Max likes to make noise, get dirty, ride his bike without a helmet and howl like a wolf. In any other age he would have just been considered a boy. These days he is considered wilful and deranged. After a row with his mother, Max runs away.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2009Ich fress dich auf, sagte Max
„Bei den Wilden Kerlen”: Spike Jonze hat aus Maurice Sendaks berühmtem Bilderbuch einen Film gemacht, sein Freund Dave Eggers hat das Drehbuch fortgeschrieben in einen Roman
Der Alex stellt sich gerne quer, er verweigert meistens den Konsens, die Gefolgschaft – selbst wenn man ihm die allerschönsten, die aufregendsten Aufgaben offeriert: „Alexander, willst du dafür zuständig sein, eine neue Sprache zu erfinden?”, fragt Max, der König der Wild Things, und Alexander, das Wild Thing mit dem Ziegenkopf, sagt: „Nein.”
Sie haben nun Namen, die wilden Wesen des Maurice Sendak, aus dem weltberühmten Kinderbuch von 1963, in dem Film, der eben danach gedreht wurde, von Spike Jonze. Nach dem Drehbuch dafür hat Dave Eggers nun ein Buch gemacht – Dave Eggers, der junge Star der amerikanischen Literaturszene, der sich nicht mit dem Schreiben begnügt („Ihr werdet (noch) merken, wie schnell wir sind”, 2002), sondern auch blogt und fürs Kino arbeitet. Man merkt dem Buch die Herkunft an, man spürt die Tausende von Stunden erregter Gespräche über die Natur, die Fallgeschichte, die Traumata und Möglichkeiten jedes einzelnen wild thing, Ungeheuer, Alexander und Carol und Katherine und die anderen. Dave Eggers und Spike Jonze haben dafür die Esszimmerwände mit riesigen Reproduktionen von Sendaks Zeichnungen bestückt und sich durchtränken lassen von der Präsenz der Monster.
Die Vorgeschichte ist zudem ausführlicher und intensiver geworden, der kleine Max und seine Mutter, die im Film von der wunderbaren Catherine Keener gespielt wird. Sie hat sich von Max’ Vater getrennt, und Max erfährt plötzlich immer wieder diese Momente von Verlassenheit und Eifersucht, reagiert mit Gereiztheit und Ungeheuerlichkeiten, ist einfach überfordert: „Du musst mir helfen, das Haus zusammenzuhalten, Max, anders geht es nicht . . . Du musst für Stabilität sorgen, nicht für Chaos.”
Aber das Chaos kommt, wie man es aus dem Sendak-Buch bestens in Erinnerung hat, nach einem heftigen Streit zieht Max eines Nachts los, steigt in ein Boot am Strand und fährt los, Tage lang, bis er im Land der Ungeheuer, der wilden Kerle landet. Er wird ihr König, in einer unkomplizierten Kür und Krönung, versucht nun ein wenig Ordnung in das wilde Leben und Denken zu bringen, das vor allem aus wildem Rumpus besteht, aus der Freiheit zum Schmeißen und Sichineinander-Verknäulen, zum Zupacken und Zubeißen. Es ist eine wilde Unschuld, eine unschuldige Wildheit in diesem Buch, die Anarchie, ohne die Kindheit nicht sein kann und die Kinder brauchen, um richtig erwachsen zu werden.
Die Original-Ungeheuer kamen, so erzählt Sendak selbst, direkt aus der polnischen Verwandtschaft, wie er sie im Elternhaus in Brooklyn erlebte, drei Onkel und drei Tanten, die zum Essen kamen am Wochenende, kein Englisch sprachen und hungrig waren. Fremde, in einem sprachlosen Exil, so tauchen sie im Buch auf. Im Film und im Buch von Dave Eggers sind die Ungeheuer Geschöpfe der neuen Hip-Hop- und Gang-Tradition, sie wollen fun und wollen Unabhängigkeit, aber sie sind schon auch sophisticated. Sie haben eine Ahnung, dass es eine Balance geben müsste zwischen dem Chaos, der Power, der Ordnung. Ein Fort wird sogar gebaut, mit einem Vorrat an Eulen und Tunnels und Geheimtüren, um das schreckliche Geplapper abzuhalten, das aus den Erdreich dringt. Es ist ein großer Plan, zwischen erzwungener Improvisation und neuer Selbstsicherheit, aber er endet fast in einer Katastrophe. Ausgerechnet Alexander erweist sich als hilfreich, um den phantastischen Diskurs vom Ursprung der menschlichen Gesellschaft zu einem guten Ende zu bringen. Ex-König Max kehrt zurück und findet die Mutter schlafend, „er kannte sie jetzt, kannte sie wirklich beinahe und war froh, ihr beim Schlafen zuzusehen”. FRITZ GÖTTLER
Dave Eggers
Bei den wilden Kerlen
Nach Maurice Sendaks Buch und Spike Jonzes Film. Deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Kiepenheuer & Witsch 2009. 271 Seiten, 18,95 Euro.
