In diesem kleinen israelischen Café mitten in Berlin herrscht immer bunter Trubel. Während die Gäste ihren Hummus mit Pinienkernen löffeln und die Pitabrote im Ofen köstlichen Duft verbreiten, hat die kleine Familie schon wieder alle Hände voll damit zu tun, den Alltag zwischen den Kulturen zu managen: Mal will ein ambitionierter Rabbi Kirsten ungefragt zum Judentum konvertieren, dann wünscht sich Töchterchen Miri nach dem Kindergarten eine neue Hautfarbe, und schließlich schlägt der graue Berliner Winter auch noch den Gatten in die Flucht. Sie sind oft komisch, manchmal schockierend und immer überraschend - die Geschichten aus dem Leben einer ganz normalen deutsch-israelischen Familie.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.06.2019Quietschlebendig
Beim ersten Date sprechen sie über den Holocaust, sieben Jahre später
heiraten sie. Kirsten Grieshaber beschreibt in einem Buch
sehr humorvoll ihre deutsch-israelische Ehe
VON THORSTEN SCHMITZ
Ein Montagnachmittag in einer Altbauwohnung in Berlin. Miri, elf Jahre alt, schwarze lockige Haare und verträumte braune Augen, lümmelt mit ihrem jüngeren Bruder Ari, blonde Haare, blaue Augen, auf dem großen weichen Bett der Eltern. Sie reden über die Vorzüge von Israel (Strand und Süßigkeiten) und Deutschland (Pünktlichkeit und Nutella) – und über ihr verrückt buntes Wohnhaus. Die Fassade apfelsinenorange, der Hausflur knallrot und zitronengelb. Die Frau des Hausbesitzers komme aus Ghana, sagt Miri, mit den Farben habe sie sich ein Stück afrikanische Heimat in den Prenzlauer Berg geholt. Schon ist man beim Thema.
Was ist für Miri und Ari Heimat? Die beiden besitzen einen US-amerikanischen Pass, weil ihre Mutter in den USA geboren wurde, und einen deutschen. Ihr Vater Eran Avrahami ist Israeli, die Mutter in Düsseldorf aufgewachsen. Zu Hause sprechen die Kinder mit Papa hebräisch, mit Mama deutsch, die Eltern miteinander englisch. Heimat? „Ich bin Berlinerin“, sagt Miri. Und für ihren sieben Jahre alten Bruder? Aris Zuhause „sind Mama und Papa“. Die Sprachenvielfalt und das religiöse Mischmasch haben außerdem den ganz großen Vorteil für die Kinder, dass sie doppelt so viele Feiertage haben wie andere Kinder: Weihnachten und Chanukka, Ostern und Pessach, Fasching und Purim.
Über ihre deutsch-israelische Familie hat Kirsten Grieshaber ein aufrichtiges, humorvolles Buch geschrieben, „Willkommen im Café Zahav“. So heißt das israelische Lokal, das ihr Mann die vergangenen sieben Jahre betrieben hat. Die Namen der Kinder und auch ihres Mannes hat sie in dem Buch und auch in der Zeitung geändert, aber es ist ihre Geschichte. „Ich gestehe“, sagt ihr Mann, „ich habe es noch nicht gelesen.“ Müsse er aber ja auch nicht: „Ist ja unser Leben, und das kenne ich.“ Beide lachen.
Kirsten Grieshaber arbeitet bei der Nachrichtenagentur AP im Berliner Büro, Eran Avrahami hat die vergangenen sieben Jahre im hippen Mitte Kichererbsenpüree und Auberginenmus verkauft. Ein guter Freund hatte Grieshaber auf die Idee gebracht, über ihre Familie zu schreiben. Sie habe ihm immer von den kleinen und den großen Katastrophen erzählt – und von den „Culture Clashs“ in ihrem deutsch-israelischen Haushalt.
