Die beachtliche Popularität, die Wilhelm Hauff (1802-1827) bis heute genießt, beruht ausschließlich auf seinen drei Märchenalmanachen, während die Romane, Novellen und literarischen Skizzen des überaus produktiven Autors fast in Vergessenheit geraten sind. Zum 200. Geburtstag des schwäbischen Dichters wird hier ein Sammelband vorgelegt, der Hauffs poetischem Schaffen in seiner Gesamtheit wieder größere Aufmerksamkeit sichern soll und daher neben den Märchen auch die weniger bekannten Werke einbezieht. Die einzelnen Beiträge machen aus unterschiedlichen Blickwinkeln sichtbar, wie Hauffs Dichtungen die politischen Konflikte der Restaurationszeit, die fortschreitende Auflösung der ständischen Gesellschaftsordnung und die Ausbildung kapitalistischer Wirtschaftsformen, aber auch die Eigenarten der bürgerlichen Familienstruktur reflektieren: Wilhelm Hauff erweist sich damit als ein Schriftsteller, der mit seinen Werken in vielfältiger Weise auf jene Modernisierungsprozesse reagierte, von denen das frühe 19. Jahrhundert geprägt war, und dessen literarische Strategien zugleich in hohem Maße den spezifischen Bedürfnissen der zeitgenössischen Leser entgegenkamen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.07.2018Ein genialer Handwerker im Literaturbetrieb
Seine Märchen kennt jeder, seine Tätigkeit als einflussreicher Redakteur ist praktisch unbekannt: Zwei neue Bücher widmen sich Wilhelm Hauff als einem Visionär des modernen Buchmarkts.
Ein junger Mann besucht die Leihbibliothek seiner Stadt. Nicht etwa um zu lesen - die "vier- bis fünftausend Bände" der Bücherei habe er bereits zwei Jahre zuvor "in einer langen Krankheit durchgeblättert". Stattdessen will er die anderen Besucher der Bibliothek beobachten, um herauszufinden, welche Titel sie auswählen. Außerdem befragt er den alten Bibliothekar zu seinen Kunden.
Was ihn dazu treibt, ist wiederum kein Erkenntnisdrang, die Erforschung der Lesegewohnheiten seiner Mitbürger ist ihm nur Mittel zum Zweck. Denn er will selbst Schriftsteller werden und beobachtet nun den Markt, um sein Schreiben dann danach auszurichten - es geht ihm um den Erfolg, von ästhetischem Rüstzeug oder gar einer literarischen Mission ist nicht die Rede.
Was heute keineswegs ungewöhnlich anmutet, die unbedingte Orientierung eines Autors am Buchmarkt, war 1827 noch eine Provokation. In Wilhelm Hauffs Skizze "Die Bücher und die Lesewelt", die damals im renommierten "Morgenblatt für gebildete Stände" erschien, wird dann auch ein neues literarisches Leben geschildert, das sich von der nur wenig zurückliegenden Epoche in zwei wesentlichen Punkten unterscheidet: Es geht hier nicht mehr um einzelne Autoren, sondern um Machart und Inhalt, verlangt wird nicht unbedingt der neue Roman eines bestimmten Urhebers, sondern irgendeine Geister-, Ritter- oder Liebesgeschichte, und wenn alles in eins fällt, umso besser. Wenn aber Autoren eine dieser literarischen Moden geradezu verkörpern - Walter Scott ist ein damals gern genanntes, gern kopiertes Beispiel -, dann werden gezielt sie verlangt, unabhängig vom konkreten Titel.
Der andere Bruch mit der jüngeren Vergangenheit aber, den Hauff in seiner Skizze beschreibt, ist noch gravierender: Die Kunden der Leihbibliothek entstammen allen möglichen Schichten, und die Diener und Mägde der Adligen, die für ihre Herrschaft starkbändige Romane entleihen, lesen diese anschließend selbst. Das ist die Folge einer doppelten Revolution, die sich über das gesamte neunzehnte Jahrhundert erstrecken sollte: Neue Druckverfahren machten Bücher, Journale und Zeitungen dramatisch billiger und erreichten so sehr viel weitere Kreise als vordem; zugleich stieg die Zahl derer, die überhaupt lesen und schreiben konnten, stark an. Als Ergebnis - befördert außerdem durch die Entwicklung des Urheberrechts, das 1837 im Deutschen Bund kodifiziert wurde - entstand ein moderner Buchmarkt, dessen Grundzüge bis heute sichtbar sind.
