Descripción: 21x13 cm Encuadernacion:Rustica. Colección: Narrativa del Acantilado,157 El jóven George Willard, reportero del periódico local, observa la vida de los habitantes de su pequeño pueblo, Winesburg. La mirada del narrador construye, a partir de lo cotidiano y gris, un fascinante retrato humano, pulcro y detallado, de enorme realismo poético y finísima penetración.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.01.2012Sterne anschreien auf der Landstraße
Sherwood Andersons Jahrhundertbuch "Winesburg, Ohio", gleich zweimal neu übersetzt
Neulich, als sich wieder der elfte September jährte, ein Tag, der auf einmal mehrere Milliarden kleiner Geschichten erzeugt hat und eine große, schrieb der irische Autor Colum McCann einen kleinen und großen Satz in den "New Yorker". "Unsere Aufgabe ist es, episch und detailliert zugleich zu sein", hieß dieser Satz, er stand einfach so da in einem kurzen Beitrag, der eigentlich von einer eleganten Frau in einem Restaurant an der Upper East Side handelte, am Tag danach, 12. September 2001, und wie sie ein Stück Schokoladentorte aß: jede Gabel der reine Lebenstriumph. Oder Trotz. Oder Kaltblütigkeit oder tiefe Trauer, McCann ließ das offen, feuerte aber zumindest diesen einen Satz heraus, halb Erinnerung, halb Mahnung: "Our job is to be epic and tiny, both."
Er könnte so auch auf dem Deckblatt von Sherwood Andersons "Winesburg, Ohio" stehen, als Motto für dieses Buch, das 1919 erschien und eigentlich bis heute eher eine interne Angelegenheit der amerikanischen Literatur geblieben ist: ein Buch, auf das sich viele, die nach Sherwood Anderson zu schreiben begonnen haben, bezogen haben oder bezogen wurden, John Updike zum Beispiel, Ray Bradbury, Philip Roth oder immer wieder Raymond Carver. Warum dieses Buch so bedeutend geworden ist, kann man jetzt überprüfen: Innerhalb von einer Woche erscheinen nämlich Anfang Januar gleich zwei neue deutsche Übersetzungen, eine von Eike Schönfeld bei Manesse, die andere vom Schriftsteller Mirko Bonné für den Schöffling-Verlag; sie folgen auf eine fünfzig Jahre alte Version von Hans Erich Nossack.
"Winesburg, Ohio" ist die Chronik einer amerikanischen Kleinstadt im späten 19. Jahrhundert, kein Roman, mehr eine Loseblattsammlung einzelner Geschichten, in denen untereinander immer wieder dieselben Figuren auftauchen. Und das hält sie zusammen, das und Sherwood Andersons Gabe, im Detail das ganze Große abzubilden. Es geht um Amerika, aber von Amerika selbst ist gar nicht die Rede, sondern von Menschen, Träumen und Verzweiflung. Eine Mutter stirbt. Ein Sohn will Schriftsteller werden. Eine Großmutter kehrt zurück und erkennt Winesburg nicht wieder. Ein Großvater will ein Lamm opfern und verschreckt seinen Enkel. Ein Mann jagt mit seinen Pferden einem Zug entgegen. Ein anderer hasst seine Hände für das, was sie getan haben. Eine Frau betet nackt. Ein Pastor beobachtet sie und hält es für die frohe Botschaft Gottes. Alle wollen irgendwie weg von zu Hause.
Am Ende geht aber vor allem einer, George Willard, der Einzige, der in fast allen 24 Kapiteln des Buchs vorkommt. Dieser George ist ungefähr die phlegmatischste Hauptfigur in der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Eigentlich ist er Reporter beim "Winesburg Eagle", einer Zeitung, deren Ziel es ist, in jeder Ausgabe möglichst viele der 1800 Einwohner namentlich zu nennen. Aber man sieht George entweder nur in der Redaktion herumsitzen, wo er so tut, als würde er einen Artikel schreiben, oder hört ihn große Reden auf das Wesen und Geheimnis des Schreibens halten. Am Ende, wenn er dann endlich aus Winesburg fortgeht, eben ist er 18 geworden, möchte man seinem Zug nach Westen am liebsten hinterherlaufen, um aufzupassen, dass er nicht doch wieder aussteigt.