Und tatsächlich liest man das gern: Wie ein konvertierungstoller Rabbiner versucht, Kirsten Grieshaber zum Übertritt zum Judentum zu bewegen, wie sie und ihr Mann im Beisein eines Rabbiners den Hummus-Mixer aus dem Restaurant in einem Berliner See einem jüdischen Ritual-bad unterziehen, dass Erans Schwester den Kontakt zu ihrem Bruder abbricht, weil er eine Nichtjüdin heiratet, dass ein Riesenstreit ausbricht nach Aris Geburt über die Frage, ob er beschnitten werden soll oder nicht.
Kennengelernt haben sich Grieshaber und Avrahami an der Columbia University in New York. Schon bei ihrer ersten Begegnung war die Vernichtung der Juden im Zweiten Weltkrieg ein Thema, und zwar während einer Busfahrt durch Brooklyn. Die beiden kamen ins Gespräch, unterhielten sich über die Vergangenheit, „wie es Israelis und Deutsche eben so tun“, sagt Kirsten Grieshaber. „Ihr Deutschen“, sagte Avrahami damals, „habt uns nicht gerade nett behandelt im letzten Jahrhundert.“ Elf Jahre später kann sich Grieshaber über dieses erste Date noch immer wundern. Im Buch schreibt sie: „Der Holocaust als Pick-up Line, das war mir noch nie passiert.“
Bis vor ein paar Jahren gab es so etwas noch nicht: sich dem Holocaust und dem komplizierten deutsch-israelischen Verhältnis in lustigen Büchern zu widmen. Das Thema wurde ernsthaft in Sachbüchern behandelt. Doch die Scheu hat sich gelegt. Inzwischen gibt es immer mehr Bücher, die auf amüsante Art beschreiben, wie jüdische Israelis Deutschland erleben und was christlichen Deutschen durch den Kopf geht. Bücher wie „Meschugge sind wir beide“ etwa, in dem die Schauspielerin Claudia Schwartz davon erzählt, wie sie, Enkelin eines Wehrmachtssoldaten, den israelischen Komponisten Shaul Bustan heiratet, dessen Großeltern den Holocaust überlebt haben. Der Verlag bewirbt das Buch mit einer Liebesgeschichte „irgendwo zwischen Spätzle und Hummus“. Auch Schriftstellerin Adriana Altaras hat ihre Familiengeschichte zu Papier gebracht, ein rasantes, irrsinnig komisches Buch über ihre deutsch-jüdische Familie, „Doitscha“ heißt es (so nennt ihr Sohn seinen westfälischen Papa, wenn er ihn ärgern möchte).
Wie erklärt sich Kirsten Grieshaber die Beliebtheit solcher Familiengeschichten? „Viele Deutsche“, sagt sie, „denken bei Juden immer nur an tote Juden und nicht an quietschlebendige, lustige, traurige, sehr menschliche Individuen.“ Die Bücher ermöglichten es Deutschen, sich mit dem Thema befassen zu können, „ohne das Gefühl zu haben, auf der Stelle unter Schuldgefühlen zusammenbrechen zu müssen“.
Eran Avrahami sitzt in seinem Lieblingssessel, den er in den dunklen Berliner Wintermonaten kaum verlässt, gleich neben dem Bücherregal. Er liebt das Lesen, das Schreiben auch. Seit elf Jahren lebt er jetzt in Deutschland, er fühlt sich wohl hier, sagt er, aber zu Hause? Dann eher doch nicht. In der lichtlosen deutschen Jahreszeit überkomme ihn stets große Sehnsucht nach Israel, sagt er. Einerseits. Wenn er mit seiner Familie dann dort drei Wochen verbringt, sagt Kirsten Grieshaber, „möchte er spätestens in der dritten Woche wieder zurück ins ruhige Berlin“.