Welche Züge sind das? Hauffs Erzähler, der angehende Erfolgsautor, lässt sich die Marktmechanismen vom Bibliothekar erläutern, der wiederum keinen öffentlichen Bildungsauftrag erfüllt, sondern davon lebt, dem Publikum zu liefern, was es will und wofür es zu zahlen bereit ist. So unterschiedlich der Geschmack der einzelnen Leser sei, allen gemein sei das Unterhaltungsbedürfnis und der Wunsch nach leichter Zugänglichkeit des Textes - deshalb fänden Autoren wie der noch wenige Jahre zuvor vielgelesene Jean Paul wegen seines "sonderbaren dunklen Stils" 1827 kaum noch Liebhaber. Zweitens werde Bekanntes nachgefragt, die Hinwendung zur seriellen Literatur sei unübersehbar, und sei diese noch so elend. Überhaupt sei drittens den Leserinnen - die hier ausdrücklich genannt werden - nichts mehr peinlich, vor allem, "wenn keine Gouvernante, keine Mutter ihre Lektüre ordnet". Hauffs Leser fällt dann doch einmal aus seiner distanzierten Haltung und ruft aus: "Warum lesen denn wohlgezogene Leute so schlechte Bücher?" Das sei eben "der Geschmack der Zeit", sagt der Bibliothekar.
Doch neben die inhaltliche Beschreibung des Markts tritt auch die materielle der Buchproduktion. Was früher Handwerk war, sei nun "alles mechanisch betrieben", sagt der Bibliothekar und meint damit nicht nur die tatsächliche, damals gerade neu entwickelte "Schnellpresse", sondern auch eine fiktive dampfbetriebene Übersetzermaschine, "die Französisch, Englisch und Deutsch versteht" und den menschlichen Übersetzer überflüssig mache.
Wilhelm Hauff ist uns noch immer vorwiegend als Märchenautor ein Begriff, und dieses Genre lädt dazu ein, die einzelnen Texte gerade nicht als Produkt einer bestimmten Zeit zu sehen. Wenn wir vom Kalifen lesen, der sich in einen Storch verwandelt und nicht mehr zurückfindet, vom Gespensterschiff, dessen untote Besatzung sich Nacht für Nacht einen mörderischen Kampf liefert, oder vom Zwerg Nase, der gemeinsam mit der ebenfalls verzauberten Gans im Mondschein ein bestimmtes Kraut für die Küche des Fürsten sucht, dann denken wir nicht unbedingt an die Entstehungszeit dieser Märchen und an das biedermeierliche Publikum, für das sie ursprünglich geschrieben wurden.
In der germanistischen Forschung aber ist Hauff schon seit längerem auch als typischer Repräsentant des zeitgenössischen Literaturbetriebs beschrieben worden, ja geradezu als ein Visionär, der bereits in sehr jungen Jahren die Mechanismen des aufkommenden Markts erkannte und sich zunutze machte. Eine neue Biographie, die der Germanist Ulrich Kittstein vorgelegt hat, beleuchtet nicht zuletzt diesen Aspekt von Hauffs Wirken - was auf der anderen Seite dazu führt, dass von Hauffs knapp fünfundzwanzig Lebensjahren die letzten drei das Hauptgewicht in dieser Biographie erhalten.
Das ist eine nachvollziehbare Entscheidung, denn Hauffs staunenswerte Produktivität - sein Gesamtwerk umfasst neben den drei berühmten Märchenalmanachen den umfangreichen Roman "Lichtenstein", Gedichte, Erzählungen, dramatische Versuche und zahlreiche journalistische Arbeiten - entfaltet sich in dieser äußerst knappen Zeit. Kittstein legt allerdings auch dar, welche Rolle Hauffs schulische Bildung, seine frühe Lektüre, gesellschaftliche Kontakte und Freundschaften für diese spätere Produktion spielen. Er untersucht Hauffs ambivalente Haltung zu den politischen Umbrüchen seiner Zeit, zur aufkommenden Napoleonverehrung und zu den Folgen der Metternichschen Repressionen, die ihn gerade als Publizisten betrafen. Ein Zentrum von Kittsteins Band liegt dann auch auf der spannungsreichen Zusammenarbeit zwischen Hauff und dem schon zu Lebzeiten legendären Verleger Johann Friedrich Cotta, der dem jungen und wenig erfahrenen Autor Ende 1826 tatsächlich die Leitung seines "Morgenblatts für gebildete Stände" anvertraute und ihn damit schlagartig in eine Schlüsselpostion des damaligen Literaturbetriebs beförderte.