Eine Geschichte, wie sie immer wieder erzählt wird: die Prüfung eines Sohnes durch seinen Vater, den König. Als Beweis, dass er ein würdiger Nachfolger sein kann, soll er ihm das Stärkste bringen, das er findet. In magischen surrealistischen Bildern zeichnet Henriette Sauvant die wichtigsten Stationen dieser langen Wanderung bis zu ihrem glücklichen Ende. (Linard Bardill: Die Rose von Jericho. Mit Bildern von Henriette Sauvant. Atlantis 2009. 32 Seiten, 13,90 Euro) bud
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
„Bei den Wilden Kerlen”: Spike Jonze hat aus Maurice Sendaks berühmtem Bilderbuch einen Film gemacht, sein Freund Dave Eggers hat das Drehbuch fortgeschrieben in einen Roman
Der Alex stellt sich gerne quer, er verweigert meistens den Konsens, die Gefolgschaft – selbst wenn man ihm die allerschönsten, die aufregendsten Aufgaben offeriert: „Alexander, willst du dafür zuständig sein, eine neue Sprache zu erfinden?”, fragt Max, der König der Wild Things, und Alexander, das Wild Thing mit dem Ziegenkopf, sagt: „Nein.”
Sie haben nun Namen, die wilden Wesen des Maurice Sendak, aus dem weltberühmten Kinderbuch von 1963, in dem Film, der eben danach gedreht wurde, von Spike Jonze. Nach dem Drehbuch dafür hat Dave Eggers nun ein Buch gemacht – Dave Eggers, der junge Star der amerikanischen Literaturszene, der sich nicht mit dem Schreiben begnügt („Ihr werdet (noch) merken, wie schnell wir sind”, 2002), sondern auch blogt und fürs Kino arbeitet. Man merkt dem Buch die Herkunft an, man spürt die Tausende von Stunden erregter Gespräche über die Natur, die Fallgeschichte, die Traumata und Möglichkeiten jedes einzelnen wild thing, Ungeheuer, Alexander und Carol und Katherine und die anderen. Dave Eggers und Spike Jonze haben dafür die Esszimmerwände mit riesigen Reproduktionen von Sendaks Zeichnungen bestückt und sich durchtränken lassen von der Präsenz der Monster.
Die Vorgeschichte ist zudem ausführlicher und intensiver geworden, der kleine Max und seine Mutter, die im Film von der wunderbaren Catherine Keener gespielt wird. Sie hat sich von Max’ Vater getrennt, und Max erfährt plötzlich immer wieder diese Momente von Verlassenheit und Eifersucht, reagiert mit Gereiztheit und Ungeheuerlichkeiten, ist einfach überfordert: „Du musst mir helfen, das Haus zusammenzuhalten, Max, anders geht es nicht . . . Du musst für Stabilität sorgen, nicht für Chaos.”
Aber das Chaos kommt, wie man es aus dem Sendak-Buch bestens in Erinnerung hat, nach einem heftigen Streit zieht Max eines Nachts los, steigt in ein Boot am Strand und fährt los, Tage lang, bis er im Land der Ungeheuer, der wilden Kerle landet. Er wird ihr König, in einer unkomplizierten Kür und Krönung, versucht nun ein wenig Ordnung in das wilde Leben und Denken zu bringen, das vor allem aus wildem Rumpus besteht, aus der Freiheit zum Schmeißen und Sichineinander-Verknäulen, zum Zupacken und Zubeißen. Es ist eine wilde Unschuld, eine unschuldige Wildheit in diesem Buch, die Anarchie, ohne die Kindheit nicht sein kann und die Kinder brauchen, um richtig erwachsen zu werden.