Wie viele Israelis, die in Deutschland leben, sitzt Avrahami zwischen allen Stühlen. In Israel leben? „Undenkbar!“, sagt er. Ist Deutschland sein Zuhause geworden? Hm. Schweigen. Dann kommen Fragen. Es sei ihm ein Rätsel, dass Israel-Flaggen vor dem Brandenburger Tor angezündet werden können und ein jüdischer Neuntklässler an einer Berliner Eliteschule gemobbt wird. Er versteht auch nicht, weshalb Millionen Deutsche (inklusive seiner Schwiegereltern) abends um 20 Uhr die dröge „Tagesschau“ sehen. Schon nach wenigen Minuten ist man an diesem Nachmittag bei den Vorzügen und Nachteilen beider Länder. Kirsten Grieshaber sagt: „Das ist Dauerthema bei uns.“
Zum Dauerthema gehören etwa auch die Tischmanieren. Wie viele Israelis isst Eran Avrahami mit aufgestützten Ellbogen, für Kirsten Grieshaber ein Graus. „Ich möchte“, sagt sie, „dass unsere Kinder mit Tischmanieren aufwachsen.“ Ihr Mann rollt die Augen, lacht. „Ja“, sagt er, „das ist den Deutschen wichtig: Fassaden, der schöne Schein!“ Viel wichtiger fände er es, dass man ihn auf der Straße „nicht mit Du anspricht, weil man mich für einen arabischen Flüchtling hält“. Oder dass man für Menschenrechte kämpft. Umgekehrt mussten sich Kirsten Grieshabers Eltern daran gewöhnen, dass ihr Schwiegersohn sich auch schon mal zum Frühstück zwei Eier nimmt – obwohl der Schwiegervater die hart gekochten Eier genau abgezählt hat. In Israel liegen exakt aufgeteilte Portionen außerhalb jeglichen Vorstellungsvermögens. Wenn man dort zum Essen eingeladen ist, werden so viele Mahlzeiten zubereitet, dass sich der Tisch biegt. Auch sind alle Kühlschränke doppelt so groß wie in Deutschland und vollgestopft mit Lebensmitteln für die kommenden vier Wochen, denn nie weiß man, ob morgen nicht doch ein Krieg ausbricht – oder die Verwandtschaft überraschend zum Essen vorbeischaut.
Was für ihn das Irritierendste war in seiner Beziehung zu einer Deutschen? Eran Avrahami verzieht das Gesicht: „Dass Kirsten mich an Jom Kippur auf eine bayerische Hochzeit in einer barocken Kirche geschleppt hat!“ Dazu muss man wissen: Jom Kippur ist der höchste israelische Feiertag, an dem viele Juden, auch säkulare wie Avrahami, fasten und in Zwiesprache mit Gott um Vergebung für Fehler bitten. In Israel steht an Jom Kippur das komplette Leben still, es gibt keinen Verkehr auf den Straßen, Flughäfen sind geschlossen. Es gibt weder Radio noch Fernsehen und alle, wirklich alle, Restaurants und Kinos und Geschäfte sind zu.
Dennoch fuhr die Familie ins niederbayerische Aiglsbach. Kirsten Grieshaber versuchte, ihrem Mann den Sündenfall zu erleichtern, und schlug vor, er könne ja feiern und Schweinsbraten essen und dann gleich anschließend Gott um Vergebung bitten. Der aber protestierte und sagte: „Bei uns kann man nicht einfach jede Woche im Beichtstuhl sitzen und um Vergebung bitten.“ Da war er wieder, der Kulturgraben. So blieb Eran Avrahami die meiste Zeit während der Hochzeitsfeiern auf seinem Hotelzimmer – und litt. Kirsten Grieshabers Vater aber hatte Mitleid und brachte dem Schwiegersohn ein Stück Hefezopf. Den dieser dankbar verschlang.
