Nachdem die Debatten über die Willensfreiheit vor allem zwischen Neurowissenschaftlern und Philosophen lange Zeit unversöhnlich geführt wurden, ist es an der Zeit für einen Brückenschlag zwischen den Fronten. Diesen möchte der vorliegende Band leisten, indem er die Freiheit des Willens bzw. das Problem des Determinismus aus neuen, zum Teil ganz unerwarteten Perspektiven in den Blick nimmt. Quantenphysikalische Lösungen stehen hier z.B. neben zeitphilosophischen Erörterungen. Einen Schwerpunkt bilden Beiträge aus der Psychiatrie, die sich in besonderer Weise eignet, dem Thema an Beispielen wie dem psychisch kranken Straftäter neue Einsichten abzugewinnen sowie zwischen Natur-, Geistes- und auch Rechtswissenschaften zu vermitteln.Mit Beiträgen von Michael Pauen, Peter Bieri, Thomas Fuchs, Christian Kupke, Christian Kupke und Kai Vogeley, Friedel M. Reischies, Thomas Görnitz und Brigitte Görnitz, Christoph Mundt, Klaus Brücher und Uwe Gonther, Jann Schlimme, Bernhard Küchenhoff, Henrik Walter, Clemens Cording
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.04.2007Eine Debatte, die nicht vergehen will
Die Diskussion über Determinismus und Willensfreiheit ist nicht etwa zum Versiegen gekommen, sie hat sich in den letzten zwei, drei Jahren im Gegenteil immer weiter verästelt. Zuletzt war die altehrwürdige Determinismusthese von einigen Hirnforschern neurowissenschaftlich formuliert worden. Viel Aufwand brauchte es dazu nicht, oft nur das Missverständnis, dass man dem "Geist" der philosophischen Tradition seine metaphysischen Mucken ausgetrieben habe, wenn man ihn gut materialistisch mit dem Gehirn identifiziert. Dann schien es manchen nur noch ein kleiner Schritt zur Widerlegung der Willensfreiheit im Laborversuch.
Dass von einer solchen empirischen Widerlegung keine Rede sein könne, dürfte eines der klarsten Ergebnisse der jüngsten Debatten sein. Die dafür ins Feld geführten Gründe sind vielfältig, wie auch der Blick in einige neuere Bücher zum Thema vor Augen führt. Der Neurologe Lüder Deecke zeigt in einer bündigen Darstellung, warum Experimente basierend auf der Wiederholung stereotyper, einfacher Bewegungen wie bei Benjamin Libet die Frage des freien Willens nicht klären können. Nicht ohne Reiz an der Sache ist, dass Deecke einer der beiden Entdecker jener Kenngröße ist, des Aktionspotentials, deren Auftreten vor dem bewussten Entschluss zur Ausführung der Bewegungen dem freien Willen den Garaus machen sollte ("Sinnorientiertes Wollen und Handeln zwischen Hirnphysiologie und kultureller Gestaltungsleistung". Picus Verlag, Wien 2007. 96 S., geb., 7, 90 [Euro]).
Auch die Philosophin Bettina Walde widmet sich in ihrem Buch über Willensfreiheit und Hirnforschung den einschlägigen Experimenten, um zu zeigen, dass in sie konzeptuell mehr an Voraussetzungen eingeht, als sich schlicht empirisch testen lässt ("Willensfreiheit und Hirnforschung". Das Freiheitsmodell des epistemischen Libertarismus. Mentis Verlag, Paderborn 2006. 228 S., br., 32,- [Euro]). Waldes Darstellung steuert geradewegs auf das Grundproblem zu, ob und wie naturgegenständliche Determiniertheit mit Freiheit des Willens kompatibel ist. Ihre Antwort: Zwar lässt sich diese Kompatibilität erreichen, aber es braucht dafür stärkere Bedingungen, als sie Vertreter der kompatibilistischen Position gemeinhin in Anschlag bringen. Sehr geschickt kontert die Autorin mit diesen zusätzlichen Bedingungen Argumente, die darauf hinauslaufen, Bewusstsein als kausal irrelevantes Begleitphänomen anzusehen oder Freiheit durch den Hinweis auf eine uns letztlich determinierende biographische Herausbildung von Motivationsstrukturen auszuhebeln.
