Mit der "Ostpolitik" schrieb Willy Brandt Geschichte. Aber da war mehr. Die Einigung Europas war ihm ebenso wichtig. Das Bündnis mit den USA bildete die Grundlage. Als Präsident der Sozialistischen Internationale fand er neue Partner außerhalb Europas. An der Spitze der Nord-Süd-Kommission legte Brandt ein Programm zur Überwindung von Hunger und Elend auf der Welt vor. Über allem standen ihm die Sicherung des Friedens und Landgewinn für die Freiheit. Dieses Buch stellt erstmals Brandts Außenpolitik und seine internationalen Aktivitäten in ihrer ganzen Breite dar, vom Exil bis über 1989/90 hinaus.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Auch wenn es laut Rolf Steininger in diesem Sammelband weniger um sozialdemokratische Außenpolitik geht, als um Willy Brandts Außenpolitik, kann er der Lektüre einiges abgewinnen. Ein vollendetes, umfassendes Brandt-Bild will für ihn allerdings auch aus den Beiträgen von Bernd Rother, Wolfgang Schmidt, Judith Michel oder auch Claudia Hiepel nicht entstehen. Der wahre Brandt, soll das wohl bedeuten, war noch mehr als Regierender Bürgermeister, Außenminister, Bundeskanzler, Ostpolitiker und Westgebundener.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.2014Auf zwei Beinen
Der Außenpolitiker Willy Brandt verstand erstaunlich wenig von Amerika
In seiner Brandt-Biographie fragt Peter Merseburger: "Ist der von Sachzwängen des täglichen Regierens befreite elder statesman vielleicht der unverfälschte, souveräne, wahre Willy Brandt? Der Mann, der keiner Rolle mehr genügen, keine Maske mehr tragen, keinen innenpolitischen Erwartungen mehr entsprechen muss und wieder in großen Zusammenhängen denken und leben kann?" Einige Antworten auf diese Frage liefert nun ein Sammelband. Man gewinnt bei der Lektüre den Eindruck von zwei Willy Brandts. Da der Regierende Bürgermeister von Berlin, Außenminister und Bundeskanzler, hier ab 1974 die von Merseburger beschriebene Person. Judith Michels untersucht das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten. Sie zeigt einen Brandt, der in der Bonner Gründungsphase in den Grundfragen der Republik Adenauer in nichts nachstand. Er war eindeutig für die Westbindung und befürwortete die Aufrüstung des Westens unter Washingtons Führung, das die Sicherheit der Bundesrepublik und Berlins garantiert. Als Regierender Bürgermeister - von 1957 an - wurde ihm das besonders klar. Rückblickend meinte er dazu: "Für mich stand vor allem anderen die Einsicht, dass die Existenz Berlins mit dem Einsatz der Amerikaner steht und fällt - und auch darüber hinaus das enge deutsch-amerikanische Verhältnis durch nichts zu ersetzen ist." Erste Zweifel kamen ihm 1961 nach der eher zurückhaltenden Reaktion der Kennedy-Regierung auf den Mauerbau.
Das galt auch lange Zeit als Ausgangspunkt für Brandts spätere Ostpolitik. Er selbst hat das schon in seinen "Erinnerungen" 1989 korrigiert. Wolfgang Schmidt liefert in seinem Beitrag über "Willy Brandts Ost- und Deutschlandpolitik" dazu ein schönes Zitat aus einer Rede Brandts aus dem Jahr 1958, die man dem damaligen Kalten Krieger so gar nicht zugetraut hätte, nämlich: "Die deutsche Außenpolitik steht seit 1949 auf einem Bein. Aber da lauert nun die andere Aufgabe, gestützt auf die Freundschaft mit dem Westen und jeden Schritt abgesprochen mit unseren westlichen Freunden, doch auch das andere Bein - und das heißt Ostpolitik - herunterzusetzen."
1962 hielt Brandt an der Harvard-Universität Vorträge unter dem Titel " Koexistenz - Zwang zum Wandel". Egon Bahr brachte das ein Jahr später auf die griffige Formel "Wandel durch Annäherung". Es blieb zunächst beim Passierscheinabkommen. Noch war der Handlungsspielraum für Brandt begrenzt, sowohl als Regierender Bürgermeister als auch als Außenminister der Großen Koalition. Seine große Stunde schlug 1969 mit Bildung der sozialliberalen Koalition. Die neue Ostpolitik führte zu schweren Verwerfungen im deutsch-amerikanischen Verhältnis. Präsident Richard Nixon und sein Sicherheitsberater Henry Kissinger hatten massive Vorbehalte gegen Brandt (und Bahr), was Judith Michel nur andeutet. Einige ergänzende Äußerungen dazu. Kissinger meinte: Das Ergebnis der Wahl 1969 sei "die schlimmste Tragödie gewesen, ein Desaster"; die Ostpolitik insgesamt ein "Desaster"; beim weiteren Vorgehen dürfe man "die Dummheit der Deutschen nicht unterschätzen", Brandt sei "faul und trinkt", Bahr "absolut unzuverlässig". Nixon meinte: Brandt sei "dumm und anmaßend dahergekommen", ein "Hurensohn", "jede nichtsozialistische Regierung wäre besser" als die sozialliberale. Seine Anweisung an Kissinger lautete: "Absolut nichts tun, was Brandt hilft". Kissinger stellte als Außenminister 1973 nach einem weiteren unerfreulichen Treffen zwischen Brandt und Nixon fest, Brandt habe "seine Hauptaufgabe gelöst und hatte in der Tat nichts mehr zu sagen". Für die Zeit nach der Wahl 1972 fasst Egon Bahr das in fünf Worte zusammen: "Von nun an ging's bergab."