Sherwood Anderson, 1876 geboren, 1941 gestorben, kam selbst aus einer Kleinstadt im Norden Ohios, aus Clyde, das man sich wohl wie Winesburg vorstellen muss. Er verließ Frau und Kinder, um zu schreiben und ein neues Leben anzufangen. Vielleicht geht es deshalb in "Winesburg, Ohio", an dessen Geschichten er während der Trennung von seiner Familie zu schreiben begann, so oft um Ausbruchsphantasien und ihre Inkubationszeiten. "Auf der Landstraße nach Hause stellten sie sich auf die Wagensitze und schrien die Sterne an", ständig liest man solche Sätze in diesem Buch, die klingen, als habe sie Bruce Springsteen für seine Songs geschrieben: "Wenn es nur eine Frau hier gäbe, ich würde sie bei der Hand nehmen und wir würden rennen, bis wir beide außer Atem wären." Tramps like us, Baby we are born to run.
Aber das stimmt natürlich nicht, es ist nur eine anthropologische Konstante: Aufwachsen, Dableiben, Weggehen. Beide Übersetzungen halten sich daran, Sherwood Andersons Ton nicht zu modernisieren. "Sex" zum Beispiel kommt vor in Andersons Text, mehrmals sogar, auch wenn man ihn nicht sieht. Bonné übersetzt da wortwörtlich, Schönfeld bleibt ein bisschen vorsichtiger, spricht vom "Geschlechtlichen", was vielleicht richtiger ist, wenn jemand 1919 von der Jahrhundertwende schreibt, andererseits hielt man Andersons Buch, als es erschien, für ziemlich anzüglich, es stimmt schon, Sex dann auch Sex zu nennen.
Welche Ausgabe genauer ist, Andersons Vielstimmigkeit besser trifft, das Lakonische, das Psalmodierende, ist eine Frage für Spezialisten. In der von Schöffling gibt es historische Fotos aus Clyde und vom Originalmanuskript, dafür hat der Schriftsteller Daniel Kehlmann für die Manesse-Ausgabe das schönere Nachwort geschrieben, in dem er eine Linie zieht von "Winesburg, Ohio" zu Jennifer Egans großartigem neuem Roman "A Visit from the Goon Squad", der im Februar auch auf Deutsch erscheint - bei Schöffling. Und der eben auch das Prinzip wiederkehrender Figuren benutzt, die sich in der Zeit aufeinander zu und voneinander weg bewegen.
Aber das sind interne literarische Verbindungen, die einen nicht zu interessieren brauchen, wenn es darum geht, ein Buch zu entdecken, wieder oder zum ersten Mal. Was ansteckend ist an "Winesburg, Ohio", das ist der existentielle Ernst der Figuren, ihre Wut, ihr Pochen darauf, unter vielen speziell zu sein - einer von ihnen, George Willard, will also Schriftsteller werden, vielleicht ist er es, der am Ende diese 24 Geschichten von früher und zu Hause erzählt. Eigentlich schreiben aber alle Figuren dieses Buchs ihr Leben ständig um. Wollen es anders fortsetzen. Oder neu beginnen.
Unsere Aufgabe ist es, sagt Colum McCann über sich und andere Schriftsteller, episch und detailliert zugleich zu sein: Da gibt es eine Treppe in Winesburg, sie führt zur Praxis des Arztes, übrigens die letzte Liebe von George Willards Mutter. "Diejenigen, die die Treppe hinaufgingen, folgten mit ihren Füßen denen vieler, die vor ihnen hinaufgegangen waren", übersetzt Eike Schönfeld. Man kann so eine Stelle, vor allem, wenn sie am Anfang eines Kapitels steht, das mit "Tod" betitelt ist, natürlich gleich so verstehen: jenseitig. Man kann an diesen einzelnen Schritten aber auch den großen Gang der Geschichte ablesen.
