SOZIALIST, KANZLER, PATRIOT - WILLY BRANDT UND SEIN JAHRHUNDERT
"Frei und links" - Willy Brandt war der Kanzler des "anderen" Deutschland. Nach seinen Bestsellern über Richard von Weizsäcker und Helmut Schmidt legt der langjährige ZEIT-Journalist Gunter Hofmann nun ein einfühlsames Portrait des Mannes vor, der die konservative Adenauer-Republik durchlüftete und mit den Ostverträgen und seinem Kniefall in Warschau Weltgeschichte schrieb. In seiner Biographie zeigt Hofmann uns den «ganzen» Brandt, jenen außergewöhnlichen Menschen, dessen Politik nur zu verstehen ist, wenn man auch sein Leben kennt.
Ebenso kenntnisreich wie nuanciert geht Gunter Hofmann den Stationen im Leben von Willy Brandt nach, schildert den Weg des jungen Sozialisten aus schwierigen Verhältnissen in Exil und Widerstand, die allmähliche Entwicklung seiner politischen Überzeugungen und die Stationen seiner Karriere vom Regierenden Bürgermeister bis zum Bundeskanzler. Auch die Weggefährten wie Julius Leber, Helmut Schmidt, Herbert Wehner, Egon Bahr oder Günter Grass kommen ins Bild. Vor allem aber macht Hofmann auf eine geradezu intime Weise deutlich, wie sehr Brandt unsere Vorstellung von der Nation geprägt hat, in der wir leben möchten.
SPIEGEL-Bestseller-Autor Die neue große Biographie seit 20 Jahren Willy Brandt steht für den moralischen Fortschritt der Nation im Umgang mit der eigenen Vergangenheit Brillant geschrieben
"Frei und links" - Willy Brandt war der Kanzler des "anderen" Deutschland. Nach seinen Bestsellern über Richard von Weizsäcker und Helmut Schmidt legt der langjährige ZEIT-Journalist Gunter Hofmann nun ein einfühlsames Portrait des Mannes vor, der die konservative Adenauer-Republik durchlüftete und mit den Ostverträgen und seinem Kniefall in Warschau Weltgeschichte schrieb. In seiner Biographie zeigt Hofmann uns den «ganzen» Brandt, jenen außergewöhnlichen Menschen, dessen Politik nur zu verstehen ist, wenn man auch sein Leben kennt.
Ebenso kenntnisreich wie nuanciert geht Gunter Hofmann den Stationen im Leben von Willy Brandt nach, schildert den Weg des jungen Sozialisten aus schwierigen Verhältnissen in Exil und Widerstand, die allmähliche Entwicklung seiner politischen Überzeugungen und die Stationen seiner Karriere vom Regierenden Bürgermeister bis zum Bundeskanzler. Auch die Weggefährten wie Julius Leber, Helmut Schmidt, Herbert Wehner, Egon Bahr oder Günter Grass kommen ins Bild. Vor allem aber macht Hofmann auf eine geradezu intime Weise deutlich, wie sehr Brandt unsere Vorstellung von der Nation geprägt hat, in der wir leben möchten.
SPIEGEL-Bestseller-Autor Die neue große Biographie seit 20 Jahren Willy Brandt steht für den moralischen Fortschritt der Nation im Umgang mit der eigenen Vergangenheit Brillant geschrieben
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Joachim Käppner ist gefesselt von Gunter Hofmanns politischer Biografie über Willy Brandt, die vor allem dessen "Neue Ostpolitik" ab 1969 in den Fokus nimmt. Mit seiner Darstellung widerspreche der Autor zu Recht all jenen Stimmen, die, im Kontext der aktuellen Debatte, Brandts Bestrebungen der Annäherung zwischen Ost und West als Grund für das Scheitern der deutschen Russlandpolitik ausmachen, bemerkt der Rezensent zu Beginn. Indem er Brandts Wirken "sorgsam" in den Zeitkontext einbettet, werden die politischen Herausforderungen deutlich, die dieser überwinden musste, so der Kritiker. Unter dem Motto der 'Entfeindung' propagierte der Kanzler eine Politik der Verständigung mit der Sowjetunion, ohne dabei jemals das "System kommunistischer Diktaturen" zu verharmlosen, betont der Kritiker. Auch wenn der Autor laut dem Rezensenten manchmal etwas viel Vorwissen erwartet, empfiehlt er die Lektüre nachdrücklich: Hofmanns Biografie leistet nicht nur eine kluge Analyse von Brandts politischen Wirken, sondern zeichnet auch "einfühlsam" ein genaueres Bild des Politikers.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.05.2023DAS POLITISCHE BUCH
Der Sämann
Gunter Hofmanns fesselnde Biografie
über Willy Brandt zeigt einen Politiker auf der Suche
nach einem besseren Deutschland und liefert eine
überzeugende Verteidigung von dessen Ostpolitik
VON JOACHIM KÄPPNER
Über Geschichte zu schreiben, zu erzählen, wie es gewesen ist, bleibt immer nur eine Annäherung an die Wirklichkeit. Wie sollte es auch anders sein. Problematisch wird es, wenn manche diesen Versuch der Annäherung erst gar nicht unternehmen, sondern die Vergangenheit in den Dienst gegenwärtiger Deutungsmuster pressen.
