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Wilhelm II. dankte nach dreißigjähriger Herrschaft ab, nachdem er das Deutsche Reich in Krieg und Untergang geführt hatte. Er war Kaiser im Deutschland der Jahrhundertwende, das ganz im Zeichen von wirtschaftlichem Aufbruch, Männlichkeitswahn und dem besessenen Streben nach militärischer Omnipotenz stand. Nicolaus Sombart zeichnet hier ein provokantes Porträt des letzten deutschen Kaisers, der als Staatsmann und Monarch scheiterte.

Produktbeschreibung
Wilhelm II. dankte nach dreißigjähriger Herrschaft ab, nachdem er das Deutsche Reich in Krieg und Untergang geführt hatte. Er war Kaiser im Deutschland der Jahrhundertwende, das ganz im Zeichen von wirtschaftlichem Aufbruch, Männlichkeitswahn und dem besessenen Streben nach militärischer Omnipotenz stand. Nicolaus Sombart zeichnet hier ein provokantes Porträt des letzten deutschen Kaisers, der als Staatsmann und Monarch scheiterte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.1996

Allerhöchstes Gesamtkunstwerk
Nicolaus Sombarts Biographie eines Sonntagskindes als Sündenbock / Von Franziska Augstein

Nicolaus Sombart, Autor und Connaisseur, hat ein Faible für die Noblesse. Er treibt Größe auch da noch auf, wo niemand anders sie vermutet. Alles hält Sombart der glücklosen Figur des letzten deutschen Kaisers zugute, nur eines nicht: daß dieser Wilhelm ein mittelmäßig begabter Mann mit einem unausgeglichenen Charakter gewesen sein könnte, der das Pech hatte, der Position nicht gewachsen zu sein, in die seine Geburt ihn stellte. Wer "Wilhelm II." liest und auf politisch-historische Aufgeklärtheit etwas gibt, taumelt von Entsetzen zu Entgeisterung. Sombart dreht dem aufgeklärten Denken eine lange Nase. Das kann ihm aber eigentlich nur vorwerfen, wer es anders erwartet hätte.

Der Essay versucht, den Kaiser in einem neuen Licht zu sehen. Dazu hat sein Verfasser sich freilich in den Schein ziemlich alter, trüber Laternen gestellt: Die Anschuldigungen, gegen die er Wilhelm II. verteidigt, stammen aus der Zeit der Weimarer Republik. Die intellektuelle Landschaft, in der er weilt und der er seine Maßstäbe entlehnt, gehört in die ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts. Heutige Historiker nennt Sombart zwar beim Namen, zeigt aber kein Interesse an ihren Debatten. Es fehlt nicht viel, und dieses Buch hätte in den zwanziger Jahren publiziert sein können. Auch sprachlich kommt es dem Stil vergangener Tage entgegen: Die klare, schöne Ausdrucksweise des Autors wirft sich gern zu einem Pathos auf, das nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Mode gekommen ist.

In Sombarts Händen wird Geschichtsschreibung zur Ästhetik. Dementsprechend macht er sein Objekt zum Kunstwerk: Wilhelms Regierung sei ein "Gesamtkunstwerk" wagnerianischer Prägung gewesen, der Kaiser "ein Ausnahmemensch", sein allerhöchster Charakter so besonders wie die Geschichte der Deutschen, die Sombart als "außergewöhnliches Völkerschicksal" auf den Sockel hebt.

Anläßlich der neuerlichen deutschen Einigung wird gern an den Reichsgründer Bismarck gedacht. Der hinterließ das Reich intakt, wenngleich mit dem fatalen Konstruktionsfehler, daß nur ein Mann wie er es lenken konnte. Wilhelms Lebenslauf hingegen ist mit der Niederlage von 1918 verknüpft, Deutschland wurde eine Republik, der Kaiser floh nach Holland. Das wurmt Nicolaus Sombart, der ihm ein besseres Andenken wünscht. "Diesem Mann", schreibt er, "ist Unrecht geschehen." Immer provokant, plädiert er für einen "Akt der Wiedergutmachung" an Wilhelm II. Dem sei der verheerende Ausgang des Ersten Weltkrieges zu Unrecht angelastet worden. (Der Punkt ist ein gutes Beispiel für Sombarts Hang zu Anachronismen: Seit den sechziger Jahren streiten die Historiker darüber, wieviel der Kaiser überhaupt zu sagen hatte. Daß er den Krieg nicht wollte, ist bekannt.)

Sombart will aber auf etwas anderes hinaus: Ohne sich irgendwie schuldig zu machen, sei Kaiser Wilhelm vom Schicksal ausersehen gewesen, die Reichsgründung zu sühnen. Für Sombart ist er der "Sündenbock", der in einem archaisch-mythologischen Sinn die "Schuld" für Bismarcks gewaltsame Schöpfung des Reichs auf sich nahm. Der Ethnologe James Frazer schlug die Sündenbockthese vor hundert Jahren vor. Auf exotische Stammesfürsten wird sie nicht mehr angewandt - aber auf Wilhelm II.: "Erhobenen Hauptes ist er in das von dem dämonischen Riesen mit Blut, Eisen und Gold errichtete Walhalla eingezogen. Auch er mußte irgendwie fühlen, daß es dem Untergang geweiht war." Worin sich diese kluge Vorahnung gezeigt haben soll, verrät Sombart leider nicht.

