Ein herrlich schräges Lesevergnügen über vertauschte Männer, Manuskripte und Matronen: Auf einer Ferieninsel in Griechenland bereiten sich die Gäste einer amerikanischen Stiftung auf die Ankunft des diesjährigen Gastredners vor. Dr. Norman Wilfred, Autorität auf dem Gebiet der Szientometrie, erweist sich als erstaunlich jung und gutaussehend und ist alles andere als ein verknöcherter Gelehrter. Das findet insbesondere Nikki, die attraktive rechte Hand von Mrs. Toppler, der Mäzenin. Als Nikkis leichtsinnige Freundin Georgie auf einem anderen Teil der Insel auf einen kahlen, missmutigen und orientierungslosen Mann namens Dr. Norman Wilfred trifft, bricht der nackte Wahnsinn aus - englischer Humor pur!
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Einen "Mordsspaß" hatte Rezensent Christoph Schröder bei diesem auf der fiktiven griechischen Insel Skios angesiedelten, vielfältig verworrenen Ränke- und Rollenspiel, dessen Stränge Michael Frayn, wie Schröder respektvoll anerkennt, souverän in Händen führt. Über die "prächtigen Pointen" dieser "bissigen Satire", die Einblick in die Selbstvermarktungsstrategien eines akademischen Blenders gestattet und dabei "Korrumpierbarkeit und Manipulierbarkeit von Menschen" vorführt, amüsiert sich Schröder königlich. Zudem dankt er es dem Autor explizit, trotz Griechenland-Bezug "glücklicherweise kein Wort" über Finanz- und Eurokrise zu verlieren. Frayn, so der Rezensent, gehe es um allgemeineres der conditio humana: Skio, so sein Schlusswort, sei überall.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.07.2012Der unbezwingbare Drang, auf eine attraktive Frau loszugehen
Eine Insel voller Narren: In seinem aberwitzigen neuen Roman heißt der Engländer Michael Frayn Hochstapler und Wissenschaftler gleichermaßen "willkommen auf Skios".
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass Michael Frayn sein neues Romanlustspiel um Schein und Sein, behauptete und gelebte Identitäten ausgerechnet auf einer griechischen Insel entfesselt. Mit "Willkommen auf Skios" entführt er uns in die hochsommerlich durchglühte, akademisch verglimmende Nobelwelt der Fred-Toppler-Stiftung, die sich im Namen eines vermögenden Amerikaners und aufgrund des Engagements seiner um einiges jüngeren Witwe in schönster Ferienhauslage um den zivilisatorischen Fortschritt bemüht.
Höhepunkt der Aktivitäten der Stiftung ist der jährliche Fred-Toppler-Vortrag eines eminenten Gastredners. In diesem Jahr steht als brennendes Thema "Innovation und Governance - Das Versprechen der Szientometrie" eines gewissen Dr. Norman Wilfred auf dem Programm. Aber da mit Michael Frayn einer der feinsinnig-komischsten Schriftsteller Englands die Gästeschar gemischt hat, schlüpft stattdessen ein blondbeschopfter britischer Hallodri namens Oliver Fox in die Rolle des prominenten Redners - und macht, was ihm an akademischer Ahnung fehlt, mit selbstbewusstem Improvisationstalent wett. Mit anderen Worten: "Willkommen auf Skios" handelt von einem unwahrscheinlich großen Bluff. Wer für die Dauer der Lektüre alle Plausibilitätserwägungen über Bord wirft, wird diese so kurzweilige wie souverän dargebotene Farce genießen.
Identitätsdiebstahl ist das Verbrechen der Gegenwart. Dazu genügen in der Regel schon E-Mail-Adresse, Bankdaten und wenige persönliche Angaben; leibhaftig als ein anderer in Erscheinung zu treten ist im Zeitalter von Internetkommunikation und online shopping hingegen schwieriger geworden. Die Chancen, sich als Ahnungsloser Auge in Auge mit einem erwartungsvollen Publikum erfolgreich als wissenschaftliche Koryphäe auszugeben, stehen im Zeitalter von Wikipedia, Facebook und Google-Konterfeis schlecht.
