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Von mitreißender Vielfalt und erzählerischer Kraft: Asger Weidenfeldt, ein junger, erfolgreicher Fernsehjournalist in Berlin, spürt, dass er das wirkliche Leben verpasst. Er legt eine Pause ein, fährt zurück in die Heimat, wo seine Mutter Clara, eine gealterte Schauspielerin, vom vergangenen Ruhm zehrt. Als Clara zur Rückkehr des verlorenen Sohns ein großes Fest organisiert, prallen die Generationen, Lebensentwürfe und Träume aufeinander. Es kommt zur Explosion. Ein grandioser Gesellschaftsroman von einem der derzeit provokativsten, kraftvollsten Autoren in Deutschland. Niemann nimmt in den…mehr

Produktbeschreibung
Von mitreißender Vielfalt und erzählerischer Kraft: Asger Weidenfeldt, ein junger, erfolgreicher Fernsehjournalist in Berlin, spürt, dass er das wirkliche Leben verpasst. Er legt eine Pause ein, fährt zurück in die Heimat, wo seine Mutter Clara, eine gealterte Schauspielerin, vom vergangenen Ruhm zehrt. Als Clara zur Rückkehr des verlorenen Sohns ein großes Fest organisiert, prallen die Generationen, Lebensentwürfe und Träume aufeinander. Es kommt zur Explosion. Ein grandioser Gesellschaftsroman von einem der derzeit provokativsten, kraftvollsten Autoren in Deutschland. Niemann nimmt in den Menschen eines Dorfes das Ganze unserer Gegenwart in den Blick.
Autorenporträt
Norbert Niemann, 1961 in Niederbayern geboren, studierte Literatur, Musikwissenschaft und Geschichte. Seit 1997 lebt er als freier Schriftsteller in Chieming am Chiemsee. Für seinen ersten Roman Wie man`s nimmt (Hanser, 1998) erhielt er den Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Preis. 2001 erschien sein zweiter Roman Schule der Gewalt, 2003 Inventur (Deutsches Lesebuch 1945-2003, mit Eberhard Rathgeb) und zuletzt Willkommen neue Träume (2008).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.12.2008

Glasklare Selbsterkenntnis
Norbert Niemanns Roman „Willkommen neue Träume”
Norbert Niemanns Debütroman „Wie man’s nimmt” von 1997 kreiste um endlose Diskussionen in einer Wohnküche. Dort lebte der nationale Selbsthass seit dem Deutschen Herbst 1977 fort. Es folgte die intensive Milieustudie „Schule der Gewalt”. Nun, mit Niemanns drittem Buch „Willkommen neue Träume” , weitet sich das Panorama ganz erheblich: Er wagt den Schritt vom Kammerspiel zum großen Gesellschaftsroman. Der vom Berliner Medienbetrieb ermattete Kulturjournalist Asger Weidenfeldt hat Sehnsucht nach Bodenhaftung und kehrt für eine längere Auszeit ins Dorf seiner Kindheit zurück. In Vössen residiert in der „Fuchsenhub” Asgers Mutter Clara Weidenfeldt, einst eine gefeierte Diva des Neuen Deutschen Films. Ihr platonischer Freund, der Bürgermeister Franz Stegmüller, kämpft sich mit idealistischem Elan durch die Niederungen der Kommunalpolitik, bis ihn ein Herzinfarkt ereilt. Denn die Idylle trügt: Im Kapitel „Toter Mann” ertrinkt Asger beinahe. Plötzlich umgibt ihn eine „grandiose Leere”, die ihm eine glasklare Selbsterkenntnis ermöglicht. Es sind solche Grenzerfahrungen, die die Faszination dieses Buches ausmachen.
Auf 600 Seiten sucht der Roman die Balance zwischen höchst anschaulichen Beschreibungen und den Thesen seiner zahlreichen Protagonisten und ihrer Gegenspieler. „Willkommen neue Träume” lässt sich auch als heimliche Hommage an die sogenannte Provinz lesen, insbesondere an den Chiemsee, an dem der Autor lebt. Für Asger jedenfalls gerät die Reise ins Dorf trotz aller Konflikte zu einer Entdeckung des wahren Lebens jenseits der Medienwirklichkeit. Bei allen Romanfiguren macht sich nach dem Verlust der politischen Utopien 1989 eine innere Leere bemerkbar. Und dennoch vermittelt dieses Gesellschaftspanorama mit Seeblick eine ungeahnte, sympathische Entspanntheit. (Carl Hanser Verlag, 603 Seiten, 24,90 Euro)
KATRIN HILLGRUBER
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2008

Wer nicht mitmacht, wird zum Schrat
Norbert Niemanns Held sucht in der bayrischen Provinz nach Gegenwart / Von Richard Kämmerlings

Was hindert den Roman daran, die Lage zu erkennen? "Die Lage wird dadurch so kompliziert, dass weniger denn je eine einfache ,Wiedergabe der Realität' etwas über die Realität aussagt. Eine Photographie der Kruppwerke oder der A.E.G. ergibt beinahe nichts über diese Institute. Die eigentliche Realität ist in die Funktionale gerutscht." Das schrieb Bertolt Brecht vor fast achtzig Jahren in seiner Schrift zum "Dreigroschenprozess". Um wie viel mehr gilt das in Zeiten, wo selbst den Akteuren und Experten die Vorgänge im globalen Finanzsystem schleierhaft sind?

