"Wir (...) erschrecken über uns selbst und tauchen auf aus einer Geschichte voller Blut und Kälte, die uns so fasziniert hat wie schon lange nichts mehr, das wir gelesen haben. Wo ist die Grenze zwischen unendlichem Kummer und rächender Gewalt? Das ist die Frage, mit der uns dieses irritierende, ruhig und großartig erzählte Buch zurücklässt." -- Elke Heidenreich / Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
"'Winter in Maine' taucht ein sich immer weiter verdüsterndes Schicksal in gleißende Helle. In der Schneewüste des amerikanischen Hinterlands arrangiert Autor Donovan seine Helden zu einem tragischen Tableau. Es erscheint wie mit dem Messer herausgeschnitten aus dem friedlichen Winterweiß. Ein Text wie eine Klinge. Präzise und gefährlich." -- Daniel Haas / Spiegel Online
"'Winter in Maine' von Gerard Donovan, auch so ein Knaller, das könnte ein Kultbuch werden wie Marlen Haushofers 'Die Wand': Mann mit Hund (und dreitausend Büchern!!!) in Wildnis, Hund wird erschossen, Mann wird zum Serienkiller. Soviel in Kurzform, aber es ist viel mehr, es geht um das Raubtier in uns, um Einsamkeit, um verlorene Liebe und verlorene Maßstäbe, und das Furchtbare ist: Unsere Sympathie ist immer auf der Seite des Mörders." -- Elke Heidenreich / stern.de
"Winter in Maine: Das Buch des Jahres - ein meisterhafter Roman."
Aus der Begründung der Jury zum Buch des Jahres 2008
Der Winter in den Wäldern von Maine ist kalt und einsam. Bisher hat das Julius Winsome nicht gestört, er lebt schon lange allein, und er hat einen treuen Gefährten, seinen Pitbullterrier Hobbes. Als sein Hund eines Nachmittags offenbar absichtlich erschossen wird, bricht Julius' Welt zusammen. Und er fasst einen erschreckenden Entschluss ...
Julius Winsome lebt zurückgezogen in einer Jagdhütte in den Wäldern von Maine. Der Winter steht vor der Tür, er ist allein, aber er hat die über dreitausend Bücher seines Vaters zur Gesellschaft und vor allem seinen Hund Hobbes, ein treuer und verspielter Pitbullterrier. Eines Nachmittags, als er gerade vor dem Feuer sitzt und liest, hört er einen Schuss. Eigentlich nichts Besonderes, denn es ist gerade Jagdsaison. Dennoch wundert sich Winsome, weil der Schuss ganz in seiner Nähe gefallen ist, zu nahe. Als er vor die Tür geht, entdeckt er, dass Hobbes erschossen wurde - offenbar mit Absicht.
Der Verlust trifft Julius mit ungeahnter Wucht. Er denkt an all die anderen Verluste in seinem Leben: die Mutter, die er gar nicht kannte, weil sie bei seiner Geburt starb, den Vater, der nie wieder heiratete, der ihn allein großzog und ihm die Sprache Shakespeares beibrachte und jetzt auch schon zwanzig Jahre nicht mehr da ist, an Claire, die einzige Frau in seinem Leben, die ihn einen Sommer lang liebte und dann wieder verschwand. Und jetzt Hobbes, sein letzter wahrer Freund. Am nächsten Tag holt er das Gewehr seines Großvaters aus der Scheune und zieht los, um seinen Hund zu rächen. Er macht Jagd auf die Jäger. Und obwohl diese Rache ebenso sinnlos ist wie die Tat, die ihr zugrundeliegt, verstehen wir diesen einsamen, verzweifelten Mörder, werden seine Komplizen in Eis und Schnee.