Und doch gelingt Oliver Fox genau das. Denn als er auf Skios landet, wo er mit einer neuen Flamme ein erotisches Wochenende im Haus von Bekannten zu erleben gedenkt, hat er beim Anblick der emporgehaltenen Namensschilder im Ankunftsbereich plötzlich den unwiderstehlichen Drang, schnurstracks auf jene attraktive junge Frau zuzugehen, die laut Zettel auf "Dr. Norman Wilfred" wartet. Dass er, welch ein Zufall, zuvor schon dessen Koffer auf dem Gepäckband mit dem seinigen verwechselt hat, ahnt Oliver da noch nicht. Er fühlt sich geleitet von einer höheren Macht: "Sie wollte eindeutig, dass er Dr. Wilfred war, das sah er. Später, wenn sich herausstellte, dass er doch nicht Dr. Wilfred war, wäre sie wahrscheinlich enttäuscht. Aber später war später." Und so kommt es, dass Oliver Fox seine ursprünglichen Skios-Pläne aufschiebt und Nikki, die persönliche Assistentin von Mrs. Fred Toppler, auf ganz unintellektuell prickelnde Weise glücklich über die Wahl des Gastredners macht, während der echte Dr. Norman Wilfred, mit demselben Flieger gelandet, seinerseits eine verwirrende und äußerst nervenaufreibende Odyssee über die Insel antritt.
Wie auf dem Theater ist der amüsierte Leser den Akteuren stets voraus, wie es überhaupt Frayns erklärte Absicht ist, hier, dreißig Jahre nach seinem urkomischen Bühnenklassiker "Noises Off", in Romanform zu beweisen, dass sich eine gelungene Farce nicht nur darstellen, sondern auch pointiert erzählen lässt. Zwar hat Frayn, der im nächsten Jahr achtzig wird und der zuletzt mit so politisch hellwachen Stücken wie "Kopenhagen" und "Demokratie" begeistert hat, sein komisches Talent bereits in Büchern wie "Wie macht sie's bloß?" (1989) oder dem heiter-eleganten Kunstkrimi "Das verschollene Bild" (1999) unter Beweis gestellt. Doch nie stand die Lust an der Posse so im Vordergrund wie hier, Slapstick-Einlagen und Schenkelklopfer inklusive.
Die Idee zu "Willkommen auf Skios", so hat Frayn kürzlich im "Observer" bekannt, sei eine alte. Schon immer habe es ihn gejuckt, am Flughafen auf einen der vielen Wartenden mit einem Schild zuzugehen und zu sagen: Da bin ich! Wie weit es sich als spontaner Hochstapler bringen ließe, das malt Frayn sich mit viel Lust am ausschmückenden Detail aus. Gelegenheit dazu bietet sich reichlich, weil die erste Verwechslung natürlich zahlreiche andere nach sich zieht und nicht nur Nikki, sondern auch die Gäste der Stiftung und schließlich auch Mrs. Fred Toppler Oliver nur zu bereitwillig auf den Leim gehen.
Der schlagende Erfolg seiner Dr.-Wilfred-Darstellung versetzt den geübten Charmebolzen selbst in Erstaunen: ",Wie auch immer', sagte das Gesicht. ,Ich wollte Sie fragen: Als Sie dieses Buch geschrieben haben, was wollten Sie uns damit eigentlich sagen?' Damit konnte er auf die gleiche Weise fertig werden wie mit der Frage zuvor. ,Weiß der Himmel', sagte er. Mehr Gelächter. ,Was immer ich versucht habe, Ihnen zu sagen, ich habe mich offensichtlich nicht genug bemüht.' Wieder ein Treffer."
Und dann muss ja auch der echte Dr. Norman Wilfred zusehen, wo er auf dieser weitgehend taxifreien und mobilfunknetzlosen Insel bleibt, bis der nächste Flug geht. Und siehe da: Nachdem er erst noch unfreiwillig den Koffer seines ungeahnten Doppelgängers vom Band genommen hat und sich mit dem letzten verbliebenen, englisch radebrechenden Chauffeur auf den Weg in die griechische Nacht macht, findet er immer mehr Gefallen daran, einmal nicht der angesehene Dr. Norman Wilfred sein zu müssen. Außerdem ist seine Erfahrung als Spesenritter der akademischen Welt derart ausgeprägt, dass er sich über die widrigen Umstände seiner Ankunft keine Gedanken macht, sondern vertrauensvoll erwartet, spätestens am nächsten Morgen werde sich der Nebel lichten.
Selbstverständlich wird hier jeder so sehr an der Nase herumgeführt, wie er es verdient. Den größten Spaß bereitet Frayn ganz offenkundig die Beweisführung, dass der eigentliche Erfolg der dreisten Hochstapelei darauf beruht, dass die Leute nur zu gern für bare Münze nehmen, was ihnen an - vermeintlich akademisch beglaubigter - Schwafelei vorgesetzt wird. (Mit einem ähnlichen Spiel entzückte unlängst Frayns Landsmann Ian McEwan in "Solar".)
