Eine Lebensbeschreibung des berühmten Dichters der abendländischen Literatur aus der Feder eines der besten Shakespeare-Kenner der Gegenwart. Mit enormer Geschichtskenntnis und großem Scharfsinn entwirft Stephen Greenblatt ein überzeugendes Bild des großen Shakespeare in seiner Zeit.
Er war der wohl größte Dichter unserer abendländischen Kultur, aber über ihn ist weit weniger bekannt als über viele seiner Zeitgenossen. Kein Brief überlebte ihn, und als er starb, reagierten die Intellektuellen seiner Zeit kaum. Was wir von ihm haben, ist ein unsterbliches Werk, ein paar Schriftsätze aus Prozessen, die er betrieb, und ein überaus nüchternes Testament, in dem er seiner Frau sein zweitbestes Bett vermachte. Es gibt ein oder zwei Abbilder von ihm, aber mit Sicherheit kann niemand sagen, ob das sensible, intelligente Gesicht auf ihnen wirklich Shakespeare wiedergibt.
In seiner Biographie unternimmt es Stephen Greenblatt mit enormer Kenntnis und detektivischem Scharfsinn, die Lücken dieser von Rätseln umstellten Lebensgeschichte zu füllen, ihre seltsamen Ungewissheiten und Leerstellen zu erklären und Shakespeare zu einer historisch fassbaren Gestalt zu machen.
Dieses Werk ist von der Fachwelt lange erwartet worden, und es wird zweifellos als die Shakespeare-Biografie unserer Zeit in die Literaturgeschichte eingehen.
Er war der wohl größte Dichter unserer abendländischen Kultur, aber über ihn ist weit weniger bekannt als über viele seiner Zeitgenossen. Kein Brief überlebte ihn, und als er starb, reagierten die Intellektuellen seiner Zeit kaum. Was wir von ihm haben, ist ein unsterbliches Werk, ein paar Schriftsätze aus Prozessen, die er betrieb, und ein überaus nüchternes Testament, in dem er seiner Frau sein zweitbestes Bett vermachte. Es gibt ein oder zwei Abbilder von ihm, aber mit Sicherheit kann niemand sagen, ob das sensible, intelligente Gesicht auf ihnen wirklich Shakespeare wiedergibt.
In seiner Biographie unternimmt es Stephen Greenblatt mit enormer Kenntnis und detektivischem Scharfsinn, die Lücken dieser von Rätseln umstellten Lebensgeschichte zu füllen, ihre seltsamen Ungewissheiten und Leerstellen zu erklären und Shakespeare zu einer historisch fassbaren Gestalt zu machen.
Dieses Werk ist von der Fachwelt lange erwartet worden, und es wird zweifellos als die Shakespeare-Biografie unserer Zeit in die Literaturgeschichte eingehen.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Andreas Dorschel kann nur den Kopf schütteln über einen derart "groben" biografischen Zugriff, mit dem Stephen Greenblatt, dessen Buch über Shakespeare fast gleichzeitig in englischer und deutscher Fassung erscheint, den Schriftsteller aus seinem Werk, und das Werk aus der Lebensgeschichte des Schriftstellers erklären will. Das Werkzeug des Autors ist die "Empathie", mit der er sich in alles und jeden einzufühlen versucht, stellt der entgeisterte Rezensent fest, der über die "Banalität" einiger Äußerungen nur staunen kann. Greenblatt füllt "Lücken" in der Quellenlage mit Vermutungen und, wenn das nicht weiterführt, mit "Leerformeln", schimpft der Rezensent, der vermutet, dass das Buch seine Entstehung allein dem Umstand zu verdanken hat, dass ein "angelsächsischer Literaturprofessor, der auf sich hält", in seiner Laufbahn nun mal ein Werk über Shakespeare vorzulegen hat. Die Leser allerdings hätten auf die "sympathetischen Kommentare", die der Autor seinem "Will" und dessen Zeit angedeihen lässt, getrost verzichten können, so Dorschel böse.