"'Winter in Maine' taucht ein sich immer weiter verdüsterndes Schicksal in gleißende Helle. In der Schneewüste des amerikanischen Hinterlands arrangiert Autor Donovan seine Helden zu einem tragischen Tableau. Es erscheint wie mit dem Messer herausgeschnitten aus dem friedlichen Winterweiß. Ein Text wie eine Klinge. Präzise und gefährlich." -- Daniel Haas / Spiegel Online
"'Winter in Maine' von Gerard Donovan, auch so ein Knaller, das könnte ein Kultbuch werden wie Marlen Haushofers 'Die Wand': Mann mit Hund (und dreitausend Büchern!!!) in Wildnis, Hund wird erschossen, Mann wird zum Serienkiller. Soviel in Kurzform, aber es ist viel mehr, es geht um das Raubtier in uns, um Einsamkeit, um verlorene Liebe und verlorene Maßstäbe, und das Furchtbare ist: Unsere Sympathie ist immer auf der Seite des Mörders." -- Elke Heidenreich / stern.de
"Winter in Maine: Das Buch des Jahres - ein meisterhafter Roman."
Aus der Begründung der Jury zum Buch des Jahres 2008
Der Winter in den Wäldern von Maine ist kalt und einsam. Bisher hat das Julius Winsome nicht gestört, er lebt schon lange allein, und er hat einen treuen Gefährten, seinen Pitbullterrier Hobbes. Als sein Hund eines Nachmittags offenbar absichtlich erschossen wird, bricht Julius' Welt zusammen. Und er fasst einen erschreckenden Entschluss ...
Julius Winsome lebt zurückgezogen in einer Jagdhütte in den Wäldern von Maine. Der Winter steht vor der Tür, er ist allein, aber er hat die über dreitausend Bücher seines Vaters zur Gesellschaft und vor allem seinen Hund Hobbes, ein treuer und verspielter Pitbullterrier. Eines Nachmittags, als er gerade vor dem Feuer sitzt und liest, hört er einen Schuss. Eigentlich nichts Besonderes, denn es ist gerade Jagdsaison. Dennoch wundert sich Winsome, weil der Schuss ganz in seiner Nähe gefallen ist, zu nahe. Als er vor die Tür geht, entdeckt er, dass Hobbes erschossen wurde - offenbar mit Absicht.
Der Verlust trifft Julius mit ungeahnter Wucht. Er denkt an all die anderen Verluste in seinem Leben: die Mutter, die er gar nicht kannte, weil sie bei seiner Geburt starb, den Vater, der nie wieder heiratete, der ihn allein großzog und ihm die Sprache Shakespeares beibrachte und jetzt auch schon zwanzig Jahre nicht mehr da ist, an Claire, die einzige Frau in seinem Leben, die ihn einen Sommer lang liebte und dann wieder verschwand. Und jetzt Hobbes, sein letzter wahrer Freund. Am nächsten Tag holt er das Gewehr seines Großvaters aus der Scheune und zieht los, um seinen Hund zu rächen. Er macht Jagd auf die Jäger. Und obwohl diese Rache ebenso sinnlos ist wie die Tat, die ihr zugrundeliegt, verstehen wir diesen einsamen, verzweifelten Mörder, werden seine Komplizen in Eis und Schnee.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.10.2009Beiläufige Morde
"Winter in Maine" von Gerard Donovan erzählt von einem Mann, der andere erschießt, einfach so. Und erschreckenderweise kann der Leser ihn verstehen
Vor Jahren habe ich eine gespenstisch gute Inszenierung von Shakespeares "Richard III." gesehen. Gespenstisch, weil man als Zuschauer die ganze Zeit auf Seiten des Bösewichts war - Richard mordete sich an die Macht, und man dachte: Gib's ihnen, diesen verdammten Hofschranzen, die dich wie Abschaum behandeln!
"Weil ich nicht schmeicheln
und nicht schöntun kann,
Und nicht falsch lächeln,
schleimen, schmieren und
Katzbuckeln kann französisch
affenglatt,
Schon steh ich da als
bitterböser Feind",
sagt Richard ganz am Anfang, einsam, unglücklich, ohne Liebe.