Waldes Neukonzeption ist ein Versuch, das richtige Quantum an Indeterminiertheit zu treffen, das den freien Willen bewahrt und gleichzeitig die metaphysischen Arbeitsgrundlagen der naturwissenschaftlichen Objektivierung nicht tangiert. Um normative Elemente unseres Selbstverständnisses als frei Handelnde ist dabei nicht herumzukommen. Sie hat auch Julian Nida-Rümelin im Blick, wenn er sich in einem Sammelband um den Nachweis bemüht, dass die Vorstellung einer vollständigen naturalistischen Determiniertheit unserer Handlungs- und Urteilsgründe sich kohärent nicht durchhalten lässt. Das ist auf Hirnforscher vom Schlage Wolf Singers gemünzt, mit dem es hier auch Ernst Tugendhat, Michael Pauen und Reinhard Merkel aufnehmen ("Die Freiheit des Denkens". Philosophicum Lech. Herausgegeben von Konrad Paul Liessmann. Zsolnay Verlag, Wien 2007. 345 S., br., 19,90 [Euro]).
Etwas technischer, aber mit vielen interessanten Facetten präsentiert sich ein Sammelband, der die philosophische Grundlagendiskussion mit Fragestellungen der Psychotherapie, Psychiatrie und klinischen Neurowissenschaft verknüpft ("Willensfreiheit - eine Illusion?" Naturalismus und Psychiatrie. Herausgegeben von Martin Heinze, Thomas Fuchs, Friedel M. Reischies. Parodos Verlag, Lengerich 2006. 248 S., br., 20,- [Euro]). Die Konfrontierung der großen Fragen mit konkreten Problemen von therapeutischer und klinischer Praxis gibt ein Gefühl dafür, wie genau die Grenzverläufe naturalistischer Objektivierung aussehen.
Der Bonner Mathematiker Reinhard Olivier hat dagegen eine mathematisch operierende Theorie des Gehirns vorgelegt ("Das Gehirn als ein formales System oder modulare Physik. Grundsätze und Strukturelemente einer Gehirntheorie". Vandenhoeck & Ruprecht unipress, Göttingen 2006. 174 S., geb., 38,90 [Euro]). Jeden Platoniker muss beeindrucken, wie in Oliviers Theorie das Gehirn, dieser unordentliche Pudding, sich zu einer mathematisch beschriebenen Struktur läutert. Die Frage, ob das Sinn ergibt, darf hier beiseite bleiben. Olivier weiß selbst, dass er weder bei den mathematischen Kollegen noch bei den Hirnforschern mit viel Verständnis für seinen originellen Ausritt rechnen darf.
Die Frage, warum die Willensfreiheitsdebatte einen so dominierenden, weit über das akademische Terrain hinausgehenden Stellenwert erhielt, sucht Matthias Kettner in einem anderen Sammelband zu beantworten. Vielfältige gesellschaftliche Verunsicherungen machten demnach die Vorstellung attraktiv, sich den Verlust effektiver Selbstbestimmungsmöglichkeiten "wissenschaftlich" dekretieren zu lassen ("Freier Wille - frommer Wunsch?". Gehirn und Willensfreiheit. Herausgegeben von Helmut Fink und Rainer Rosenzweig. Mentis Verlag 2006, 259 S., br., 29,80 [Euro]). Womit auch die ideologiekritische Perspektive auf den Plan tritt, die freilich nicht leichter zu verhandeln sein dürfte als die Positionen der Debatte selbst.
HELMUT MAYER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Diskussion über Determinismus und Willensfreiheit ist nicht etwa zum Versiegen gekommen, sie hat sich in den letzten zwei, drei Jahren im Gegenteil immer weiter verästelt. Zuletzt war die altehrwürdige Determinismusthese von einigen Hirnforschern neurowissenschaftlich formuliert worden. Viel Aufwand brauchte es dazu nicht, oft nur das Missverständnis, dass man dem "Geist" der philosophischen Tradition seine metaphysischen Mucken ausgetrieben habe, wenn man ihn gut materialistisch mit dem Gehirn identifiziert. Dann schien es manchen nur noch ein kleiner Schritt zur Widerlegung der Willensfreiheit im Laborversuch.
Dass von einer solchen empirischen Widerlegung keine Rede sein könne, dürfte eines der klarsten Ergebnisse der jüngsten Debatten sein. Die dafür ins Feld geführten Gründe sind vielfältig, wie auch der Blick in einige neuere Bücher zum Thema vor Augen führt. Der Neurologe Lüder Deecke zeigt in einer bündigen Darstellung, warum Experimente basierend auf der Wiederholung stereotyper, einfacher Bewegungen wie bei Benjamin Libet die Frage des freien Willens nicht klären können. Nicht ohne Reiz an der Sache ist, dass Deecke einer der beiden Entdecker jener Kenngröße ist, des Aktionspotentials, deren Auftreten vor dem bewussten Entschluss zur Ausführung der Bewegungen dem freien Willen den Garaus machen sollte ("Sinnorientiertes Wollen und Handeln zwischen Hirnphysiologie und kultureller Gestaltungsleistung". Picus Verlag, Wien 2007. 96 S., geb., 7, 90 [Euro]).