Nach seinem Rücktritt als Kanzler 1974 blieb Brandt Vorsitzender der SPD und wurde der von Merseburger beschriebene elder statesman, in der Europapolitik als "europapolitischer Mahner", wie Claudia Hiepel ihn nennt ("Europakonzeptionen und Europapolitik"), und, wie Bernd Rother in seinem Beitrag über "Sozialdemokratischer Internationalismus - Die SI und der Nord-Süd-Konflikt" zeigt, als hochangesehener Präsident der Sozialistischen Internationale (SI) mit Schwedens Olof Palme und Österreichs Bruno Kreisky, engagiert in der Nord-Süd-Politik, der Lateinamerikapolitik, in der Entwicklungspolitik, vor allem aber in der Friedenspolitik - mit zunehmenden antiamerikanischen Untertönen. Mit Jimmy Carter gab es noch gewisse Schnittmengen, mit Ronald Reagan ging gar nichts. Der verweigerte denn auch bei seinem Besuch in der Bundesrepublik 1985 ein Treffen mit ihm. Da stand die Nachrüstung im Mittelpunkt, die Brandt ablehnte und bei der er Helmut Schmidt die Unterstützung verweigert hatte.
Brandt hat Reagan im Übrigen überhaupt nicht verstanden, auch nicht dessen Aufforderung an Gorbatschow 1987, die Mauer niederzureißen. Wie anders ist folgender Satz von ihm zu verstehen: "Die Sowjets waren schwer beweglich, die Amerikaner kamen über das Propagandistische kaum hinaus." Hier irritiere der Begriff "propagandistisch", merkt Judith Michel zurückhaltend an. Und Wolfgang Schmidt bringt es folgendermaßen auf den Punkt: "Ohne den westlichen Druck durch die Nato-Nachrüstung scheinen die Beendigung des Ost-West-Konflikts und die Überwindung der deutschen und europäischen Teilung zudem kaum denkbar. Der Faktor Gorbatschow, so wichtig und unverzichtbar er war, hätte dafür allein nicht gereicht." Das Buch versteht sich "als ein Beitrag zur Diskussion über sozialdemokratische Außenpolitik und als Anregung, die Debatte zu vertiefen", wie der Herausgeber meint. Das ist nur bedingt richtig. Es geht mehr um die Außenpolitik von Willy Brandt. Und da muss die Debatte wohl noch vertieft werden.
ROLF STEININGER
Bernd Rother (Herausgeber): Willy Brandts Außenpolitik. Springer VS Verlag, Wiesbaden 2014. 370 S., 34,99 [Euro].
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Der Außenpolitiker Willy Brandt verstand erstaunlich wenig von Amerika
In seiner Brandt-Biographie fragt Peter Merseburger: "Ist der von Sachzwängen des täglichen Regierens befreite elder statesman vielleicht der unverfälschte, souveräne, wahre Willy Brandt? Der Mann, der keiner Rolle mehr genügen, keine Maske mehr tragen, keinen innenpolitischen Erwartungen mehr entsprechen muss und wieder in großen Zusammenhängen denken und leben kann?" Einige Antworten auf diese Frage liefert nun ein Sammelband. Man gewinnt bei der Lektüre den Eindruck von zwei Willy Brandts. Da der Regierende Bürgermeister von Berlin, Außenminister und Bundeskanzler, hier ab 1974 die von Merseburger beschriebene Person. Judith Michels untersucht das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten. Sie zeigt einen Brandt, der in der Bonner Gründungsphase in den Grundfragen der Republik Adenauer in nichts nachstand. Er war eindeutig für die Westbindung und befürwortete die Aufrüstung des Westens unter Washingtons Führung, das die Sicherheit der Bundesrepublik und Berlins garantiert. Als Regierender Bürgermeister - von 1957 an - wurde ihm das besonders klar. Rückblickend meinte er dazu: "Für mich stand vor allem anderen die Einsicht, dass die Existenz Berlins mit dem Einsatz der Amerikaner steht und fällt - und auch darüber hinaus das enge deutsch-amerikanische Verhältnis durch nichts zu ersetzen ist." Erste Zweifel kamen ihm 1961 nach der eher zurückhaltenden Reaktion der Kennedy-Regierung auf den Mauerbau.
