Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 5,00 €
Produktdetails
  • Verlag: Arche Verlag
  • Seitenzahl: 115
  • Deutsch
  • Abmessung: 1mm x 1mm x 1mm
  • Gewicht: 131g
  • ISBN-13: 9783716023006
  • ISBN-10: 3716023000
  • Artikelnr.: 10197274
Autorenporträt
Michael Lüders, geboren 1959 in Bremen, Studium der arabischen Literatur in Damaskus, der Islamwissenschaft, Politologie und Publizistik in Berlin. Promotion über das ägyptische Kino. Langjähriger Nahost-Redakteur der ZEIT. Buchveröffentlichungen. Der Autor lebt in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.06.2002

Zukunftsangst
Michael Lüders untersucht die islamistische Gewalt
Als „Achse des Bösen” hatte US-Präsident George W. Bush den Irak, Iran und Nord-Korea Ende Januar bezeichnet und damit weltweiten Protest hervorgerufen. Selbst Mitgliedern der „Koalition gegen den Terror” ging das zu weit: Der französische Außenminister Hubert Vedrine bezichtigte Washington eines „simplen Zugangs zur Außenpolitik”, und die Russen warnten die USA vor einem militärischen Alleingang gegen den Irak. Joschka Fischer grenzte sich ebenfalls von der amerikanischen Kriegsrhetorik ab: Derartige Kategorisierungen, sagte er, führten nicht weiter.
Öffentliche Proteste können jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass wir auch nach Beendigung des Kalten Krieges in einer geteilten Welt leben. Seit den Terroranschlägen in den USA ist die Dichotomie von Böse und Gut, von Terrorist oder Anti-Terrorist deutlicher denn je zutage getreten. In der FAZ schrieb die indische Schriftstellerin Arundhati Roy, Osama Bin Laden sei der „brutale Zwilling” des amerikanischen Präsidenten – beide seien in politische Verbrechen verstrickt, beriefen sich auf Gott und griffen auf die Erlösungsrhetorik von Gut und Böse zurück.
Ähnlich argumentiert der Islamwissenschaftler und Publizist Michael Lüders: Es seien einerseits die islamischen Fundamentalisten, andererseits die Anhänger von Samuel Huntingtons These eines Kampfes der Kulturen, die behaupteten, der Islamismus sei mit dem Islam identisch: „Was den berechtigten Verdacht nahe legt, dass Huntington und die Seinen den Taliban innerlich näher stehen als gemeinhin wahrgenommen.” Man müsse zur Kenntnis nehmen, dass „unsere Wahrnehmung des Nahostkonflikts – hier das friedliebende Israel, dort der palästinensische Terror – von einem Drittel der Menschheit nicht geteilt wird.”
Modell für sozial Deklassierte
Diese andere Wahrnehmung stellt Lüders dar und geht den Ursachen der Gewalt im Islam auf den Grund. Mit seinem Buch, einer Mischung aus Analyse, Basisinformation und Erlebnisbericht auf einer Reise quer durch den Nahen und Mittleren Osten, will er einen Beitrag zur Versachlichung leisten. Gleichwohl macht er aus seiner Kritik an der Nahostpolitik der USA und Europas kein Hehl. Hat die Zeit sich deshalb kürzlich von Lüders, ihrem jahrelangen Nahost-Redakteur getrennt? Der „islamische Fundamentalismus”, sagt Lüders, sei eine späte Sonderentwicklung der islamischen Religion, „der es um die Erringung von Macht und ihre Ausübung auf der Grundlage des islamischen Gesetzes geht. Religiöse Glaubensinhalte werden dabei politisch instrumentalisiert und massenwirksam eingesetzt.”
Lüders unterscheidet zwischen der islamischen Orthodoxie, dem Volksislam und dem traditionalistischen Islam, der seit dem 7. Jahrhundert vorherrscht und heute von 1,3 Milliarden Muslimen gelebt wird. Die gewalttätige Form des Islam bezeichnet er als Dschihad-Islam, welcher von den Fanatikern betrieben wird, die gegen den Westen ins Feld ziehen – oft geduldet von jenen Regierungen, die dadurch ihre mangelnde politische Legitimation vertuschen wollen. Der radikale Islam ist „ein Krisensymptom, identitätsstiftendes Modell vor allem für sozial Deklassierte.”