Binationale Ehen sind eine Art Lebensschule, im Idealfall lernen das Paar und auch die Freunde und Verwandten voneinander und werden toleranter. Kirsten Grieshaber etwa weiß jetzt, dass ihr Mann über jeden Stau auf der Stadtautobahn Ayalon in Tel Aviv informiert sein muss, um seine Sehnsucht nach Heimat zu stillen. Leider aber musste sie auch erfahren, dass ihre Ehe mit Eran Avrahami für eine seiner Schwestern ein so großes Problem ist, dass diese den Kontakt zu ihm abgebrochen hat.
Eran Avrahamis Mutter hat noch versucht zu vermitteln. Hatte gar den Rabbiner ihrer ultraorthodoxen Tochter aufgesucht und geschimpft, dass es wohl nicht in seinem Interesse sein könne, dass wegen einer christlichen Schwägerin die Familie zerbreche. Aber der blieb stur. Entweder Kirsten Grieshaber trete zum Judentum über oder der Bann würde aufrechterhalten. Selbst die Drohung der Mutter, sie werde zum Islam konvertieren, beeindruckte den Rabbiner nicht.
Manchmal wird Kirsten Grieshaber gefragt, wie es möglich sei, mit einem Menschen aus einer anderen Kultur zusammenzuleben und eine Familie zu gründen. Dann überlegt sie kurz, wie es wohl wäre, wenn sie den Nachbarssohn aus der Düsseldorfer Vorstadt geheiratet hätte. Wie ihr Leben dann heute aussähe? „Wir hätten bestimmt verdammt viele Gemeinsamkeiten gehabt“, sagt sie. „Aber ich hätte mich garantiert mit ihm zu Tode gelangweilt.“
Im Beisein eines Rabbiners
wird der Hummus-Mixer einem
jüdischen Ritual unterzogen
Ob Deutschland sein Zuhause
geworden ist? Da gibt es noch
viele offene Fragen für ihn
Sehnsucht nach Heimat? Er stillt
sie, indem er sich über
die Staus in Tel Aviv informiert
In Israel leben? „Undenkbar!“, sagt Eran Avrahami. Seit elf Jahren wohnt er mit seiner Frau Kirsten Grieshaber in Berlin. Aber sein Zuhause ist Deutschland trotzdem nicht geworden. Der Sohn findet da leichter Antwort: Zuhause „sind Mama und Papa“, sagt er.
Fotos: Jens Gyarmaty
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Beim ersten Date sprechen sie über den Holocaust, sieben Jahre später
heiraten sie. Kirsten Grieshaber beschreibt in einem Buch
sehr humorvoll ihre deutsch-israelische Ehe
VON THORSTEN SCHMITZ
Ein Montagnachmittag in einer Altbauwohnung in Berlin. Miri, elf Jahre alt, schwarze lockige Haare und verträumte braune Augen, lümmelt mit ihrem jüngeren Bruder Ari, blonde Haare, blaue Augen, auf dem großen weichen Bett der Eltern. Sie reden über die Vorzüge von Israel (Strand und Süßigkeiten) und Deutschland (Pünktlichkeit und Nutella) – und über ihr verrückt buntes Wohnhaus. Die Fassade apfelsinenorange, der Hausflur knallrot und zitronengelb. Die Frau des Hausbesitzers komme aus Ghana, sagt Miri, mit den Farben habe sie sich ein Stück afrikanische Heimat in den Prenzlauer Berg geholt. Schon ist man beim Thema.
Was ist für Miri und Ari Heimat? Die beiden besitzen einen US-amerikanischen Pass, weil ihre Mutter in den USA geboren wurde, und einen deutschen. Ihr Vater Eran Avrahami ist Israeli, die Mutter in Düsseldorf aufgewachsen. Zu Hause sprechen die Kinder mit Papa hebräisch, mit Mama deutsch, die Eltern miteinander englisch. Heimat? „Ich bin Berlinerin“, sagt Miri. Und für ihren sieben Jahre alten Bruder? Aris Zuhause „sind Mama und Papa“. Die Sprachenvielfalt und das religiöse Mischmasch haben außerdem den ganz großen Vorteil für die Kinder, dass sie doppelt so viele Feiertage haben wie andere Kinder: Weihnachten und Chanukka, Ostern und Pessach, Fasching und Purim.