Die Neue Ostpolitik Willy Brandts ab 1969 bietet dafür reichlich Anschauungsmaterial. Für die einen, oft bei der SPD-Linken zu verorten, musste und muss sie als Begründung herhalten, warum sie viel zu lange einer bösen Fehleinschätzung des russischen Despoten und nunmehrigen Kriegstreibers Wladimir Putin erlagen. Für andere, auf konservativer Seite, ist bereits die Ostpolitik selbst die Wurzel alles heutigen Unglücks der Ukraine. Der US-Historiker Timothy Snyder stellte sogar die, freundlich gesagt, befremdliche These auf, schon Willy Brandt habe, als er die Entspannung mit der Sowjetunion suchte, dafür die Ukrainer verraten.
Umso besser, dass der Geschichtsklitterung nun von kompetenter Stelle widersprochen wird: Gunter Hofmann geht in seiner Biografie Willy Brandts ausführlich auf die aktuelle Debatte ein. Der Autor war bis 2008 Chefkorrespondent der Zeit und einer der besten und profiliertesten Kenner des Bonner und dann des Berliner Betriebes. Auch hat er Brandt persönlich gut gekannt, diese Nähe führt sein Buch sehr dicht an die Person Willy Brandt heran, ohne dass Hofmann davon ein Aufheben machen würde.
Was also hat die Ostpolitik, die ausgestreckte Hand des ersten SPD-Bundeskanzlers nach Moskau, Warschau, Ostberlin also für Brandt selbst bedeutet? Keinesfalls markierte sie, da ist Hofmann ganz eindeutig, den Beginn heutiger Irrwege. Man versteht sie nur aus ihrer Zeit heraus wirklich. Viele Deutsche wollten noch in den Sechzigerjahren nichts davon wissen, dass ihr Land unter Hitlers Herrschaft Polen mit millionenfachem Mord und Verwüstung überzogen und den Vernichtungskrieg in die Sowjetunion getragen hatte, dass Deutschland also eine moralische Verantwortung trug. Der Ost-West-Gegensatz überdeckte all dies bleischwer.
Nun aber, schreibt Hofmann, „nun sollte es „gleichzeitig um ,Entfeindung‘ (Egon Bahr) und konkret um beiderseitige Rüstungsreduzierung gehen, beides gemeinsam ein Klima des Vertrauens schaffen. Ost- und Entspannungspolitik galten als zwei Seiten einer Medaille.“ Die Bundesrepublik Deutschland trug „eine historische Bringschuld gegenüber den Nachbarn im Osten. (...) Diese Politik des Dialogs und der Verständigung bezog sich auf alle Nationalitäten unter Moskaus Fuchtel.“
Sorgsam arbeitet Hofmann die Zeitumstände heraus. Große Teile der CDU/CSU waren im Denken des Kalten Krieges erstarrt und erwarteten von den westlichen Alliierten irgendwie noch immer, die deutsche Teilung zu überwinden. Doch war seit dem Bau der Berliner Mauer 1961 überdeutlich, dass in Washington, London und Paris keinerlei Neigung bestand, für die nationale Einheit der eben noch mühsam besiegten Deutschen viel zu riskieren, gewiss keinen Atomkrieg. Brandt, als er 1969 Kanzler der sozialliberalen Koalition wurde, wagte den Versuch, die politische Vereisung zu durchbrechen, und der von seinem Chefstrategen Egon Bahr entworfene Begriff des „Wandels durch Annäherung“ bedeutete nie, sich dem System kommunistischer Diktaturen anzugleichen, wie die schäumende und tobende CDU/CSU-Opposition im Bundestag behauptete.