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.12.2004Dichter der Hasen
Alltagstauglich: Stephen Greenblatt erzählt Shakespeares Leben
Alle Biographien sind Wunscherfüllungen. Das Leben großer Geister auf eine Weise faßlich nachzulesen, daß ihre epochalen Werke sich in den Zusammenhang der uns verständlichen Aktionen einreihen, verschafft uns Zauberlehrlingen gewiß Lustgewinn. Andererseits verlieren alte Hexenmeister ganz empfindlich an Betörungskraft, wenn ihre Größe umstandslos auf Allerweltsmaß schrumpft. Deshalb wünschen wir uns wohl am liebsten Biographien, die solche gegensätzlichen Bedürfnisse zugleich bedienen und, wie im Traum, das Widerstreitende verdichten. Beispielsweise entspringt der Impuls, Shakespeares Leben zu erkunden, wie Stephen Greenblatt schreibt, "letztlich" der Überzeugung, daß seine Werke auch aus Dingen schöpfen, "die er aus erster Hand, mit Leib und Seele kannte". Dennoch ist auch dieser Biograph erklärtermaßen überzeugt, daß alle Hinweise auf Shakespeares Leib und Leben niemals hinreichen, "das Geheimnis so unermeßlich kreativer Kraft zu enträtseln". Sein "Will in der Welt" will also beides leisten: Empirie und Enigma, Alltag und Allmacht, Welt und William gleichermaßen zu vermitteln. Selten hatte man als Leser denn auch die Erwartung, einer Traumerfüllung so nahe zu kommen.
Oft ist behauptet worden, daß über Shakespeare kaum etwas bekannt und noch viel weniger gesichert sei. Das Gegenteil trifft zu. Zwar hat sich seit etwa hundert Jahren die Quellenlage nicht wesentlich erweitert, doch aus den verfügbaren Dokumenten gewinnt man Aufschluß über so viele Details, daß wir über Shakespeares Leben jedenfalls weit besser als über das der meisten seiner zeitgenössischen Kollegen informiert sind. Die große Frage ist vielmehr, was davon uns wissenswert erscheint. "Im Jahre 1604 lagerte er in seiner Scheune in Stratford mehr Malz, als er (oder, um genauer zu sein, seine Frau) für den häuslichen Bedarf brauchte", erfährt man beispielsweise aus den Akten eines Rechtsstreits, den er mit einem "benachbarten Apotheker, der im Nebenberuf Ale braute", führte. Der Streitwert betrug "35 Schilling 10 Pence zuzüglich Schadensersatz"; die Verhandlung zog sich hin, Shakespeare ließ nicht locker. "Es kostete Kraft, die Sache zu verfolgen", erklärt Greenblatt. Kraft? Diese Sache? Wissen wir denn nicht, daß der Schöpfer des "King Lear" über gänzlich andere Kräfte verfügen mußte, so daß uns Malz und Ale und alle provinziellen Possen, in die er sich verstricken mochte, herzlich schnurz sein dürfen? Es ist diese Banalität des Barden, die das eigentliche Problem aller Shakespeare-Biographik bildet.