Umso willkommener ist daher eine Edition aus den Beständen des Marbacher Literaturarchivs, die sämtliche Briefe umfasst, die Hauff an Cotta schrieb, ergänzt um einige Gegenbriefe und andere Schreiben aus dem Umfeld dieses Geschäftsverhältnisses. Deutlich wird rasch, dass ein grundsätzliches Missverständnis bis zum jähen Ende des Kontakts durch Hauffs Tod am 18. November 1827 zwar benannt, aber nicht ausgeräumt werden konnte: Hauff verstand sich als verantwortlicher Redakteur, Cotta dagegen ließ an ihm vorbei Texte ins "Morgenblatt" einrücken, wogegen Hauff sich unter Verweis auf seine "literarische" ebenso wie auf seine "bürgerliche" Ehre verwahrte - dieser Zusammenklang ist vielleicht das deutlichste Anzeichen dafür, dass Hauff eben nicht wie der Literaturbetriebsaspirant seiner Skizze "Die Bücher und die Lesewelt" das literarische Arbeiten abgelöst von allen ethischen Fragen betrachtete. Für Hauff jedenfalls scheint der Zusammenhang zwischen publizistischem Auftreten und dem Bild, das der selbstbewusste Bürger nach außen hin abgibt, recht eng gewesen zu sein, was dem Publizisten neue Pflichten ebenso auferlegt wie dass es ihm ungeahnte Freiheiten verleiht.
"Der bürgerliche Aufstieg", schreibt Kittstein, den Hauff seinen Märchenhelden beschert, "gelang ihrem Schöpfer kraft seines Talents in der Realität; in den Märchen gestaltete er verfremdend nach, was ihm wirklich widerfuhr, ihn deshalb aber nicht weniger märchenhaft dünkte."
Marktbeobachtung, so kann man ergänzen, ist nicht alles, schon gar nicht in der Literatur. An dieser Stelle könnte eine künftige Beschäftigung mit Wilhelm Hauff anknüpfen. Ergiebig genug dürfte sie sein.
TILMAN SPRECKELSEN
Ulrich Kittstein: "Wilhelm Hauff".
Wehrhahn Verlag, Hannover 2018. 132 S., br., 12,80 [Euro].
"Die Ehre des Redaktors". Wilhelm Hauffs Briefe an Johann Friedrich Cotta.
Hrsg. und mit einem Nachwort von Helmuth Mojem. Deutsche Schillergesellschaft, Marbach a. N. 2017. 132 S., br., 13,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Seine Märchen kennt jeder, seine Tätigkeit als einflussreicher Redakteur ist praktisch unbekannt: Zwei neue Bücher widmen sich Wilhelm Hauff als einem Visionär des modernen Buchmarkts.
Ein junger Mann besucht die Leihbibliothek seiner Stadt. Nicht etwa um zu lesen - die "vier- bis fünftausend Bände" der Bücherei habe er bereits zwei Jahre zuvor "in einer langen Krankheit durchgeblättert". Stattdessen will er die anderen Besucher der Bibliothek beobachten, um herauszufinden, welche Titel sie auswählen. Außerdem befragt er den alten Bibliothekar zu seinen Kunden.
Was ihn dazu treibt, ist wiederum kein Erkenntnisdrang, die Erforschung der Lesegewohnheiten seiner Mitbürger ist ihm nur Mittel zum Zweck. Denn er will selbst Schriftsteller werden und beobachtet nun den Markt, um sein Schreiben dann danach auszurichten - es geht ihm um den Erfolg, von ästhetischem Rüstzeug oder gar einer literarischen Mission ist nicht die Rede.
