Wir sehen Massen in grellen Anoraks vor Liftanlagen; Snowboarder
auf einer Halfpipe, die gigantische Zuschauermenge
von bunten Lichtkegeln angestrahlt; ein Gletscherfeuerwerk
und dann plötzlich Leere: Verwaiste Schneebars im Après-
Ski-Dekor, Müllberge am Ende eines Skitags und schrundige
Pistenlandschaften im Sommer.
Lois Hechenblaikner zeigt wie die Kommerzkultur die Berge
in Besitz genommen hat, wie sie die Natur zerfurcht, mit technischer
Infrastruktur überzieht und dabei Tiroler Traditionen
bis zur Unkenntlichkeit pervertiert. Das alles ist aus einem
einzigen Bild herauszulesen, wenn unter einer Zapfanlage,
deren Ausmaße an die Schaltzentrale eines Kraftwerks erinnern,
ein kleines Schild mit der Aufschrift: "Glühwein" zu
sehen ist. Was Hechenblaikner beim Fotografieren seiner
Heimat Tirol antreibt, ist ein äußerst fruchtbarer Humor der
Verzweiflung.
Lois Hechenblaikner, geboren 1958, ist im Tiroler Alpbachtal
aufgewachsen. Nachdem er fast zwei Jahrzehnte lang in vielen
Ländern Asiens als Reisefotograf tätig war, setzt er sich seit
den 1990er Jahren mit dem tourismusbedingten Wandel seiner
Heimat auseinander. Hechblaikners Arbeiten waren in
zahlreichen Gruppen- und Einzelausstellungen zu sehen, zuletzt
2010 bei Filser & Gräf in München.
auf einer Halfpipe, die gigantische Zuschauermenge
von bunten Lichtkegeln angestrahlt; ein Gletscherfeuerwerk
und dann plötzlich Leere: Verwaiste Schneebars im Après-
Ski-Dekor, Müllberge am Ende eines Skitags und schrundige
Pistenlandschaften im Sommer.
Lois Hechenblaikner zeigt wie die Kommerzkultur die Berge
in Besitz genommen hat, wie sie die Natur zerfurcht, mit technischer
Infrastruktur überzieht und dabei Tiroler Traditionen
bis zur Unkenntlichkeit pervertiert. Das alles ist aus einem
einzigen Bild herauszulesen, wenn unter einer Zapfanlage,
deren Ausmaße an die Schaltzentrale eines Kraftwerks erinnern,
ein kleines Schild mit der Aufschrift: "Glühwein" zu
sehen ist. Was Hechenblaikner beim Fotografieren seiner
Heimat Tirol antreibt, ist ein äußerst fruchtbarer Humor der
Verzweiflung.
Lois Hechenblaikner, geboren 1958, ist im Tiroler Alpbachtal
aufgewachsen. Nachdem er fast zwei Jahrzehnte lang in vielen
Ländern Asiens als Reisefotograf tätig war, setzt er sich seit
den 1990er Jahren mit dem tourismusbedingten Wandel seiner
Heimat auseinander. Hechblaikners Arbeiten waren in
zahlreichen Gruppen- und Einzelausstellungen zu sehen, zuletzt
2010 bei Filser & Gräf in München.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.03.2013Der geknechtete Berg
Es gibt Dinge, die man gar nicht sehen und wissen will und gelegentlich doch wissen und sehen muss, um seinen Anstand nicht zu verlieren - zum Beispiel das ungeschminkte Gesicht der Alpen, das all die Verletzungen dieser hochgerüsteten Vergnügungsindustrielandschaft offenbart. Der Tiroler Fotograf Lois Hechenblaikner führt es uns meisterhaft vor.
Von Jakob Strobel y Serra
Touristen sind Heuchler. Das ist keine Charakterlosigkeit, sondern eine Zwangsläufigkeit, ein Wesensgrund des modernen Reisens, bei dem das Vorgaukeln falscher Tatsachen die Geschäftsgrundlage bildet. Wer im autosuggestiven Irrglauben verreist, eine schöne heile Welt gebucht zu haben, wer sich von Paradiesversprechungen locken und verführen lässt, obwohl er weiß, dass sie nur eine besser oder schlechter funktionierende Kulisse sind, wer also ernsthaft davon überzeugt ist, Sorglosigkeit und Glücksgarantie kaufen zu können, am besten noch zum Sonderpreis, ist nicht ganz bei Trost und spielt doch nur das Illusionistenspiel des industrialisierten Tourismus mit. Dass alles auf dieser Welt seinen Preis hat und das Glück des einen oft genug das Unglück des anderen ist, weiß jeder und will keiner wissen, zumindest in den Ferien nicht. Das ist der Deal, sei es am sogenannten Traumstrand auf einer Garten-Eden-Insel oder an Bord irgendwelcher Traumschiffe auf den sieben Weltmeeren. Was das diensteifrige Paradiespersonal so im Monatsschnitt verdient und warum die süßen kleinen Souvenirverkäufer nicht mehr in die Schule gehen, tut hier nichts zur Sache.
Die Alpen kennen sich aus mit Heuchelei. Je hemmungsloser wir Menschen dieses Gebirge verkabeln, verdrahten, verbauen, verbarrikadieren, umso inbrünstiger beschwören wir das Bild einer ursprünglichen, unberührten, unantastbaren Bergwelt. Es gibt nichts Schöneres, als im Winter auf den Gipfeln zu stehen und sich an den Panoramen zu berauschen. Und es gibt nichts Lästigeres, als auf dem Weg dorthin in der Gondelschlange anstehen und bei der Abfahrt über schlechten Naturschnee rutschen zu müssen. Ein bisschen mehr Komfort darf schon sein. Also fordern wir beides, bekommen beides und sehen darin keinen Widerspruch, sondern eine Selbstverständlichkeit.
