Poetisch, gewagt, rastlos - argentinische Weltliteratur, die ihresgleichen sucht.
Chela ist eine Vagabundin in der eigenen Familie. Als Kind erfindet sie sich eine magische Welt, bevölkert von Katzen und Eidechsen, als Jugendliche rettet sie die Lektüre von Rilke, Gide, Wilde, Rimbaud vor den Erwachsenen. Sie ist hochbegabt und nicht zu bändigen.
Die Klosterschule erweist sich als völlig falsche Entscheidung. Empört reißt Chela aus. Ihr Weg als Künstlerin beginnt, er führt sie nach Chile, Paris, Rom, Sizilien und auf die Osterinsel. Auf der Flucht vor einer Familie von Monstern, die Schildkröte Bertha in der Handtasche stets mit dabei.
Eine rasante und poetische Prosa, die alle literarischen Konventionen ins Wackeln bringt, ihresgleichen sucht und die Autorin zu einem internationalen Phänomen machte.
Chela ist eine Vagabundin in der eigenen Familie. Als Kind erfindet sie sich eine magische Welt, bevölkert von Katzen und Eidechsen, als Jugendliche rettet sie die Lektüre von Rilke, Gide, Wilde, Rimbaud vor den Erwachsenen. Sie ist hochbegabt und nicht zu bändigen.
Die Klosterschule erweist sich als völlig falsche Entscheidung. Empört reißt Chela aus. Ihr Weg als Künstlerin beginnt, er führt sie nach Chile, Paris, Rom, Sizilien und auf die Osterinsel. Auf der Flucht vor einer Familie von Monstern, die Schildkröte Bertha in der Handtasche stets mit dabei.
Eine rasante und poetische Prosa, die alle literarischen Konventionen ins Wackeln bringt, ihresgleichen sucht und die Autorin zu einem internationalen Phänomen machte.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eine interessante Biografie hat Aurora Venturini, deren Roman "Wir, die Familie Caserta" Rezensent Josef Oehrlein bespricht: Erst mit 85 Jahren ist sie in ihrer Heimat Argentinien bekannt geworden, in Deutschland steht der große Durchbruch noch aus. Vielleicht ändert sich das jetzt mit diesem Familienroman, hofft Oehrlein. Im Mittelpunkt steht die "autistisch veranlagte Icherzählerin" Chela, die wahnsinnig klug ist, aber auch ziemlich eigensinnig. Besonders die Passagen, in denen Chela ihre sizilianische Großtante besucht und sich in eine Frau verliebt, stechen für den Kritiker mit ihrem "ebenso lakonischen wie phasenweise schwärmerischen" Tonfall hervor. Die Übersetzung weist zwar ein paar Fehler auf, räumt er ein, ist aber dennoch ein Gewinn für das deutsche Lesepublikum.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Aurora Venturinis Roman bildet eine wilde, mal groteske, mal bestrickende Synthese aus persönlichen Obsessionen und literarischen Verweisen. Die Lektüre wirkt ebenso verstörend wie elektrisierend und auf jeder Seite erneuert sich der Eindruck: diese spät zu Ruhm gekommene Autorin ist eine ziemlich einmalige Erscheinung und eine wahrhaft überraschende Entdeckung. Eberhard Falcke SWR 2 Lesenswert 20240121
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.02.2024Wenn eine Eule zur einzigen Vertrauten wird
Die argentinische Autorin Aurora Venturini erzählt die Lebensgeschichte einer ebenso exzentrischen wie hochintelligenten Rebellin.
Es ist kurios genug, dass eine Frau ihr Leben lang originelle literarische Texte hervorbringt, ohne dass der so gefräßige Kulturbetrieb das bemerkt. Und noch kurioser ist, dass sie bei einem eher für Nachwuchsautoren gedachten Wettbewerb zum ersten Mal einen bedeutenden Preis erhält und da schon 85 Jahre alt ist. Die argentinische Schriftstellerin Aurora Venturini ist 2007, acht Jahre vor ihrem Tod, für "Las primas" (Die Cousinen) von einer Zeitung in ihrem Heimatland ausgezeichnet worden. Der Roman kam auf Deutsch freilich erst 2022 heraus. Obwohl Johanna Schwering dafür von der Leipziger Buchmesse deren Übersetzerpreis bekam, hält sich die Aufmerksamkeit für Venturini hierzulande noch in Grenzen. Das könnte sich jetzt, mit der Veröffentlichung der deutschen Fassung des Schwesterwerks "Wir, die Familie Caserta", ändern. Dieser Roman war, auch dies ein Kuriosum, schon in den Sechzigerjahren entstanden, wirkt aber ähnlich modern wie "Die Cousinen".
