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Eric Hobsbawm, einer der bedeutendsten Historiker unseres Jahrhunderts, reflek tiert in 17 Aufsätzen und Vorträgen über den Gebrauch und Missbrauch von Geschi chte in Gesellschaft und Politik und den Wert der Geschichte für andere Disziplinen. Durch die gezielte Auswahl der Texte, die in den letzten 30 Jahren entstanden sind, und Hobsbawms Begründung seiner eigenen Geschichtsauffassung, legt er eine sehr persönliche Geschichtsphilosophie vor, die verdeutlicht, dass Geschich tsforschung auch in unserer Zeit der welthistorischen Umbrüche und rasenden Beschleunigungen zum Verständnis der gesellschaftlichen Prozesse beiträgt.…mehr

Produktbeschreibung
Eric Hobsbawm, einer der bedeutendsten Historiker unseres Jahrhunderts, reflek tiert in 17 Aufsätzen und Vorträgen über den Gebrauch und Missbrauch von Geschi chte in Gesellschaft und Politik und den Wert der Geschichte für andere Disziplinen. Durch die gezielte Auswahl der Texte, die in den letzten 30 Jahren entstanden sind, und Hobsbawms Begründung seiner eigenen Geschichtsauffassung, legt er eine sehr persönliche Geschichtsphilosophie vor, die verdeutlicht, dass Geschich tsforschung auch in unserer Zeit der welthistorischen Umbrüche und rasenden Beschleunigungen zum Verständnis der gesellschaftlichen Prozesse beiträgt.
Autorenporträt
Geboren am 9. Juni 1917 in Alexandria, Ägypten. Schulzeit in Wien (bis 1931), Berlin (1931-33) und London (1933-36). Nach dem Studium an der University of Cambridge, King's College (1936-39; 1951 Dr. phil.) und dem Militärdienst in der britischen Armee (1940-46) begann Hobsbawm seine Lehrtätigkeit am Birkbeck College, University of London 1947-71). Von 1971 bis zur Emeritierung 1982 hatte er eine Professur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der University of London inne.
1950-55 Fellow of King's College, Cambridge. Verschiedene Gastprofessuren. Ab 1984 Lehrstuhl für Politik und Gesellschaft an der New School for Social Research, New York.
Eric J. Hobsbawm, verheiratet mit Marlene, geb. Schwarz, lebte bis zu seinem Tod im Oktober 2012 in London.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998

Fortuna, Du!
Eric Hobsbawm erklärt, warum Historiker nachträglich in die Zukunft blicken / Von Franziska Augstein

Wann gibt es das schon, daß ein Historiker eine Epocheneinteilung vornimmt, die seinem eigenen Lebensalter entspricht, und, genaugenommen, davon sogar eingefaßt ist? Eric Hobsbawm wurde im Jahr der Oktoberrevolution geboren: Von 1917 bis 1989 erstreckt sich die Zeit, die er das "kurze zwanzigste Jahrhundert" nennt. Wenn bedeutende Historiker in die Jahre kommen, wird die Geschichte, die sie schreiben, zu ihrer eigenen Geschichte. Für Hobsbawm gilt das auch: Sein "Zeitalter der Extreme" handelt von den Dekaden, die er selbst erlebt hat. Außerdem blickt er auf einen langen Weg zurück, an dessen Rändern sich Meinungen und Hoffnungen abgesetzt haben, die er einst unterhielt und zu denen er mittlerweile ein von der Historie gebrochenes Verhältnis hat.

Allein schon deshalb ist die Sammlung von Texten aus dreißig Jahren mehr als eine Expedition in die Schublade. An den einundzwanzig Artikeln, Rezensionen und Ansprachen läßt sich die Entwicklung ablesen, die der Historiker und sein Fach durchgemacht haben. Im großen und ganzen werden die älteren Texte vor allem jene Leser ansprechen, die etwas über Hobsbawm erfahren wollen, während die sechs Essays aus den neunziger Jahren für jedermann aufregende Lektüre sind.