Die Original-Ungeheuer kamen, so erzählt Sendak selbst, direkt aus der polnischen Verwandtschaft, wie er sie im Elternhaus in Brooklyn erlebte, drei Onkel und drei Tanten, die zum Essen kamen am Wochenende, kein Englisch sprachen und hungrig waren. Fremde, in einem sprachlosen Exil, so tauchen sie im Buch auf. Im Film und im Buch von Dave Eggers sind die Ungeheuer Geschöpfe der neuen Hip-Hop- und Gang-Tradition, sie wollen fun und wollen Unabhängigkeit, aber sie sind schon auch sophisticated. Sie haben eine Ahnung, dass es eine Balance geben müsste zwischen dem Chaos, der Power, der Ordnung. Ein Fort wird sogar gebaut, mit einem Vorrat an Eulen und Tunnels und Geheimtüren, um das schreckliche Geplapper abzuhalten, das aus den Erdreich dringt. Es ist ein großer Plan, zwischen erzwungener Improvisation und neuer Selbstsicherheit, aber er endet fast in einer Katastrophe. Ausgerechnet Alexander erweist sich als hilfreich, um den phantastischen Diskurs vom Ursprung der menschlichen Gesellschaft zu einem guten Ende zu bringen. Ex-König Max kehrt zurück und findet die Mutter schlafend, „er kannte sie jetzt, kannte sie wirklich beinahe und war froh, ihr beim Schlafen zuzusehen”. FRITZ GÖTTLER
Dave Eggers
Bei den wilden Kerlen
Nach Maurice Sendaks Buch und Spike Jonzes Film. Deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Kiepenheuer & Witsch 2009. 271 Seiten, 18,95 Euro.
Eine Geschichte, wie sie immer wieder erzählt wird: die Prüfung eines Sohnes durch seinen Vater, den König. Als Beweis, dass er ein würdiger Nachfolger sein kann, soll er ihm das Stärkste bringen, das er findet. In magischen surrealistischen Bildern zeichnet Henriette Sauvant die wichtigsten Stationen dieser langen Wanderung bis zu ihrem glücklichen Ende. (Linard Bardill: Die Rose von Jericho. Mit Bildern von Henriette Sauvant. Atlantis 2009. 32 Seiten, 13,90 Euro) bud
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.12.2009Wo immer noch die wilden Kerle wohnen
Spike Jonze hat das Bilderbuch von Maurice Sendak verfilmt, Dave Eggers einen Roman danach geschrieben - ist das Ehrerbietung, Kunst oder Größenwahn?
Es ist eine einfache Geschichte. Sie erzählt, wie Max, etwa acht Jahre alt, sein Wolfskostüm anzieht und einen großen Radau veranstaltet. Seine Mutter nennt ihn einen wilden Kerl, und Max sagt, "ich fresse dich auf". Problemlos könnten wir hier nun den Rest des Kinderbuchs von Maurice Sendak einfach zitieren, es folgen nur noch etwa zweihundertneunzig Wörter - wie Max ohne Essen zu Bett gehen muss, wie in seinem Zimmer ein Wald wächst, wie er mit einem Boot hinausfährt und nach langer Fahrt im Land der wilden Kerle ankommt, die ihn erst fressen wollen, dann zu ihrem König machen. Wie sie gemeinsam einen großen Radau veranstalten, bis Max das Heimweh überkommt und er wieder nach Hause segelt, wo, als er nach vielen Jahren und einem Tag endlich ankommt, das Essen auf ihn wartet, "und es war noch warm".
Wie kann aus dieser wunderbar knappen, mit Groß und Klein, mit Zorn und Liebe, Lärm und Sehnsucht spielenden Geschichte ein Film werden? Wie entstehen aus den unvergesslichen, so einfach wirkenden Zeichnungen der gehörnten, spitzzähnigen Monster mit Augen wie Golfbällen bewegte Bilder?