Eine Autorität ist, wen wir dafür zu halten bereit sind: Oliver Fox geht immer mehr auf in der Rolle des griechischen Ersatz-Orakels, während Dr. Norman Wilfred dank der Begegnung mit der weiblichen Verabredung seines Imitators plötzlich ganz irdische Ambitionen entwickelt. Bis zum Finale, bei dem das ganze schwerelose Sommernachtstraum-Kartenhaus zum Einsturz kommt, bietet "Willkommen auf Skios" eine herrliche comedy of manners und eine köstliche Sommerlektüre.
FELICITAS VON LOVENBERG
Michael Frayn: "Willkommen auf Skios". Roman.
Aus dem Englischen von Anette Grube. Hanser Verlag, München 2012. 285 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Insel voller Narren: In seinem aberwitzigen neuen Roman heißt der Engländer Michael Frayn Hochstapler und Wissenschaftler gleichermaßen "willkommen auf Skios".
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass Michael Frayn sein neues Romanlustspiel um Schein und Sein, behauptete und gelebte Identitäten ausgerechnet auf einer griechischen Insel entfesselt. Mit "Willkommen auf Skios" entführt er uns in die hochsommerlich durchglühte, akademisch verglimmende Nobelwelt der Fred-Toppler-Stiftung, die sich im Namen eines vermögenden Amerikaners und aufgrund des Engagements seiner um einiges jüngeren Witwe in schönster Ferienhauslage um den zivilisatorischen Fortschritt bemüht.
Höhepunkt der Aktivitäten der Stiftung ist der jährliche Fred-Toppler-Vortrag eines eminenten Gastredners. In diesem Jahr steht als brennendes Thema "Innovation und Governance - Das Versprechen der Szientometrie" eines gewissen Dr. Norman Wilfred auf dem Programm. Aber da mit Michael Frayn einer der feinsinnig-komischsten Schriftsteller Englands die Gästeschar gemischt hat, schlüpft stattdessen ein blondbeschopfter britischer Hallodri namens Oliver Fox in die Rolle des prominenten Redners - und macht, was ihm an akademischer Ahnung fehlt, mit selbstbewusstem Improvisationstalent wett. Mit anderen Worten: "Willkommen auf Skios" handelt von einem unwahrscheinlich großen Bluff. Wer für die Dauer der Lektüre alle Plausibilitätserwägungen über Bord wirft, wird diese so kurzweilige wie souverän dargebotene Farce genießen.
Identitätsdiebstahl ist das Verbrechen der Gegenwart. Dazu genügen in der Regel schon E-Mail-Adresse, Bankdaten und wenige persönliche Angaben; leibhaftig als ein anderer in Erscheinung zu treten ist im Zeitalter von Internetkommunikation und online shopping hingegen schwieriger geworden. Die Chancen, sich als Ahnungsloser Auge in Auge mit einem erwartungsvollen Publikum erfolgreich als wissenschaftliche Koryphäe auszugeben, stehen im Zeitalter von Wikipedia, Facebook und Google-Konterfeis schlecht.
Und doch gelingt Oliver Fox genau das. Denn als er auf Skios landet, wo er mit einer neuen Flamme ein erotisches Wochenende im Haus von Bekannten zu erleben gedenkt, hat er beim Anblick der emporgehaltenen Namensschilder im Ankunftsbereich plötzlich den unwiderstehlichen Drang, schnurstracks auf jene attraktive junge Frau zuzugehen, die laut Zettel auf "Dr. Norman Wilfred" wartet. Dass er, welch ein Zufall, zuvor schon dessen Koffer auf dem Gepäckband mit dem seinigen verwechselt hat, ahnt Oliver da noch nicht. Er fühlt sich geleitet von einer höheren Macht: "Sie wollte eindeutig, dass er Dr. Wilfred war, das sah er. Später, wenn sich herausstellte, dass er doch nicht Dr. Wilfred war, wäre sie wahrscheinlich enttäuscht. Aber später war später." Und so kommt es, dass Oliver Fox seine ursprünglichen Skios-Pläne aufschiebt und Nikki, die persönliche Assistentin von Mrs. Fred Toppler, auf ganz unintellektuell prickelnde Weise glücklich über die Wahl des Gastredners macht, während der echte Dr. Norman Wilfred, mit demselben Flieger gelandet, seinerseits eine verwirrende und äußerst nervenaufreibende Odyssee über die Insel antritt.