Für Greenblatt bildet sie den Reiz. Mit offenkundigem Genuß entfaltet er das breite Panorama jener ländlich-bürgerlichen Anstandswelt, aus der Shakespeare stammte und in die er sich auf der Höhe des Erfolgs als wohlhabender Mann zurückzog; mit Verve und Witz erzählt er viele jener kolportierten Anekdoten, die sich seit dem späten siebzehnten Jahrhundert um ihn ranken, um die dokumentarischen Lebensspuren auszuschmücken; und mit dezentem Spott quittiert er das "absurde Wunschdenken" früherer Biographen, die alle verfügbaren Quellen als Zeugnis eines edlen Menschen umzudeuten suchten - beispielsweise wenn sie meinten, das notorische "zweitbeste Bett", mit dem Shakespeare seine Ehefrau testamentarisch bedachte, sei "wahrscheinlich bequemer" und damit das "zärtliche Andenken" eines liebenden Gatten gewesen. Tatsächlich ist der allseitige Wunsch, endlich Aufschluß über den wahren Shakespeare zu gewinnen, seit mehr als zwei Jahrhunderten so mächtig, daß ihm nur mit Hilfe von Fiktionen beizukommen ist - seien es die vom Bühnenwelterfinder selbst oder die von seinen Biographen. Die eigentliche Welt von Will, das zeigt auch Greenblatts Buch, ist nichts als Vorstellung.
Freimütig bekennt der Autor sich im Vorwort zur Notwendigkeit, von der eigenen Phantasie Gebrauch zu machen. Immer wieder verdichtet seine Spurenlese sich zu kleinen Genrebildern - Will auf der Schulbank, Will im Theater, Will beim Gang über die Brücke nach London, Will bei den Seinen daheim -, deren Erfindungsreichtum durch Konjunktive und Adverbien ("könnte", "vermutlich", "müßte", "vielleicht") nur notdürftig eingedämmt erscheint. Vielfach wird dafür ausdrücklich an unsere Phantasiekraft appelliert, die Lücken im Überlieferten zu schließen, ganz wie Shakespeares Chorus-Figur in "Heinrich V." ständig darum bittet, die behelfsmäßige Darstellung der kargen Bühne imaginativ zu retten. Dabei sind es für den Biographen stets die dichterischen Werke selbst, die unserer Vorstellung von der Verfassung ihres Autors auf die Sprünge helfen sollen. Im "Sturm" raunt Prospero zehn Verse lang vom unbequemen Eheleben, und also folgern wir sogleich, daß diese Verse "anscheinend" aus einem "tiefen Born der Verbitterung über eine unglückliche Ehe" schöpfen. So macht die Fiktion Analytiker aus allen, die darin nur die Selbstkundgabe des bedrängten Dichters sehen.
Die Methode, das Werk als Schlüssel zum Lebenskontext auszudeuten, ist so alt wie die romantische Shakespeare-Lektüre. Die Erkenntnisse, die Stephen Greenblatt hier aus diesem Born der Biographik schöpft, sind daher weniger neu oder erstaunlich als die Tatsache, daß ausgerechnet dieser Autor nun darauf verfällt. Keine zwei Jahrzehnte ist es her, daß Greenblatt der Renaissance-Forschung in seinen "Verhandlungen mit Shakespeare" (auf deutsch im Wagenbach-Verlag erschienen) dadurch neue Wege wies, daß er sich vehement gegen die Feier einer numinosen literarischen Autorität wandte und, statt den Dramatiker ins Zentrum kritischer Betrachtung zu stellen, unseren Blick auf kulturelle Austauschprozesse in und mit den Texten richtete. Mittlerweile jedoch, da die Einsichten des so begründeten "New Historicism" längst in die Modulplanung der unvermeidlichen Bachelor-Abschlüsse eingegangen sind, verstehen wir erst wirklich, daß es Greenblatt damals ernst meinte, als er sich "persönlich von eher konventionellem Geschmack" charakterisierte.
