Erstmals komplett versammelt die Dichtungen von Ferdinand Hardekopf, wie sie in den drei Einzelveröffentlichungen Der Abend (1913), Lesestücke (1916) und Privatgedichte (1921) überliefert sind. Mit einem Porträt des expressionistischen Dichters und Übersetzers von Wilfired F. Schoeller.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.2004Fächelnder Ironiker
Eine neue Ausgabe der Dichtungen Ferdinand Hardekopfs
Er war - mit Else Lasker-Schüler und August Stramm - der älteste der expressionistischen Schriftsteller. Und er hat die meisten von ihnen überlebt, nur Benn, Becher und Wilhelm Klemm lebten länger - Ferdinand Hardekopf starb heute vor fünfzig Jahren in Zürich.
Am 15. Dezember 1876 im oldenburgischen Varel an der Jade geboren, studierte Hardekopf ein wenig in Leipzig und Berlin und arbeitete als Parlamentsstenograph. Seit 1899 lebte er wesentlich von Theater- und Literaturkritiken und Feuilletons. Was er schrieb, war scharf pointiert, antibürgerlich geprägt - und immer elegant formuliert; Tucholsky nannte seine Beiträge für die "Schaubühne" (die spätere "Weltbühne") anmutig und von "fächelnder Ironie".
Viele aus jener jungen Generation, die dem juste milieu der Kaiserzeit zu entrinnen suchte, aber noch erst als Boheme in den Cafés, Bars und Cabarets der Hauptstadt landete, bis sie sich dann, um 1910, mit sprachlichem Aus- und Aufbruch als Protestgeneration des Expressionismus etablierte, sahen in Hardekopf so etwas wie ihren Vorläufer. Obwohl Hardekopf als Kritiker oft mitten im Betrieb der Literaten und Künstler stand, gehörte er fast nie dazu: Er war ein Einzelgänger, hielt sich fern von den Cliquen und Gruppen. 1916 ging er wie so viele als Kriegsgegner in die Schweiz; war aber auch bei den Dadaisten nur Gast.
Sein literarisches Werk ist überaus schmal. Wilfried F. Schoeller hat es gerade auf 120 Seiten neu herausgegeben und Leben und Werk Hardekopfs mit einem schönen Essay erschlossen. 1913 entstand das dialogische Stückchen "Der Abend", etwas im Stile von Alfred Jarrys "Ubu Roi"; 1916 etwa Feuilletons und Gedichte in sehr konzentriert-expressionistischer Manier (in Franz Pfemferts "Aktions-Büchern der Aeternisten"). Und 1921 erschienen noch einmal eine Handvoll alte und an die zwanzig neue Gedichte - ihr Titel "Privatgedichte" signalisierte damals wohl Hardekopfs endgültigen Rückzug aus den expressionistischen Konvulsionen, die nach dem Ende des Krieges immer mehr in ideologische Lager links und rechts oder in die preiswerten O-Mensch-Gesänge ausliefen. Damals schrieb er, der für kurze Zeit aus Zürich nach Berlin zurückgekehrt war, seiner Freundin Olly Jacques: "Berlin wird mir immer unerträglicher, ich passe absolut nicht hierher." Deshalb ging er auch bald nach Frankreich. Dort hat er seit Ende der zwanziger Jahre über dreißig Bücher aus dem Französischen übersetzt: unter anderem Werke von André Gide, Jean Giono, Emile Zola, André Malraux, aber auch Maupassant, Baudelaire, Mérimée.
Als Hitler an die Macht kam, brach er jeden Kontakt zu innerdeutschen Publikationsorganen ab und schrieb hellsichtig, jedes Wort der Nationalsozialisten sei "Lüge und jede Handlung eine Vorbereitung zum Mord". Er arbeitete für Klaus Manns Exilzeitschrift "Die Sammlung", für das "Pariser Tageblatt" und für Schwarzschilds "Neues Tage-Buch". Als die Deutschen in Frankreich einmarschierten, wurde Hardekopf interniert; dabei gingen seine sämtlichen Manuskripte verloren. 1946 kehrte er zurück in die Schweiz, lebte weiterhin von Übersetzungen. Er resignierte - ein "zerfetzter, verhetzter, zersetzter Literat", wie er sich einmal nannte.