Die zeitgenössischen Urteile über Wilhelm waren weiß Gott profaner. Den Beobachtern bei Hof erschien der Thronfolger - das ungeliebte Kind mit dem tauben Arm - als putzsüchtiger, selbstgefälliger Jungmann, der "Sonne haben" mußte und noch für die gröbsten Schmeicheleien empfänglich war. Während die damaligen deutschen Granden sich über Wilhelms geschmacklose Prunksucht mokierten, preist Sombart sein Gespür für die Repräsentation, die in der Tat beim Volk gut ankam. Bismarck rümpfte die Nase über den arbeitsunwilligen, schlecht informierten Regenten: Für Wilhelm müsse "immer Sonntag" sein. Sombart hingegen, der "den bösen Alten im Sachsenwald" nicht leiden kann, hält Wilhelms Sinn für Pomp für sein größtes Verdienst: Vermöge seiner "grandiosen imperialen Show" habe er die Idee des Kaisertums überhaupt erst mit Leben erfüllt, dreißig Jahre lang, es grenze "an ein Wunder".

Die Regierungsaufgaben, die dem Kaiser in Bismarcks Verfassung zukamen, nährten das Pathos nicht, das der Autor mit vollen Kellen schöpft. Vielmehr wird es von der Idee des mittelalterlichen deutsch-römischen Imperators genährt. Der bezog seine Legitimation aus der sakralen Überhöhung seiner Person. Diese Sichtweise, die dem religiös-hierarchischen Empfinden einer sehr fernen Zeit entsprach, überträgt Sombart nun auf das moderne Deutsche Reich und Kaiser Wilhelm: Geschichtliche Überlieferung, plädiert er, müsse wahrgenommen werden.

Was dabei herauskommt, ist bisweilen wirklich drollig. Wilhelm entzog sich dem politischen Alltag, so gut er konnte. Er war gern unterwegs; auf Nordlandfahrt, im Mittelmeer, bei archäologischen Ausgrabungen und wo das Vergnügen ihn sonst noch hinzog. Anders als die damaligen Kommentatoren findet Sombart das durchaus bedeutsam: Als sei Wilhelm ein mittelalterlicher Herrscher gewesen, rechtfertigt er die kaiserliche Reiserei damit, daß sie "die sakrale Position des Reiches, als Reich der Mitte, in allen vier Himmelsrichtungen demonstrativ markiert".

Dann wieder vergleicht Sombart das Berliner Schloß mit dem zentralistischen Versailles Ludwigs XIV. Mit Respekt notiert er, daß die Hofhaltung nach dem Militär und der Flotte der drittgrößten Posten im Reichsetat war. Die Mythen überlagern sich. Bisweilen würde man gern erfahren, wie Wilhelm selbst sein Sendungsbewußtsein in Worte faßte. 1939 im Exil hat er sogar ein Buch über "Ursprung und Anwendung des Baldachins" veröffentlicht, in dem sich einiges über seine Ansichten von Herrschaft hätte finden lassen. Sombart vermeidet es indes, den Kaiser zu zitieren - als gefiele ihm sein Bild des Kaisers besser als der Kaiser selbst. So wie der sich die eigenen Orden entwarf, fabriziert sein Panegyriker sein persönliches Wilhelm-Bild.

Auch das europäische Staatengefüge nimmt sich in Sombarts pointierter Darstellung seltsam phantastisch aus. Er glaubt zum Beispiel, daß man "eine Typologie der verschiedenen Gesellschaftssysteme" entwerfen könne, "indem man die Rolle, die die männliche Homosexualität in ihnen spielt, zum ausschlaggebenden Parameter macht". Er hält das Deutsche Reich für das einzige Land, wo homosexuelle Neigungen in Brüderschaften und Männerbünden zu ihrem Recht kamen. Daß die Männerliebe, in jeder Gestalt, an den britischen Schulen und unter den britischen Führungsschichten zu Hause war, kommt ihm nicht in den Sinn: Weil Wilhelms Großmutter, Victoria, das Empire regierte, hätten die Deutschen dort matriarchale Kräfte walten sehen. Die Wilhelminische Flottenpolitik sei folglich darauf ausgewesen, die "gehaßte, aber zutiefst geliebte und begehrte ,Große Mutter' wiederzugewinnen".

So wurde zu Beginn des Jahrhunderts auch schon psychologisiert. Weder beweisbar noch widerlegbar, wie die Methode ist, kann man mit ihr alles machen. Das hat sie mit der mythensatten historiographischen Ästhetik gemeinsam, die Sombart betreibt. Einmal beiseite gelassen, daß seine Art der geschichtlichen Betrachtung vor siebzig Jahren kaum aus dem Rahmen gefallen wäre, ist sie ungemein originell.

Nicolaus Sombart: "Wilhelm II.". Sündenbock und Herr der Mitte. Verlag Volk und Welt, Berlin 1996. 245 S., 30 Abb., geb., 48,- DM.

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