Oder sollten wir die eher konventionelle Machart seiner neuen Shakespeare-Biographie besser als Ausdruck jener Kunst des subversiven Simulierens sehen, die er Shakespeares Schlüsselfiguren seit je zuschreibt? "Könnte eine Stute ein Liebesgedicht an einen Hengst schreiben" oder "könnte ein Hase ein Gedicht darüber schreiben, wie elend es ist, gejagt zu werden", erfahren wir hier bei passender Gelegenheit, dann schrieben sie es genauso wie Shakespeare. Dieselbe Mühelosigkeit, mit der Shakespeare sich also stets in andere hineinversetzt, legt auch Greenblatt an den Tag, wenn er virtuos auf der Klaviatur herkömmlicher Hagiographen spielt. Die verstörende Intimität eines mörderischen Ehepaars wie der Macbeths gilt ihm als Kommentar zur verfehlten Heirat mit Anne Hathaway; die gepeinigte Innerlichkeit Hamlets entspringe dem "Kern der eigenen inneren Unruhe" nach dem Tod des Sohnes; die Darstellung von Vater-Tochter-Beziehungen in den späten Stücken verraten "tiefe Ängste vor inzestuösen Beziehungen" zu Tochter Susanna. Shakespeares Bühnenlebenswerk - eine Familienaufstellung?
Die Pointe von "Will in der Welt" liegt allerdings darin, daß dieser Lebensbericht solche Deutungsmuster zwar nahelegen und ihnen doch nicht gänzlich trauen will. Mitunter gibt es Augenblicke, in denen der Autor kurzzeitig wie im Beiseite-Sprechen aus der Rolle tritt und zwinkernd zu verstehen gibt, daß es durchaus "kein naheliegendes Bindeglied" zwischen Werk und Leben gibt. Greenblatt ist ein glänzender Erzähler, und seine Gabe ist es eben, aus lauter missing links eine folgerichtige Geschichte zu konstruieren. Früheren Büchern von ihm ist regelmäßig vorgeworfen worden, daß sie sich im Anekdotischen erschöpfen und es an Stringenz fehlen lassen. Mit der Biographie hat er sich jetzt genau das Genre vorgenommen, bei dem die Anekdote den einzig gangbaren Weg eröffnet, der Kontingenz eines Menschenlebens nachzugehen.
In vielen Passagen kehren dabei die Figuren und die großen Thesen seiner alten Shakespeare-Verhandlungen wie vertraute Weggefährten wieder. Am bemerkenswertesten ist daher, daß er jetzt ein zentrales Kapitel der Shylock-Figur und damit einem Stück widmet, zu dem er bislang auffallend wenig gesagt hat. Greenblatts emphatische Aufwertung dieser verstörenden Vaterrolle, die sich von den komödiantischen wie den antisemitischen Klischees, die sie bedingen, für ihn löst, ist sicher auch als Reverenz an einen großen Vorgänger zu lesen: Sidney Lee, der seinen Namen Solomon Lazarus anglisiert hatte, verfaßte nicht nur den Shakespeare-Eintrag für das große "Dictionary of National Biography", sondern warb auch als Historiker für die Anerkennung des jüdischen Beitrags zur elisabethanischen Kultur. Das Beispiel aus dem späten neunzehnten Jahrhundert zeigt, daß, wer die Biographie Shakespeares schreibt, zugleich an seiner eigenen arbeitet.
Bei Stephen Greenblatt kulminiert das Unternehmen allerdings im "Triumph des Alltags". Die letzten Lebenstage des genialen Welt- und Bühnenerschütterers gelten Dramen um den ungeratenen Schwiegersohn und die Einhegung von Landbesitz. "Dies ist keine schreckliche Geschichte, aber sie ist auch nicht erbaulich", kommentiert der Biograph die Landaffäre, "sie ist lediglich auf unangenehme Weise gewöhnlich." Dem kann man umstandslos beipflichten. Auch "Will in der Welt" ist gewiß keine schreckliche Geschichte, sie ist lediglich erbaulich. Wie jedoch Shakespeare zu Shakespeare wurde, was zu erzählen sie uns anschickte, bleibt weiterhin zum Glück nur Wunschvorstellung.