Es spricht für den Autor, dass er simplifizierende Etiketten wie „die Ostpolitik“ für den Zeitraum von mehr als einem halben Jahrhundert seit 1969 nicht gelten lässt. Willy Brandt konnte „Entfeindung“ wagen, weil er als ehemaliger Widerstandskämpfer gegen Hitler die moralische Autorität dazu besaß und als Politiker den Realitätssinn, das Wünschenswerte nicht mit dem Erreichbaren zu verwechseln. Zwar läuteten er und seine Regierung den „Abschied von der Droh- und Abschreckungslogik des Kalten Krieges ein“, einen „Abschied aus der Allianz wollten sie nicht“, Westbindung und Nato bildeten die Voraussetzung zur Entspannung nach Osten. Schwer vorstellbar, dass ein Kanzler Brandt die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik so hätte verkommen lassen, wie das in der großen Koalition unter Angela Merkel geschah, und dies als Friedenspolitik verkauft hätte. Aber zugegeben, was Brandt heute tun und sagen oder nicht tun und nicht sagen würde: „Das bleibt alles Spekulation“, wie Hofmann zu Recht schreibt.
Die Neue Ostpolitik erreichte 1975 mit der KSZE-Schlussakte von Helsinki einen vorläufigen Höhe- und Endpunkt: „Die Saat schien aufzugehen, Liberalisierungen in Osteuropa wurden schwer umkehrbar.“ Der Sämann Brandt war im Vorjahr zurückgetreten, war da schon nicht mehr Kanzler. Doch Helsinki bedeutete einen großen Schritt nach vorn nicht nur für kollektive Sicherheit in Europa, sondern auch für die Menschenrechte im kommunistischen Imperium. Es ist ein anderes Kapitel, dass sich die Sozialdemokratie später schwertat mit den nun entstehenden Bürgerrechtsbewegungen in Osteuropa. „Ohne die Ostpolitik“, bilanziert Hofmann als deren überzeugender Verteidiger, „hätten die Deutschen nicht wirklich wieder Vertrauen gewonnen bei den Nachbarn und in der Welt.“
„Willy Brandt: Sozialist – Kanzler – Patriot“ ist ein kluges Buch, einfühlsam dem Menschen Brandt gegenüber und analytisch scharf. Es ist eine politische Biografie, über Persönliches aus Brandts bewegtem privaten Leben erfährt man eher das Nötigste, dafür um so mehr über Brandt und seine Weggefährten wie den Sozialdemokraten Julius Leber, den Kommunisten Jacob Walcher und, natürlich, seine Nemesis, den gefürchteten SPD-Fraktionschef Herbert Wehner. Für Brandt-Anfänger mag es manchmal etwas viel voraussetzen, Hofmann sucht aus verschiedenen Interpretationen dieses Kanzlers, einschließlich dessen Selbstzeugnissen, dem historischen Bild mehr Schärfe und Konturen zu verleihen, mit Erfolg.
Zeitlebens war Brandt auf der Suche nach dem „anderen, eigentlichen Deutschland“, wie er selber sagte: dem besseren. In scharfem Gegensatz zu unseren Tagen, in der mitunter obsessiv das Trennende betont wird, erforschte Brandt den gemeinsamen Boden. Schon im Exil, während des Krieges, hatte der noch junge Sozialist dies durch Kontakte zum militärischen Widerstand getan, etwa zum später, 1944, hingerichteten Adam Trott zu Solz – eines der spannendsten Kapitel des Buches. Und jahrzehntelang traf den SPD-Politiker Brandt, ob als Regierenden Bürgermeister Berlins, Außenminister oder Bundeskanzler, der eifernde Hass jener, denen er allein durch seine Präsenz den Spiegel vorhielt – was er, wie Hofmann ausführlich darlegt, selbst gar nicht wollte. Die Mitläufer und Mittäter schmähten den Widerstandskämpfer: „Vater unbekannt, Exil, fremde Uniform, Verzichtskanzler, das blieb die Grundmelodie.“
Weite Teile von CDU und CSU betrieben eine persönliche Hasskampagne gegen Brandt von einer Art, wie man sie heute nur noch am rechten Rand der Parteienlandschaft findet. Gegen das leichtfertige Reden, die Spaltung der Gesellschaft werde heute immer tiefer, ist Hofmanns Buch daher ein gutes Serum. Brandt litt unter den Anfeindungen, verzichtete weitgehend auf Gegenwehr und hielt lieber Kurs. Und obwohl am Ende seines Lebens mit der deutschen Einheit in Freiheit sein patriotischer Traum sich doch noch erfüllte, ist er wohl über weite Zeit seines Lebens ein Fremder geblieben in diesem Land, das ihm so viel verdankt.
