Die Erinnerungen von Ernst Jüngers letztem Sekretär und 35 unveröffentlichte Briefe JüngersSchon als Gymnasiast hat sich Heinz Ludwig Arnold brieflich an Ernst Jünger gewandt. Wenig später fragt er in Wilflingen um Rat, ob er den Wehrdienst in der damals noch jungen Bundeswehr leisten soll. Der Antwortbrief, den Greta Jünger im Auftrag ihres Mannes schreibt, ist in der Tendenz nicht überraschend. Es beginnt eine Korrespondenz, die bald in Arnolds Beschäftigung als »Secretarius« mündet. Diese Stellung gewährt Einblicke in Jüngers Position im Literaturbetrieb der Bundesrepublik, seine Haltung gegenüber den Emigranten und seine Sicht auf die Politik in Deutschland, Europa und der Welt. Im Verlauf der Jahre wandelt sich der Blick des Literaturkritikers und Zeitschriftenherausgebers, wird auch kritisch gegenüber dem »Krieger, Waldgänger und Anarchen« um sich in Jüngers letzten Lebensjahren schließlich wieder anzunähern. Neben dem großen Erinnerungsessay des am 1. November 2011 verstorbenen Kritikers Heinz Ludwig Arnold enthält der Band 35 überaus aufschlussreiche Briefe von Ernst Jünger, die hier erstmals gedruckt werden.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ach ja, die Altersmilde. Ergriffen hat sie offenbar auch Heinz Ludwig Arnold, der in seinen Erinnerungen an seine Zeit als "Secretarius" Ernst Jüngers, kreideweich über den einstigen Chef schreibt, mit dem er zeitlebens doch manches Hühnchen zu rupfen hatte und er mit ihm. Martin Thoemmes scheint das nicht zu stören. Er lässt sich vom Autor mitnehmen ins Wilflinger Jagdhäuschen der frühen 60er, als Jünger an einem lebensgeschichtlichen Umbruch laboriert. Thoemmes staunt über die fast zartfühlende Art, mit der Arnold per diskreter Innensicht den Alltag des Schriftstellers beschreibt, über dessen Verachtung für seine Kritiker informiert oder Jüngers Ader für Albernes und Ironie offenlegt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.05.2012Die Jahre mit dem Ersatzvater
Heinz Ludwig Arnold erinnert an seine Zeit mit Ernst Jünger
Das schroff und kühl, aber oft auch millimetergenau Zugeschliffene einzelner Beobachtungen und Reflexionen, das Ernst Jünger gegen Ende seines Lebens mehr Ansehen einbrachte als die aufwendig verschnörkelten Gedankenromane und seine politischen Irrungen, findet sich als Stilmerkmal auch in den heikelsten Bereichen. Eine viel kritisierte Passage der „Strahlungen“ ist die Schilderung des Luftangriffs vom 27. April 1944 auf Paris, währenddessen das Glas Burgunder, in dem die berühmten Erdbeeren schwimmen, in der Hand des Erzählers ruht. Jünger wurde immer wieder darauf angesprochen, reagierte mürrisch, aber konzise: „Wozu soll ich mich immer in eine moralische Position begeben, wenn ich etwas sehe? Ich sehe das nicht ein (. . . ). Ja, soll ich etwas auslassen? Ich müsste ja auch etwas schreiben, das unrühmlich ist für mich. Selbst wenn ich ein Verbrechen begehe. Sonst ist der Wert des Tagebuchs doch sehr anfechtbar. Ich habe doch auch ,In Stahlgewittern‘ geschrieben, dass ich auf Leute geschossen habe und sie gefallen sind – das könnte ich ja auch aussparen, dann wäre ich ein feiner Mann.“
Die ironische Begründung seines Tagebuch-Schreibverfahrens, die Jünger im Gespräch mit seinem „Secretarius“ der frühen sechziger Jahre, dem jungen Heinz Ludwig Arnold, gibt, überzeugt in sich durchaus. Was nicht verhindert, dass die Stelle in den „Strahlungen“ selbst angreifbar bleibt – nicht so sehr moralisch, mehr stilistisch. Jünger verlässt darin die kühle Beschreibung sehr wohl, steigert sich über Vergleich und Metapher in technisch-naturmagischen Gewalt-Kitsch: „Die Stadt mit ihren roten Türmen und Kuppeln lag in gewaltiger Schönheit, gleich einem Kelche, der zu tödlicher Befruchtung überflogen wird. Alles war reine, vom Schmerz bejahte und erhöhte Macht.“ Jünger ist hier kein „reiner Zuschauer“, wie er im Gespräch mit Arnold behauptet, sondern anthropomorphisiert nach dem „gleich“ so erzwungen ästhetisch wie höchst subjektiv drauf los.