Stephen Greenblatt: "Will in der Welt". Wie Shakespeare zu Shakespeare wurde. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Martin Pfeiffer. Berlin Verlag, Berlin 2004. 507 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alltagstauglich: Stephen Greenblatt erzählt Shakespeares Leben
Alle Biographien sind Wunscherfüllungen. Das Leben großer Geister auf eine Weise faßlich nachzulesen, daß ihre epochalen Werke sich in den Zusammenhang der uns verständlichen Aktionen einreihen, verschafft uns Zauberlehrlingen gewiß Lustgewinn. Andererseits verlieren alte Hexenmeister ganz empfindlich an Betörungskraft, wenn ihre Größe umstandslos auf Allerweltsmaß schrumpft. Deshalb wünschen wir uns wohl am liebsten Biographien, die solche gegensätzlichen Bedürfnisse zugleich bedienen und, wie im Traum, das Widerstreitende verdichten. Beispielsweise entspringt der Impuls, Shakespeares Leben zu erkunden, wie Stephen Greenblatt schreibt, "letztlich" der Überzeugung, daß seine Werke auch aus Dingen schöpfen, "die er aus erster Hand, mit Leib und Seele kannte". Dennoch ist auch dieser Biograph erklärtermaßen überzeugt, daß alle Hinweise auf Shakespeares Leib und Leben niemals hinreichen, "das Geheimnis so unermeßlich kreativer Kraft zu enträtseln". Sein "Will in der Welt" will also beides leisten: Empirie und Enigma, Alltag und Allmacht, Welt und William gleichermaßen zu vermitteln. Selten hatte man als Leser denn auch die Erwartung, einer Traumerfüllung so nahe zu kommen.
Oft ist behauptet worden, daß über Shakespeare kaum etwas bekannt und noch viel weniger gesichert sei. Das Gegenteil trifft zu. Zwar hat sich seit etwa hundert Jahren die Quellenlage nicht wesentlich erweitert, doch aus den verfügbaren Dokumenten gewinnt man Aufschluß über so viele Details, daß wir über Shakespeares Leben jedenfalls weit besser als über das der meisten seiner zeitgenössischen Kollegen informiert sind. Die große Frage ist vielmehr, was davon uns wissenswert erscheint. "Im Jahre 1604 lagerte er in seiner Scheune in Stratford mehr Malz, als er (oder, um genauer zu sein, seine Frau) für den häuslichen Bedarf brauchte", erfährt man beispielsweise aus den Akten eines Rechtsstreits, den er mit einem "benachbarten Apotheker, der im Nebenberuf Ale braute", führte. Der Streitwert betrug "35 Schilling 10 Pence zuzüglich Schadensersatz"; die Verhandlung zog sich hin, Shakespeare ließ nicht locker. "Es kostete Kraft, die Sache zu verfolgen", erklärt Greenblatt. Kraft? Diese Sache? Wissen wir denn nicht, daß der Schöpfer des "King Lear" über gänzlich andere Kräfte verfügen mußte, so daß uns Malz und Ale und alle provinziellen Possen, in die er sich verstricken mochte, herzlich schnurz sein dürfen? Es ist diese Banalität des Barden, die das eigentliche Problem aller Shakespeare-Biographik bildet.
Für Greenblatt bildet sie den Reiz. Mit offenkundigem Genuß entfaltet er das breite Panorama jener ländlich-bürgerlichen Anstandswelt, aus der Shakespeare stammte und in die er sich auf der Höhe des Erfolgs als wohlhabender Mann zurückzog; mit Verve und Witz erzählt er viele jener kolportierten Anekdoten, die sich seit dem späten siebzehnten Jahrhundert um ihn ranken, um die dokumentarischen Lebensspuren auszuschmücken; und mit dezentem Spott quittiert er das "absurde Wunschdenken" früherer Biographen, die alle verfügbaren Quellen als Zeugnis eines edlen Menschen umzudeuten suchten - beispielsweise wenn sie meinten, das notorische "zweitbeste Bett", mit dem Shakespeare seine Ehefrau testamentarisch bedachte, sei "wahrscheinlich bequemer" und damit das "zärtliche Andenken" eines liebenden Gatten gewesen. Tatsächlich ist der allseitige Wunsch, endlich Aufschluß über den wahren Shakespeare zu gewinnen, seit mehr als zwei Jahrhunderten so mächtig, daß ihm nur mit Hilfe von Fiktionen beizukommen ist - seien es die vom Bühnenwelterfinder selbst oder die von seinen Biographen. Die eigentliche Welt von Will, das zeigt auch Greenblatts Buch, ist nichts als Vorstellung.
