Kleine Flunkerei, große Wirkung: Weston Kogi kommt nach langen Jahren in England zur Beerdigung seiner Tante nach Alcacia, Westafrika, zurück und macht den Fehler, sich ein bisschen aufzuspielen und die Leute glauben zu lassen, er sei in London ein Police Detective. Ist er aber nicht, nur Wachmann in einem Einkaufszentrum. Er wird von zwei rivalisierenden Rebellengruppen mehr oder weniger gezwungen, den Mord an einem Konsenspolitiker aufzuklären, bzw. den Mord jeweils der anderen Rebellengruppe anzuhängen. Zu allem Überfluss mischt sich auch noch der brutale Geheimdienst der korrupten Regierung ein. Und Kogi muss nun sehen, wie er alle gegeneinander ausspielt und einigermaßen heil aus der Nummer herauskommt ...
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Kai Spanke scheint fasziniert von der Hemmungslosigkeit, mit der Tade Thompson seinen Thriller derart überlädt, dass man jederzeit fürchtet, er könne in sich zusammenbrechen - doch er tut es nicht. Weder Gewalt-Exzesse, noch archaische Männlichkeitsbilder, auch nicht die zahlreichen überraschenden Volten und völlig überstilisierten Figuren können diesen Koloss von Action-Roman zum Wanken bringen, lesen wir. Sicher und in rasendem Tempo bewegt er sich vorwärts auf den Schienen der Genre-Konventionen, hier und da mal eine Weiche nehmend, vom Abenteuerroman zur Detektivgeschichte und wieder zurück, so Spanke, mit einem kurzen Abstecher in den Feminismus, wenn die Freundin des Hauptprotagonistin plötzlich und - überraschenderweise bei all dem Testosteron in diesem Roman, eine Predigt über weibliche Selbstermächtigung vom Stapel lässt, die sich gewaschen hat. Jener Hauptprotagonist wiederum ist selbst so facettenreich, so widersprüchlich - man könnte auch sagen: überzeichnet, dass er dem Rezensenten wie eine "chamäleonhafte Karikatur" vorkommt - von allem etwas zu viel, und doch gerade richtig - eine Aussage, die wohl für den gesamten Roman gilt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2021Achtung, Testosteron
Tade Thompson feiert den absoluten Exzess
Weston Kogi, wohnhaft in London, besucht nach langer Zeit seine afrikanische Heimat Alcacia. Es soll ein kurzer Aufenthalt werden. Schnell hin, schnell zurück: "Ich konnte die Abreise gar nicht erwarten." Er hält es mit Gil Scott-Heron, der einst sang: "Home Is Where the Hatred Is". Vor fünfzehn Jahren ist Weston wegen massiver Unruhen aus dem Land geflüchtet. Hilfe bekam er von seiner Tante, auf deren Beerdigung er nun erscheint. Dort begegnet er einem alten Bekannten, der die Handlung von Tade Thompsons Thriller "Wild Card" ins Rollen bringt: "Church. Dieses Grinsen. Direkt aus meinen Albträumen von der weiterführenden Schule."
Bis zu diesem Punkt könnte man denken, das Buch würde erörtern, ob und unter welchen Bedingungen man in die einst verlassene Heimat zurückkehren kann. Doch für derartige Reflexionen interessiert sich Thompson, der als Autor von Science-Fiction-Literatur bekannt ist, bestenfalls am Rande. Wichtiger findet er einen rasanten Plot. Exzessive Gewalt? Wenn sie die Handlung vorantreibt, sehr gerne. Überzeichnete Figuren? Alles für die Durchschlagskraft der Geschichte. Sex und Action im Überfluss? Irgendwie muss man sich das Label "Pageturner" ja verdienen.
Jedenfalls erzählt Weston seinem ehemaligen Schulkameraden, er arbeite in England bei der Mordkommission. Tatsächlich ist er Wachmann in einem Supermarkt. Die Lüge brockt ihm einen comichaften, ja tarantinoesken Parforceritt durch die Unterwelt und höheren Kreise seiner Heimat ein. Denn ein Ermittler kommt gerade recht: Der Konsenspolitiker Pa Busi wurde ermordet. Täter unbekannt. Weston soll den Fall klären, möglichst schnell, möglichst effizient. Den Auftrag bekommt er sowohl von der Liberation Front of Alcacia (Motto: "In Guns We Trust"), der Church angehört, als auch von deren Rivalen, der People's Christian Army.