Das galt auch lange Zeit als Ausgangspunkt für Brandts spätere Ostpolitik. Er selbst hat das schon in seinen "Erinnerungen" 1989 korrigiert. Wolfgang Schmidt liefert in seinem Beitrag über "Willy Brandts Ost- und Deutschlandpolitik" dazu ein schönes Zitat aus einer Rede Brandts aus dem Jahr 1958, die man dem damaligen Kalten Krieger so gar nicht zugetraut hätte, nämlich: "Die deutsche Außenpolitik steht seit 1949 auf einem Bein. Aber da lauert nun die andere Aufgabe, gestützt auf die Freundschaft mit dem Westen und jeden Schritt abgesprochen mit unseren westlichen Freunden, doch auch das andere Bein - und das heißt Ostpolitik - herunterzusetzen."
1962 hielt Brandt an der Harvard-Universität Vorträge unter dem Titel " Koexistenz - Zwang zum Wandel". Egon Bahr brachte das ein Jahr später auf die griffige Formel "Wandel durch Annäherung". Es blieb zunächst beim Passierscheinabkommen. Noch war der Handlungsspielraum für Brandt begrenzt, sowohl als Regierender Bürgermeister als auch als Außenminister der Großen Koalition. Seine große Stunde schlug 1969 mit Bildung der sozialliberalen Koalition. Die neue Ostpolitik führte zu schweren Verwerfungen im deutsch-amerikanischen Verhältnis. Präsident Richard Nixon und sein Sicherheitsberater Henry Kissinger hatten massive Vorbehalte gegen Brandt (und Bahr), was Judith Michel nur andeutet. Einige ergänzende Äußerungen dazu. Kissinger meinte: Das Ergebnis der Wahl 1969 sei "die schlimmste Tragödie gewesen, ein Desaster"; die Ostpolitik insgesamt ein "Desaster"; beim weiteren Vorgehen dürfe man "die Dummheit der Deutschen nicht unterschätzen", Brandt sei "faul und trinkt", Bahr "absolut unzuverlässig". Nixon meinte: Brandt sei "dumm und anmaßend dahergekommen", ein "Hurensohn", "jede nichtsozialistische Regierung wäre besser" als die sozialliberale. Seine Anweisung an Kissinger lautete: "Absolut nichts tun, was Brandt hilft". Kissinger stellte als Außenminister 1973 nach einem weiteren unerfreulichen Treffen zwischen Brandt und Nixon fest, Brandt habe "seine Hauptaufgabe gelöst und hatte in der Tat nichts mehr zu sagen". Für die Zeit nach der Wahl 1972 fasst Egon Bahr das in fünf Worte zusammen: "Von nun an ging's bergab."
Nach seinem Rücktritt als Kanzler 1974 blieb Brandt Vorsitzender der SPD und wurde der von Merseburger beschriebene elder statesman, in der Europapolitik als "europapolitischer Mahner", wie Claudia Hiepel ihn nennt ("Europakonzeptionen und Europapolitik"), und, wie Bernd Rother in seinem Beitrag über "Sozialdemokratischer Internationalismus - Die SI und der Nord-Süd-Konflikt" zeigt, als hochangesehener Präsident der Sozialistischen Internationale (SI) mit Schwedens Olof Palme und Österreichs Bruno Kreisky, engagiert in der Nord-Süd-Politik, der Lateinamerikapolitik, in der Entwicklungspolitik, vor allem aber in der Friedenspolitik - mit zunehmenden antiamerikanischen Untertönen. Mit Jimmy Carter gab es noch gewisse Schnittmengen, mit Ronald Reagan ging gar nichts. Der verweigerte denn auch bei seinem Besuch in der Bundesrepublik 1985 ein Treffen mit ihm. Da stand die Nachrüstung im Mittelpunkt, die Brandt ablehnte und bei der er Helmut Schmidt die Unterstützung verweigert hatte.
Brandt hat Reagan im Übrigen überhaupt nicht verstanden, auch nicht dessen Aufforderung an Gorbatschow 1987, die Mauer niederzureißen. Wie anders ist folgender Satz von ihm zu verstehen: "Die Sowjets waren schwer beweglich, die Amerikaner kamen über das Propagandistische kaum hinaus." Hier irritiere der Begriff "propagandistisch", merkt Judith Michel zurückhaltend an. Und Wolfgang Schmidt bringt es folgendermaßen auf den Punkt: "Ohne den westlichen Druck durch die Nato-Nachrüstung scheinen die Beendigung des Ost-West-Konflikts und die Überwindung der deutschen und europäischen Teilung zudem kaum denkbar. Der Faktor Gorbatschow, so wichtig und unverzichtbar er war, hätte dafür allein nicht gereicht." Das Buch versteht sich "als ein Beitrag zur Diskussion über sozialdemokratische Außenpolitik und als Anregung, die Debatte zu vertiefen", wie der Herausgeber meint. Das ist nur bedingt richtig. Es geht mehr um die Außenpolitik von Willy Brandt. Und da muss die Debatte wohl noch vertieft werden.
ROLF STEININGER
Bernd Rother (Herausgeber): Willy Brandts Außenpolitik. Springer VS Verlag, Wiesbaden 2014. 370 S., 34,99 [Euro].
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