Heinz Ludwig Arnold, der im vergangenen Herbst mit 71 Jahren starb, hatte, wie viele, die Jünger privat kannten, mit der Faszinationskraft des „Chefs“ zu kämpfen. Zuerst war er vom selbst gewählten Ersatzvater, der ihm ein freies, selbstbestimmtes Leben zu führen schien, stark in Bann gezogen. Jünger sei ihm „sakrosankt“ gewesen, bis sich Arnold zunehmend distanzierte. Nachdem er Jünger noch nach seiner Zeit als „Secretarius“ gegen publizistische Angriffe brav unterstützt hatte, markierte Arnolds Essay „Krieger, Waldgänger, Anarch“ 1990 schließlich das literaturkritisch kühle Ende einer jahrzehntelangen Beziehung.
Während Jünger gegen Ende der BRD – erst recht im vereinigten Deutschland – zum fleißig bepilgerten, heimlichen Staatsheiligen wurde, sah ihn sein einstiger Vertrauter zunehmend als Studienobjekt für Wirklichkeits- und Geschichtsvergessenheit. Ruhig, aber bestimmt seziert Arnold Ernst Jünger, zeigt, wie sich gerade der „Anarch“ der Spätzeit jedem Zugriff entzieht. Jünger selbst schrieb: „das Anarchische bleibt auf dem Grunde als Geheimnis, meist selbst dem Träger unbewusst“. Immer zahnloser wurde das Außenseitertum des Chefs.
Aber was bedeutet es, dass Arnold diesem gut geschriebenen Essay kurz vor seinem Tod das jetzt erschienene Büchlein hinterherschob? Wollte er sein Urteil über Jünger noch einmal überprüfen?
Zuerst geht es Arnold mehr um eine Herleitung des Verhältnisses, das ihn in Jüngers Wilflinger Schreibstube brachte: Ganz klassisch ist Schüler Arnold von der Fremdenlegionärsgeschichte „Afrikanische Spiele“ begeistert, dann sucht er brieflich Rat, wie er sich zu seiner Wehrpflicht verhalten solle. Gretha Jünger, schon schwer krank, antwortet Arnold mit einem langen, zuratenden Brief. Das Soldatische und das Deutsche waren bei Jüngers durch den Zweiten Weltkrieg keineswegs in Misskredit geraten. Giftig geht der gern so kühle Jünger noch Jahre später auf Franz Schonauer los, der meldet, dass ihm alles Deutsche „dégoutant“ erscheine. Mit so einem, erklärte er, könne er nicht auf einer Bühne stehen, überdies atme die geplante Düsseldorfer Tagung „Emigrantengeruch“.
Das war nicht nur gegen Schonauer gerichtet. Jünger selbst wurde ja seit seinem Erfolgsbuch „Auf den Marmorklippen“ – das 1939 mit dem schönen Satz begann: „Ihr alle kennt die wilde Schwermut, die uns bei der Erinnerung an Zeiten des Glücks ergreift“ – von konservativen Anhängern zur inneren Emigration gezählt. Er selber schrieb nach dem Krieg stolz und knorrig, ihn interessiere „weder die innere noch die äußere“, der Wettstreit, wer die besseren Emigranten gewesen seien, warte „auf einen neuen Aristophanes“, sei aber „nicht die Knochen eines einfachen Mannes wert, der auf seinem Posten stand und fiel, auch wenn seine Intelligenz zur richtigen Lagebeurteilung nicht ausreichte.“
Er wollte immer alleine stehen. Aber es hat schon seine Logik, dass er allmählich wieder in den Literaturkanon aufgenommen wurde. Schon die Annahme des Großen Bundesverdienstkreuzes von 1959, das ihm von seinem alten Bekannten Theodor Heuss verliehen wurde, markierte eine Wende, vor der sich der einstige Demokratieverächter geekelt hätte. Jetzt mokieren sich alte rechte Vertraute, wie Arnolds Vorgänger Armin Mohler. Im Briefwechsel mit Arnold, aus dem hier einige Fundstücke präsentiert werden, meint Jünger, es sei ein „Freundschaftsakt zwischen Heuss und mir“ gewesen, und „Übrigens: Warum sollte ich eine feindselige Haltung zum heutigen Staat einnehmen? Wenn ich einen Orden oder einen Preis annehme, haben diese Leute mehr davon als ich. Soll ich mich etwa in die Ecke stellen, um Mohlers Beifall zu gewinnen, was hätte ich denn davon? Den wilden Mann spielen?“
HANS-PETER KUNISCH
HEINZ LUDWIG ARNOLD: Wilflinger Erinnerungen. Mit Briefen von Ernst Jünger. Wallstein Verlag. Göttingen 2012. 143 Seiten, 19,90 Euro.