Julius Winsome kann auch nicht schleimen und schöntun. Auch er lebt einsam, was ja noch nicht bedeuten muss, dass einer zum Mörder wird. Aber in Gerard Donovans Roman "Winter in Maine" geschehen sechs eher beiläufige Morde. Sechs Morde an Jägern, die ihrerseits auf alles schießen, was ihnen vor die Flinte kommt, nur so zum Spaß, weil sie Gewehre haben im Land der unbegrenzten Waffen, und Lust am Schießen. Und im Wald ist einer, der sich dieses willkürliche Töten nicht mehr bieten lässt, dessen sehr weiches, sehr einsames Herz plötzlich erstarrt ist. Er schießt zurück, und er trifft besser als sie, die sie das Wild oft blutend liegen oder in Fallen verenden lassen. Und der Leser ist auf seiner Seite. Darüber muss man erst mal erschrocken nachdenken.
Julius Winsome lebt seit 51 Jahren in einer Waldhütte in Maine, wo die Winter lang und kalt sind. Das heißt: er lebt da seit seiner Geburt, bei der die Mutter starb, und seit vor zwanzig Jahren auch der Vater starb, ist er allein. Allein mit Blumen, die er pflanzt, um Schönes zu sehen, und mit 3282 Büchern, zumeist alten Ausgaben, darunter viel Shakespeare. Die letzten vier Jahre war Julius Winsome nicht mehr allein - er hatte einen Hund, Hobbes, genannt nach dem Philosophen Thomas Hobbes -, willkürlich war irgendein Buch zur Namensfindung aus dem Regal gezogen worden. Willkürlich? Bestimmt nicht zufällig ist Hobbes ein Zeitgenosse Shakespeares. Zufällig ist in diesem Buch gar nichts, nicht mal das Wetter. Es wird nicht mitten in der einen geschilderten Woche vom 30. Oktober bis zum 5. November zufällig Winter. Die Welt erstarrt sozusagen. Hobbes also, aus dem Tierheim geholt, einfach nur ein Hund, ein guter Hund, ein Begleiter, warm, freundlich, unschuldig.
In der ersten Zeile fällt ein Schuss. Das ist der Schuss, den ein Jäger aus nächster Nähe auf Hobbes abgegeben hat. Der Hund stirbt, Winsome begräbt ihn und fährt in den Ort, um ein Schild aufzuhängen: Hund erschossen. Er bittet um Hinweise und findet auf dem Plakat später eine hingekritzelte Schmähung: "Was soll's, ein Hund weniger." Vielleicht ist das der Moment, wo alles kippt? Vielleicht ist das die letzte unerträgliche Rohheit, die Julius Winsome zum Gewehr seines Großvaters greifen lässt? Ein gutes Gewehr, weltkriegerprobt. Wir sind gewarnt worden: Ganz zu Anfang sagt Winsome über die Gegend, in der er lebt: "In diesen Wäldern leben viele Männer, die sonst nirgends leben können. Sie leben allein und sind noch für die geringste Beleidigung empfänglich, darum sollte man sich lieber gut benehmen oder erst gar nichts sagen." Und auf der letzten Seite, als alles dem Ende zugeht, erinnert uns Winsome daran, dass er einer von diesen Männern ist: "Von Leuten wie mir muss man sich fernhalten, dann kann einem nichts passieren." Eigentlich hätten wir einen wie ihn unter anderen Umständen gern näher kennengelernt.
