Frühling, Sommer und Herbst ähneln einander. Nur der Winter steht für sich. Die Welt gerät in einen anderen Aggregatzustand: Wasser gefriert. Die Landschaft wird erst kahl, dann weiß. Was macht das mit den Menschen? Barbara Schaefer lebte vier Wintermonate in Grönland, an der rauen, isolierten Ostküste. Sie war überwältigt von der grimmigen Landschaft und den harten Lebensbedingungen. Sie wanderte über den gefrorenen Baikalsee, suchte den Schnee am Kilimandscharo, überquerte auf Schneeschuhen eine Hochebene in Schweden, reiste nach Norwegen, in die Arktis und in die Alpen und versuchte dabei zu ergründen, was das ist: Winter. Und warum der so viel Freude bringen kann. Sie hörte Winterlieder, las Winterbücher, sah Winterfilme. Sie hat draußen manchmal jämmerlich gefroren - und wollte dennoch in diesen Momenten nirgends anders hin. Denn anstatt am Strand zu liegen, trifft sie lieber Menschen im Winter. In den Bergen, am Meer, in der Stadt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.12.2018NEUES REISEBUCH
Für die Tasche Eine "Liebeserklärung" nennt sich dieses Buch, an den Schnee und die Kälte, und damit ist "Winter" derzeit in jedem Fall wohltuend. Wer friert, darf sich hier daran erinnern, wie herrlich die kalte Jahreszeit sein kann. Und wer den Winter vermisst, weil's wieder viel zu warm wirkt, für Dezember, kann hier seine Sehnsucht nähren.
Die Journalistin Barbara Schaefer, die unter anderem Autorin der F.A.S. und der F.A.Z. ist, führt in dieser Sammlung von Reisereportagen durch Eis und Schnee - sie fährt von Oslo nach Tromsø, fragt am Nordkap einen Busfahrer nach der Winterdepression ("Nö!"), fliegt mit einer Propellermaschine in den Osten Grönlands. Verbringt Monate in zugigen Hütten, sieht Fjorde zufrieren und wieder auftauen. Und all das eben ganz ohne Winterdepression, im Gegenteil: Hier genießt jemand die Kälte und die Dunkelheit, den Schnee und das Eis, und zwar so ansteckend, dass man gleich aufbrechen möchte Richtung Norden. Auch, weil der Winter womöglich eine sozusagen bedrohte Spezies sein könnte. Jedenfalls trägt dieser Gedanke das Buch mit. Der Klimawandel verändere das Leben im Hohen Norden "dramatisch", heißt es einmal, und immer wieder wird es darum gehen, wie das aussieht, wenn man dort ist.
So dreht sich nicht nur ein Kapitel um Skifahren und Wintersport, und die Millionen Kubikmeter Eis, die etwa die Schweizer Gletscher in einem einzigen Jahr verloren haben, kann sich niemand vorstellen. Die Sorge der Naturschützer, mit denen die Autorin spricht, dagegen sofort. Für die künstliche Beschneiung seiner Pisten wendet Tirol so viel Energie auf wie alle seine Haushalte im Jahr zusammen. Auch das erfährt man hier.
Und dann erfährt man immer wieder viel Menschliches mitten aus dem Leben. Schaefer reist mit kleinem Gepäck, aber umso mehr Fragen, will zum Beispiel wirklich verstehen, warum Menschen in arktischen Gebieten leben. In Gegenden, die evakuiert werden müssen, wenn der Strom ausfällt - etwa Longyearbyen auf Spitzbergen. Dann sagen ihre Gesprächspartner Sätze wie: "Die arktische Natur macht den Menschen zu einem sehr kleinen Wesen." Das Gleiche kann auch ein solcher Reisebericht, der eigentlich von einer Extremsituation zur nächsten führt. Die Lesenden begleitet bald auch die Angst, dass ein Zelt im falschen Moment einen Riss bekommen könnte. Schon weil die immer wieder eingestreute faszinierende Plauderei über Gemälde, Romane, Filme und alles, was sonst noch mit Schnee und Winter zu tun hat, am liebsten überhaupt nicht aufhören sollte. Aber irgendwann kommt immer Tauwetter. Schaefer gibt ihm nur drei Seiten Raum und sehnt sich schon wieder nach dem nächsten Schnee.
