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Der ehemalige Ingenieur Willenbrock verkauft nach der Wende gebrauchte Autos. Als von seinem Gelände Autos gestohlen werden und er von russisch sprechenden Einbrechern überfallen wird, fühlt er sich immer mehr existenziell bedroht - zumal die neuen Verhältnisse ihn mit der Devise überfordern: Hilf dir selbst.

Produktbeschreibung
Der ehemalige Ingenieur Willenbrock verkauft nach der Wende gebrauchte Autos. Als von seinem Gelände Autos gestohlen werden und er von russisch sprechenden Einbrechern überfallen wird, fühlt er sich immer mehr existenziell bedroht - zumal die neuen Verhältnisse ihn mit der Devise überfordern: Hilf dir selbst.
Autorenporträt
Christoph Hein, geboren 1944 in Heinzendorf in Schlesien, aufgewachsen in Leipzig und Westberlin, kehrte 1960 in die DDR zurück und arbeitete von 1961-67 unter anderem als Journalist, Schauspieler und Regieassistent. Von 1967 - 71 studierte er Philosophie in Leipzig und Berlin (Humboldt Universität). Danach arbeitete er zunächst als Dramaturg, ab 1974 auch als Autor der Volksbühne Berlin. Seit 1979 ist er freier Schriftsteller und seit 1992 Mitherausgeber der Wochenzeitung 'Freitag'. Der Schriftsteller und Dramaturg ist Mitglied der Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Heinrich Mann-Preis der Akademie der Künste der DDR (1982), dem Erich-Fried-Preis (1990), dem Solothurner Literaturpreis (2000), dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur (2002), dem Schiller-Gedächtnispreis des Landes Baden-Württemberg (2004) und dem Walter-Hasenclever-Literaturpreis der Stadt Aachen (2008). 2010 wurde Christoph Hein der Eichendorff-Literaturpreis verliehen, 2012 der Uwe Johnson Preis und 2013 der Internationale Stefan-Heym-Preis der Stadt Chemnitz. Chrisoph Hein wurde außerdem 1994 das Bundesverdienstkreuz verliehen. Der Autor lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.04.2000

Teufelspakt mit einem Zivilisten
Von heute an im Vorabdruck: "Willenbrock", der neue Roman von Christoph Hein

Es ist gefährlich, Taxifahrer zu erfinden. Denn sie sind Figuren von niederschmetternder Berechenbarkeit. Das ist ihre Rache für das ständige Herbeizitiertwerden in hastig geschriebenen Reportagen, in denen sie Volkes Stimme einen möglichst fülligen Körper zu geben haben. Christoph Hein kann in seinem neuen Roman auf dergleichen kunsthandwerkliche Skrupel keine Rücksicht nehmen. Irgendwie muss Bernd Willenbrock vom Krankenhaus, wo er sich hat röntgen lassen, zurück in sein Landhaus am Stettiner Haff, in dem er in der Nacht zuvor überfallen und mit Eisenstangen traktiert wurde. Für den Rücktransport ist das Krankenhaus nun einmal nicht zuständig.

Also Taxi. Als Willenbrock sagt, dass er überfallen wurde, pfeift der Fahrer durch die Zähne und sagt: "Willkommen im Club." Am Ende der Fahrt greift er unter sein Lenkrad und zieht eine Pistole hervor: "Das ist meine Risikoversicherung. Sie beruhigt ungemein." Christoph Hein kann sich seiner Geschichte so sicher sein, dass er sich vom Klischee nicht schrecken lassen muss. Er erzählt die Geschichte des Berliner Gebrauchtwagenhändlers Bernd Willenbrock durch das Klischee hindurch. Er macht aus dem Taxifahrer eine flüchtig auftauchende Doppelgängerfigur, holt ihn in eine Teufelspakt-Erzählung hinein, deren romantische Urbilder freilich in der durch und durch prosaischen Welt dieses Helden kunstvoll versteckt sind.

Die Versuchung ist ein schwarz schimmernder, metallisch kühler Revolver, den ein ebenso verlässlicher wie zwielichtiger russischer Kunde dem Gebrauchtwagenhändler als Schutz gegen Überfälle anbietet. Und von Überfällen ist Willenbrock wahrlich geplagt. Der Osten, dem er seine besten Kunden verdankt, ist zugleich eine Welt, von der Gefahren ausgehen. Das Experiment, dem Christoph seinen Helden aussetzt, lässt sich in die Frage fassen: Wieviele Überfälle hält einer aus, bis er den Rechtsstaat Rechtsstaat sein lässt und beim Faustrecht Zuflucht sucht?