Was heute keineswegs ungewöhnlich anmutet, die unbedingte Orientierung eines Autors am Buchmarkt, war 1827 noch eine Provokation. In Wilhelm Hauffs Skizze "Die Bücher und die Lesewelt", die damals im renommierten "Morgenblatt für gebildete Stände" erschien, wird dann auch ein neues literarisches Leben geschildert, das sich von der nur wenig zurückliegenden Epoche in zwei wesentlichen Punkten unterscheidet: Es geht hier nicht mehr um einzelne Autoren, sondern um Machart und Inhalt, verlangt wird nicht unbedingt der neue Roman eines bestimmten Urhebers, sondern irgendeine Geister-, Ritter- oder Liebesgeschichte, und wenn alles in eins fällt, umso besser. Wenn aber Autoren eine dieser literarischen Moden geradezu verkörpern - Walter Scott ist ein damals gern genanntes, gern kopiertes Beispiel -, dann werden gezielt sie verlangt, unabhängig vom konkreten Titel.
Der andere Bruch mit der jüngeren Vergangenheit aber, den Hauff in seiner Skizze beschreibt, ist noch gravierender: Die Kunden der Leihbibliothek entstammen allen möglichen Schichten, und die Diener und Mägde der Adligen, die für ihre Herrschaft starkbändige Romane entleihen, lesen diese anschließend selbst. Das ist die Folge einer doppelten Revolution, die sich über das gesamte neunzehnte Jahrhundert erstrecken sollte: Neue Druckverfahren machten Bücher, Journale und Zeitungen dramatisch billiger und erreichten so sehr viel weitere Kreise als vordem; zugleich stieg die Zahl derer, die überhaupt lesen und schreiben konnten, stark an. Als Ergebnis - befördert außerdem durch die Entwicklung des Urheberrechts, das 1837 im Deutschen Bund kodifiziert wurde - entstand ein moderner Buchmarkt, dessen Grundzüge bis heute sichtbar sind.
Welche Züge sind das? Hauffs Erzähler, der angehende Erfolgsautor, lässt sich die Marktmechanismen vom Bibliothekar erläutern, der wiederum keinen öffentlichen Bildungsauftrag erfüllt, sondern davon lebt, dem Publikum zu liefern, was es will und wofür es zu zahlen bereit ist. So unterschiedlich der Geschmack der einzelnen Leser sei, allen gemein sei das Unterhaltungsbedürfnis und der Wunsch nach leichter Zugänglichkeit des Textes - deshalb fänden Autoren wie der noch wenige Jahre zuvor vielgelesene Jean Paul wegen seines "sonderbaren dunklen Stils" 1827 kaum noch Liebhaber. Zweitens werde Bekanntes nachgefragt, die Hinwendung zur seriellen Literatur sei unübersehbar, und sei diese noch so elend. Überhaupt sei drittens den Leserinnen - die hier ausdrücklich genannt werden - nichts mehr peinlich, vor allem, "wenn keine Gouvernante, keine Mutter ihre Lektüre ordnet". Hauffs Leser fällt dann doch einmal aus seiner distanzierten Haltung und ruft aus: "Warum lesen denn wohlgezogene Leute so schlechte Bücher?" Das sei eben "der Geschmack der Zeit", sagt der Bibliothekar.
Doch neben die inhaltliche Beschreibung des Markts tritt auch die materielle der Buchproduktion. Was früher Handwerk war, sei nun "alles mechanisch betrieben", sagt der Bibliothekar und meint damit nicht nur die tatsächliche, damals gerade neu entwickelte "Schnellpresse", sondern auch eine fiktive dampfbetriebene Übersetzermaschine, "die Französisch, Englisch und Deutsch versteht" und den menschlichen Übersetzer überflüssig mache.
Wilhelm Hauff ist uns noch immer vorwiegend als Märchenautor ein Begriff, und dieses Genre lädt dazu ein, die einzelnen Texte gerade nicht als Produkt einer bestimmten Zeit zu sehen. Wenn wir vom Kalifen lesen, der sich in einen Storch verwandelt und nicht mehr zurückfindet, vom Gespensterschiff, dessen untote Besatzung sich Nacht für Nacht einen mörderischen Kampf liefert, oder vom Zwerg Nase, der gemeinsam mit der ebenfalls verzauberten Gans im Mondschein ein bestimmtes Kraut für die Küche des Fürsten sucht, dann denken wir nicht unbedingt an die Entstehungszeit dieser Märchen und an das biedermeierliche Publikum, für das sie ursprünglich geschrieben wurden.
