Jeder Mensch ist eine Geschichte
Dieses 1999 erschienene, 2024 im Schweizer Lenos Verlag neu aufgelegte Buch des marokkanischen Schriftstellers und Malers Mahi Binebine ist aktueller denn je. Er selbst hat ein wechselvolles Schicksal. Einer seiner Brüder war unter Hassan II 18 Jahre im
berüchtigten Gefängnis Tazmamart inhaftiert. Binebine studierte Mathematik und lebte als Lehrer in Paris,…mehrJeder Mensch ist eine Geschichte
Dieses 1999 erschienene, 2024 im Schweizer Lenos Verlag neu aufgelegte Buch des marokkanischen Schriftstellers und Malers Mahi Binebine ist aktueller denn je. Er selbst hat ein wechselvolles Schicksal. Einer seiner Brüder war unter Hassan II 18 Jahre im berüchtigten Gefängnis Tazmamart inhaftiert. Binebine studierte Mathematik und lebte als Lehrer in Paris, bis er anfing zu schreiben und autodidaktisch zu malen. Einige seiner Bilder sind Bestandteil des Guggenheim Museums in New York. Er lebte in New York und in Madrid, kehrte erst 2002 in die Heimat zurück.
Binebine gelingt es meisterhaft, die Lebensgeschichten, angefüllt mit Verzweiflung, Hoffnungs-losigkeit, Enttäuschung und zugleich Hoffnung der einzelnen Protagonisten, die am Strand von Tanger auf die Überfahrt nach Spanien harren, lebendig werden zu lassen. Er setzt Asûs als seinen Erzähler, seinen Dolmetscher ein. Und so bekommen die Maghrebiner Nuara und ihr Kind, Ihr Mann Sulaimân, Jûssuf und sein zwergenhafter Zwilling, Momo, Mûrad und Kâssim Dschûdi, die beiden Malier Pafadnam und Yarcé sowie die Europäer, die Schwestern Bénédicte und Odette und der Lehrer Monsieur Romanchef, ein menschliches Gesicht, denn jeder Mensch hat eine ganz eigene Geschichte, die sich zudem noch in Vorgeschichten, mit ihren sozialen, religiösen und kulturellen Strukturen verästelt.
Das schmale Buch von Binebine könnte zum Nachdenken anregen, was denn unser Gesicht, unsere Geschichte und Vorgeschichte wären, wenn wir unser altes Leben verlassen würden für ein neues menschenwürdiges.
Die Festung Europa ist regressiver und repressiver denn je. Rechtspopulistische Regierungen und ihre Trittbrettfahrer übernehmen das Zepter. Und die großen Worte von Menschenrechten und der Würde eines jeden einzelnen werden zu verbalen Hülsen im Einheitsbrei der Informationen. Niemand interessiert sich für die, die ihre Heimat verlassen haben, aus welchen Gründen immer: Krieg und Verfolgung, Hungersnöte, Überschwemmungen, Ausweglosigkeit im eigenen Leben. Niemand interessiert sich für die im Mare nostrum Verschollenen, Ertrunkenen. Im Mittelmeer soll es Fische geben, die besonders prall und fett seien……
Niemand sieht sie als Einzelwesen, sondern immer nur als menschliche Masse. Die Maghrebiner. Die Syrer. Die Muslime. etc. Vielleicht sind es irgendwann „Die Europäer“?