TOBIAS RÜTHER
"Winesburg, Ohio". Übersetzt und mit einem Essay von Mirko Bonné. Schöffling & Co., 328 Seiten, 22,95 Euro
Übersetzt von Eike Schönfeld. Mit einem Nachwort von Daniel Kehlmann. Manesse, 304 Seiten, 21,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sherwood Andersons Jahrhundertbuch "Winesburg, Ohio", gleich zweimal neu übersetzt
Neulich, als sich wieder der elfte September jährte, ein Tag, der auf einmal mehrere Milliarden kleiner Geschichten erzeugt hat und eine große, schrieb der irische Autor Colum McCann einen kleinen und großen Satz in den "New Yorker". "Unsere Aufgabe ist es, episch und detailliert zugleich zu sein", hieß dieser Satz, er stand einfach so da in einem kurzen Beitrag, der eigentlich von einer eleganten Frau in einem Restaurant an der Upper East Side handelte, am Tag danach, 12. September 2001, und wie sie ein Stück Schokoladentorte aß: jede Gabel der reine Lebenstriumph. Oder Trotz. Oder Kaltblütigkeit oder tiefe Trauer, McCann ließ das offen, feuerte aber zumindest diesen einen Satz heraus, halb Erinnerung, halb Mahnung: "Our job is to be epic and tiny, both."
Er könnte so auch auf dem Deckblatt von Sherwood Andersons "Winesburg, Ohio" stehen, als Motto für dieses Buch, das 1919 erschien und eigentlich bis heute eher eine interne Angelegenheit der amerikanischen Literatur geblieben ist: ein Buch, auf das sich viele, die nach Sherwood Anderson zu schreiben begonnen haben, bezogen haben oder bezogen wurden, John Updike zum Beispiel, Ray Bradbury, Philip Roth oder immer wieder Raymond Carver. Warum dieses Buch so bedeutend geworden ist, kann man jetzt überprüfen: Innerhalb von einer Woche erscheinen nämlich Anfang Januar gleich zwei neue deutsche Übersetzungen, eine von Eike Schönfeld bei Manesse, die andere vom Schriftsteller Mirko Bonné für den Schöffling-Verlag; sie folgen auf eine fünfzig Jahre alte Version von Hans Erich Nossack.
"Winesburg, Ohio" ist die Chronik einer amerikanischen Kleinstadt im späten 19. Jahrhundert, kein Roman, mehr eine Loseblattsammlung einzelner Geschichten, in denen untereinander immer wieder dieselben Figuren auftauchen. Und das hält sie zusammen, das und Sherwood Andersons Gabe, im Detail das ganze Große abzubilden. Es geht um Amerika, aber von Amerika selbst ist gar nicht die Rede, sondern von Menschen, Träumen und Verzweiflung. Eine Mutter stirbt. Ein Sohn will Schriftsteller werden. Eine Großmutter kehrt zurück und erkennt Winesburg nicht wieder. Ein Großvater will ein Lamm opfern und verschreckt seinen Enkel. Ein Mann jagt mit seinen Pferden einem Zug entgegen. Ein anderer hasst seine Hände für das, was sie getan haben. Eine Frau betet nackt. Ein Pastor beobachtet sie und hält es für die frohe Botschaft Gottes. Alle wollen irgendwie weg von zu Hause.
Am Ende geht aber vor allem einer, George Willard, der Einzige, der in fast allen 24 Kapiteln des Buchs vorkommt. Dieser George ist ungefähr die phlegmatischste Hauptfigur in der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Eigentlich ist er Reporter beim "Winesburg Eagle", einer Zeitung, deren Ziel es ist, in jeder Ausgabe möglichst viele der 1800 Einwohner namentlich zu nennen. Aber man sieht George entweder nur in der Redaktion herumsitzen, wo er so tut, als würde er einen Artikel schreiben, oder hört ihn große Reden auf das Wesen und Geheimnis des Schreibens halten. Am Ende, wenn er dann endlich aus Winesburg fortgeht, eben ist er 18 geworden, möchte man seinem Zug nach Westen am liebsten hinterherlaufen, um aufzupassen, dass er nicht doch wieder aussteigt.