Ganz einfach, könnte man sagen. Jeder, der seit seinem Erscheinen im Jahr 1963 dieses Bilderbuch angeschaut, gelesen und geliebt hat, hat sich die Geschichte doch ausgemalt. Hat mit Max die Befreiung gespürt, die im sinnlosen Herumwüten sich Bahn bricht, die Demütigung, aufs Zimmer geschickt zu werden, hat sich ein wenig vor den Monstern gefürchtet und den Stolz von Max geteilt, als sie sich vor ihm verneigten, und auch die Erleichterung und das Glück, schließlich wieder zu Hause zu sein.
Unmöglich, könnte man mit derselben Begründung sagen. Es ist doch alles auf diesen wenigen Seiten und in unserer Phantasie schon da. Die Geschichte. Die Bilder. Die Gefühle. Eine ganze Kindheit im Wolfspelz, ihre Phantasiewelt, ihre Verzagtheit, ihre Wut, Allmacht, ihr Drang hinaus und ihr Wünschen zurück. Mehr Bilder, mehr Wörter als in diesem Buch wären weniger.
Irgendwo zwischen diesen beiden Haltungen müssen sich der Regisseur Spike Jonze und sein Ko-Drehbuchautor Dave Eggers befunden haben, als sie anfingen, über eine Verfilmung nachzudenken. Ganz einfach war es nicht, auch weil über die Jahre der Planung und Entstehung ein Studio nach dem nächsten sich von dem Vorhaben zurückzog. Unmöglich war es aber auch nicht. Jetzt gibt es den Film, dazu von Dave Eggers den Roman "Bei den wilden Kerlen" (deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, dieser Tage erschienen bei Kiepenheuer & Witsch), von dem es heißt: "nach dem Kinderbuch von Maurice Sendak und dem Drehbuch von Dave Eggers und Spike Jonze" und der Maurice Sendak auch noch gewidmet ist. Der verstand die beiden offenbar richtig, fühlte sich geehrt, sah kein Sakrileg in ihrem Vorhaben und war mit dem filmischen wie dem literarischen Ergebnis ihrer Hommage, so wird berichtet, sehr einverstanden. Die meisten Kritiker sahen das etwas verhaltener. Doch selbst wenn man mit einem gewissen Unbehagen betrachtet, wie aus einem schmalen, wortkargen Buch ein aufwendiger Hundertminutenfilm und ein 267 Seiten dicker Roman geworden sind, wie aus etwas traumhaft Kleinem ein Doppelschlag mit allem möglichen Marketing-Tamtam drum herum wurde - wenn man von alldem absieht und nur den Film nimmt und den Roman, dann versteht man Sendaks Zufriedenheit.
Die Monster sind wundervoll. Von Anfang an wollte Jonze sie nicht als digitale Phantome anlegen, sondern wollte Schauspieler in Monsteranzüge stecken, was in seiner analogen Schönheit teilweise daran scheiterte, dass die Gesichtszüge sich nicht bewegen ließen. Das tun sie jetzt computergeneriert, während die Bewegungen der Biester, die Max um fast das Doppelte seiner Größe überragen, live action bleiben. Versehen mit den Stimmen von James Gondolfini, Chris Cooper und Forest Whitaker etwa, werden aus den Monstern Persönlichkeiten mit Ticks und Spleens. Sie haben Namen bekommen, heißen Douglas, Judith, Ira, Alex, Katherine und Carol, nur der Bulle ist immer noch "der Bulle". Sie sind melancholische Zeitgenossen, immer kurz davor, sich gegenseitig aufzufressen. Einer knabbert dem anderen ständig am Arm herum, der irgendwann dann ausgerissen und durch einen dünnen Ast ersetzt wird. Max, dem Max Records etwas mehr Reife gibt, als ihm im Bilderbuch zukommt, ist in seinem immer dreckiger werdenden Wolfskostüm ein Kind, als sei er alle Kinder, und wir sind von Anfang an nah an ihm dran, wenn er sein Elternhaus ins Chaos stürzt und ein Iglu gegenüber baut, das nur vorübergehend Schutz bietet vor den jugendlichen Freunden der Schwester. Und die Nähe bleibt bis zum Ende erhalten, wenn Catherine Keener in der Rolle seiner Mutter langsam einschläft, während er seinen Schokoladenkuchen isst.