Manchmal aber müssen wir daran erinnert werden, dass wir Heuchler sind, um nicht ganz den Anstand zu verlieren. Diese Aufgabe übernimmt der Tiroler Fotograf Lois Hechenblaikner, der in seinen Bildern allerdings kein Ankläger, kein Aufklärer und noch nicht einmal ein Mahner ist, sondern eher ein melancholischer Betrachter. Er zeigt uns die Alpen ungeschminkt, demaskiert, vom schönen Schein befreit, wie eine abgekämpfte Schauspielerin am Ende der Saison. Es liegt eine stille Traurigkeit über den Aufnahmen von Stauseen für Beschneiungsanlagen, die wie offene Wunden in der Landschaft klaffen, von Liftpfeilern, die wie abgestorbene Bäume in den Nebel ragen, von menschenleeren Après-Ski-Hütten mit aufblasbaren Sexpuppen, die allein beim Anblick nach schalem Bier und kaltem Rauch stinken. Es sind Bilder, die man sehen muss, um zu wissen, was wir den Alpen angetan haben - und um sich dann zu sagen: na und?
"Winter Wonderland" von Lois Hechenblaikner. Steidl Verlag, Göttingen 2012. 88 Seiten, zahlreiche Farbfotos. Gebunden, 38 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es gibt Dinge, die man gar nicht sehen und wissen will und gelegentlich doch wissen und sehen muss, um seinen Anstand nicht zu verlieren - zum Beispiel das ungeschminkte Gesicht der Alpen, das all die Verletzungen dieser hochgerüsteten Vergnügungsindustrielandschaft offenbart. Der Tiroler Fotograf Lois Hechenblaikner führt es uns meisterhaft vor.
Von Jakob Strobel y Serra
Touristen sind Heuchler. Das ist keine Charakterlosigkeit, sondern eine Zwangsläufigkeit, ein Wesensgrund des modernen Reisens, bei dem das Vorgaukeln falscher Tatsachen die Geschäftsgrundlage bildet. Wer im autosuggestiven Irrglauben verreist, eine schöne heile Welt gebucht zu haben, wer sich von Paradiesversprechungen locken und verführen lässt, obwohl er weiß, dass sie nur eine besser oder schlechter funktionierende Kulisse sind, wer also ernsthaft davon überzeugt ist, Sorglosigkeit und Glücksgarantie kaufen zu können, am besten noch zum Sonderpreis, ist nicht ganz bei Trost und spielt doch nur das Illusionistenspiel des industrialisierten Tourismus mit. Dass alles auf dieser Welt seinen Preis hat und das Glück des einen oft genug das Unglück des anderen ist, weiß jeder und will keiner wissen, zumindest in den Ferien nicht. Das ist der Deal, sei es am sogenannten Traumstrand auf einer Garten-Eden-Insel oder an Bord irgendwelcher Traumschiffe auf den sieben Weltmeeren. Was das diensteifrige Paradiespersonal so im Monatsschnitt verdient und warum die süßen kleinen Souvenirverkäufer nicht mehr in die Schule gehen, tut hier nichts zur Sache.
Die Alpen kennen sich aus mit Heuchelei. Je hemmungsloser wir Menschen dieses Gebirge verkabeln, verdrahten, verbauen, verbarrikadieren, umso inbrünstiger beschwören wir das Bild einer ursprünglichen, unberührten, unantastbaren Bergwelt. Es gibt nichts Schöneres, als im Winter auf den Gipfeln zu stehen und sich an den Panoramen zu berauschen. Und es gibt nichts Lästigeres, als auf dem Weg dorthin in der Gondelschlange anstehen und bei der Abfahrt über schlechten Naturschnee rutschen zu müssen. Ein bisschen mehr Komfort darf schon sein. Also fordern wir beides, bekommen beides und sehen darin keinen Widerspruch, sondern eine Selbstverständlichkeit.
Manchmal aber müssen wir daran erinnert werden, dass wir Heuchler sind, um nicht ganz den Anstand zu verlieren. Diese Aufgabe übernimmt der Tiroler Fotograf Lois Hechenblaikner, der in seinen Bildern allerdings kein Ankläger, kein Aufklärer und noch nicht einmal ein Mahner ist, sondern eher ein melancholischer Betrachter. Er zeigt uns die Alpen ungeschminkt, demaskiert, vom schönen Schein befreit, wie eine abgekämpfte Schauspielerin am Ende der Saison. Es liegt eine stille Traurigkeit über den Aufnahmen von Stauseen für Beschneiungsanlagen, die wie offene Wunden in der Landschaft klaffen, von Liftpfeilern, die wie abgestorbene Bäume in den Nebel ragen, von menschenleeren Après-Ski-Hütten mit aufblasbaren Sexpuppen, die allein beim Anblick nach schalem Bier und kaltem Rauch stinken. Es sind Bilder, die man sehen muss, um zu wissen, was wir den Alpen angetan haben - und um sich dann zu sagen: na und?
"Winter Wonderland" von Lois Hechenblaikner. Steidl Verlag, Göttingen 2012. 88 Seiten, zahlreiche Farbfotos. Gebunden, 38 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main