„Übrigens: Warum sollte ich
eine feindselige Haltung
zum heutigen Staat einnehmen?“
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Heinz Ludwig Arnold erinnert an seine Zeit mit Ernst Jünger
Das schroff und kühl, aber oft auch millimetergenau Zugeschliffene einzelner Beobachtungen und Reflexionen, das Ernst Jünger gegen Ende seines Lebens mehr Ansehen einbrachte als die aufwendig verschnörkelten Gedankenromane und seine politischen Irrungen, findet sich als Stilmerkmal auch in den heikelsten Bereichen. Eine viel kritisierte Passage der „Strahlungen“ ist die Schilderung des Luftangriffs vom 27. April 1944 auf Paris, währenddessen das Glas Burgunder, in dem die berühmten Erdbeeren schwimmen, in der Hand des Erzählers ruht. Jünger wurde immer wieder darauf angesprochen, reagierte mürrisch, aber konzise: „Wozu soll ich mich immer in eine moralische Position begeben, wenn ich etwas sehe? Ich sehe das nicht ein (. . . ). Ja, soll ich etwas auslassen? Ich müsste ja auch etwas schreiben, das unrühmlich ist für mich. Selbst wenn ich ein Verbrechen begehe. Sonst ist der Wert des Tagebuchs doch sehr anfechtbar. Ich habe doch auch ,In Stahlgewittern‘ geschrieben, dass ich auf Leute geschossen habe und sie gefallen sind – das könnte ich ja auch aussparen, dann wäre ich ein feiner Mann.“
Die ironische Begründung seines Tagebuch-Schreibverfahrens, die Jünger im Gespräch mit seinem „Secretarius“ der frühen sechziger Jahre, dem jungen Heinz Ludwig Arnold, gibt, überzeugt in sich durchaus. Was nicht verhindert, dass die Stelle in den „Strahlungen“ selbst angreifbar bleibt – nicht so sehr moralisch, mehr stilistisch. Jünger verlässt darin die kühle Beschreibung sehr wohl, steigert sich über Vergleich und Metapher in technisch-naturmagischen Gewalt-Kitsch: „Die Stadt mit ihren roten Türmen und Kuppeln lag in gewaltiger Schönheit, gleich einem Kelche, der zu tödlicher Befruchtung überflogen wird. Alles war reine, vom Schmerz bejahte und erhöhte Macht.“ Jünger ist hier kein „reiner Zuschauer“, wie er im Gespräch mit Arnold behauptet, sondern anthropomorphisiert nach dem „gleich“ so erzwungen ästhetisch wie höchst subjektiv drauf los.
Heinz Ludwig Arnold, der im vergangenen Herbst mit 71 Jahren starb, hatte, wie viele, die Jünger privat kannten, mit der Faszinationskraft des „Chefs“ zu kämpfen. Zuerst war er vom selbst gewählten Ersatzvater, der ihm ein freies, selbstbestimmtes Leben zu führen schien, stark in Bann gezogen. Jünger sei ihm „sakrosankt“ gewesen, bis sich Arnold zunehmend distanzierte. Nachdem er Jünger noch nach seiner Zeit als „Secretarius“ gegen publizistische Angriffe brav unterstützt hatte, markierte Arnolds Essay „Krieger, Waldgänger, Anarch“ 1990 schließlich das literaturkritisch kühle Ende einer jahrzehntelangen Beziehung.