Westbindung und Nato
bildeten die Voraussetzung
zur Entspannung nach Osten
Hofmann urteilt einfühlsam
dem Menschen Brandt gegenüber
und analytisch scharf
Musste sich oft gegen Vorwürfe verteidigen: Kanzler Willy Brandt (SPD) im Wahlkampf 1972 in Frankfurt.
M.Rehm/dpa
Gunter Hofmann:
Willy Brandt. Sozialist, Kanzler, Patriot. Eine Biografie. Verlag C.H. Beck, München 2023. 517 Seiten, 35 Euro. E-Book: 27,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Der Sämann
Gunter Hofmanns fesselnde Biografie
über Willy Brandt zeigt einen Politiker auf der Suche
nach einem besseren Deutschland und liefert eine
überzeugende Verteidigung von dessen Ostpolitik
VON JOACHIM KÄPPNER
Über Geschichte zu schreiben, zu erzählen, wie es gewesen ist, bleibt immer nur eine Annäherung an die Wirklichkeit. Wie sollte es auch anders sein. Problematisch wird es, wenn manche diesen Versuch der Annäherung erst gar nicht unternehmen, sondern die Vergangenheit in den Dienst gegenwärtiger Deutungsmuster pressen.
Die Neue Ostpolitik Willy Brandts ab 1969 bietet dafür reichlich Anschauungsmaterial. Für die einen, oft bei der SPD-Linken zu verorten, musste und muss sie als Begründung herhalten, warum sie viel zu lange einer bösen Fehleinschätzung des russischen Despoten und nunmehrigen Kriegstreibers Wladimir Putin erlagen. Für andere, auf konservativer Seite, ist bereits die Ostpolitik selbst die Wurzel alles heutigen Unglücks der Ukraine. Der US-Historiker Timothy Snyder stellte sogar die, freundlich gesagt, befremdliche These auf, schon Willy Brandt habe, als er die Entspannung mit der Sowjetunion suchte, dafür die Ukrainer verraten.
Umso besser, dass der Geschichtsklitterung nun von kompetenter Stelle widersprochen wird: Gunter Hofmann geht in seiner Biografie Willy Brandts ausführlich auf die aktuelle Debatte ein. Der Autor war bis 2008 Chefkorrespondent der Zeit und einer der besten und profiliertesten Kenner des Bonner und dann des Berliner Betriebes. Auch hat er Brandt persönlich gut gekannt, diese Nähe führt sein Buch sehr dicht an die Person Willy Brandt heran, ohne dass Hofmann davon ein Aufheben machen würde.
Was also hat die Ostpolitik, die ausgestreckte Hand des ersten SPD-Bundeskanzlers nach Moskau, Warschau, Ostberlin also für Brandt selbst bedeutet? Keinesfalls markierte sie, da ist Hofmann ganz eindeutig, den Beginn heutiger Irrwege. Man versteht sie nur aus ihrer Zeit heraus wirklich. Viele Deutsche wollten noch in den Sechzigerjahren nichts davon wissen, dass ihr Land unter Hitlers Herrschaft Polen mit millionenfachem Mord und Verwüstung überzogen und den Vernichtungskrieg in die Sowjetunion getragen hatte, dass Deutschland also eine moralische Verantwortung trug. Der Ost-West-Gegensatz überdeckte all dies bleischwer.
Nun aber, schreibt Hofmann, „nun sollte es „gleichzeitig um ,Entfeindung‘ (Egon Bahr) und konkret um beiderseitige Rüstungsreduzierung gehen, beides gemeinsam ein Klima des Vertrauens schaffen. Ost- und Entspannungspolitik galten als zwei Seiten einer Medaille.“ Die Bundesrepublik Deutschland trug „eine historische Bringschuld gegenüber den Nachbarn im Osten. (...) Diese Politik des Dialogs und der Verständigung bezog sich auf alle Nationalitäten unter Moskaus Fuchtel.“
Sorgsam arbeitet Hofmann die Zeitumstände heraus. Große Teile der CDU/CSU waren im Denken des Kalten Krieges erstarrt und erwarteten von den westlichen Alliierten irgendwie noch immer, die deutsche Teilung zu überwinden. Doch war seit dem Bau der Berliner Mauer 1961 überdeutlich, dass in Washington, London und Paris keinerlei Neigung bestand, für die nationale Einheit der eben noch mühsam besiegten Deutschen viel zu riskieren, gewiss keinen Atomkrieg. Brandt, als er 1969 Kanzler der sozialliberalen Koalition wurde, wagte den Versuch, die politische Vereisung zu durchbrechen, und der von seinem Chefstrategen Egon Bahr entworfene Begriff des „Wandels durch Annäherung“ bedeutete nie, sich dem System kommunistischer Diktaturen anzugleichen, wie die schäumende und tobende CDU/CSU-Opposition im Bundestag behauptete.