Beide Rebellengruppen entführen Weston nacheinander und zeigen ihm, wie man mit Feinden umgeht: "Ein Mann war mit den Handgelenken an einen Pfosten gekettet, mit den Fußknöcheln an einen Pick-up. Er schrie, weil der Pick-up vom Pfosten wegfuhr. . . . Dann riss das Rückgrat, Blut und Eingeweide spritzten, dann war ich derjenige, der schrie." Jetzt ist es an Weston, die Gruppen und den sich auch noch einmischenden Geheimdienst gegeneinander auszuspielen.
Das Personal entlehnt Thompson dem Hardboiled-Noir. Da ist auf der einen Seite die Femme fatale, die den Helden ganz wuschig macht, auf der anderen Seite muss man sich ständig um seine Ex- und Jetzt-wieder-Freundin Nana sorgen, die gleichwohl, das ahnt der Leser früh, abgründiger ist, als anfangs vermutet. Manches an diesem Thriller ist an klassischen Genremustern orientiert, die am Ende ein verblüffendes Ergebnis zeitigen: Die Pointe ist, dass es nach all der Bestialität und den vielen Plot-Twists keine besondere Pointe gibt. Man kriegt, was man erwartet. Wenn Nana schließlich zu einer kurzen, aber prägnanten Selbstauskunft ansetzt, mausert sich dieser vor Testosteron triefende Roman zu einem Plädoyer für weibliche Selbstbestimmung, das einen Großteil der männlichen Figuren alt aussehen lässt.
Der Weg dorthin hält sich mal an die Gepflogenheiten der Abenteuergeschichte, in der ein Held samt Entourage loszieht und Prüfungen besteht. Dann meint man, eine Detektivstory zu lesen, die von Gespräch zu Gespräch führt, bevor plötzlich doch wieder lauter potentielle Endgegner mit ihren Säbeln rasseln. Weston schlägt sich mit Schlangen, Skorpionen, Militärs, Biowaffen und somalischen Piraten herum. Hier detoniert eine Landmine, dort fallen Moskitos über den Protagonisten her, der vor nichts so panische Angst hat wie vor Malaria. Im Grunde ist er eine chamäleonhafte Karikatur: zu cool, zu hasenfüßig, zu souverän, zu indifferent, zu waghalsig, zu verdruckst.
Nein, ob man in die Heimat zurückkehren kann, ist hier wahrlich nicht die entscheidende Frage. Eigentlich geht es darum, wie zügellos sich Inhalt und Form eines Romans gestalten lassen, ohne dass er in sich zusammenfällt. Tade Thompson hat die passende Formel gefunden. KAI SPANKE
Tade Thompson: "Wild Card". Thriller.
Aus dem Englischen von Karl-Heinz Ebert. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 329 S., br., 10,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Tade Thompson feiert den absoluten Exzess
Weston Kogi, wohnhaft in London, besucht nach langer Zeit seine afrikanische Heimat Alcacia. Es soll ein kurzer Aufenthalt werden. Schnell hin, schnell zurück: "Ich konnte die Abreise gar nicht erwarten." Er hält es mit Gil Scott-Heron, der einst sang: "Home Is Where the Hatred Is". Vor fünfzehn Jahren ist Weston wegen massiver Unruhen aus dem Land geflüchtet. Hilfe bekam er von seiner Tante, auf deren Beerdigung er nun erscheint. Dort begegnet er einem alten Bekannten, der die Handlung von Tade Thompsons Thriller "Wild Card" ins Rollen bringt: "Church. Dieses Grinsen. Direkt aus meinen Albträumen von der weiterführenden Schule."
Bis zu diesem Punkt könnte man denken, das Buch würde erörtern, ob und unter welchen Bedingungen man in die einst verlassene Heimat zurückkehren kann. Doch für derartige Reflexionen interessiert sich Thompson, der als Autor von Science-Fiction-Literatur bekannt ist, bestenfalls am Rande. Wichtiger findet er einen rasanten Plot. Exzessive Gewalt? Wenn sie die Handlung vorantreibt, sehr gerne. Überzeichnete Figuren? Alles für die Durchschlagskraft der Geschichte. Sex und Action im Überfluss? Irgendwie muss man sich das Label "Pageturner" ja verdienen.
