Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.12.2007Tut ihm das nicht an!
Der Zeichner Paul Flora ist ein Pessimist, der auch den Leser gern verspottet. Seine Erinnerungen sind jetzt aber ein Buch geworden, das über Paul Flora spottet.
Der eine ist bald hundert Jahre tot, der andere feierte im Sommer fünfundachtzigsten Geburtstag - zwei Künstler, die sich ins Herz des deutschsprachigen Publikums gezeichnet haben: Wilhelm Busch und Paul Flora. Natürlich bewundert der Nachgeborene den großen Vorläufer, aber er lässt sich davon nicht das scharfe Urteil trüben: "Busch ist ein Beispiel dafür, was Humoristen oft sind: traurige Pessimisten und Menschenfeinde, Reaktionäre, an der Zeit leidend. Sie können das alles so liebenswürdig servieren, dass die Leute darin etwas Vertrautes erblicken, etwas auf angenehm Umgedeutetes. Obwohl der Humorist es nicht so gemeint hat und der Betrachter in seiner Erheiterung nicht ahnt, dass er selbst verspottet wird."
Dieses Urteil verdanken wir Felizitas von Schönborn, die ihren zahlreichen Gesprächsporträts prominenter Zeitgenossen wie dem Dalai Lama, Astrid Lindgren, Eugen Drewermann oder Peter Ustinov nun ein besonders umfangreiches über Paul Flora folgen lässt. Es erscheint bei Diogenes, Floras Hausverlag, und soll anscheinend die Autobiographie ersetzen, die der nimmermüde Flora uns wohl doch nicht mehr gönnen wird. Wir werden's verkraften, solange er weiterzeichnet, und so richtig Sorgen machen wir uns darum nicht.
Sorgen aber muss man sich um Autorin und Verlag machen. Zunächst betreffs der Titelwahl: "Wie's halt so kommt" heißt das Buch, und die einzige Stelle, wo's halt so geschrieben steht, ist eine Passage aus der Feder Frau von Schönborns. Gut, Flora wird von ihr im Epilog als gutmütiger Misanthrop gedeutet, aber sie selbst sagt nur eine Seite später: "Es gibt wohl pessimistischere Pessimisten als den Pessimisten Paul Flora." Und der Witz, mit dem sich der 1922 im südtirolischen Glurns geborene Zeichner durch ein Leben laviert hat, das immerhin tausend Jahre Nazizeit umfasste und ihn als Karikaturisten der "Zeit" von 1957 an für anderthalb Jahrzehnte zum international bewunderten politischen Spötter machte, ehe er als Künstler anerkannt und in Österreich sogar höchstgeehrt wurde (1962 jüngster Professor im Land der Professoren!), spricht für alles Mögliche, aber gewiss nicht für Kapitulation vor dem Schicksal.
Flora gilt als menschenscheu, aber das war für Felizitas von Schönborn nur noch mehr Ansporn. Der in Innsbruck lebende Zeichner hat ihr tatsächlich sein ganzes Leben erzählt, und die Chronistin ist so stolz darauf, dass sie sich kein einziges Wörtlein entgehen lassen wollte. Anders ist es nicht zu erklären, warum es Anekdoten gibt, in denen man verzweifelt nach dem Anekdotischen sucht. Stellvertretend für eine Vielzahl von Banalitäten sei eine wiedergegeben, die Frau von Schönborn über den März 1945 erzählt, als Flora an der slowakischen Front stationiert war und erfolglos versucht hatte, sich den Finger zu brechen, um dem Krieg zu entkommen. "Zurückgekehrt, ging Flora zum Truppenarzt, einem Unterarzt, der ihm verordnete: ,Halten Sie den Finger in kaltes Wasser. Etwas anderes kann man da nicht machen!' Flora hielt den Finger ins Wasser, solange ihn der Arzt beobachtete, kaum war dieser mit etwas anderem beschäftigt, zog er ihn flugs wieder heraus." Dürfen wir annehmen, dass Flora heute noch mit dem Finger im Wasser in der Slowakei stünde, wenn der Arzt damals nicht weggesehen hätte, oder worin soll hier der Witz bestehen?