Weiße Wölfe
Was sind Leute wie er? Bestimmt nicht Leute, die einfach losballern. Es sind Leute, die tief verletzt sind, denen die Liebe abhandengekommen ist und die sich fragen, ob Menschlichkeit noch einen Sinn hat. Leute, die das Gesetz irgendwann selber machen, weil ihnen das Gesetz so, wie es ist, nicht ausreichend erscheint, denn es schützt keine Katze vor Quälerei durch Jugendliche, keine Hirsche und Bären vor den Jägern, nicht einmal einen arglosen Hund. Einmal kommen zwei weiße Wölfe auf Winsome zu - zahm, freundlich. Die Menschen, denen er begegnet, sind nicht so. Und so schlägt Winsome zu. Seite 39, in einem Nebensatz, der erste Mord. Seite 52, ganz beiläufig, der zweite. Seite 53 schon der dritte, und dann ein paar kalte Tage, zwei weitere Hinweisplakate auf den toten Hund, auch die blöd bekritzelt. Seite 128, Mord Nummer vier, Seite 166 und 167, Nummer fünf und sechs, alles ruhig, unaufgeregt, mit Großvaters Gewehr, und dazwischen die Lektüre shakespearescher Sonette, das Erlernen elisabethanischer Worte, deren Charakter mehr und mehr in die elisabethanische Zeit grausamer Blutrachen passt. Wie Richard III.:
"Doch eingetaucht
im Blut bin ich so tief, dass
Sünde Sünden braucht;
Mitleid träntropfend wohnt
mir nicht im Auge."
Was geschieht hier eigentlich? Ein Mann sieht rot? Hier geschieht Folgendes: Ein Mann ist zu lange mit sich allein. Er erlebt eine kurze Liebe, die nicht erfüllt wird - die Frau, die er liebt, Claire, braucht ein bürgerlicheres Leben, als er ihr bieten kann, braucht Sätze, die er ihr nicht sagen kann. Er verliert seinen Hund, er hört im Wald immer mehr Schüsse, sieht immer mehr gut ausgerüstete Männer mit immer mehr Flinten in immer größeren Autos vorfahren und ballern, und er ist das alles leid. Er würde sie gern alle abknallen, kommt aber nur bis zu Nummer sechs, dann zieht sich die Schlinge zu. Er hat das geahnt, hat nichts getan, um das zu verhindern. Was soll das alles noch, dieses Leben.
Und wir bleiben zurück, ertappt, können ihn verstehen, wünschen uns, er käme davon, erschrecken über uns selbst und tauchen auf aus einer Geschichte voller Blut und Kälte, die uns so fasziniert hat wie schon lange nichts mehr, das wir gelesen haben. Wo ist die Grenze zwischen unendlichem Kummer und rächender Gewalt? Das ist die Frage, mit der uns dieses irritierende, ruhig und großartig erzählte Buch zurücklässt.
ELKE HEIDENREICH
Gerard Donovan: "Winter in Maine". Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Gunkel. Luchterhand-Verlag, 207 Seiten, 17,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Winter in Maine" von Gerard Donovan erzählt von einem Mann, der andere erschießt, einfach so. Und erschreckenderweise kann der Leser ihn verstehen
Vor Jahren habe ich eine gespenstisch gute Inszenierung von Shakespeares "Richard III." gesehen. Gespenstisch, weil man als Zuschauer die ganze Zeit auf Seiten des Bösewichts war - Richard mordete sich an die Macht, und man dachte: Gib's ihnen, diesen verdammten Hofschranzen, die dich wie Abschaum behandeln!
"Weil ich nicht schmeicheln
und nicht schöntun kann,
Und nicht falsch lächeln,
schleimen, schmieren und
Katzbuckeln kann französisch
affenglatt,
Schon steh ich da als
bitterböser Feind",
sagt Richard ganz am Anfang, einsam, unglücklich, ohne Liebe.
Julius Winsome kann auch nicht schleimen und schöntun. Auch er lebt einsam, was ja noch nicht bedeuten muss, dass einer zum Mörder wird. Aber in Gerard Donovans Roman "Winter in Maine" geschehen sechs eher beiläufige Morde. Sechs Morde an Jägern, die ihrerseits auf alles schießen, was ihnen vor die Flinte kommt, nur so zum Spaß, weil sie Gewehre haben im Land der unbegrenzten Waffen, und Lust am Schießen. Und im Wald ist einer, der sich dieses willkürliche Töten nicht mehr bieten lässt, dessen sehr weiches, sehr einsames Herz plötzlich erstarrt ist. Er schießt zurück, und er trifft besser als sie, die sie das Wild oft blutend liegen oder in Fallen verenden lassen. Und der Leser ist auf seiner Seite. Darüber muss man erst mal erschrocken nachdenken.