Wie auf dem Theater ist der amüsierte Leser den Akteuren stets voraus, wie es überhaupt Frayns erklärte Absicht ist, hier, dreißig Jahre nach seinem urkomischen Bühnenklassiker "Noises Off", in Romanform zu beweisen, dass sich eine gelungene Farce nicht nur darstellen, sondern auch pointiert erzählen lässt. Zwar hat Frayn, der im nächsten Jahr achtzig wird und der zuletzt mit so politisch hellwachen Stücken wie "Kopenhagen" und "Demokratie" begeistert hat, sein komisches Talent bereits in Büchern wie "Wie macht sie's bloß?" (1989) oder dem heiter-eleganten Kunstkrimi "Das verschollene Bild" (1999) unter Beweis gestellt. Doch nie stand die Lust an der Posse so im Vordergrund wie hier, Slapstick-Einlagen und Schenkelklopfer inklusive.
Die Idee zu "Willkommen auf Skios", so hat Frayn kürzlich im "Observer" bekannt, sei eine alte. Schon immer habe es ihn gejuckt, am Flughafen auf einen der vielen Wartenden mit einem Schild zuzugehen und zu sagen: Da bin ich! Wie weit es sich als spontaner Hochstapler bringen ließe, das malt Frayn sich mit viel Lust am ausschmückenden Detail aus. Gelegenheit dazu bietet sich reichlich, weil die erste Verwechslung natürlich zahlreiche andere nach sich zieht und nicht nur Nikki, sondern auch die Gäste der Stiftung und schließlich auch Mrs. Fred Toppler Oliver nur zu bereitwillig auf den Leim gehen.
Der schlagende Erfolg seiner Dr.-Wilfred-Darstellung versetzt den geübten Charmebolzen selbst in Erstaunen: ",Wie auch immer', sagte das Gesicht. ,Ich wollte Sie fragen: Als Sie dieses Buch geschrieben haben, was wollten Sie uns damit eigentlich sagen?' Damit konnte er auf die gleiche Weise fertig werden wie mit der Frage zuvor. ,Weiß der Himmel', sagte er. Mehr Gelächter. ,Was immer ich versucht habe, Ihnen zu sagen, ich habe mich offensichtlich nicht genug bemüht.' Wieder ein Treffer."
Und dann muss ja auch der echte Dr. Norman Wilfred zusehen, wo er auf dieser weitgehend taxifreien und mobilfunknetzlosen Insel bleibt, bis der nächste Flug geht. Und siehe da: Nachdem er erst noch unfreiwillig den Koffer seines ungeahnten Doppelgängers vom Band genommen hat und sich mit dem letzten verbliebenen, englisch radebrechenden Chauffeur auf den Weg in die griechische Nacht macht, findet er immer mehr Gefallen daran, einmal nicht der angesehene Dr. Norman Wilfred sein zu müssen. Außerdem ist seine Erfahrung als Spesenritter der akademischen Welt derart ausgeprägt, dass er sich über die widrigen Umstände seiner Ankunft keine Gedanken macht, sondern vertrauensvoll erwartet, spätestens am nächsten Morgen werde sich der Nebel lichten.
Selbstverständlich wird hier jeder so sehr an der Nase herumgeführt, wie er es verdient. Den größten Spaß bereitet Frayn ganz offenkundig die Beweisführung, dass der eigentliche Erfolg der dreisten Hochstapelei darauf beruht, dass die Leute nur zu gern für bare Münze nehmen, was ihnen an - vermeintlich akademisch beglaubigter - Schwafelei vorgesetzt wird. (Mit einem ähnlichen Spiel entzückte unlängst Frayns Landsmann Ian McEwan in "Solar".)
Eine Autorität ist, wen wir dafür zu halten bereit sind: Oliver Fox geht immer mehr auf in der Rolle des griechischen Ersatz-Orakels, während Dr. Norman Wilfred dank der Begegnung mit der weiblichen Verabredung seines Imitators plötzlich ganz irdische Ambitionen entwickelt. Bis zum Finale, bei dem das ganze schwerelose Sommernachtstraum-Kartenhaus zum Einsturz kommt, bietet "Willkommen auf Skios" eine herrliche comedy of manners und eine köstliche Sommerlektüre.
FELICITAS VON LOVENBERG
Michael Frayn: "Willkommen auf Skios". Roman.
Aus dem Englischen von Anette Grube. Hanser Verlag, München 2012. 285 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Herausgekommen ist eine sehr heitere deutsche Version einer englischen Komödie. Thomas Meyer Freundin 20151104