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Produktdetails
  • Verlag: Herder, Freiburg
  • 3. Aufl.
  • Seitenzahl: 300
  • Deutsch
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 435g
  • ISBN-13: 9783451232091
  • ISBN-10: 345123209X
  • Artikelnr.: 00278277
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Autorenporträt
Reinhold Schneider (1903 - 1958) gehört zu den bedeutenden Autoren des 20. Jahrhunderts. Sehr früh erfolgreich als Romancier, Lyriker und Essayist, hat er Wesentliches zur Verständigung der Völker Europas nach 1945 beigetragen. Er setzte sich für die demokratische Entwicklung Deutschlands und für die Aufrichtigkeit politischen Handelns ein - eine Stimme auch für die Gegenwart und die Zukunft. 1956 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.05.2003

Narrenschiff statt Flugzeugträger
Neuausgaben zum hundertsten Geburtstag Reinhold Schneiders

"Wollte ich, was sich in mir während dieses Winters ereignet, im Gespräch mit dem Phänomen Wien pathetisch ausdrücken, so müßte ich von einem inneren Unfall sprechen, vom Einbruch der dunklen Wasser in einen leer gewordenen Raum, einem Einbruch also von unten her. Man blickt nicht ungestraft in den Kosmos, die Tiefsee, die Geschichte - und vielleicht auch nicht ungestraft in sich selbst, in den Menschen." Was der heute vor hundert Jahren geborene Reinhold Schneider in seinem letzten, postum 1958 erschienenen Buch "Winter in Wien" als existentielle Erfahrung beschreibt, läßt sich schwer in Einklang bringen mit dem Bild, das das öffentliche Langzeitgedächtnis von diesem Schriftsteller zeichnet. "Winter in Wien", entstanden aus Aufzeichnungen während eines mehrmonatigen Aufenthalts, ist ein zutiefst pessimistisches und düsteres Buch, Ausdruck einer Verzweiflung, die mit dem Wort Glaubenskrise nicht genau genug bezeichnet ist.

Denn an Glauben mangelt es Schneider nicht: "Fest überzeugt von der göttlichen Stiftung und ihrer bis zum Ende der Geschichte währenden Dauer, ziehe ich mich doch am liebsten in die Krypta zurück; ich höre den fernen Gesang. Ich weiß, daß Er auferstanden ist; aber meine Lebenskraft ist so sehr gesunken, daß sie über das Grab nicht hinausgreifen, sich über den Tod hinweg nicht zu sehnen und zu fürchten vermag." Oder an anderer Stelle: "Der Glaube an Auferstehung setzt den Wunsch nach Auferstehung voraus - oder die Angst vor dem Nichts." Beides schien für Schneider seinen Stachel verloren zu haben. Die persönliche, durch eine quälende Magenkrankheit und Depressionen verfinsterte Befindlichkeit, sein Lebensüberdruß, korrespondiert beim späten Schneider mit einem apokalyptisch eingefärbten Blick auf die historische Stunde, der Wien gerade wegen der Allgegenwart vergangener kaiserlicher Größe zum Symbol des Verfalls wird.

Die Verwirklichung des Glaubens als geschichtliche Macht war Schneiders Lebensthema. Nach anfänglichen Sympathien für die nationalsozialistische Bewegung, in der der Monarchist eine Wiedererweckung des Preußentums zu erkennen glaubte, hatte er erst in den dreißiger Jahren zum katholischen Glauben seiner Kindheit zurückgefunden. Mit seinen weitverbreiteten laientheologischen Trostschriften und seinen historischen Werken, die Hitler-Deutschland im Spiegel vergangener Reiche zur Kenntlichkeit entstellen wollten, wurde Schneider zum geistigen Kristallisationskern christlicher Opposition. Nach 1945 war er einer der bekanntesten katholischen Intellektuellen, der sich allerdings durch seine entschiedene Haltung gegen die Wiederbewaffnung und das atomare Gleichgewicht des Schreckens nicht in die neuen Fronten des Kalten Krieges einreihen ließ. Ein neuer Sammelband im Insel-Verlag dokumentiert neben vielen anderen Facetten seines Werks auch Schneiders Wirken als intellektuelle Leitfigur und moralisches Vorbild.