Jedenfalls erzählt Weston seinem ehemaligen Schulkameraden, er arbeite in England bei der Mordkommission. Tatsächlich ist er Wachmann in einem Supermarkt. Die Lüge brockt ihm einen comichaften, ja tarantinoesken Parforceritt durch die Unterwelt und höheren Kreise seiner Heimat ein. Denn ein Ermittler kommt gerade recht: Der Konsenspolitiker Pa Busi wurde ermordet. Täter unbekannt. Weston soll den Fall klären, möglichst schnell, möglichst effizient. Den Auftrag bekommt er sowohl von der Liberation Front of Alcacia (Motto: "In Guns We Trust"), der Church angehört, als auch von deren Rivalen, der People's Christian Army.
Beide Rebellengruppen entführen Weston nacheinander und zeigen ihm, wie man mit Feinden umgeht: "Ein Mann war mit den Handgelenken an einen Pfosten gekettet, mit den Fußknöcheln an einen Pick-up. Er schrie, weil der Pick-up vom Pfosten wegfuhr. . . . Dann riss das Rückgrat, Blut und Eingeweide spritzten, dann war ich derjenige, der schrie." Jetzt ist es an Weston, die Gruppen und den sich auch noch einmischenden Geheimdienst gegeneinander auszuspielen.
Das Personal entlehnt Thompson dem Hardboiled-Noir. Da ist auf der einen Seite die Femme fatale, die den Helden ganz wuschig macht, auf der anderen Seite muss man sich ständig um seine Ex- und Jetzt-wieder-Freundin Nana sorgen, die gleichwohl, das ahnt der Leser früh, abgründiger ist, als anfangs vermutet. Manches an diesem Thriller ist an klassischen Genremustern orientiert, die am Ende ein verblüffendes Ergebnis zeitigen: Die Pointe ist, dass es nach all der Bestialität und den vielen Plot-Twists keine besondere Pointe gibt. Man kriegt, was man erwartet. Wenn Nana schließlich zu einer kurzen, aber prägnanten Selbstauskunft ansetzt, mausert sich dieser vor Testosteron triefende Roman zu einem Plädoyer für weibliche Selbstbestimmung, das einen Großteil der männlichen Figuren alt aussehen lässt.
Der Weg dorthin hält sich mal an die Gepflogenheiten der Abenteuergeschichte, in der ein Held samt Entourage loszieht und Prüfungen besteht. Dann meint man, eine Detektivstory zu lesen, die von Gespräch zu Gespräch führt, bevor plötzlich doch wieder lauter potentielle Endgegner mit ihren Säbeln rasseln. Weston schlägt sich mit Schlangen, Skorpionen, Militärs, Biowaffen und somalischen Piraten herum. Hier detoniert eine Landmine, dort fallen Moskitos über den Protagonisten her, der vor nichts so panische Angst hat wie vor Malaria. Im Grunde ist er eine chamäleonhafte Karikatur: zu cool, zu hasenfüßig, zu souverän, zu indifferent, zu waghalsig, zu verdruckst.
Nein, ob man in die Heimat zurückkehren kann, ist hier wahrlich nicht die entscheidende Frage. Eigentlich geht es darum, wie zügellos sich Inhalt und Form eines Romans gestalten lassen, ohne dass er in sich zusammenfällt. Tade Thompson hat die passende Formel gefunden. KAI SPANKE
Tade Thompson: "Wild Card". Thriller.
Aus dem Englischen von Karl-Heinz Ebert. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 329 S., br., 10,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Nein, ob man in die Heimat zurückkehren kann, ist hier wahrscheinlich nicht die entscheidende Frage. Eigentlich geht es darum, wie zügellos sich Inhalt und Form eines Romans gestalten lassen, ohne dass er in sich zusammenfällt. Tade Thompson hat die passende Formel gefunden.« Kai Spanke Frankfurter Allgemeine Zeitung 20211004