Sherwood Anderson, 1876 geboren, 1941 gestorben, kam selbst aus einer Kleinstadt im Norden Ohios, aus Clyde, das man sich wohl wie Winesburg vorstellen muss. Er verließ Frau und Kinder, um zu schreiben und ein neues Leben anzufangen. Vielleicht geht es deshalb in "Winesburg, Ohio", an dessen Geschichten er während der Trennung von seiner Familie zu schreiben begann, so oft um Ausbruchsphantasien und ihre Inkubationszeiten. "Auf der Landstraße nach Hause stellten sie sich auf die Wagensitze und schrien die Sterne an", ständig liest man solche Sätze in diesem Buch, die klingen, als habe sie Bruce Springsteen für seine Songs geschrieben: "Wenn es nur eine Frau hier gäbe, ich würde sie bei der Hand nehmen und wir würden rennen, bis wir beide außer Atem wären." Tramps like us, Baby we are born to run.
Aber das stimmt natürlich nicht, es ist nur eine anthropologische Konstante: Aufwachsen, Dableiben, Weggehen. Beide Übersetzungen halten sich daran, Sherwood Andersons Ton nicht zu modernisieren. "Sex" zum Beispiel kommt vor in Andersons Text, mehrmals sogar, auch wenn man ihn nicht sieht. Bonné übersetzt da wortwörtlich, Schönfeld bleibt ein bisschen vorsichtiger, spricht vom "Geschlechtlichen", was vielleicht richtiger ist, wenn jemand 1919 von der Jahrhundertwende schreibt, andererseits hielt man Andersons Buch, als es erschien, für ziemlich anzüglich, es stimmt schon, Sex dann auch Sex zu nennen.
Welche Ausgabe genauer ist, Andersons Vielstimmigkeit besser trifft, das Lakonische, das Psalmodierende, ist eine Frage für Spezialisten. In der von Schöffling gibt es historische Fotos aus Clyde und vom Originalmanuskript, dafür hat der Schriftsteller Daniel Kehlmann für die Manesse-Ausgabe das schönere Nachwort geschrieben, in dem er eine Linie zieht von "Winesburg, Ohio" zu Jennifer Egans großartigem neuem Roman "A Visit from the Goon Squad", der im Februar auch auf Deutsch erscheint - bei Schöffling. Und der eben auch das Prinzip wiederkehrender Figuren benutzt, die sich in der Zeit aufeinander zu und voneinander weg bewegen.
Aber das sind interne literarische Verbindungen, die einen nicht zu interessieren brauchen, wenn es darum geht, ein Buch zu entdecken, wieder oder zum ersten Mal. Was ansteckend ist an "Winesburg, Ohio", das ist der existentielle Ernst der Figuren, ihre Wut, ihr Pochen darauf, unter vielen speziell zu sein - einer von ihnen, George Willard, will also Schriftsteller werden, vielleicht ist er es, der am Ende diese 24 Geschichten von früher und zu Hause erzählt. Eigentlich schreiben aber alle Figuren dieses Buchs ihr Leben ständig um. Wollen es anders fortsetzen. Oder neu beginnen.
Unsere Aufgabe ist es, sagt Colum McCann über sich und andere Schriftsteller, episch und detailliert zugleich zu sein: Da gibt es eine Treppe in Winesburg, sie führt zur Praxis des Arztes, übrigens die letzte Liebe von George Willards Mutter. "Diejenigen, die die Treppe hinaufgingen, folgten mit ihren Füßen denen vieler, die vor ihnen hinaufgegangen waren", übersetzt Eike Schönfeld. Man kann so eine Stelle, vor allem, wenn sie am Anfang eines Kapitels steht, das mit "Tod" betitelt ist, natürlich gleich so verstehen: jenseitig. Man kann an diesen einzelnen Schritten aber auch den großen Gang der Geschichte ablesen.
TOBIAS RÜTHER
"Winesburg, Ohio". Übersetzt und mit einem Essay von Mirko Bonné. Schöffling & Co., 328 Seiten, 22,95 Euro
Übersetzt von Eike Schönfeld. Mit einem Nachwort von Daniel Kehlmann. Manesse, 304 Seiten, 21,95 Euro
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