte Lottas mit ihrem wesentlich älteren Co-Undercover-Ermittler Konrad. Die Leser ahnen schnell, dass Lotta die Tochter sein könnte, die Konrad seit Jahren sucht – und wegen der er den Polizeidienst quittierte. Aber je offensichtlicher für Außenstehende, wie es Leser nun mal sind, das Tochter-Vater-Verhältnis wird, desto spannender wird die Frage, wie Prammer dieses Problem noch plausibel oder zumindest glaubwürdig löst. Sie schafft es. An einem Sterbebett natürlich.
Und selbstverständlich ist dieser Krimi auch nicht jugendfrei. Man hat von Balletttänzern schon viel gehört, dass sie sich gegenseitig vor Premieren Pferdesalbe ins Suspensorium schmieren zum Beispiel, meistens aus Jux. Dass sie sich dann aber vor dem Auftritt vibrierende Küglein in den Unterleib praktizieren, die dann explodieren und den Körper der Ballerina gleich mit in die Luft jagen, das spricht dann wohl doch für die Fantasie der Autorin. Was ein Unfall ist, was ein Mord, es ist irgendwann egal. Das größte Scheusal des Buches, eine Natter von Bühnenbildner, der Lottas Glück auf dem Gewissen hat, baumelt am Bühnenvorhang. Und die Wiener Oper ist endlich wieder voll. Zauberflöte, West Side Story, Fledermaus, Land des Lächelns – was für ein wunderbar pietätloser Soundtrack für den Bühnentod, den echten!
Wie in den meisten Kriminalromanen dominieren auch in Theresa Prammers Geschichte Dialoge. Als österreichische Schriftstellerin hat sie allerdings den unschätzbaren Vorteil gegenüber allen anderen, dass man sich ihre Zwiegespräche auf Österreichisch vorstellen kann. Der einfache Satz „Das Arschloch von Kostümbildner, mit dem ich heute morgen gestritten habe“ klingt dann gleich nach dem Fernseh-Klassiker „Kottan ermittelt“ und nach Josef Hader, dem Darsteller des Brenner aus den Wolf-Haas-Romanen.
Fieser Vergleich mit einem Giganten? Keineswegs. Wenn Haas’ Brenner ein weibliches Pendant suchte oder, noch besser, eine Partnerin zum Duett, voilà: Theresa Prammer kann ihre Lotta Fiore sofort zum Vorsingen schicken. Und wenn sie dann scheitert, entspricht das nur ihrem Naturell.
RUDOLF NEUMAIER
Was für ein wunderbar
pietätloser Soundtrack für den
Bühnentod, den echten!
Theresa Prammer:
Wiener Totenlieder.
Verlag Marion von
Schröder, Berlin 2015.
384 Seiten, 16,99 Euro. E-Book 14,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Theresa Prammers „Wiener Totenlieder“
Wo ließe sich schöner morden als auf der Opernbühne? Mit Orchestermusik. Vor Publikum! Theresa Prammer hat das messerscharf erkannt und einen Krimi geschrieben, der jedes Libretto alt aussehen lässt, die „Fledermaus“ genauso wie die düstersten Shakespeare-Opern Verdis, die traurigsten Melodramen Puccinis und die spritzigsten Mozart-Kracher. Wenn der Titel „Wiener Totenlieder“ heißt, ist das eine klare Ansage: Totenlieder – da wird’s schaurig. Aber Wiener – das ist das Attribut des potenziellen Irrsinns und auch ein Versprechen: Es bedeutet, dass das Buch normalerweise irrsinnig abgefahren wird, wenn sich die Autorin mit Wien auskennt und das Versprechen einzulösen gedenkt.
Die Geschichte beginnt nach einem makabren Vorspiel wie eine Komödie, ziemlich plötzlich knallt dann aber ein dramatischer Strang in die Handlung, und wo er zuvor munter dahinplätschert wie ein Divertimento, wird der Krimi von da an zum Thriller. Zum Glück vergisst Theresa Prammer beim Ausdehnen ihres Spannungsbogens nicht, wo sie herkommt und welchem Humor sie durch ihre Provenienz verpflichtet ist: Prammer ist Wienerin, 1974 kam sie hier zur Welt. Deswegen bleibt ihr Debüt-Krimi mit vielen bizarren Kleinideen wohltuend wienerisch und unskandinavisch. Wo Mankell und seine schwedischen Kollegen ausgebeutete Grubenarbeiter oder radioaktiv verseuchte Kinder nach Luft schnappen lassen würden, fällt der Österreicherin noch ein Schlenker ins Komische, eine Slapstick-Szene oder ein saftiger Liebesdialog ein. Folgerichtig wird der Roman auch extrem schnulzig, und zwar genau da, wo er extrem schnulzig sein darf: am Ende.