Während Jünger gegen Ende der BRD – erst recht im vereinigten Deutschland – zum fleißig bepilgerten, heimlichen Staatsheiligen wurde, sah ihn sein einstiger Vertrauter zunehmend als Studienobjekt für Wirklichkeits- und Geschichtsvergessenheit. Ruhig, aber bestimmt seziert Arnold Ernst Jünger, zeigt, wie sich gerade der „Anarch“ der Spätzeit jedem Zugriff entzieht. Jünger selbst schrieb: „das Anarchische bleibt auf dem Grunde als Geheimnis, meist selbst dem Träger unbewusst“. Immer zahnloser wurde das Außenseitertum des Chefs.
Aber was bedeutet es, dass Arnold diesem gut geschriebenen Essay kurz vor seinem Tod das jetzt erschienene Büchlein hinterherschob? Wollte er sein Urteil über Jünger noch einmal überprüfen?
Zuerst geht es Arnold mehr um eine Herleitung des Verhältnisses, das ihn in Jüngers Wilflinger Schreibstube brachte: Ganz klassisch ist Schüler Arnold von der Fremdenlegionärsgeschichte „Afrikanische Spiele“ begeistert, dann sucht er brieflich Rat, wie er sich zu seiner Wehrpflicht verhalten solle. Gretha Jünger, schon schwer krank, antwortet Arnold mit einem langen, zuratenden Brief. Das Soldatische und das Deutsche waren bei Jüngers durch den Zweiten Weltkrieg keineswegs in Misskredit geraten. Giftig geht der gern so kühle Jünger noch Jahre später auf Franz Schonauer los, der meldet, dass ihm alles Deutsche „dégoutant“ erscheine. Mit so einem, erklärte er, könne er nicht auf einer Bühne stehen, überdies atme die geplante Düsseldorfer Tagung „Emigrantengeruch“.
Das war nicht nur gegen Schonauer gerichtet. Jünger selbst wurde ja seit seinem Erfolgsbuch „Auf den Marmorklippen“ – das 1939 mit dem schönen Satz begann: „Ihr alle kennt die wilde Schwermut, die uns bei der Erinnerung an Zeiten des Glücks ergreift“ – von konservativen Anhängern zur inneren Emigration gezählt. Er selber schrieb nach dem Krieg stolz und knorrig, ihn interessiere „weder die innere noch die äußere“, der Wettstreit, wer die besseren Emigranten gewesen seien, warte „auf einen neuen Aristophanes“, sei aber „nicht die Knochen eines einfachen Mannes wert, der auf seinem Posten stand und fiel, auch wenn seine Intelligenz zur richtigen Lagebeurteilung nicht ausreichte.“
Er wollte immer alleine stehen. Aber es hat schon seine Logik, dass er allmählich wieder in den Literaturkanon aufgenommen wurde. Schon die Annahme des Großen Bundesverdienstkreuzes von 1959, das ihm von seinem alten Bekannten Theodor Heuss verliehen wurde, markierte eine Wende, vor der sich der einstige Demokratieverächter geekelt hätte. Jetzt mokieren sich alte rechte Vertraute, wie Arnolds Vorgänger Armin Mohler. Im Briefwechsel mit Arnold, aus dem hier einige Fundstücke präsentiert werden, meint Jünger, es sei ein „Freundschaftsakt zwischen Heuss und mir“ gewesen, und „Übrigens: Warum sollte ich eine feindselige Haltung zum heutigen Staat einnehmen? Wenn ich einen Orden oder einen Preis annehme, haben diese Leute mehr davon als ich. Soll ich mich etwa in die Ecke stellen, um Mohlers Beifall zu gewinnen, was hätte ich denn davon? Den wilden Mann spielen?“
HANS-PETER KUNISCH
HEINZ LUDWIG ARNOLD: Wilflinger Erinnerungen. Mit Briefen von Ernst Jünger. Wallstein Verlag. Göttingen 2012. 143 Seiten, 19,90 Euro.
„Übrigens: Warum sollte ich
eine feindselige Haltung
zum heutigen Staat einnehmen?“
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