Das Buch strotzt zudem vor stilistischen Mängeln wie der Verwechslung von Konjunktiv I mit Konjunktiv II, Rechtschreibfehlern (Kawendel statt Karwendel, Arlbertina statt Albertina), falschen grammatikalischen Bezügen ("Vier Wochen vor Kriegsende kam ein SS-Gerichtshof aus Verona nach Innsbruck, das angesichts des nahenden Kriegsendes das Ersturteil bestätigte"), ausgelassenen Anführungszeichen, so dass man nicht weiß, wo Flora aufhört und Frau von Schönborn einsetzt oder umgekehrt, Redundanzen, Dopplungen, sachlichen Fehlern (kein deutscher Bundeskanzler außer Adenauer soll es laut Felizitas von Schönborn auf vierzehn Jahre Amtszeit gebracht haben) und grotesken Unkenntnissen (über Kästners Rolle im "Dritten Reich" heißt es: "Er bekam auch eine Ausnahmegenehmigung, um Drehbücher zu Filmen wie Der kleine Grenzverkehr oder zu einem Münchhausen-Film zu schreiben. 1942 hat Erich Kästner auch das Drehbuch zu einem prestigeträchtigen Jubiläumsfilm der UFA unter dem Pseudonym Berthold Bürger verfasst" - nun, dieser Jubiläumsfilm war "Münchhausen"). Kurz: Dieses Buch hat nie ein Lektorat gesehen.
Solche Sorglosigkeit, um nicht zu sagen: Unverantwortlichkeit hat Paul Flora nicht verdient. Genauso wenig wie das Zitatkaleidoskop mit unzähligen anderen Lobpreisern seiner Zeichenkunst, das Felizitas von Schönborn als eigenes Vorwort ausweist. Es ist ein böses Spiel, das Diogenes mit einem Autor treibt, der dem Verlag seit dessen erstem Programm von 1958 die Treue gehalten hat. Denn sein Name steht auf dem Umschlag vorne - als hätte er dieses missratene Werk zu verantworten. Dieser Humorist hat es nicht so gemeint, und man muss fürchten, dass er in seiner Erheiterung über das Erscheinen des Buchs nicht ahnt, dass er selbst verspottet wird.
ANDREAS PLATTHAUS
Paul Flora: "Wie's halt so kommt". Erinnerungen aufgezeichnet von Felizitas von Schönborn. Diogenes Verlag, Zürich 2007. 314 S., Abb., geb., 21,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Zeichner Paul Flora ist ein Pessimist, der auch den Leser gern verspottet. Seine Erinnerungen sind jetzt aber ein Buch geworden, das über Paul Flora spottet.
Der eine ist bald hundert Jahre tot, der andere feierte im Sommer fünfundachtzigsten Geburtstag - zwei Künstler, die sich ins Herz des deutschsprachigen Publikums gezeichnet haben: Wilhelm Busch und Paul Flora. Natürlich bewundert der Nachgeborene den großen Vorläufer, aber er lässt sich davon nicht das scharfe Urteil trüben: "Busch ist ein Beispiel dafür, was Humoristen oft sind: traurige Pessimisten und Menschenfeinde, Reaktionäre, an der Zeit leidend. Sie können das alles so liebenswürdig servieren, dass die Leute darin etwas Vertrautes erblicken, etwas auf angenehm Umgedeutetes. Obwohl der Humorist es nicht so gemeint hat und der Betrachter in seiner Erheiterung nicht ahnt, dass er selbst verspottet wird."
Dieses Urteil verdanken wir Felizitas von Schönborn, die ihren zahlreichen Gesprächsporträts prominenter Zeitgenossen wie dem Dalai Lama, Astrid Lindgren, Eugen Drewermann oder Peter Ustinov nun ein besonders umfangreiches über Paul Flora folgen lässt. Es erscheint bei Diogenes, Floras Hausverlag, und soll anscheinend die Autobiographie ersetzen, die der nimmermüde Flora uns wohl doch nicht mehr gönnen wird. Wir werden's verkraften, solange er weiterzeichnet, und so richtig Sorgen machen wir uns darum nicht.
Sorgen aber muss man sich um Autorin und Verlag machen. Zunächst betreffs der Titelwahl: "Wie's halt so kommt" heißt das Buch, und die einzige Stelle, wo's halt so geschrieben steht, ist eine Passage aus der Feder Frau von Schönborns. Gut, Flora wird von ihr im Epilog als gutmütiger Misanthrop gedeutet, aber sie selbst sagt nur eine Seite später: "Es gibt wohl pessimistischere Pessimisten als den Pessimisten Paul Flora." Und der Witz, mit dem sich der 1922 im südtirolischen Glurns geborene Zeichner durch ein Leben laviert hat, das immerhin tausend Jahre Nazizeit umfasste und ihn als Karikaturisten der "Zeit" von 1957 an für anderthalb Jahrzehnte zum international bewunderten politischen Spötter machte, ehe er als Künstler anerkannt und in Österreich sogar höchstgeehrt wurde (1962 jüngster Professor im Land der Professoren!), spricht für alles Mögliche, aber gewiss nicht für Kapitulation vor dem Schicksal.