Julius Winsome lebt seit 51 Jahren in einer Waldhütte in Maine, wo die Winter lang und kalt sind. Das heißt: er lebt da seit seiner Geburt, bei der die Mutter starb, und seit vor zwanzig Jahren auch der Vater starb, ist er allein. Allein mit Blumen, die er pflanzt, um Schönes zu sehen, und mit 3282 Büchern, zumeist alten Ausgaben, darunter viel Shakespeare. Die letzten vier Jahre war Julius Winsome nicht mehr allein - er hatte einen Hund, Hobbes, genannt nach dem Philosophen Thomas Hobbes -, willkürlich war irgendein Buch zur Namensfindung aus dem Regal gezogen worden. Willkürlich? Bestimmt nicht zufällig ist Hobbes ein Zeitgenosse Shakespeares. Zufällig ist in diesem Buch gar nichts, nicht mal das Wetter. Es wird nicht mitten in der einen geschilderten Woche vom 30. Oktober bis zum 5. November zufällig Winter. Die Welt erstarrt sozusagen. Hobbes also, aus dem Tierheim geholt, einfach nur ein Hund, ein guter Hund, ein Begleiter, warm, freundlich, unschuldig.
In der ersten Zeile fällt ein Schuss. Das ist der Schuss, den ein Jäger aus nächster Nähe auf Hobbes abgegeben hat. Der Hund stirbt, Winsome begräbt ihn und fährt in den Ort, um ein Schild aufzuhängen: Hund erschossen. Er bittet um Hinweise und findet auf dem Plakat später eine hingekritzelte Schmähung: "Was soll's, ein Hund weniger." Vielleicht ist das der Moment, wo alles kippt? Vielleicht ist das die letzte unerträgliche Rohheit, die Julius Winsome zum Gewehr seines Großvaters greifen lässt? Ein gutes Gewehr, weltkriegerprobt. Wir sind gewarnt worden: Ganz zu Anfang sagt Winsome über die Gegend, in der er lebt: "In diesen Wäldern leben viele Männer, die sonst nirgends leben können. Sie leben allein und sind noch für die geringste Beleidigung empfänglich, darum sollte man sich lieber gut benehmen oder erst gar nichts sagen." Und auf der letzten Seite, als alles dem Ende zugeht, erinnert uns Winsome daran, dass er einer von diesen Männern ist: "Von Leuten wie mir muss man sich fernhalten, dann kann einem nichts passieren." Eigentlich hätten wir einen wie ihn unter anderen Umständen gern näher kennengelernt.
Weiße Wölfe
Was sind Leute wie er? Bestimmt nicht Leute, die einfach losballern. Es sind Leute, die tief verletzt sind, denen die Liebe abhandengekommen ist und die sich fragen, ob Menschlichkeit noch einen Sinn hat. Leute, die das Gesetz irgendwann selber machen, weil ihnen das Gesetz so, wie es ist, nicht ausreichend erscheint, denn es schützt keine Katze vor Quälerei durch Jugendliche, keine Hirsche und Bären vor den Jägern, nicht einmal einen arglosen Hund. Einmal kommen zwei weiße Wölfe auf Winsome zu - zahm, freundlich. Die Menschen, denen er begegnet, sind nicht so. Und so schlägt Winsome zu. Seite 39, in einem Nebensatz, der erste Mord. Seite 52, ganz beiläufig, der zweite. Seite 53 schon der dritte, und dann ein paar kalte Tage, zwei weitere Hinweisplakate auf den toten Hund, auch die blöd bekritzelt. Seite 128, Mord Nummer vier, Seite 166 und 167, Nummer fünf und sechs, alles ruhig, unaufgeregt, mit Großvaters Gewehr, und dazwischen die Lektüre shakespearescher Sonette, das Erlernen elisabethanischer Worte, deren Charakter mehr und mehr in die elisabethanische Zeit grausamer Blutrachen passt. Wie Richard III.:
"Doch eingetaucht
im Blut bin ich so tief, dass
Sünde Sünden braucht;
Mitleid träntropfend wohnt
mir nicht im Auge."