Die Rolle des belächelten Außenseiters hat Schneider dabei durchaus in Kauf genommen: "Wer den Frieden will in der Geschichtswelt, kann dem Vorwurf der Torheit nicht entgehen. Es ist fast unvermeidlich, daß er in Gesellschaft von Narren gerät. Aber besser, auf einem Narrenschiff zu reisen als auf einem Flugzeugträger." Sein früher Tod 1958, ausgerechnet an einem Ostersonntag, gab freilich Anlaß zu versöhnender Legendenbildung. Noch die vorliegende Ausgabe des "Winters in Wien" im Herder Verlag irritiert durch die Reproduktion der Totenmaske - als symbolischer Tribut an eine Jenseitshoffnung, die Schneider selbst zum Problem wurde.

Liest man heute "Winter in Wien", so irritiert eine Sprache, die noch ganz den Ernst deutscher Tiefe atmet, scheinbar unbefangen von "Heldentum", "Opfer" oder "Sendung" spricht und so deutlich macht, wie nachhaltig christliche Semantik für unsere Ohren durch den Nationalsozialismus diskreditiert worden ist. Doch durch den Schleier solcher Anachronismen bricht sich ein modernes Bewußtsein Bahn, dem die erhellenden Erkenntnisse der Naturwissenschaft die Weltsicht verdüstern. Die Schöpfung wird zum Schreckbild; das naturkundliche Museum zeigt wie die Gemälde Boschs und Brueghels den Kreislauf der Gewalt, der mit der Atombombe die Geschichte an ihr Ende geführt hat: "Statt der Kaiser residiert die Atombehörde in Wien."

Interessant sind die Parallelen zu einem anderen Theoretiker der Macht, zu Elias Canetti, der ebenfalls in den Werken Boschs die Natur des Menschen und das Wesen der Geschichte zu erkennen glaubte. Auch Canetti wurde die Atombombe - mehr als die Schoa, die erst mit der einsetzenden Breitenwirkung der "Dialektik der Aufklärung" als singulärer historischer Bruch begriffen wurde - zum Menetekel; auch Canetti litt am unüberbrückbaren Graben zwischen dem Menschen und den anderen Lebewesen. Doch während Canetti sich, beeinflußt etwa von hinduistischen Mythen, ein Jenseits für Tiere und Pflanzen ausmalte, ersehnt Schneider das Gegenteil, die Entlastung von der Hervorhebung des Menschen durch die Erlösungstat Christi: "Aber ich bin nicht imstande, diese Singularität im All zu leben: es zieht mich zum Untergange mit der Kreatur; ich ersehne den Frieden, den sie erwarten darf." - "Ihr sterbt mit allen Tieren, und es kommt nichts nachher", so hatte Brecht diese Sehnsucht als materialistisches Dogma formuliert.

Was an Reinhold Schneider heute noch reizt, ist seine eigentümliche Synthese zeittypischer Strömungen. Daß auch nach seiner christlichen Wende Mitte der dreißiger Jahre der Pessimismus Schopenhauers und ein düsterer Pantragismus wirksam bleiben und am Ende - genährt durch eine sensible Wahrnehmung des wissenschaftlichen Fortschritts - wieder die Oberhand gewinnen, läßt "Winter in Wien" als ein Werk aktuell bleiben, das den schmerzlichen Widerstreit von Glauben und Erfahrung dokumentiert.

RICHARD KÄMMERLINGS.

Reinhold Schneider: "Der Wahrheit Stimme will ich sein". Essays. Erzählungen. Gedichte. Herausgegeben von Carsten Peter Thiede und Karl Josef Kuschel. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2003. 332 S., geb., 24,90 [Euro].

Reinhold Schneider: "Winter in Wien". Aus meinen Notizbüchern 1957 / 58. Vierte Auflage. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2003. 304 S., geb., 24,- [Euro].

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