Heute muten seine knapp fünfzig Gedichte wie Konzentrate expressionistischer Dichtung an. Aber wie von außen geschrieben, intellektuell erkennend, was der expressive Stil dieser Zeit war, und ebenso intellektuell durchgeformt. Kein expressiver Urschrei brach da aus. Sondern Erkenntnis wurde vermittelt durch eine poetisch auf den poetischen Begriff gebrachte expressionistische Schreibart. Das erklärt auch die Schmalheit des Werks. Da mußte nichts wiederholt werden - das einmal Formulierte ist beispielhaft. Und liest sich doch etwas sekundär, eben nicht unmittelbar, und heute weniger als Dichtung denn als Dokument.
HEINZ LUDWIG ARNOLD
Ferdinand Hardekopf: "Wir Gespenster". Dichtungen. Herausgegeben von Wilfried F. Schoeller. Arche Verlag, Hamburg 2004. 157 S., geb., 16,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine neue Ausgabe der Dichtungen Ferdinand Hardekopfs
Er war - mit Else Lasker-Schüler und August Stramm - der älteste der expressionistischen Schriftsteller. Und er hat die meisten von ihnen überlebt, nur Benn, Becher und Wilhelm Klemm lebten länger - Ferdinand Hardekopf starb heute vor fünfzig Jahren in Zürich.
Am 15. Dezember 1876 im oldenburgischen Varel an der Jade geboren, studierte Hardekopf ein wenig in Leipzig und Berlin und arbeitete als Parlamentsstenograph. Seit 1899 lebte er wesentlich von Theater- und Literaturkritiken und Feuilletons. Was er schrieb, war scharf pointiert, antibürgerlich geprägt - und immer elegant formuliert; Tucholsky nannte seine Beiträge für die "Schaubühne" (die spätere "Weltbühne") anmutig und von "fächelnder Ironie".
Viele aus jener jungen Generation, die dem juste milieu der Kaiserzeit zu entrinnen suchte, aber noch erst als Boheme in den Cafés, Bars und Cabarets der Hauptstadt landete, bis sie sich dann, um 1910, mit sprachlichem Aus- und Aufbruch als Protestgeneration des Expressionismus etablierte, sahen in Hardekopf so etwas wie ihren Vorläufer. Obwohl Hardekopf als Kritiker oft mitten im Betrieb der Literaten und Künstler stand, gehörte er fast nie dazu: Er war ein Einzelgänger, hielt sich fern von den Cliquen und Gruppen. 1916 ging er wie so viele als Kriegsgegner in die Schweiz; war aber auch bei den Dadaisten nur Gast.
Sein literarisches Werk ist überaus schmal. Wilfried F. Schoeller hat es gerade auf 120 Seiten neu herausgegeben und Leben und Werk Hardekopfs mit einem schönen Essay erschlossen. 1913 entstand das dialogische Stückchen "Der Abend", etwas im Stile von Alfred Jarrys "Ubu Roi"; 1916 etwa Feuilletons und Gedichte in sehr konzentriert-expressionistischer Manier (in Franz Pfemferts "Aktions-Büchern der Aeternisten"). Und 1921 erschienen noch einmal eine Handvoll alte und an die zwanzig neue Gedichte - ihr Titel "Privatgedichte" signalisierte damals wohl Hardekopfs endgültigen Rückzug aus den expressionistischen Konvulsionen, die nach dem Ende des Krieges immer mehr in ideologische Lager links und rechts oder in die preiswerten O-Mensch-Gesänge ausliefen. Damals schrieb er, der für kurze Zeit aus Zürich nach Berlin zurückgekehrt war, seiner Freundin Olly Jacques: "Berlin wird mir immer unerträglicher, ich passe absolut nicht hierher." Deshalb ging er auch bald nach Frankreich. Dort hat er seit Ende der zwanziger Jahre über dreißig Bücher aus dem Französischen übersetzt: unter anderem Werke von André Gide, Jean Giono, Emile Zola, André Malraux, aber auch Maupassant, Baudelaire, Mérimée.