Roman und Film sind einander sehr ähnlich, in den Ereignissen aber nicht völlig deckungsgleich. Der wesentliche Unterschied zum Bilderbuch liegt in ein paar pädagogischen oder sagen wir erkenntnisstiftenden Ausmalungen. Carol etwa, das Chefmonster, das Max besonders ins Herz geschlossen hat, zeigt ihm in einer Grotte hoch auf einem Berg eine Miniaturstadt, die es gebastelt hat, ein erstaunliches Gebilde aus Zweigen und Zartheit. Die Felsen, über die sie dorthin kraxeln, werfen sie aus Übermut auf dem Rückweg über die Klippen ins Meer. Der nächste Aufstieg zur Grotte wird schwierig. Das sind so die Lerneffekte, gegen die an sich ja nichts zu sagen ist.
Max hat jetzt eine Familie, in der der Vater fehlt und ein Freund auftaucht, den er sich wegwünscht. Die Monster sind gesellschaftliche Wesen mit all den Problemen, die das mit sich bringt und die sie nicht alle durchs gegenseitige Auffressen lösen können. Von den Geschichten, die möglich werden, wenn man das Bilderbuch filmisch und sprachlich in Bewegung setzt, malt der Film eine aus - und der Roman liefert eine kleine Variation dazu. Nichts, was das Bilderbuch in den Hintergrund drängen würde. Aber zwei Lesarten voll eigener Wunder und Wunderlichkeiten.
VERENA LUEKEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Spike Jonze hat das Bilderbuch von Maurice Sendak verfilmt, Dave Eggers einen Roman danach geschrieben - ist das Ehrerbietung, Kunst oder Größenwahn?
Es ist eine einfache Geschichte. Sie erzählt, wie Max, etwa acht Jahre alt, sein Wolfskostüm anzieht und einen großen Radau veranstaltet. Seine Mutter nennt ihn einen wilden Kerl, und Max sagt, "ich fresse dich auf". Problemlos könnten wir hier nun den Rest des Kinderbuchs von Maurice Sendak einfach zitieren, es folgen nur noch etwa zweihundertneunzig Wörter - wie Max ohne Essen zu Bett gehen muss, wie in seinem Zimmer ein Wald wächst, wie er mit einem Boot hinausfährt und nach langer Fahrt im Land der wilden Kerle ankommt, die ihn erst fressen wollen, dann zu ihrem König machen. Wie sie gemeinsam einen großen Radau veranstalten, bis Max das Heimweh überkommt und er wieder nach Hause segelt, wo, als er nach vielen Jahren und einem Tag endlich ankommt, das Essen auf ihn wartet, "und es war noch warm".
Wie kann aus dieser wunderbar knappen, mit Groß und Klein, mit Zorn und Liebe, Lärm und Sehnsucht spielenden Geschichte ein Film werden? Wie entstehen aus den unvergesslichen, so einfach wirkenden Zeichnungen der gehörnten, spitzzähnigen Monster mit Augen wie Golfbällen bewegte Bilder?
Ganz einfach, könnte man sagen. Jeder, der seit seinem Erscheinen im Jahr 1963 dieses Bilderbuch angeschaut, gelesen und geliebt hat, hat sich die Geschichte doch ausgemalt. Hat mit Max die Befreiung gespürt, die im sinnlosen Herumwüten sich Bahn bricht, die Demütigung, aufs Zimmer geschickt zu werden, hat sich ein wenig vor den Monstern gefürchtet und den Stolz von Max geteilt, als sie sich vor ihm verneigten, und auch die Erleichterung und das Glück, schließlich wieder zu Hause zu sein.
Unmöglich, könnte man mit derselben Begründung sagen. Es ist doch alles auf diesen wenigen Seiten und in unserer Phantasie schon da. Die Geschichte. Die Bilder. Die Gefühle. Eine ganze Kindheit im Wolfspelz, ihre Phantasiewelt, ihre Verzagtheit, ihre Wut, Allmacht, ihr Drang hinaus und ihr Wünschen zurück. Mehr Bilder, mehr Wörter als in diesem Buch wären weniger.