Über ihre deutsch-israelische Familie hat Kirsten Grieshaber ein aufrichtiges, humorvolles Buch geschrieben, „Willkommen im Café Zahav“. So heißt das israelische Lokal, das ihr Mann die vergangenen sieben Jahre betrieben hat. Die Namen der Kinder und auch ihres Mannes hat sie in dem Buch und auch in der Zeitung geändert, aber es ist ihre Geschichte. „Ich gestehe“, sagt ihr Mann, „ich habe es noch nicht gelesen.“ Müsse er aber ja auch nicht: „Ist ja unser Leben, und das kenne ich.“ Beide lachen.
Kirsten Grieshaber arbeitet bei der Nachrichtenagentur AP im Berliner Büro, Eran Avrahami hat die vergangenen sieben Jahre im hippen Mitte Kichererbsenpüree und Auberginenmus verkauft. Ein guter Freund hatte Grieshaber auf die Idee gebracht, über ihre Familie zu schreiben. Sie habe ihm immer von den kleinen und den großen Katastrophen erzählt – und von den „Culture Clashs“ in ihrem deutsch-israelischen Haushalt.
Und tatsächlich liest man das gern: Wie ein konvertierungstoller Rabbiner versucht, Kirsten Grieshaber zum Übertritt zum Judentum zu bewegen, wie sie und ihr Mann im Beisein eines Rabbiners den Hummus-Mixer aus dem Restaurant in einem Berliner See einem jüdischen Ritual-bad unterziehen, dass Erans Schwester den Kontakt zu ihrem Bruder abbricht, weil er eine Nichtjüdin heiratet, dass ein Riesenstreit ausbricht nach Aris Geburt über die Frage, ob er beschnitten werden soll oder nicht.
Kennengelernt haben sich Grieshaber und Avrahami an der Columbia University in New York. Schon bei ihrer ersten Begegnung war die Vernichtung der Juden im Zweiten Weltkrieg ein Thema, und zwar während einer Busfahrt durch Brooklyn. Die beiden kamen ins Gespräch, unterhielten sich über die Vergangenheit, „wie es Israelis und Deutsche eben so tun“, sagt Kirsten Grieshaber. „Ihr Deutschen“, sagte Avrahami damals, „habt uns nicht gerade nett behandelt im letzten Jahrhundert.“ Elf Jahre später kann sich Grieshaber über dieses erste Date noch immer wundern. Im Buch schreibt sie: „Der Holocaust als Pick-up Line, das war mir noch nie passiert.“
Bis vor ein paar Jahren gab es so etwas noch nicht: sich dem Holocaust und dem komplizierten deutsch-israelischen Verhältnis in lustigen Büchern zu widmen. Das Thema wurde ernsthaft in Sachbüchern behandelt. Doch die Scheu hat sich gelegt. Inzwischen gibt es immer mehr Bücher, die auf amüsante Art beschreiben, wie jüdische Israelis Deutschland erleben und was christlichen Deutschen durch den Kopf geht. Bücher wie „Meschugge sind wir beide“ etwa, in dem die Schauspielerin Claudia Schwartz davon erzählt, wie sie, Enkelin eines Wehrmachtssoldaten, den israelischen Komponisten Shaul Bustan heiratet, dessen Großeltern den Holocaust überlebt haben. Der Verlag bewirbt das Buch mit einer Liebesgeschichte „irgendwo zwischen Spätzle und Hummus“. Auch Schriftstellerin Adriana Altaras hat ihre Familiengeschichte zu Papier gebracht, ein rasantes, irrsinnig komisches Buch über ihre deutsch-jüdische Familie, „Doitscha“ heißt es (so nennt ihr Sohn seinen westfälischen Papa, wenn er ihn ärgern möchte).
