Es ist das Jahr 1960. Great Falls in Montana scheint für Joes Vater der rechte Ort zu sein, um gutes Geld zu machen und es zu einigem Wohlstand für seine Familie zu bringen. Doch der sechzehnjährige Junge weiß schon bald, daß die Bemühungen des Vaters ihren Sinn verloren haben. Joes Mutter hat sich in einen anderen Mann verliebt und ist bereit, für ihre neue Liebe Mann und Sohn zu verlassen. Ein bittersüßer Roman über die Vertreibung aus der Kindheit.
Zerfall
der Orientierung
Es ist eine uralte Geschichte, die Richard Ford da aus Great Falls, Montana, knapp, wortkarg und ruhig erzählt. Die Geschichte vom sechzehnjährigen Joe und seinen Eltern, in der alles aus den Fugen gerät und nur einsame Menschen übrig bleiben. Joes Vater verliert seinen Job als Golflehrer, weil er angeblich ein Portemonnaie entwendet haben soll, was aber nicht stimmt. Schon beginnt die Zerstörung, die Eltern verstimmen sich, der Vater geht, um den Feuerwehrleuten gegen den Waldbrand zu helfen, die Mutter meint, sich verlieben zu müssen. Binnen drei Tagen erlebt Joe, wie in seiner bisherigen Welt alle Orientierung zerfällt. Ein Entwicklungsroman sei das, so heißt es. Aber es ist vielmehr die Erzählung einer tief greifenden Enttäuschung, deren Wert für die Entwicklung des jungen Joe man durchaus bezweifeln kann. Zumindest entschwindet in diesem so gradlinig wie raffiniert gehaltenen Roman jede Vorstellung von Familienglück, -gewissheit und -zuversicht für Joe: „Und das Leben ging weiter für uns, in einem anderen Maßstab als zuvor. Einem geringeren menschlichen Maßstab. Daran besteht kein Zweifel. Aber es ging weiter.“ HARALD EGGEBRECHT
Richard Ford: Wild leben. Aus dem Englischen von Martin Hielscher. dtv, München 2015. 223 Seiten, 9, 90 Euro.
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