Freimütig bekennt der Autor sich im Vorwort zur Notwendigkeit, von der eigenen Phantasie Gebrauch zu machen. Immer wieder verdichtet seine Spurenlese sich zu kleinen Genrebildern - Will auf der Schulbank, Will im Theater, Will beim Gang über die Brücke nach London, Will bei den Seinen daheim -, deren Erfindungsreichtum durch Konjunktive und Adverbien ("könnte", "vermutlich", "müßte", "vielleicht") nur notdürftig eingedämmt erscheint. Vielfach wird dafür ausdrücklich an unsere Phantasiekraft appelliert, die Lücken im Überlieferten zu schließen, ganz wie Shakespeares Chorus-Figur in "Heinrich V." ständig darum bittet, die behelfsmäßige Darstellung der kargen Bühne imaginativ zu retten. Dabei sind es für den Biographen stets die dichterischen Werke selbst, die unserer Vorstellung von der Verfassung ihres Autors auf die Sprünge helfen sollen. Im "Sturm" raunt Prospero zehn Verse lang vom unbequemen Eheleben, und also folgern wir sogleich, daß diese Verse "anscheinend" aus einem "tiefen Born der Verbitterung über eine unglückliche Ehe" schöpfen. So macht die Fiktion Analytiker aus allen, die darin nur die Selbstkundgabe des bedrängten Dichters sehen.
Die Methode, das Werk als Schlüssel zum Lebenskontext auszudeuten, ist so alt wie die romantische Shakespeare-Lektüre. Die Erkenntnisse, die Stephen Greenblatt hier aus diesem Born der Biographik schöpft, sind daher weniger neu oder erstaunlich als die Tatsache, daß ausgerechnet dieser Autor nun darauf verfällt. Keine zwei Jahrzehnte ist es her, daß Greenblatt der Renaissance-Forschung in seinen "Verhandlungen mit Shakespeare" (auf deutsch im Wagenbach-Verlag erschienen) dadurch neue Wege wies, daß er sich vehement gegen die Feier einer numinosen literarischen Autorität wandte und, statt den Dramatiker ins Zentrum kritischer Betrachtung zu stellen, unseren Blick auf kulturelle Austauschprozesse in und mit den Texten richtete. Mittlerweile jedoch, da die Einsichten des so begründeten "New Historicism" längst in die Modulplanung der unvermeidlichen Bachelor-Abschlüsse eingegangen sind, verstehen wir erst wirklich, daß es Greenblatt damals ernst meinte, als er sich "persönlich von eher konventionellem Geschmack" charakterisierte.
Oder sollten wir die eher konventionelle Machart seiner neuen Shakespeare-Biographie besser als Ausdruck jener Kunst des subversiven Simulierens sehen, die er Shakespeares Schlüsselfiguren seit je zuschreibt? "Könnte eine Stute ein Liebesgedicht an einen Hengst schreiben" oder "könnte ein Hase ein Gedicht darüber schreiben, wie elend es ist, gejagt zu werden", erfahren wir hier bei passender Gelegenheit, dann schrieben sie es genauso wie Shakespeare. Dieselbe Mühelosigkeit, mit der Shakespeare sich also stets in andere hineinversetzt, legt auch Greenblatt an den Tag, wenn er virtuos auf der Klaviatur herkömmlicher Hagiographen spielt. Die verstörende Intimität eines mörderischen Ehepaars wie der Macbeths gilt ihm als Kommentar zur verfehlten Heirat mit Anne Hathaway; die gepeinigte Innerlichkeit Hamlets entspringe dem "Kern der eigenen inneren Unruhe" nach dem Tod des Sohnes; die Darstellung von Vater-Tochter-Beziehungen in den späten Stücken verraten "tiefe Ängste vor inzestuösen Beziehungen" zu Tochter Susanna. Shakespeares Bühnenlebenswerk - eine Familienaufstellung?