Ihre Protagonistin und Ich-Erzählerin Lotta Fiore ist ein wildes Huhn. Mitte, Ende zwanzig, verwaiste Tochter und Opfer einer weltweit gefeierten Opernsopranistin, eine Preisklasse mit der Callas und der Netrebko. Bei der Aufnahmeprüfung der Polizei gescheitert, promiskuitiv, Trinkerin. Finanziert sich ihren Schnaps als Kaufhausdetektivin in einem Möbelgroßmarkt, wo sie täglich Besuch bekommt von der dicken Henriette, einer offenbar geistig behinderten Frau aus dem städtischen Versorgungsheim, die klaut, um mit Lotta Kaffee trinken zu dürfen. Wie Prammer die beiden Frauen am Ende wieder zusammenführt, ist meisterhafte Webkunst.
Durch diesen Teppich aus Ereignissen ziehen sich drei Hauptfäden: die Morde auf der Bühne der Wiener Oper, die Übergriffe eines Psychopathen, den Lotta zufällig zum nächtlichen Zeitvertreibssex abschleppte, und die Geschichte Lottas mit ihrem wesentlich älteren Co-Undercover-Ermittler Konrad. Die Leser ahnen schnell, dass Lotta die Tochter sein könnte, die Konrad seit Jahren sucht – und wegen der er den Polizeidienst quittierte. Aber je offensichtlicher für Außenstehende, wie es Leser nun mal sind, das Tochter-Vater-Verhältnis wird, desto spannender wird die Frage, wie Prammer dieses Problem noch plausibel oder zumindest glaubwürdig löst. Sie schafft es. An einem Sterbebett natürlich.
Und selbstverständlich ist dieser Krimi auch nicht jugendfrei. Man hat von Balletttänzern schon viel gehört, dass sie sich gegenseitig vor Premieren Pferdesalbe ins Suspensorium schmieren zum Beispiel, meistens aus Jux. Dass sie sich dann aber vor dem Auftritt vibrierende Küglein in den Unterleib praktizieren, die dann explodieren und den Körper der Ballerina gleich mit in die Luft jagen, das spricht dann wohl doch für die Fantasie der Autorin. Was ein Unfall ist, was ein Mord, es ist irgendwann egal. Das größte Scheusal des Buches, eine Natter von Bühnenbildner, der Lottas Glück auf dem Gewissen hat, baumelt am Bühnenvorhang. Und die Wiener Oper ist endlich wieder voll. Zauberflöte, West Side Story, Fledermaus, Land des Lächelns – was für ein wunderbar pietätloser Soundtrack für den Bühnentod, den echten!
Wie in den meisten Kriminalromanen dominieren auch in Theresa Prammers Geschichte Dialoge. Als österreichische Schriftstellerin hat sie allerdings den unschätzbaren Vorteil gegenüber allen anderen, dass man sich ihre Zwiegespräche auf Österreichisch vorstellen kann. Der einfache Satz „Das Arschloch von Kostümbildner, mit dem ich heute morgen gestritten habe“ klingt dann gleich nach dem Fernseh-Klassiker „Kottan ermittelt“ und nach Josef Hader, dem Darsteller des Brenner aus den Wolf-Haas-Romanen.
Fieser Vergleich mit einem Giganten? Keineswegs. Wenn Haas’ Brenner ein weibliches Pendant suchte oder, noch besser, eine Partnerin zum Duett, voilà: Theresa Prammer kann ihre Lotta Fiore sofort zum Vorsingen schicken. Und wenn sie dann scheitert, entspricht das nur ihrem Naturell.
RUDOLF NEUMAIER
Was für ein wunderbar
pietätloser Soundtrack für den
Bühnentod, den echten!
Theresa Prammer:
Wiener Totenlieder.
Verlag Marion von
Schröder, Berlin 2015.
384 Seiten, 16,99 Euro. E-Book 14,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
"Wo ließe sich schöner morden als auf der Opernbühne? Mit Orchestermusik. Vor Publikum! Theresa Prammer hat es messerscharf erkannt und einen Krimi geschrieben, der jedes Libretto alt aussehen lässt, die "Fledermaus" genauso wie die düsteren Shakespeare-Opern Verdis, die traurigsten Melodramen Puccinis und die spritzigsten Mozart-Kracher.", Süddeutsche Zeitung, Rudolf Neumaier, 14.04.2015