Vieles an Aurora Venturini ist und bleibt geheimnisvoll. Geradezu obsessiv arbeitet sie sich an einer chaotischen, von schrägen bis monsterhaften Figuren bevölkerten Familie ab. In welchem Maß ihre Romane autobiographisch sind, lässt sich kaum abschätzen, weil viel zu wenig über ihr Leben bekannt ist. Sie selbst hat einiges unternommen, um Spuren zu verwischen, falsche Fährten zu legen und manche ihrer Lebenserfahrungen in ein Zwielicht von Realität und Phantasie zu tauchen. Dazu zählen etwa ihre vorgebliche Freundschaft mit der Präsidentengattin Eva Perón oder Verbindungen zum Kreis der Existenzialisten um Jean-Paul Sartre. Bei den immer wieder eingestreuten Gedichtzitaten - besonders gern Verse von Rimbaud - nimmt sie es mit der Authentizität nicht sehr genau.
In dem Caserta-Roman schildert Venturini die Lebensgeschichte eines Sprosses einer aus Sizilien in die argentinische Provinzhauptstadt La Plata eingewanderten Dynastie. Die autistisch veranlagte Icherzählerin Chela flüchtet sich in ihre eigene kleine Welt. Die richtet sie sich im Speicher des Hauses ein, und dort freundet sie sich mit einer Eule an. Überhaupt pflegt sie, die sich selbst als "ekelerregendes Viech" sieht, einen sehr menschlichen Umgang mit Tieren, später erwählt sie eine Schildkröte zu ihrer treuesten Gefährtin; als einziges ihr nahestehendes menschliches Wesen akzeptiert sie ihr behindertes Brüderchen.
Eine Idylle ist das Speicherexil keineswegs. Chela ist ein rebellisches, eigenbrötlerisches, exzentrisches Biest, aber auch hellwach und hochintelligent, durchaus ein bisschen so, wie sich die Autorin selbst gern dargestellt hat. Nur einmal verlässt Venturini die Icherzähler-Perspektive, wenn sie den längeren Bericht einer Erzieherin und Psychologin über die Entwicklung der kleinen Chela zitiert. Episodenhaft und etwas beflissen schildert sie danach, wie sich die heranwachsende junge Frau im Ausland - in Chile, auf der Osterinsel, in Paris, Madrid oder Rom - weiterbildet und mit ihrem Wissen zu brillieren weiß.
Schließlich trifft Chela in Sizilien ihre zwergwüchsige Großtante Angelina, und da verdichtet sich der Erzählfluss wieder zu einer Folge grandioser Sprachbilder. Von ihrer Verwandten wird sie in okkultistische Praktiken eingeführt, und bei der Gutsherrin entdeckt sie endlich auch das, was sie nach dem gescheiterten Versuch einer Liebesbeziehung zu einem verheirateten Mann nicht mehr zu finden glaubte: Zuneigung und sexuelle Erfüllung. "Und so schenkten wir einander Freuden, die so unvermutet wie unaussprechlich waren und mich heute reizen und brandmarken wie glühendes Eisen das Vieh."
Die deutsche Übersetzung von Johanna Schwering vermittelt präzise den ebenso lakonischen wie phasenweise schwärmerischen Erzählton, in den eine Fülle an delikaten, aber auch derben, einfühlsamen, aber auch unflätigen Sprachbildern eingebettet ist. Gelegentlich stolpert man allerdings über eine merkwürdige Wortwahl, wenn es etwa für "cataplasma" (Nervensäge, Quälgeist) "Deibelkopf" heißt, oder über falsche Verbformen wie "striff" statt "streifte". In einem ausführlichen Nachwort legt Schwering freilich ausgiebig Rechenschaft über ihre Übersetzung ab und gibt viele Hintergrundinformationen zu Leben und Werk von Aurora Venturini.
Viele Passagen des Romans, vor allem die sehr explizite Beschreibung des lesbischen Liebesabenteuers gegen Ende hätten im Argentinien der Sechzigerjahre sicher Staub aufgewirbelt - wenn der Roman damals einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden wäre. Heute noch sind gerade diese Szenen ein eindrucksvoller Nachweis für das frühe Talent dieser rätselhaften argentinischen Autorin. JOSEF OEHRLEIN
Aurora Venturini: "Wir, die Familie Caserta". Roman.
Aus dem Spanischen von Johanna Schwering. Dtv, München 2024. 240 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die argentinische Autorin Aurora Venturini erzählt die Lebensgeschichte einer ebenso exzentrischen wie hochintelligenten Rebellin.
Es ist kurios genug, dass eine Frau ihr Leben lang originelle literarische Texte hervorbringt, ohne dass der so gefräßige Kulturbetrieb das bemerkt. Und noch kurioser ist, dass sie bei einem eher für Nachwuchsautoren gedachten Wettbewerb zum ersten Mal einen bedeutenden Preis erhält und da schon 85 Jahre alt ist. Die argentinische Schriftstellerin Aurora Venturini ist 2007, acht Jahre vor ihrem Tod, für "Las primas" (Die Cousinen) von einer Zeitung in ihrem Heimatland ausgezeichnet worden. Der Roman kam auf Deutsch freilich erst 2022 heraus. Obwohl Johanna Schwering dafür von der Leipziger Buchmesse deren Übersetzerpreis bekam, hält sich die Aufmerksamkeit für Venturini hierzulande noch in Grenzen. Das könnte sich jetzt, mit der Veröffentlichung der deutschen Fassung des Schwesterwerks "Wir, die Familie Caserta", ändern. Dieser Roman war, auch dies ein Kuriosum, schon in den Sechzigerjahren entstanden, wirkt aber ähnlich modern wie "Die Cousinen".