Auch die Philosophin Bettina Walde widmet sich in ihrem Buch über Willensfreiheit und Hirnforschung den einschlägigen Experimenten, um zu zeigen, dass in sie konzeptuell mehr an Voraussetzungen eingeht, als sich schlicht empirisch testen lässt ("Willensfreiheit und Hirnforschung". Das Freiheitsmodell des epistemischen Libertarismus. Mentis Verlag, Paderborn 2006. 228 S., br., 32,- [Euro]). Waldes Darstellung steuert geradewegs auf das Grundproblem zu, ob und wie naturgegenständliche Determiniertheit mit Freiheit des Willens kompatibel ist. Ihre Antwort: Zwar lässt sich diese Kompatibilität erreichen, aber es braucht dafür stärkere Bedingungen, als sie Vertreter der kompatibilistischen Position gemeinhin in Anschlag bringen. Sehr geschickt kontert die Autorin mit diesen zusätzlichen Bedingungen Argumente, die darauf hinauslaufen, Bewusstsein als kausal irrelevantes Begleitphänomen anzusehen oder Freiheit durch den Hinweis auf eine uns letztlich determinierende biographische Herausbildung von Motivationsstrukturen auszuhebeln.
Waldes Neukonzeption ist ein Versuch, das richtige Quantum an Indeterminiertheit zu treffen, das den freien Willen bewahrt und gleichzeitig die metaphysischen Arbeitsgrundlagen der naturwissenschaftlichen Objektivierung nicht tangiert. Um normative Elemente unseres Selbstverständnisses als frei Handelnde ist dabei nicht herumzukommen. Sie hat auch Julian Nida-Rümelin im Blick, wenn er sich in einem Sammelband um den Nachweis bemüht, dass die Vorstellung einer vollständigen naturalistischen Determiniertheit unserer Handlungs- und Urteilsgründe sich kohärent nicht durchhalten lässt. Das ist auf Hirnforscher vom Schlage Wolf Singers gemünzt, mit dem es hier auch Ernst Tugendhat, Michael Pauen und Reinhard Merkel aufnehmen ("Die Freiheit des Denkens". Philosophicum Lech. Herausgegeben von Konrad Paul Liessmann. Zsolnay Verlag, Wien 2007. 345 S., br., 19,90 [Euro]).
Etwas technischer, aber mit vielen interessanten Facetten präsentiert sich ein Sammelband, der die philosophische Grundlagendiskussion mit Fragestellungen der Psychotherapie, Psychiatrie und klinischen Neurowissenschaft verknüpft ("Willensfreiheit - eine Illusion?" Naturalismus und Psychiatrie. Herausgegeben von Martin Heinze, Thomas Fuchs, Friedel M. Reischies. Parodos Verlag, Lengerich 2006. 248 S., br., 20,- [Euro]). Die Konfrontierung der großen Fragen mit konkreten Problemen von therapeutischer und klinischer Praxis gibt ein Gefühl dafür, wie genau die Grenzverläufe naturalistischer Objektivierung aussehen.
Der Bonner Mathematiker Reinhard Olivier hat dagegen eine mathematisch operierende Theorie des Gehirns vorgelegt ("Das Gehirn als ein formales System oder modulare Physik. Grundsätze und Strukturelemente einer Gehirntheorie". Vandenhoeck & Ruprecht unipress, Göttingen 2006. 174 S., geb., 38,90 [Euro]). Jeden Platoniker muss beeindrucken, wie in Oliviers Theorie das Gehirn, dieser unordentliche Pudding, sich zu einer mathematisch beschriebenen Struktur läutert. Die Frage, ob das Sinn ergibt, darf hier beiseite bleiben. Olivier weiß selbst, dass er weder bei den mathematischen Kollegen noch bei den Hirnforschern mit viel Verständnis für seinen originellen Ausritt rechnen darf.
Die Frage, warum die Willensfreiheitsdebatte einen so dominierenden, weit über das akademische Terrain hinausgehenden Stellenwert erhielt, sucht Matthias Kettner in einem anderen Sammelband zu beantworten. Vielfältige gesellschaftliche Verunsicherungen machten demnach die Vorstellung attraktiv, sich den Verlust effektiver Selbstbestimmungsmöglichkeiten "wissenschaftlich" dekretieren zu lassen ("Freier Wille - frommer Wunsch?". Gehirn und Willensfreiheit. Herausgegeben von Helmut Fink und Rainer Rosenzweig. Mentis Verlag 2006, 259 S., br., 29,80 [Euro]). Womit auch die ideologiekritische Perspektive auf den Plan tritt, die freilich nicht leichter zu verhandeln sein dürfte als die Positionen der Debatte selbst.
HELMUT MAYER
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