Wer heute einen Roman schreibt, der von der Gegenwart handelt (und nicht nur in ihr spielt), der sollte wissen, dass er Unmögliches unternimmt. Norbert Niemann hat seinem dritten Roman als Motto ein Wort von Petrarca vorangestellt: "Niemand hat noch von seiner eigenen Zeit gesungen." Das muss man nicht unbedingt als ein Signal der Bescheidenheit verstehen.

Wie also ist die Lage? Es gehört offenbar zur Signatur unserer Zeit, dass man genug von ihr hat. Asger Weidenfeldt, ein junger, erfolgreicher Kulturjournalist im Fernsehen, lässt alles Aufregende und Aufgeregte der Medienwelt hinter sich und kehrt aus Berlin ins Haus seiner Mutter im bayrischen Provinzdorf Vössen zurück. Clara Weidenfeldt war in den Siebzigern eine Ikone des Neuen Deutschen Films, inzwischen zehrt sie von vergangenem Glanz und kultiviert in einem feudalen Anwesen vor Alpenkulisse und mit Seeblick ihre Distanz zur Welt. Fuchsenhub, so heißt ihre exklusive Adresse, ist allerdings immer noch legendär für Feste in Erinnerung an die alten Zeiten.

Asgers Sinnsuche wiederholt die Fluchtbewegung seiner Mutter: "Was Asgers Leben bisher ausgefüllt hatte, rückte immer weiter in den Hintergrund. Über Politik hielt er sich nicht mehr auf dem Laufenden. Kulturelle Großereignisse nahm er nicht länger wahr. Asger trat ein in eine andere Form von Gegenwärtigkeit. Er wurde sich erstmals darüber klar, als er anfing, seine sonderbaren Naturerfahrungen aufzuschreiben . . . Er entdeckte gewissermaßen das grammatische Präsens für sich. Es strahlte aus ins Perfekt, ins Futur hinüber, wenn Asger etwa schrieb: ,Die Reisenden der Vergangenheit und ich benutzen dieselben Pfade. Wir gehen sie auch nächstes Jahr.'" Diese Pfade sind die Pfade Stifters, des "Nachsommers", eines politisch und privat desillusionierten, nur noch in der Entsagung Erfüllung findenden Rentnertums. Der Mensch in der Revolte wird zum Schrat.

Die bittere Ironie Niemanns liegt darin, dass die Gegenwart sich auch in der Provinz ihr Recht verschafft. Über lokalpolitische Ränkespiele, ökonomische Abhängigkeiten und ökologische Gefahren werden in der Nische die treibenden Kräfte wirksam, denen sich sein Held des Rückzugs entziehen wollte: Die zerrütteten Gemeindefinanzen erzeugen auch in Vössen einen Modernisierungsdruck, der die gutwilligsten Bremser am Ende wegspülen wird. "Willkommen neue Träume" ist also ein sarkastischer Titel, denn das Neue bricht sich Bahn als Zersetzung gewachsener Strukturen, als Zerstörung von Kultur, von Kommunikation, eben gerade von jeder Fähigkeit, über das Bestehende hinaus zu denken, Alternativen, gar Utopien zu entwickeln: Vössen bekommt am Ende wie alle Nachbargemeinden sein Einkaufszentrum und seinen Gewerbepark, in diesem manichäischen Roman die Verkörperung des Bösen schlechthin.

Diese düstere Sicht der Dinge hat manches für sich, und ihre Darstellung in epischer Breite ist überfällig. Doch tut sich Niemann schwer, diesen Stoff zu bewältigen. Dass er auf Spannungselemente oder melodramatische Zuspitzungen weitgehend verzichtet, kann man seiner Abscheu vor den billigen Tricks der Kulturindustrie zurechnen. Asgers quälendem und manchmal unfreiwillig komischem Selbstfindungsprozess stellt Niemann eine Reihe von Spiegel- und Kontrastfiguren an die Seite, allen voran den in der Einfamilienhaushölle schmorenden Jugendfreund Wenzel Possmann, der glaubt, er könne mit seinen Geistesgaben der Öffentlichkeit zeigen, was eine Harke ist (und bei einem Talkshowauftritt kläglich scheitert).