Hobsbawm hat seinen Marxismus nicht unter Geklingel zu Markte getragen. Das liegt auch daran, daß er selbst so viel dazu getan hat, die marxistische Schule der britischen Geschichtsforschung auf die Füße zu bringen. Seitdem letztere etabliert ist, spricht er über den historischen Materialismus als analytische Methode wie einer, der es nicht nötig hat, neue Anhänger zu gewinnen. Wer Marx nicht mag, rät der Professor gelassen, solle halt Burckhardt oder Schumpeter lesen. In seine Vorträge schaltet er gelegentlich einen "kurzen Werbespot", um zu erklären, warum der Marxismus als Methode gleichwohl nützlich ist.

Postmoderne Allüren interessieren Hobsbawm ebensowenig wie das Bestreben, die Historie von Zufall und Zeitgebundenheit zu befreien, bis nur mehr das anthropologisch Ewige übrigbleibt. Er hält vielmehr am dramatischen Geschichtsverständnis der Marxisten fest: an der Uridee vom unablässigen Widerstreit, von Kampf und Krise. Kurz: sein Thema ist der historische Wandel. Sofern er geschichtliche Konstanten zuläßt, bestehen sie für ihn nicht in der Mentalität der Menschen, sondern in den "Mustern und Mechanismen", nach denen der Zwist verschiedener Interessen vonstatten geht.

Die Beispiele, mit denen er diese Muster und Mechanismen illustriert, sind aus dem bunten Leben des Erdballs gegriffen. Es gibt nicht viele Autoren, die in einem Atemzug von Metternich und Tudjman sinnvoll reden können. Hobsbawm ist ein Interpret des großen Weltorchesters, er hört noch den kleinsten Ton. Und wenn in Peru die Bauern ihr angestammtes Land zurückfordern, dann kann er erklären, inwiefern ihre Lage derjenigen der neapolitanischen Landbevölkerung und der russischen Bauernschaft des neunzehnten Jahrhunderts ähnlich ist. Allen gemeinsam, schrieb er 1988, sei ein Eigentumsbegriff, der mit dem des Bürgertums nichts zu tun hatte: Die Bauern besetzten das Land nicht nur, sie begannen sofort, es zu bearbeiten. Land besitzen habe für sie geheißen, es zu bebauen. Ohne es zu wissen, rechtfertigten sie den Eigentumsbegriff des vermeintlichen bourgeoisen Vordenkers John Locke.

Hobsbawms Überzeugung, daß es Gesetzmäßigkeiten des historischen Wandels gebe, wird von seiner gefühlsmäßigen Lust am Fortschritt begleitet. Sein Ausgangspunkt, einerlei an welchem Ort und in welcher Epoche der liegt, ist das Los der Unterdrückten. Denen geht es wie den Bremer Stadtmusikanten, die sich sagten: Etwas Besseres als den Tod finden wir überall. Über kurz oder lang hat die Geschichte den meisten deklassierten Gruppen zumindest ein bißchen recht gegeben - selten, weil sie Revolution gemacht hätten, meistens weil, wie Hobsbawm 1984 schrieb, sich die Menschheit im Lauf der Jahrhunderte immer besser darauf verstanden habe, "die Kräfte der Natur mit den Mitteln der manuellen und geistigen Arbeit, der Technik und der Organisation der Produktion unter ihre Kontrolle zu bringen". Hobsbawm fügte an, daß er "nichts dagegen" habe, das Fortschritt zu nennen. Und weil er ein Freund der Aufklärung ist, bemerkte er, daß die Zeit zwischen dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts und 1989 einen "materiellen und moralischen Fortschritt" dargestellt habe - trotz zweier Weltkriege und der Barbarei unseres Jahrhunderts.

