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Carsten Jensen erzählt in "Wir Ertrunkenen" von Menschen, deren Leben vom Meer bestimmt ist: von Männern, die ihrer Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer folgen, und von Frauen, die dem Meer, das ihnen die Männer und Söhne raubt, den Kampf ansagen.
"Wir Ertrunkenen" ist ein pralles, buntes Buch voller phantastischer, komischer und nachdenklicher Geschichten.
Alles beginnt im Jahr 1848, als der Seemann Laurids Madsen aus Marstal in den Himmel fliegt und unversehrt wieder zur Erde zurückkehrt. Der Tod hat ihn noch nicht gewollt. Später wird er sagen, seine Stiefel seien zu schwer für ein
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Produktbeschreibung
Carsten Jensen erzählt in "Wir Ertrunkenen" von Menschen, deren Leben vom Meer bestimmt ist: von Männern, die ihrer Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer folgen, und von Frauen, die dem Meer, das ihnen die Männer und Söhne raubt, den Kampf ansagen.

"Wir Ertrunkenen" ist ein pralles, buntes Buch voller phantastischer, komischer und nachdenklicher Geschichten.

Alles beginnt im Jahr 1848, als der Seemann Laurids Madsen aus Marstal in den Himmel fliegt und unversehrt wieder zur Erde zurückkehrt. Der Tod hat ihn noch nicht gewollt. Später wird er sagen, seine Stiefel seien zu schwer für ein Leben da oben gewesen. Seither ist Laurids eigenartig, und irgendwann verschwindet er auf den Weltmeeren. Seine Stiefel bleiben zurück, bis sein Sohn Albert sie anzieht. Er macht sich auf den Weg in die Südsee, um seinen Vater zu suchen. Mit dem Schrumpfkopf von James Cook und dem Geheimnis der Geldvermehrung kehrt er als Reeder zurück in seine Heimatstadt. Er weiß, dass im neuen Jahrhundert die Zukunft in den Frachträumen der großen Segelschiffe liegt. Von Marstal aus sollen noch mehr Schiffe in See stechen. Doch Albert hat nicht mit den Frauen gerechnet. Sie hassen das Meer, das ihnen ihre Männer und Söhne genommen hat und immer wieder nimmt. Eine von ihnen nimmt den Kampf auf.
Autorenporträt
Carsten Jensen, geboren 1952, wuchs in Marstal auf. Er studierte in Kopenhagen Literaturwissenschaft und arbeitete als Journalist und Kritiker. Sein literarisches Arbeiten begann er Mitte der neunziger Jahre.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.10.2008

Der Inbegriff des Schmökers

Wie löst man das Problem der Allwissenheit? Ganz einfach: indem man den Ich-Erzähler einfach tot sein lässt. Der Däne Carsten Jensen hat einen kalkulierten Roman draus gemacht.

Von Peter Urban-Halle

Wir Ertrunkenen" (ohne das n am Ende klänge der Titel schöner) ist ein sehr dickes Buch, in dem viel geschieht und ein Haufen Figuren vorkommt, es ist der Roman einer Stadt, Marstal auf dem dänischen Inselchen Ærø, und eines ganzen Jahrhunderts, vom ersten deutsch-dänischen Krieg 1848 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945. Unübersichtlich wird es deshalb nicht, weil der Roman im Grunde nur von vier Personen erzählt, einer Art Patchworkfamilie, vaterlos sind sie hier irgendwie alle. Am Anfang steht Laurids Madsen, mit ihm fangen auch die atemberaubenden Ereignisse an, die hier lückenlos aneinandergereiht werden, Laurids überlebt wunderbarerweise eine Explosion, verlässt jäh seine Familie und gründet in der Südsee eine neue; Albert, sein Sohn, sucht und findet ihn, kehrt enttäuscht zurück und wird ein reicher Reeder; die junge Klara Friis, eine Seemannswitwe, Alberts designierte Ehefrau und Erbin; und Knud Erik, ihr Sohn, der gegen ihren Willen zur See geht.

Carsten Jensen, geboren 1952 in ebenjenem Marstal, von dem hier alles ausgeht, benutzt einen Wir-Erzähler, der überdies tot ist: "Wir Ertrunkenen". Er habe damit, sagte er, erstens das Problem der Allwissenheit gelöst, weil in einer kleinen Stadt eben alle alles wissen, und zweitens das Problem mit dem Tod, weil der Einzelne stirbt, aber nicht eine ganze Einwohnerschaft. Wir kennen den Wir-Erzähler vom großen Gert Hofmann, im Gegensatz zu ihm ist Jensen nicht sehr konsequent, weil sich nämlich sein Wir-Erzähler mit einem (klassischen) allwissenden Erzähler abwechselt, und mittendrin gibt es sogar eine lange Ich-Erzählung, Alberts Suche nach dem Vater, vielleicht die packendste Episode des Buchs.

Als spitzzüngiger, mal gemeiner, mal ironischer Kommentator ist Jensen in Dänemark gefürchtet und umstritten. Sein Roman dagegen ist nicht gemein und nicht einmal ironisch. Der Autor Jensen scheint einen erstaunlichen Wandel durchgemacht zu haben. Wer ihn näher kennt, den beschleicht der Verdacht: Das Buch ist ein Paradebeispiel des kalkulierten Erfolgs, hier hat sich ein Autor wie ein Politiker im Wahlkampf verhalten: Wie dieser gewählt, will jener gelesen werden, er schreibt, was und wie es die Leute lieben.