tlin
Barbara Schaefer: "Winter. Eine Liebeserklärung". Edel Books, 224 Seiten, 18 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Für die Tasche Eine "Liebeserklärung" nennt sich dieses Buch, an den Schnee und die Kälte, und damit ist "Winter" derzeit in jedem Fall wohltuend. Wer friert, darf sich hier daran erinnern, wie herrlich die kalte Jahreszeit sein kann. Und wer den Winter vermisst, weil's wieder viel zu warm wirkt, für Dezember, kann hier seine Sehnsucht nähren.
Die Journalistin Barbara Schaefer, die unter anderem Autorin der F.A.S. und der F.A.Z. ist, führt in dieser Sammlung von Reisereportagen durch Eis und Schnee - sie fährt von Oslo nach Tromsø, fragt am Nordkap einen Busfahrer nach der Winterdepression ("Nö!"), fliegt mit einer Propellermaschine in den Osten Grönlands. Verbringt Monate in zugigen Hütten, sieht Fjorde zufrieren und wieder auftauen. Und all das eben ganz ohne Winterdepression, im Gegenteil: Hier genießt jemand die Kälte und die Dunkelheit, den Schnee und das Eis, und zwar so ansteckend, dass man gleich aufbrechen möchte Richtung Norden. Auch, weil der Winter womöglich eine sozusagen bedrohte Spezies sein könnte. Jedenfalls trägt dieser Gedanke das Buch mit. Der Klimawandel verändere das Leben im Hohen Norden "dramatisch", heißt es einmal, und immer wieder wird es darum gehen, wie das aussieht, wenn man dort ist.
So dreht sich nicht nur ein Kapitel um Skifahren und Wintersport, und die Millionen Kubikmeter Eis, die etwa die Schweizer Gletscher in einem einzigen Jahr verloren haben, kann sich niemand vorstellen. Die Sorge der Naturschützer, mit denen die Autorin spricht, dagegen sofort. Für die künstliche Beschneiung seiner Pisten wendet Tirol so viel Energie auf wie alle seine Haushalte im Jahr zusammen. Auch das erfährt man hier.
Und dann erfährt man immer wieder viel Menschliches mitten aus dem Leben. Schaefer reist mit kleinem Gepäck, aber umso mehr Fragen, will zum Beispiel wirklich verstehen, warum Menschen in arktischen Gebieten leben. In Gegenden, die evakuiert werden müssen, wenn der Strom ausfällt - etwa Longyearbyen auf Spitzbergen. Dann sagen ihre Gesprächspartner Sätze wie: "Die arktische Natur macht den Menschen zu einem sehr kleinen Wesen." Das Gleiche kann auch ein solcher Reisebericht, der eigentlich von einer Extremsituation zur nächsten führt. Die Lesenden begleitet bald auch die Angst, dass ein Zelt im falschen Moment einen Riss bekommen könnte. Schon weil die immer wieder eingestreute faszinierende Plauderei über Gemälde, Romane, Filme und alles, was sonst noch mit Schnee und Winter zu tun hat, am liebsten überhaupt nicht aufhören sollte. Aber irgendwann kommt immer Tauwetter. Schaefer gibt ihm nur drei Seiten Raum und sehnt sich schon wieder nach dem nächsten Schnee.
tlin
Barbara Schaefer: "Winter. Eine Liebeserklärung". Edel Books, 224 Seiten, 18 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"So ansteckend, dass man gleich aufbrechen möchte Richtung Norden." FAS 20181216