So groß der rückwärtsgewandte Optimismus war, der aus diesen Worten spricht, so groß ist Hobsbawms Enttäuschung über den Lauf der Dinge seit dem Erlöschen der sozialistischen Utopie. In wenigstens fünf Essays hat er geschrieben, daß die Prognose zu den Aufgaben des Historikers gehöre. Wer hofft, mit Fortuna auf du und du zu stehen, ist doppelt düpiert, wenn sie dann ihrer unerwarteten Wege geht. Als Hobsbawm 1994 auf Einladung von amnesty international den Vortrag "Barbarei - eine Gebrauchsanleitung" hielt, war für ihn die Epoche der zunehmenden Zivilisierung vorbei, das "Projekt der Aufklärung" aufgekündigt. Wenn seine Essays aus jüngerer Zeit zwar pessimistisch, aber nicht verzagt klingen, dann liegt es vermutlich an seinem Naturell, das für die Tragödie nicht gemacht ist. Heutzutage hat er sich das Gewand des Auguren angezogen, der im Leib der Vergangenheit nach Argumenten dafür sucht, den Leuten Ideen auszureden, die in der Zukunft nur Ärger bringen.

"Wieviel Geschichte braucht die Zukunft" ist der gewiefte Titel, der im Deutschen anstelle des lapidaren "On History" gesetzt wurde. Die Klarheit von Udo Rennerts Übersetzung ist nicht zuletzt Hobsbawms Englisch zu danken, dessen luzide Simplizität mitunter sogar zu sehr durchscheint, weil Rennert etwas öfter, als schön ist, nicht darauf geachtet hat, wie man einen Gedanken auf deutsch natürlicherweise formulieren würde. Es ist nicht dasselbe, ob man sich auf deutsch oder auf englisch "wie ein Fisch im Wasser" fühlt (die Sprache einer Seefahrernation hat da bestimmte Vorbehalte). Auch sind Ausdrücke zustande gekommen wie die tautologische "Zukunftsprognose" oder "menschliche Art" für Menschheit oder "menschliche Gesellschaften" an Stellen, wo offensichtlich ist, daß Hobsbawm nicht von Elefantenpopulationen spricht. Hoch anzurechnen ist der Übersetzung das Bemühen, Hobsbawms Literaturangaben auf die entsprechenden deutschsprachigen Ausgaben zu beziehen.

Zur "Erfindung von Traditionen", Hobsbawms Konzept der rückblickenden Selbststilisierung von Nationen und Gemeinschaften, finden sich auch in diesem Buch geistvolle Beobachtungen. Europa selbst, lehrt Hobsbawm, sei ja auch so eine Erfindung: Erst im siebzehnten Jahrhundert hätten die Europäer begonnen, sich Europa als ihren Kontinent vorzustellen. Die "Tradition" hingegen, "die Europa nicht als einen Erdteil, sondern als einen Verein betrachtet, dessen Mitgliedschaft nur Anwärtern offensteht, denen ein Vereinsausschuß ihre Eignung bescheinigt hat, ist fast so alt wie der Name ,Europa' selbst". Vielleicht ist auch das ein Grund dafür, daß die Europäische Gemeinschaft so gut funktioniert hat.

Wieviel Geschichte braucht die Zukunft? Die Frage läßt sich am Ende einfach beantworten: Jede Menge - besonders wenn Hobsbawm sie schreibt.

Eric Hobsbawm: "Wieviel Geschichte braucht die Zukunft". Aus dem Englischen von Udo Rennert. Carl Hanser Verlag, München 1998. 368 S., geb., 49,80 DM.

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"Wieviel Geschichte braucht die Zukunft? Die Frage läßt sich am Ende einfach beantworten: Jede Menge – besonders wenn Hobsbawm sie schreibt." FAZ

"Dies ist ein sehr grundsätzliches und deshalb auch ein sehr persönliches Buch ... Geschichte als Aufklärung, dafür bricht dieses Buch eine Lanze. Doch es ist eine Aufklärung, die skeptisch und weise geworden ist, funkelnd und unterhaltsam, jederzeit für Selbstunterminierungen und Überraschungen gut." Die Welt