Anders als der regional begrenzte traditionalistische Islam ist der Dschihad-Islam „gewissermaßen eine islamistische Internationale”. Seine Ursprünge liegen zum einen in Saudi-Arabien, das den „ideologischen Überbau” liefert, sowie in Pakistan.
Im ölreichen Königreich ist die Gesellschaft vom Spagat zwischen High Tech und Feudalsystem überfordert. In Pakistan lebt über die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Von hier aus wurde der Kampf gegen die sowjetischen Besatzer in Afghanistan organisiert, mitfinanziert von der CIA. Als die Taliban dort schließlich die Macht übernahmen, waren sie anfangs weder anti-amerikanisch noch anti-westlich. Das wurden sie erst, als der damalige US- Präsident Bill Clinton 1998 Ausbildungslager des Saudi Osama Bin Laden in Afghanistan zerstören ließ, um die Anschläge auf die amerikanischen Botschaften in Kenia und Tansania zu rächen.
In der Dschihad-Falle
„Es war ein aus der Lewinsky-Affäre geborener Aktionismus, der dem Dschihad-Islam den ,Ritterschlag‘ verlieh.” Denn hätten die Amerikaner den Taliban seinerzeit stattdessen ein Geschäft angeboten, hätten diese vermutlich eingewilligt, Bin Laden auszuliefern, meint Lüders. Durch den Militärschlag aber waren beidseitig die Fronten geklärt. Bin Laden hatte „freie Hand, den 11. September 2001 vorzubereiten.” Die US-Regierung sei mit ihrer am 7. Oktober 2001 begonnenen Militäraktion in Afghanistan „leichtfertig in die Dschihad- Falle gelaufen, die Bin Laden ihnen gestellt hat”, so Lüders. Der US-Feldzug dürfte zu einer weiteren Destabilisierung beitragen und „somit auf lange Sicht die politischen Rahmenbedingungen für den Terrorismus noch verbessern.”
Lüders befürchtet Anarchie und Chaos in Afghanistan – erste Anzeichen davon sind bereits zu erkennen. Es könne nicht Aufgabe der Amerikaner sein, Regime zu stürzen, denn letztlich müssten die islamischen Gesellschaften mit dem Extremismus in ihrer Mitte selber fertig werden. Entscheidend sei ein Dialog mit der islamischen Welt, insbesondere mit den Vertretern der Zivilgesellschaft, die in ihren Demokratiebestrebungen intensiver unterstützt werden müssten. Das vorherrschende Gefühl von Ohnmacht und Minderwertigkeit lasse den Gemäßigten und Säkularen „wenig Spielraum für Kritik an islamistischer Gewalt.”
Die größte Herausforderung sieht Lüders im Umdenken, in dem Versuch, die arabisch-islamische Welt nicht mehr als „strategische Verfügungsmasse” zu behandeln. Nicht nur der Terrorismus bedrohe die offene Gesellschaft und das Freiheitsangebot des Westens, auch „unsere Selbstgefälligkeit, die Attitüde des Siegers.”
ALEXANDRASENFFT
MICHAEL LÜDERS: Wir hungern nach dem Tode: Woher kommt die Gewalt im Dschihad-Islam? Arche Verlag, Zürich / Hamburg 2001. 120 Seiten, 10 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

So einfach, wie George Bush in seiner Rhetorik Schwaz-Weiß-Schemata über Gut und Böse aufmacht, sind politische, soziale und religiöse Strukturen nicht zu reduzieren, schreibt Alexandra Senfft und bekundet damit ihre Zustimmung für die Grundannahmen des Islam-Wissenschaftlers und Ex-Zeit-Redakteurs Michael Lüders. Der gehe in seinem Buch sehr kritisch mit dem Westen ins Gericht und argumentiere ähnlich wie die indische Schriftstellerin Arundhati Roy, die nach dem 11. September in der FAZ Osama Bin Laden als "brutalen Zwilling" Bushs bezeichnet hatte, erinnert sich die Rezensentin. "Dschihad-Islam", wie der Autor den radikalen Fundamentalismus nenne, sei ein recht neues Phänomen, das der Westen selbst mit hervorgebracht habe. Lüders "Mischung aus Analyse, Basisinformation und Erlebnisbericht" findet Senfft ganz überzeugend und fragt sich, ob die Kritik des Autors an der Politik der Industriestaaten nicht ein Grund für das Ende des Arbeitsverhältnisses mit der "Zeit" gewesen sein könnte.

© Perlentaucher Medien GmbH