Es spricht für den Autor, dass er simplifizierende Etiketten wie „die Ostpolitik“ für den Zeitraum von mehr als einem halben Jahrhundert seit 1969 nicht gelten lässt. Willy Brandt konnte „Entfeindung“ wagen, weil er als ehemaliger Widerstandskämpfer gegen Hitler die moralische Autorität dazu besaß und als Politiker den Realitätssinn, das Wünschenswerte nicht mit dem Erreichbaren zu verwechseln. Zwar läuteten er und seine Regierung den „Abschied von der Droh- und Abschreckungslogik des Kalten Krieges ein“, einen „Abschied aus der Allianz wollten sie nicht“, Westbindung und Nato bildeten die Voraussetzung zur Entspannung nach Osten. Schwer vorstellbar, dass ein Kanzler Brandt die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik so hätte verkommen lassen, wie das in der großen Koalition unter Angela Merkel geschah, und dies als Friedenspolitik verkauft hätte. Aber zugegeben, was Brandt heute tun und sagen oder nicht tun und nicht sagen würde: „Das bleibt alles Spekulation“, wie Hofmann zu Recht schreibt.
Die Neue Ostpolitik erreichte 1975 mit der KSZE-Schlussakte von Helsinki einen vorläufigen Höhe- und Endpunkt: „Die Saat schien aufzugehen, Liberalisierungen in Osteuropa wurden schwer umkehrbar.“ Der Sämann Brandt war im Vorjahr zurückgetreten, war da schon nicht mehr Kanzler. Doch Helsinki bedeutete einen großen Schritt nach vorn nicht nur für kollektive Sicherheit in Europa, sondern auch für die Menschenrechte im kommunistischen Imperium. Es ist ein anderes Kapitel, dass sich die Sozialdemokratie später schwertat mit den nun entstehenden Bürgerrechtsbewegungen in Osteuropa. „Ohne die Ostpolitik“, bilanziert Hofmann als deren überzeugender Verteidiger, „hätten die Deutschen nicht wirklich wieder Vertrauen gewonnen bei den Nachbarn und in der Welt.“
„Willy Brandt: Sozialist – Kanzler – Patriot“ ist ein kluges Buch, einfühlsam dem Menschen Brandt gegenüber und analytisch scharf. Es ist eine politische Biografie, über Persönliches aus Brandts bewegtem privaten Leben erfährt man eher das Nötigste, dafür um so mehr über Brandt und seine Weggefährten wie den Sozialdemokraten Julius Leber, den Kommunisten Jacob Walcher und, natürlich, seine Nemesis, den gefürchteten SPD-Fraktionschef Herbert Wehner. Für Brandt-Anfänger mag es manchmal etwas viel voraussetzen, Hofmann sucht aus verschiedenen Interpretationen dieses Kanzlers, einschließlich dessen Selbstzeugnissen, dem historischen Bild mehr Schärfe und Konturen zu verleihen, mit Erfolg.
Zeitlebens war Brandt auf der Suche nach dem „anderen, eigentlichen Deutschland“, wie er selber sagte: dem besseren. In scharfem Gegensatz zu unseren Tagen, in der mitunter obsessiv das Trennende betont wird, erforschte Brandt den gemeinsamen Boden. Schon im Exil, während des Krieges, hatte der noch junge Sozialist dies durch Kontakte zum militärischen Widerstand getan, etwa zum später, 1944, hingerichteten Adam Trott zu Solz – eines der spannendsten Kapitel des Buches. Und jahrzehntelang traf den SPD-Politiker Brandt, ob als Regierenden Bürgermeister Berlins, Außenminister oder Bundeskanzler, der eifernde Hass jener, denen er allein durch seine Präsenz den Spiegel vorhielt – was er, wie Hofmann ausführlich darlegt, selbst gar nicht wollte. Die Mitläufer und Mittäter schmähten den Widerstandskämpfer: „Vater unbekannt, Exil, fremde Uniform, Verzichtskanzler, das blieb die Grundmelodie.“
Weite Teile von CDU und CSU betrieben eine persönliche Hasskampagne gegen Brandt von einer Art, wie man sie heute nur noch am rechten Rand der Parteienlandschaft findet. Gegen das leichtfertige Reden, die Spaltung der Gesellschaft werde heute immer tiefer, ist Hofmanns Buch daher ein gutes Serum. Brandt litt unter den Anfeindungen, verzichtete weitgehend auf Gegenwehr und hielt lieber Kurs. Und obwohl am Ende seines Lebens mit der deutschen Einheit in Freiheit sein patriotischer Traum sich doch noch erfüllte, ist er wohl über weite Zeit seines Lebens ein Fremder geblieben in diesem Land, das ihm so viel verdankt.