Flora gilt als menschenscheu, aber das war für Felizitas von Schönborn nur noch mehr Ansporn. Der in Innsbruck lebende Zeichner hat ihr tatsächlich sein ganzes Leben erzählt, und die Chronistin ist so stolz darauf, dass sie sich kein einziges Wörtlein entgehen lassen wollte. Anders ist es nicht zu erklären, warum es Anekdoten gibt, in denen man verzweifelt nach dem Anekdotischen sucht. Stellvertretend für eine Vielzahl von Banalitäten sei eine wiedergegeben, die Frau von Schönborn über den März 1945 erzählt, als Flora an der slowakischen Front stationiert war und erfolglos versucht hatte, sich den Finger zu brechen, um dem Krieg zu entkommen. "Zurückgekehrt, ging Flora zum Truppenarzt, einem Unterarzt, der ihm verordnete: ,Halten Sie den Finger in kaltes Wasser. Etwas anderes kann man da nicht machen!' Flora hielt den Finger ins Wasser, solange ihn der Arzt beobachtete, kaum war dieser mit etwas anderem beschäftigt, zog er ihn flugs wieder heraus." Dürfen wir annehmen, dass Flora heute noch mit dem Finger im Wasser in der Slowakei stünde, wenn der Arzt damals nicht weggesehen hätte, oder worin soll hier der Witz bestehen?
Das Buch strotzt zudem vor stilistischen Mängeln wie der Verwechslung von Konjunktiv I mit Konjunktiv II, Rechtschreibfehlern (Kawendel statt Karwendel, Arlbertina statt Albertina), falschen grammatikalischen Bezügen ("Vier Wochen vor Kriegsende kam ein SS-Gerichtshof aus Verona nach Innsbruck, das angesichts des nahenden Kriegsendes das Ersturteil bestätigte"), ausgelassenen Anführungszeichen, so dass man nicht weiß, wo Flora aufhört und Frau von Schönborn einsetzt oder umgekehrt, Redundanzen, Dopplungen, sachlichen Fehlern (kein deutscher Bundeskanzler außer Adenauer soll es laut Felizitas von Schönborn auf vierzehn Jahre Amtszeit gebracht haben) und grotesken Unkenntnissen (über Kästners Rolle im "Dritten Reich" heißt es: "Er bekam auch eine Ausnahmegenehmigung, um Drehbücher zu Filmen wie Der kleine Grenzverkehr oder zu einem Münchhausen-Film zu schreiben. 1942 hat Erich Kästner auch das Drehbuch zu einem prestigeträchtigen Jubiläumsfilm der UFA unter dem Pseudonym Berthold Bürger verfasst" - nun, dieser Jubiläumsfilm war "Münchhausen"). Kurz: Dieses Buch hat nie ein Lektorat gesehen.
Solche Sorglosigkeit, um nicht zu sagen: Unverantwortlichkeit hat Paul Flora nicht verdient. Genauso wenig wie das Zitatkaleidoskop mit unzähligen anderen Lobpreisern seiner Zeichenkunst, das Felizitas von Schönborn als eigenes Vorwort ausweist. Es ist ein böses Spiel, das Diogenes mit einem Autor treibt, der dem Verlag seit dessen erstem Programm von 1958 die Treue gehalten hat. Denn sein Name steht auf dem Umschlag vorne - als hätte er dieses missratene Werk zu verantworten. Dieser Humorist hat es nicht so gemeint, und man muss fürchten, dass er in seiner Erheiterung über das Erscheinen des Buchs nicht ahnt, dass er selbst verspottet wird.
ANDREAS PLATTHAUS
Paul Flora: "Wie's halt so kommt". Erinnerungen aufgezeichnet von Felizitas von Schönborn. Diogenes Verlag, Zürich 2007. 314 S., Abb., geb., 21,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ein solches Buch hat Paul Flora nicht verdient, schimpft Andreas Platthaus, ohne Zweifel ein Liebhaber des Innsbrucker Zeichners und Karikaturisten. Vorgelegt hat es Felizitas von Schönborn, in Form eines Gesprächsinterviews, aber Flora scheint er darin nicht wiederzuerkennnen. Ohne Sinn für Pointen reihe die Autorin all das aneinander, was ihr Flora erzählt habe. Dabei strotze der Band vor Fehlern, grämt sich Platthaus, vor grammatikalischen, stilistischen und inhaltlichen. "Dieses Buch hat nie ein Lektorat gesehen", ärgert sich der Rezensent, und dies umso mehr, als das Buch bei Diogenes in Floras Hausverlag erschienen ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Der freundlichste unter den bedeutenden Künstlern der Gegenwart. Die Bilder des melancholischen Großmeisters sind nicht traurig, sondern geistreich, spöttisch, elegant.« Karl-Magnus Gauss / Neue Zürcher Zeitung Neue Zürcher Zeitung