Nur noch punktuell erreicht der Roman die Dichte seines brillanten Prologs. Der nach Auslandseinsätzen desillusionierte Offizier der Bundeswehr, eine der interessantesten Figuren des Buches, taucht später nicht wieder auf. So werden sechshundert Seiten zu einer Menge Holz. Schon richtig, auch im "Zauberberg" oder im "Mann ohne Eigenschaften" gibt es nicht viel Action, doch das Aufeinanderprallen von Weltanschauungen löste dort Erschütterungen aus, die einem Börsencrash in nichts nachstanden.

Das entscheidende Dilemma aber ist, dass Niemann aus seiner provokativen Diagnose keine Konsequenzen für die Darstellung zieht. Anders als der im Roman als Totaloppositioneller eingeführte Fotokünstler stellt er eben keine überbelichteten Bilder aus. Bei Niemann bleibt Radikalität ein Gedankenexperiment, man könnte auch sagen: Rhetorik. Zur (ästhetischen) Praxis findet sie nicht. Niemann bleibt auf den gut gepflasterten Wegen multiperspektivischen Erzählens, ohne die satirische Schärfe amerikanischer Vorreiter wie William Gaddis, David Foster Wallace oder Rick Moody auch nur anzustreben. Witz steht in diesem sehr verbitterten und sehr ernsten Roman unter Generalverdacht - wie überhaupt alles Allzumenschliche.

Ausgerechnet Asger bleibt eine Kopfgeburt, was schon damit anfängt, dass Geld auf Fuchsenhub keine Rolle spielt und freiwillige Frühverrentung so als realistische Option von frustrierten Nachwuchsjournalisten erscheint. Körperliches Begehren scheint dem Naturfreund ebenfalls fremd zu sein. Ein weiterer Einwand: So ausdifferenziert das Romanpersonal in sozialer Hinsicht ist, die Malaise des modernen Lebens wird von allen in gleicher Weise wahrgenommen: Von der althippiehaften Sekretärin des Bürgermeisters bis zum kantigen Ökobauern, vom umtriebigen Dorfpfarrer bis zum zynischen Feuilletonisten - alle teilen cum grano salis die kulturkritischen Ressentiments Asgers; sie reagieren nur verschieden: Mit einem Rückzug in den Ästhetizismus oder mit Widerstand im Kleinen, mit mystischer Versenkung oder aggressiver Proselytenmacherei, mit feuchtfröhlicher Resignation oder eben bierernstem Kunstwillen.

Das Erkennen der Lage ist für Niemann offenbar nicht das Problem unserer Zeit. Aber solange der angeblich totale Verblendungszusammenhang solch große Lücken hat, kann, auf Fuchsenhub und anderswo, doch noch nicht Hopfen und Malz verloren sein.

Norbert Niemann: "Willkommen neue Träume". Roman. Hanser Verlag, München 2008. 608 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die über 600 Seiten dieses Romans von Norbert Niemann verwandeln sich für den Rezensenten bei der Lektüre zusehends zu einer "Menge Holz". Das ist nicht gut. Dass der Held des Buches vor der Gegenwart in die Provinz flieht, bloß, um festzustellen, dass der Kulturpessimismus dort nicht weniger Futter findet, deutet Richard Kämmerlings noch als Teil der von ihm zustimmend konstatierten "bitteren Ironie" des Autors. Allerdings merkt Kämmerlings schnell, dass der Autor den Stoff nicht überzeugend zu verdichten vermag und ihm die satirische Würze eines William Gaddis abgeht. Die zunächst so radikal daherkommende Zeitdiagnose erscheint ihm schließlich als bloße Rhetorik. Auch fragt sich Kämmerlings, wieso das Personal des Romans durch die Bank überhaupt keine Schwierigkeiten hat, die Malaise wahrzunehmen. Ganz so schlimm, findet der Rezensent, kann es um die Gegenwart also nicht bestellt sein.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Klug komponiert und dennoch in eine barocke Fülle ausgreifend, scharfsinnig und gleichzeitig hingebungsvoll, witzig und poetisch - Niemann entwirft ein großes Panorama unserer Zeit und Gesellschaft. Ein beeindruckender Roman: große Literatur und intellektuelles Vergnügen." Roman Bucheli, Neue Zürcher Zeitung, 23.08.08

"Bleibt man (...) am Ball, wird man mit einem Riesenpatchwork der Emotionen und Gedanken beschenkt, das sich liest, als hätten Thomas Mann und Raymond Carver gemeinsame Sache gemacht. Imponierend trennscharf versammelt Niemann zahllose Figuren mit all ihren Ambitionen und Malaisen im Brennglas seiner Sprache." Peter Henning, Spiegel Online, 01.10.08

"Immer wieder lässt Niemann Lebensmodelle aufeinanderprallen, um sie auf den Prüfstand zu stellen." Christoph Schröder, Der Tagesspiegel, 07.12.08

"Ein großer Wurf." Rupert Ascher, Die Presse, 23.05.09