Westbindung und Nato
bildeten die Voraussetzung
zur Entspannung nach Osten
Hofmann urteilt einfühlsam
dem Menschen Brandt gegenüber
und analytisch scharf
Musste sich oft gegen Vorwürfe verteidigen: Kanzler Willy Brandt (SPD) im Wahlkampf 1972 in Frankfurt.
M.Rehm/dpa
Gunter Hofmann:
Willy Brandt. Sozialist, Kanzler, Patriot. Eine Biografie. Verlag C.H. Beck, München 2023. 517 Seiten, 35 Euro. E-Book: 27,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
"Tiefschürfende Betrachtung über eine der faszinierendsten Persönlichkeiten der deutschen Nachkriegsgeschichte."
SZ, Die wichtigsten Bücher des Jahres 2023, Robert Probst
"Gunter Hofmanns fesselnde Biografie über Willy Brandt zeigt einen Politiker auf der Suche nach einem besseren Deutschland und liefert eine überzeugende Verteidigung von dessen Ostpolitik."
Süddeutsche Zeitung, Joachim Käppner
"Eine glänzende Biografie ... Für Hofmann war Brandt ein Mann mit Charakter. Ein Patriot. Und ein Politiker mit Klasse."
Frankfurter Rundschau, Michael Hesse
"Eine von Sympathie getragene sehr persönliche Annäherung an Willy Brandt"
Der Tagesspiegel, Ernst Piper
"Gunther Hofmann lässt Atmosphärisches lebendig werden ... Man stößt immer wieder auf erhellende Anmerkungen des Bonner Korrespondenten."
Deutschlandfunk Andruck, Michael Kuhlmann
"Näher als diese (Biographie) ist noch keine Darstellung dem Menschen Brandt hinter dem Mythos Brandt gekommen."
Dresdner Morgenpost
"In seiner Biografie geht Gunter Hofmann auch auf aktuelle Streitfragen ein."
Das Parlament, Joachim Rieker
"Eine überzeugende Interpretation von Brandts Politik aus dem Blickwinkel heutiger Problemstellungen. Wer der politischen Persönlichkeit Brandts näherkommen möchte, dem sei die Lektüre des Buches sehr angeraten."
sehepunkte, Bernd Rother
SZ, Die wichtigsten Bücher des Jahres 2023, Robert Probst
"Gunter Hofmanns fesselnde Biografie über Willy Brandt zeigt einen Politiker auf der Suche nach einem besseren Deutschland und liefert eine überzeugende Verteidigung von dessen Ostpolitik."
Süddeutsche Zeitung, Joachim Käppner
"Eine glänzende Biografie ... Für Hofmann war Brandt ein Mann mit Charakter. Ein Patriot. Und ein Politiker mit Klasse."
Frankfurter Rundschau, Michael Hesse
"Eine von Sympathie getragene sehr persönliche Annäherung an Willy Brandt"
Der Tagesspiegel, Ernst Piper
"Gunther Hofmann lässt Atmosphärisches lebendig werden ... Man stößt immer wieder auf erhellende Anmerkungen des Bonner Korrespondenten."
Deutschlandfunk Andruck, Michael Kuhlmann
"Näher als diese (Biographie) ist noch keine Darstellung dem Menschen Brandt hinter dem Mythos Brandt gekommen."
Dresdner Morgenpost
"In seiner Biografie geht Gunter Hofmann auch auf aktuelle Streitfragen ein."
Das Parlament, Joachim Rieker
"Eine überzeugende Interpretation von Brandts Politik aus dem Blickwinkel heutiger Problemstellungen. Wer der politischen Persönlichkeit Brandts näherkommen möchte, dem sei die Lektüre des Buches sehr angeraten."
sehepunkte, Bernd Rother