Die Pointe von "Will in der Welt" liegt allerdings darin, daß dieser Lebensbericht solche Deutungsmuster zwar nahelegen und ihnen doch nicht gänzlich trauen will. Mitunter gibt es Augenblicke, in denen der Autor kurzzeitig wie im Beiseite-Sprechen aus der Rolle tritt und zwinkernd zu verstehen gibt, daß es durchaus "kein naheliegendes Bindeglied" zwischen Werk und Leben gibt. Greenblatt ist ein glänzender Erzähler, und seine Gabe ist es eben, aus lauter missing links eine folgerichtige Geschichte zu konstruieren. Früheren Büchern von ihm ist regelmäßig vorgeworfen worden, daß sie sich im Anekdotischen erschöpfen und es an Stringenz fehlen lassen. Mit der Biographie hat er sich jetzt genau das Genre vorgenommen, bei dem die Anekdote den einzig gangbaren Weg eröffnet, der Kontingenz eines Menschenlebens nachzugehen.
In vielen Passagen kehren dabei die Figuren und die großen Thesen seiner alten Shakespeare-Verhandlungen wie vertraute Weggefährten wieder. Am bemerkenswertesten ist daher, daß er jetzt ein zentrales Kapitel der Shylock-Figur und damit einem Stück widmet, zu dem er bislang auffallend wenig gesagt hat. Greenblatts emphatische Aufwertung dieser verstörenden Vaterrolle, die sich von den komödiantischen wie den antisemitischen Klischees, die sie bedingen, für ihn löst, ist sicher auch als Reverenz an einen großen Vorgänger zu lesen: Sidney Lee, der seinen Namen Solomon Lazarus anglisiert hatte, verfaßte nicht nur den Shakespeare-Eintrag für das große "Dictionary of National Biography", sondern warb auch als Historiker für die Anerkennung des jüdischen Beitrags zur elisabethanischen Kultur. Das Beispiel aus dem späten neunzehnten Jahrhundert zeigt, daß, wer die Biographie Shakespeares schreibt, zugleich an seiner eigenen arbeitet.
Bei Stephen Greenblatt kulminiert das Unternehmen allerdings im "Triumph des Alltags". Die letzten Lebenstage des genialen Welt- und Bühnenerschütterers gelten Dramen um den ungeratenen Schwiegersohn und die Einhegung von Landbesitz. "Dies ist keine schreckliche Geschichte, aber sie ist auch nicht erbaulich", kommentiert der Biograph die Landaffäre, "sie ist lediglich auf unangenehme Weise gewöhnlich." Dem kann man umstandslos beipflichten. Auch "Will in der Welt" ist gewiß keine schreckliche Geschichte, sie ist lediglich erbaulich. Wie jedoch Shakespeare zu Shakespeare wurde, was zu erzählen sie uns anschickte, bleibt weiterhin zum Glück nur Wunschvorstellung.
Stephen Greenblatt: "Will in der Welt". Wie Shakespeare zu Shakespeare wurde. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Martin Pfeiffer. Berlin Verlag, Berlin 2004. 507 S., geb., 24,90 [Euro].
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"Dies ist, endlich, das Buch, das Shakespeare verdient hat: ein brillantes Buch, geschrieben von einem virtuellen Augenzeugen, der versteht, wie ein Dramatiker den Stoff seines Lebens in Theater verwandelt." (Charles Mee, Dramatiker)