Wie erklärt sich Kirsten Grieshaber die Beliebtheit solcher Familiengeschichten? „Viele Deutsche“, sagt sie, „denken bei Juden immer nur an tote Juden und nicht an quietschlebendige, lustige, traurige, sehr menschliche Individuen.“ Die Bücher ermöglichten es Deutschen, sich mit dem Thema befassen zu können, „ohne das Gefühl zu haben, auf der Stelle unter Schuldgefühlen zusammenbrechen zu müssen“.
Eran Avrahami sitzt in seinem Lieblingssessel, den er in den dunklen Berliner Wintermonaten kaum verlässt, gleich neben dem Bücherregal. Er liebt das Lesen, das Schreiben auch. Seit elf Jahren lebt er jetzt in Deutschland, er fühlt sich wohl hier, sagt er, aber zu Hause? Dann eher doch nicht. In der lichtlosen deutschen Jahreszeit überkomme ihn stets große Sehnsucht nach Israel, sagt er. Einerseits. Wenn er mit seiner Familie dann dort drei Wochen verbringt, sagt Kirsten Grieshaber, „möchte er spätestens in der dritten Woche wieder zurück ins ruhige Berlin“.
Wie viele Israelis, die in Deutschland leben, sitzt Avrahami zwischen allen Stühlen. In Israel leben? „Undenkbar!“, sagt er. Ist Deutschland sein Zuhause geworden? Hm. Schweigen. Dann kommen Fragen. Es sei ihm ein Rätsel, dass Israel-Flaggen vor dem Brandenburger Tor angezündet werden können und ein jüdischer Neuntklässler an einer Berliner Eliteschule gemobbt wird. Er versteht auch nicht, weshalb Millionen Deutsche (inklusive seiner Schwiegereltern) abends um 20 Uhr die dröge „Tagesschau“ sehen. Schon nach wenigen Minuten ist man an diesem Nachmittag bei den Vorzügen und Nachteilen beider Länder. Kirsten Grieshaber sagt: „Das ist Dauerthema bei uns.“
Zum Dauerthema gehören etwa auch die Tischmanieren. Wie viele Israelis isst Eran Avrahami mit aufgestützten Ellbogen, für Kirsten Grieshaber ein Graus. „Ich möchte“, sagt sie, „dass unsere Kinder mit Tischmanieren aufwachsen.“ Ihr Mann rollt die Augen, lacht. „Ja“, sagt er, „das ist den Deutschen wichtig: Fassaden, der schöne Schein!“ Viel wichtiger fände er es, dass man ihn auf der Straße „nicht mit Du anspricht, weil man mich für einen arabischen Flüchtling hält“. Oder dass man für Menschenrechte kämpft. Umgekehrt mussten sich Kirsten Grieshabers Eltern daran gewöhnen, dass ihr Schwiegersohn sich auch schon mal zum Frühstück zwei Eier nimmt – obwohl der Schwiegervater die hart gekochten Eier genau abgezählt hat. In Israel liegen exakt aufgeteilte Portionen außerhalb jeglichen Vorstellungsvermögens. Wenn man dort zum Essen eingeladen ist, werden so viele Mahlzeiten zubereitet, dass sich der Tisch biegt. Auch sind alle Kühlschränke doppelt so groß wie in Deutschland und vollgestopft mit Lebensmitteln für die kommenden vier Wochen, denn nie weiß man, ob morgen nicht doch ein Krieg ausbricht – oder die Verwandtschaft überraschend zum Essen vorbeischaut.
Was für ihn das Irritierendste war in seiner Beziehung zu einer Deutschen? Eran Avrahami verzieht das Gesicht: „Dass Kirsten mich an Jom Kippur auf eine bayerische Hochzeit in einer barocken Kirche geschleppt hat!“ Dazu muss man wissen: Jom Kippur ist der höchste israelische Feiertag, an dem viele Juden, auch säkulare wie Avrahami, fasten und in Zwiesprache mit Gott um Vergebung für Fehler bitten. In Israel steht an Jom Kippur das komplette Leben still, es gibt keinen Verkehr auf den Straßen, Flughäfen sind geschlossen. Es gibt weder Radio noch Fernsehen und alle, wirklich alle, Restaurants und Kinos und Geschäfte sind zu.