Erstens erzählt er gut. Das war zu erwarten, weil er eben ein gewiefter, eloquenter und rasanter Autor ist und das Pathetische ebenso wie das simple, wirkungsvoll Dramatische beherrscht: "Eine Röte überzog ihre Wangen. Er hatte das Grauen in ihrem Blick gesehen." Oft kommt beides zusammen, gerade an scheinbar unspektakulären Stellen: "Ich stand am Ruder und spürte die Macht der See wie nie zuvor." In der Tat, es verschlägt einem den Atem, weil Jensen den Leser gern zutiefst mit Sätzen traktiert. Der Roman erfüllt Jungenträume, die für uns heute fast ein bisschen antiquiert sind, er spinnt Seemannsgarn, entführt uns in exotische Länder, serviert Menschenfresser und Schrumpfköpfe, Schiffskatastrophen und Kriegsgräuel, brutale Steuermänner und stolze Smutjes. Stofflich überraschend ist das nicht, es sind die klassischen Abenteuer, Jensen hat seine Gewährsleute. Er bedient sich beim Fundus berühmter Seefahrerromane, sein Kapitän Lewis ist dem verbissenen Ahab aus Melvilles "Moby Dick" nachempfunden, von Stevenson kommt die Schatzsuche, die Flaute auf See vielleicht von Joseph Conrad, stilistisch (das resolute Zusteuern auf eine Pointe) erinnert er an Frank Schätzing.

Und zweitens präsentiert sich dieser gute Schreiber auch noch als moralisch guter Mensch, denn perfektes Handwerk allein bringt noch keine Stimmen. Bedeutungsvoll mahnt er die rechte Mischung aus gesunder Autorität und Geschmeidigkeit im Umgang mit der Mannschaft an, lebenswichtig für einen Kapitän. Und er feiert die Gemeinschaft. "Einigkeit macht stark", steht auf dem Gedenkstein, den der alt gewordene Albert in Marstal aufstellen lässt. Und Albert lobt das soziale Gewissen der Stadt, in der es "keine rücksichtslosen Großreeder gibt, die für einen geringen Profit das Leben ihrer Mannschaften aufs Spiel setzen". Das ist jetzt keine unerlaubte Gleichsetzung von Autor und Figuren! Jensen sieht und offenbart sich nämlich in ihnen, auch in den Bösen. Der Marstaler Jensen verehrt in den Marstalern sich selbst: "Verdammte Marstaler! Überall müsst ihr eure Nasen reinstecken, und überall seid ihr schon gewesen." Was für ein begeistertes (Eigen-)Lob. Natürlich ist auch das harte, actionreiche Seemannsleben reich an gefühligen Momenten: "Mein Retter legte seine Hand auf meine Schulter und sah mir in die Augen. Ich erwiderte seinen Blick. Ein Band war zwischen uns geknüpft." Bande werden hier noch öfter geknüpft. Auch bei der Liebesgeschichte von Knud Erik und Sophie auf Neufundland, die er verliert und später unter wenig glaubwürdigen Umständen wiederfindet. Aber meistens ist die Melodramatik für die Heimat reserviert. Hier steht im Mittelpunkt eine verbitterte Mutter, Knud Eriks Mutter, die aus Hass auf das Meer, das alle Frauen zu Witwen macht, der Hafenstadt Marstal die Lebensgrundlage entziehen will, indem sie die Schiffe aufkauft und stilllegt.

Abenteuerliche Reisen, Zauberinnen an fremden Gestaden, wartende Gattinnen und die Heimkehr des Helden - ein dänischer Homer ist Jensen freilich nicht. Er erschafft keinen neuen Mythos, ihm geht es nur um die Sturheit seiner Marstaler, die lieber mit Windjammern segeln. Und poetisch oder geistvoll ist der Roman auch nicht, weil alles dem Effekt untergeordnet ist, so dass Blut, Schweiß und Tränen und abgerissene Glieder beinah frivol erscheinen.

Jensens offensichtlicher Charakterwandel hat sich ausgezahlt, in Dänemark soll er die für das kleine Land spektakuläre Auflage von 120 000 Exemplaren erreicht haben. Dieses Buch ist angenehm spannend, angenehm kitschig, gefühlig und unterhaltsam. Es ist der Inbegriff des Schmökers.

- Carsten Jensen: "Wir Ertrunkenen". Roman. Aus dem Dänischen übersetzt von Ulrich Sonnenberg. Knaus Verlag, München 2008. 784 S., geb., 24,95 [Euro]

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Den Inbegriff des Schmökers sieht Peter Urban-Halle in diesem Seefahrer-Abenteuerroman des dem Rezensenten eigentlich als ironischer Kommentator bekannten dänischen Autors Carsten Jensen. Was ist geschehen? Ganz einfach, meint Urban-Halle: Der Autor hatte Lust auf Publikumserfolg. Dass der ihm gelungen ist, dafür legt der Rezensent die Hand ins Feuer und macht gleich eine ganze Reihe dafür verantwortlicher, genretypischer Faktoren aus: Die Effektvolle wie rasante Inszenierung von Blut, Schweiß und Tränen etwa, die auf Spannung, Kitsch und Gefühl abzielende Aneinanderreihung von atemberaubenden Ereignissen, an exotischen Orten, Menschenfresser und anderer Seemannsgarn inklusive, und, nicht zuletzt, ein moralisch integrer Wir-Erzähler. Da werden Jungenträume wahr, meint der Rezensent, ohne allerdings das Gefühl der Antiquiertheit loszuwerden. Gewährsleute wie Melville, Stevenson, Conrad oder Frank Schätzing (!) hin oder her. Kein neuer Mythos, urteilt Urban-Halle, sondern das Paradebeispiel des kalkulierten Erfolgs. Ein hartes Urteil.

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»Dieser Roman hat Geschichte geschrieben - eine unglaubliche Erfolgsgeschichte!« ARD, Titel, Thesen, Temperamente