Was geschieht hier eigentlich? Ein Mann sieht rot? Hier geschieht Folgendes: Ein Mann ist zu lange mit sich allein. Er erlebt eine kurze Liebe, die nicht erfüllt wird - die Frau, die er liebt, Claire, braucht ein bürgerlicheres Leben, als er ihr bieten kann, braucht Sätze, die er ihr nicht sagen kann. Er verliert seinen Hund, er hört im Wald immer mehr Schüsse, sieht immer mehr gut ausgerüstete Männer mit immer mehr Flinten in immer größeren Autos vorfahren und ballern, und er ist das alles leid. Er würde sie gern alle abknallen, kommt aber nur bis zu Nummer sechs, dann zieht sich die Schlinge zu. Er hat das geahnt, hat nichts getan, um das zu verhindern. Was soll das alles noch, dieses Leben.
Und wir bleiben zurück, ertappt, können ihn verstehen, wünschen uns, er käme davon, erschrecken über uns selbst und tauchen auf aus einer Geschichte voller Blut und Kälte, die uns so fasziniert hat wie schon lange nichts mehr, das wir gelesen haben. Wo ist die Grenze zwischen unendlichem Kummer und rächender Gewalt? Das ist die Frage, mit der uns dieses irritierende, ruhig und großartig erzählte Buch zurücklässt.
ELKE HEIDENREICH
Gerard Donovan: "Winter in Maine". Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Gunkel. Luchterhand-Verlag, 207 Seiten, 17,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ein eindrucksvolles Buch sieht Rezensent Nico Bleutge in Gerard Donovans Roman "Winter in Maine". Die Geschichte um Julius Winsome, einen begeisterten Leser und Außenseiter, der in einer einsamen Blockhütte im amerikanischen Norden in Gesellschaft seines Pitbullterrier Hobbes lebt, hat für ihn etwas verstörendes, vor allem ab dem Moment, als der Hund mit einer Schrotflinte getötet wird, und Julius beginnt, jene Jäger zu jagen und zu erschießen, von denen er glaubt, sie hätten Hobbes auf dem Gewissen. Auch wenn der Roman in den USA zu einigen Debatten über den Besitz von Waffen geführt hat, sieht Bleutge in dem Buch keinen Beitrag zur Waffenkultur des Landes. In seinen Augen geht es vielmehr um die Fragen, was Trauer, Verlust und Einsamkeit mit einem Menschen anstellen können. Der Leser erhalte Einblick in das Denken und Fühlen von Julius, in seine Widersprüche und Wahnvorstellungen, der Autor stelle dessen Bewusstsein in seiner "ganzen Zerrüttung" dar. Bleutge hebt hervor, dass Donavan auf Eindeutigkeit und moralische Bewertung seiner Figur verzichtet. Mit Lob bedenkt er auch Thomas Gunkels vorzügliche Übersetzung des Werks.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Dieses Buch ist irre. ...Wenn Sie es gelesen haben, werden Sie verstehen, warum" Christine Westermann/WDR 2
»>Winter in Maine< von Gerard Donovan, auch so ein Knaller, das könnte ein Kultbuch werden wie Marlen Haushofers >Die Wand<: Mann mit Hund (und dreitausend Büchern!!!) in Wildnis, Hund wird erschossen, Mann wird zum Serienkiller. Soviel in Kurzform, aber es ist viel mehr, es geht um das Raubtier in uns, um Einsamkeit, um verlorene Liebe und verlorene Maßstäbe, und das Furchtbare ist: Unsere Sympathie ist immer auf der Seite des Mörders.«