Als Hitler an die Macht kam, brach er jeden Kontakt zu innerdeutschen Publikationsorganen ab und schrieb hellsichtig, jedes Wort der Nationalsozialisten sei "Lüge und jede Handlung eine Vorbereitung zum Mord". Er arbeitete für Klaus Manns Exilzeitschrift "Die Sammlung", für das "Pariser Tageblatt" und für Schwarzschilds "Neues Tage-Buch". Als die Deutschen in Frankreich einmarschierten, wurde Hardekopf interniert; dabei gingen seine sämtlichen Manuskripte verloren. 1946 kehrte er zurück in die Schweiz, lebte weiterhin von Übersetzungen. Er resignierte - ein "zerfetzter, verhetzter, zersetzter Literat", wie er sich einmal nannte.
Heute muten seine knapp fünfzig Gedichte wie Konzentrate expressionistischer Dichtung an. Aber wie von außen geschrieben, intellektuell erkennend, was der expressive Stil dieser Zeit war, und ebenso intellektuell durchgeformt. Kein expressiver Urschrei brach da aus. Sondern Erkenntnis wurde vermittelt durch eine poetisch auf den poetischen Begriff gebrachte expressionistische Schreibart. Das erklärt auch die Schmalheit des Werks. Da mußte nichts wiederholt werden - das einmal Formulierte ist beispielhaft. Und liest sich doch etwas sekundär, eben nicht unmittelbar, und heute weniger als Dichtung denn als Dokument.
HEINZ LUDWIG ARNOLD
Ferdinand Hardekopf: "Wir Gespenster". Dichtungen. Herausgegeben von Wilfried F. Schoeller. Arche Verlag, Hamburg 2004. 157 S., geb., 16,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Heinz Ludwig Arnold stellt das neu aufgelegte schmale Oeuvre des ältesten expressionistischen Schriftstellers vor, der jedoch nie ganz dazugehört hat, sondern eher ein Einzelgänger war, wie Arnold erläutert. Ferdinand Hardekopf, Jahrgang 1876, ging 1899 nach Berlin unter die Feuilletonisten, wo er sich mit Literatur- und Theaterkritiken (u.a. für die "Schaubühne", die spätere "Weltbühne") durchschlug und sich um 1910 den Vorläufern des Expressionismus anschloss. Während des Ersten Weltkrieges verweigerte er den Kriegsdienst und zog in die Schweiz, Ende der 20er Jahre wiederum ließ er sich in Frankreich nieder, wo er als literarischer Übersetzer arbeitete, bis ihn die Nationalsozialisten inhaftierten. Hardekopfs literarisches Werk passt auf gerade mal 120 Seiten, berichtet Arnold, und stammt überwiegend aus den 10er und frühen 20er Jahren; kleine dialogische Stückchen und Gedichte, die Arnold heute wie ein Konzentrat expressionistischer Dichtung anmuten: expressionistisch geschrieben, aber intellektuell durchgeformt, so Arnold. Ein expressiver Urschrei werde bei Hardekopf nie laut, alles sei knapp, beispielhaft und "eben nicht unmittelbar", heute mehr Dokument als Dichtung, erklärt der Rezensent und verweist auf den lesenswerten Essay des Herausgebers Winfried Schoeller, der Leben und Werk von Hardekopf für diese Neuausgabe erschlossen hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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