Irgendwo zwischen diesen beiden Haltungen müssen sich der Regisseur Spike Jonze und sein Ko-Drehbuchautor Dave Eggers befunden haben, als sie anfingen, über eine Verfilmung nachzudenken. Ganz einfach war es nicht, auch weil über die Jahre der Planung und Entstehung ein Studio nach dem nächsten sich von dem Vorhaben zurückzog. Unmöglich war es aber auch nicht. Jetzt gibt es den Film, dazu von Dave Eggers den Roman "Bei den wilden Kerlen" (deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, dieser Tage erschienen bei Kiepenheuer & Witsch), von dem es heißt: "nach dem Kinderbuch von Maurice Sendak und dem Drehbuch von Dave Eggers und Spike Jonze" und der Maurice Sendak auch noch gewidmet ist. Der verstand die beiden offenbar richtig, fühlte sich geehrt, sah kein Sakrileg in ihrem Vorhaben und war mit dem filmischen wie dem literarischen Ergebnis ihrer Hommage, so wird berichtet, sehr einverstanden. Die meisten Kritiker sahen das etwas verhaltener. Doch selbst wenn man mit einem gewissen Unbehagen betrachtet, wie aus einem schmalen, wortkargen Buch ein aufwendiger Hundertminutenfilm und ein 267 Seiten dicker Roman geworden sind, wie aus etwas traumhaft Kleinem ein Doppelschlag mit allem möglichen Marketing-Tamtam drum herum wurde - wenn man von alldem absieht und nur den Film nimmt und den Roman, dann versteht man Sendaks Zufriedenheit.
Die Monster sind wundervoll. Von Anfang an wollte Jonze sie nicht als digitale Phantome anlegen, sondern wollte Schauspieler in Monsteranzüge stecken, was in seiner analogen Schönheit teilweise daran scheiterte, dass die Gesichtszüge sich nicht bewegen ließen. Das tun sie jetzt computergeneriert, während die Bewegungen der Biester, die Max um fast das Doppelte seiner Größe überragen, live action bleiben. Versehen mit den Stimmen von James Gondolfini, Chris Cooper und Forest Whitaker etwa, werden aus den Monstern Persönlichkeiten mit Ticks und Spleens. Sie haben Namen bekommen, heißen Douglas, Judith, Ira, Alex, Katherine und Carol, nur der Bulle ist immer noch "der Bulle". Sie sind melancholische Zeitgenossen, immer kurz davor, sich gegenseitig aufzufressen. Einer knabbert dem anderen ständig am Arm herum, der irgendwann dann ausgerissen und durch einen dünnen Ast ersetzt wird. Max, dem Max Records etwas mehr Reife gibt, als ihm im Bilderbuch zukommt, ist in seinem immer dreckiger werdenden Wolfskostüm ein Kind, als sei er alle Kinder, und wir sind von Anfang an nah an ihm dran, wenn er sein Elternhaus ins Chaos stürzt und ein Iglu gegenüber baut, das nur vorübergehend Schutz bietet vor den jugendlichen Freunden der Schwester. Und die Nähe bleibt bis zum Ende erhalten, wenn Catherine Keener in der Rolle seiner Mutter langsam einschläft, während er seinen Schokoladenkuchen isst.
Roman und Film sind einander sehr ähnlich, in den Ereignissen aber nicht völlig deckungsgleich. Der wesentliche Unterschied zum Bilderbuch liegt in ein paar pädagogischen oder sagen wir erkenntnisstiftenden Ausmalungen. Carol etwa, das Chefmonster, das Max besonders ins Herz geschlossen hat, zeigt ihm in einer Grotte hoch auf einem Berg eine Miniaturstadt, die es gebastelt hat, ein erstaunliches Gebilde aus Zweigen und Zartheit. Die Felsen, über die sie dorthin kraxeln, werfen sie aus Übermut auf dem Rückweg über die Klippen ins Meer. Der nächste Aufstieg zur Grotte wird schwierig. Das sind so die Lerneffekte, gegen die an sich ja nichts zu sagen ist.
Max hat jetzt eine Familie, in der der Vater fehlt und ein Freund auftaucht, den er sich wegwünscht. Die Monster sind gesellschaftliche Wesen mit all den Problemen, die das mit sich bringt und die sie nicht alle durchs gegenseitige Auffressen lösen können. Von den Geschichten, die möglich werden, wenn man das Bilderbuch filmisch und sprachlich in Bewegung setzt, malt der Film eine aus - und der Roman liefert eine kleine Variation dazu. Nichts, was das Bilderbuch in den Hintergrund drängen würde. Aber zwei Lesarten voll eigener Wunder und Wunderlichkeiten.
VERENA LUEKEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main