Die Frage gewinnt ihre Spannung nicht zuletzt daraus, dass der Held gegen das Klischee besetzt ist. Er ist ehemaliger DDR-Bürger knapp zehn Jahre nach der Wende, aber auf die Frage, wie es ihm geht, kann er lapidar antworten: "Spitzensteuersatzmäßig." Auf seinen polnischen Mechaniker kann er sich verlassen, das Geschäft geht so gut, dass er seiner Frau eine Boutique hat einrichten können. Gut, er war früher Ingenieur in einem volkseigenen Betrieb, der nach dem Mauerfall Pleite machte. Dass er nie Dienstreisen, schon gar nicht in den Westen, machen durfte, hatte er der Bespitzelung durch einen Kollegen zu verdanken. Aber nicht dessen Enttarnung zieht ihm den Boden unter den Füßen weg. Sondern die Erfahrung des Überfalls, der Wehrlosigkeit. Eigentlich könnte er die alten Stasi-Geschichten auf sich beruhen lassen. Darin ähnelt er seinem Autor, der die Vergangenheit nur hochkommen lässt, um ihr mit der Gegenwart den Garaus zu machen. Diese Gegenwart aber ist aus jenem Stoff gemacht, aus dem rechte Protestparteien nicht nur in den neuen Bundesländern ihre Wahlbroschüren destillieren: dem Anschlag krimineller Banden aus dem Osten Europas auf den nichts ahnenden Bundesbürger.

Christoph Hein, seit "Horns Ende" (1985) ein verlässlicher Chronist der Gesellschaften, in denen er lebt, stellt sich in diesem Roman der Aufgabe, diesen Stoff mit den Mitteln der Literatur zu entgiften. Hätte er es sich dabei leicht gemacht, es wäre eine moralische Erzählung, ein willkommenes Plädoyer gegen hysterische Ängste samt probater Warnung vor der Dämonisierung des Ostens dabei herausgekommen. Aber Christoph Hein gestattet es sich, seine Ängste als begründet darzustellen. Seine Russen sind wie seine Taxifahrer: Klischees, denen er eine psychologische Erzählung abgewinnt.

In den in Amerika für das Durchspielen des Konflikts zwischen Sicherheitsbedürfnis und Rechtsstaat zuständigen, seit Generationen erprobten Genres, im Western und im Kriminalroman, hätte der Held von Beginn an eine Waffe. Christoph Hein aber geht von deutschen Spielregeln aus. Ihm wird der Prozess der Selbstbewaffnung zu einem dramatischen Geschehen, und er ist klug genug, seinen Helden nicht schon von Beginn an rot sehen zu lassen. Bernd Willenbrock ist ein wenig gebildeter, als es das Klischee des Gebrauchtwagenhändlers vorsieht. Er ist sehr viel korrekter in seiner Buchführung und unendlich viel skrupulöser gegenüber aller Gewaltanwendung. Waffennarren hat er stets verachtet. Es braucht einige Zeit, einen solch instinktiven Zivilisten in die Falle der Selbstjustiz zu treiben. Eben deshalb taugt er zum Helden einer Teufelspaktgeschichte, in der am Ende ein Schuss fällt und bekehrte Finger vorsichtig über das glänzende Metall streichen.

LOTHAR MÜLLER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Man spürt: Gerhard Schulz wollte freundlich mit Heins Roman sein, obwohl er ihm nicht wirklich gefallen hat. Gleich zu Beginn macht er auf einen literarischen Urahn des Autohändlers Willenbrock aufmerksam, Kleists Michael Kohlhaas und dessen Rosshandel nämlich. Und dass es bei Hein um eine "der wichtigsten Ikonen deutschen Wertbewußtseins, um das Auto" geht. Routiniert aber etwas lustlos stellt Schulz dann Hauptfiguren und Handlungsstränge vor und holt sich Schreib- und Denkmotivation immer wieder bei Rückgriffen auf Kleist.. Es fällt auch das böse Wort Langeweile, das der Kritiker aber gleich zurücknimmt, um dem Roman durchaus Sogwirkung zu bescheinigen. Auch gebe es "hie und da stilistische Nachlässigkeiten", als sei es "ein wenig zu hastig zugegangen mit der Umarmung durch den neuen Verlag".

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