Dennoch fuhr die Familie ins niederbayerische Aiglsbach. Kirsten Grieshaber versuchte, ihrem Mann den Sündenfall zu erleichtern, und schlug vor, er könne ja feiern und Schweinsbraten essen und dann gleich anschließend Gott um Vergebung bitten. Der aber protestierte und sagte: „Bei uns kann man nicht einfach jede Woche im Beichtstuhl sitzen und um Vergebung bitten.“ Da war er wieder, der Kulturgraben. So blieb Eran Avrahami die meiste Zeit während der Hochzeitsfeiern auf seinem Hotelzimmer – und litt. Kirsten Grieshabers Vater aber hatte Mitleid und brachte dem Schwiegersohn ein Stück Hefezopf. Den dieser dankbar verschlang.
Binationale Ehen sind eine Art Lebensschule, im Idealfall lernen das Paar und auch die Freunde und Verwandten voneinander und werden toleranter. Kirsten Grieshaber etwa weiß jetzt, dass ihr Mann über jeden Stau auf der Stadtautobahn Ayalon in Tel Aviv informiert sein muss, um seine Sehnsucht nach Heimat zu stillen. Leider aber musste sie auch erfahren, dass ihre Ehe mit Eran Avrahami für eine seiner Schwestern ein so großes Problem ist, dass diese den Kontakt zu ihm abgebrochen hat.
Eran Avrahamis Mutter hat noch versucht zu vermitteln. Hatte gar den Rabbiner ihrer ultraorthodoxen Tochter aufgesucht und geschimpft, dass es wohl nicht in seinem Interesse sein könne, dass wegen einer christlichen Schwägerin die Familie zerbreche. Aber der blieb stur. Entweder Kirsten Grieshaber trete zum Judentum über oder der Bann würde aufrechterhalten. Selbst die Drohung der Mutter, sie werde zum Islam konvertieren, beeindruckte den Rabbiner nicht.
Manchmal wird Kirsten Grieshaber gefragt, wie es möglich sei, mit einem Menschen aus einer anderen Kultur zusammenzuleben und eine Familie zu gründen. Dann überlegt sie kurz, wie es wohl wäre, wenn sie den Nachbarssohn aus der Düsseldorfer Vorstadt geheiratet hätte. Wie ihr Leben dann heute aussähe? „Wir hätten bestimmt verdammt viele Gemeinsamkeiten gehabt“, sagt sie. „Aber ich hätte mich garantiert mit ihm zu Tode gelangweilt.“
Im Beisein eines Rabbiners
wird der Hummus-Mixer einem
jüdischen Ritual unterzogen
Ob Deutschland sein Zuhause
geworden ist? Da gibt es noch
viele offene Fragen für ihn
Sehnsucht nach Heimat? Er stillt
sie, indem er sich über
die Staus in Tel Aviv informiert
In Israel leben? „Undenkbar!“, sagt Eran Avrahami. Seit elf Jahren wohnt er mit seiner Frau Kirsten Grieshaber in Berlin. Aber sein Zuhause ist Deutschland trotzdem nicht geworden. Der Sohn findet da leichter Antwort: Zuhause „sind Mama und Papa“, sagt er.
Fotos: Jens Gyarmaty
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"Über ihre deutsch-israelische Familie hat Kirsten Grieshaber ein aufrichtiges, humorvolles Buch geschrieben." Thorsten Schmitz, Süddeutsche Zeitung "Grieshaber schildert die anstrengende Realität spannungsreicher Koexistenz als ein Gewinn im Millimeterbereich." Jamal Tuschick, DER Freitag