In der germanistischen Forschung aber ist Hauff schon seit längerem auch als typischer Repräsentant des zeitgenössischen Literaturbetriebs beschrieben worden, ja geradezu als ein Visionär, der bereits in sehr jungen Jahren die Mechanismen des aufkommenden Markts erkannte und sich zunutze machte. Eine neue Biographie, die der Germanist Ulrich Kittstein vorgelegt hat, beleuchtet nicht zuletzt diesen Aspekt von Hauffs Wirken - was auf der anderen Seite dazu führt, dass von Hauffs knapp fünfundzwanzig Lebensjahren die letzten drei das Hauptgewicht in dieser Biographie erhalten.
Das ist eine nachvollziehbare Entscheidung, denn Hauffs staunenswerte Produktivität - sein Gesamtwerk umfasst neben den drei berühmten Märchenalmanachen den umfangreichen Roman "Lichtenstein", Gedichte, Erzählungen, dramatische Versuche und zahlreiche journalistische Arbeiten - entfaltet sich in dieser äußerst knappen Zeit. Kittstein legt allerdings auch dar, welche Rolle Hauffs schulische Bildung, seine frühe Lektüre, gesellschaftliche Kontakte und Freundschaften für diese spätere Produktion spielen. Er untersucht Hauffs ambivalente Haltung zu den politischen Umbrüchen seiner Zeit, zur aufkommenden Napoleonverehrung und zu den Folgen der Metternichschen Repressionen, die ihn gerade als Publizisten betrafen. Ein Zentrum von Kittsteins Band liegt dann auch auf der spannungsreichen Zusammenarbeit zwischen Hauff und dem schon zu Lebzeiten legendären Verleger Johann Friedrich Cotta, der dem jungen und wenig erfahrenen Autor Ende 1826 tatsächlich die Leitung seines "Morgenblatts für gebildete Stände" anvertraute und ihn damit schlagartig in eine Schlüsselpostion des damaligen Literaturbetriebs beförderte.
Umso willkommener ist daher eine Edition aus den Beständen des Marbacher Literaturarchivs, die sämtliche Briefe umfasst, die Hauff an Cotta schrieb, ergänzt um einige Gegenbriefe und andere Schreiben aus dem Umfeld dieses Geschäftsverhältnisses. Deutlich wird rasch, dass ein grundsätzliches Missverständnis bis zum jähen Ende des Kontakts durch Hauffs Tod am 18. November 1827 zwar benannt, aber nicht ausgeräumt werden konnte: Hauff verstand sich als verantwortlicher Redakteur, Cotta dagegen ließ an ihm vorbei Texte ins "Morgenblatt" einrücken, wogegen Hauff sich unter Verweis auf seine "literarische" ebenso wie auf seine "bürgerliche" Ehre verwahrte - dieser Zusammenklang ist vielleicht das deutlichste Anzeichen dafür, dass Hauff eben nicht wie der Literaturbetriebsaspirant seiner Skizze "Die Bücher und die Lesewelt" das literarische Arbeiten abgelöst von allen ethischen Fragen betrachtete. Für Hauff jedenfalls scheint der Zusammenhang zwischen publizistischem Auftreten und dem Bild, das der selbstbewusste Bürger nach außen hin abgibt, recht eng gewesen zu sein, was dem Publizisten neue Pflichten ebenso auferlegt wie dass es ihm ungeahnte Freiheiten verleiht.
"Der bürgerliche Aufstieg", schreibt Kittstein, den Hauff seinen Märchenhelden beschert, "gelang ihrem Schöpfer kraft seines Talents in der Realität; in den Märchen gestaltete er verfremdend nach, was ihm wirklich widerfuhr, ihn deshalb aber nicht weniger märchenhaft dünkte."
Marktbeobachtung, so kann man ergänzen, ist nicht alles, schon gar nicht in der Literatur. An dieser Stelle könnte eine künftige Beschäftigung mit Wilhelm Hauff anknüpfen. Ergiebig genug dürfte sie sein.
TILMAN SPRECKELSEN
Ulrich Kittstein: "Wilhelm Hauff".
Wehrhahn Verlag, Hannover 2018. 132 S., br., 12,80 [Euro].
"Die Ehre des Redaktors". Wilhelm Hauffs Briefe an Johann Friedrich Cotta.
Hrsg. und mit einem Nachwort von Helmuth Mojem. Deutsche Schillergesellschaft, Marbach a. N. 2017. 132 S., br., 13,- [Euro].
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