Vieles an Aurora Venturini ist und bleibt geheimnisvoll. Geradezu obsessiv arbeitet sie sich an einer chaotischen, von schrägen bis monsterhaften Figuren bevölkerten Familie ab. In welchem Maß ihre Romane autobiographisch sind, lässt sich kaum abschätzen, weil viel zu wenig über ihr Leben bekannt ist. Sie selbst hat einiges unternommen, um Spuren zu verwischen, falsche Fährten zu legen und manche ihrer Lebenserfahrungen in ein Zwielicht von Realität und Phantasie zu tauchen. Dazu zählen etwa ihre vorgebliche Freundschaft mit der Präsidentengattin Eva Perón oder Verbindungen zum Kreis der Existenzialisten um Jean-Paul Sartre. Bei den immer wieder eingestreuten Gedichtzitaten - besonders gern Verse von Rimbaud - nimmt sie es mit der Authentizität nicht sehr genau.
In dem Caserta-Roman schildert Venturini die Lebensgeschichte eines Sprosses einer aus Sizilien in die argentinische Provinzhauptstadt La Plata eingewanderten Dynastie. Die autistisch veranlagte Icherzählerin Chela flüchtet sich in ihre eigene kleine Welt. Die richtet sie sich im Speicher des Hauses ein, und dort freundet sie sich mit einer Eule an. Überhaupt pflegt sie, die sich selbst als "ekelerregendes Viech" sieht, einen sehr menschlichen Umgang mit Tieren, später erwählt sie eine Schildkröte zu ihrer treuesten Gefährtin; als einziges ihr nahestehendes menschliches Wesen akzeptiert sie ihr behindertes Brüderchen.
Eine Idylle ist das Speicherexil keineswegs. Chela ist ein rebellisches, eigenbrötlerisches, exzentrisches Biest, aber auch hellwach und hochintelligent, durchaus ein bisschen so, wie sich die Autorin selbst gern dargestellt hat. Nur einmal verlässt Venturini die Icherzähler-Perspektive, wenn sie den längeren Bericht einer Erzieherin und Psychologin über die Entwicklung der kleinen Chela zitiert. Episodenhaft und etwas beflissen schildert sie danach, wie sich die heranwachsende junge Frau im Ausland - in Chile, auf der Osterinsel, in Paris, Madrid oder Rom - weiterbildet und mit ihrem Wissen zu brillieren weiß.
Schließlich trifft Chela in Sizilien ihre zwergwüchsige Großtante Angelina, und da verdichtet sich der Erzählfluss wieder zu einer Folge grandioser Sprachbilder. Von ihrer Verwandten wird sie in okkultistische Praktiken eingeführt, und bei der Gutsherrin entdeckt sie endlich auch das, was sie nach dem gescheiterten Versuch einer Liebesbeziehung zu einem verheirateten Mann nicht mehr zu finden glaubte: Zuneigung und sexuelle Erfüllung. "Und so schenkten wir einander Freuden, die so unvermutet wie unaussprechlich waren und mich heute reizen und brandmarken wie glühendes Eisen das Vieh."
Die deutsche Übersetzung von Johanna Schwering vermittelt präzise den ebenso lakonischen wie phasenweise schwärmerischen Erzählton, in den eine Fülle an delikaten, aber auch derben, einfühlsamen, aber auch unflätigen Sprachbildern eingebettet ist. Gelegentlich stolpert man allerdings über eine merkwürdige Wortwahl, wenn es etwa für "cataplasma" (Nervensäge, Quälgeist) "Deibelkopf" heißt, oder über falsche Verbformen wie "striff" statt "streifte". In einem ausführlichen Nachwort legt Schwering freilich ausgiebig Rechenschaft über ihre Übersetzung ab und gibt viele Hintergrundinformationen zu Leben und Werk von Aurora Venturini.
Viele Passagen des Romans, vor allem die sehr explizite Beschreibung des lesbischen Liebesabenteuers gegen Ende hätten im Argentinien der Sechzigerjahre sicher Staub aufgewirbelt - wenn der Roman damals einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden wäre. Heute noch sind gerade diese Szenen ein eindrucksvoller Nachweis für das frühe Talent dieser rätselhaften argentinischen Autorin. JOSEF OEHRLEIN
Aurora Venturini: "Wir, die Familie Caserta". Roman.
Aus dem Spanischen von Johanna Schwering. Dtv, München 2024. 240 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main