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Es ist eine Welt für sich: das Collegium Gregorianum Kahlenbeck, ein streng katholisches Jungeninternat irgendwo am Niederrhein. Hier wächst der knapp 15-jährige Carl Pacher Anfang der achtziger Jahre heran. Kahlenbeck, das ist eine spartanische Welt voller Regeln und Verbote, durchdrungen von elitärem Geist, Askese und Weltverachtung. Gleichwohl gärt unter der Oberfläche der Geist pubertärer Rebellion und herrscht unter den Jugendlichen eine gnadenlose Hackordnung, in der schwächere Schüler und Außenseiter ungeniert gedemütigt, schikaniert und ausgegrenzt werden.
Von den inneren
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Produktbeschreibung
Es ist eine Welt für sich: das Collegium Gregorianum Kahlenbeck, ein streng katholisches Jungeninternat irgendwo am Niederrhein. Hier wächst der knapp 15-jährige Carl Pacher Anfang der achtziger Jahre heran. Kahlenbeck, das ist eine spartanische Welt voller Regeln und Verbote, durchdrungen von elitärem Geist, Askese und Weltverachtung. Gleichwohl gärt unter der Oberfläche der Geist pubertärer Rebellion und herrscht unter den Jugendlichen eine gnadenlose Hackordnung, in der schwächere Schüler und Außenseiter ungeniert gedemütigt, schikaniert und ausgegrenzt werden.

Von den inneren Widersprüchen des Collegiums ist Carl Pacher tief geprägt. Denn einerseits ringt der schwärmerische und manchmal bestürzend naive Junge um Selbstüberwindung und den rechten Glauben. Aber zugleich kann er sich gegen frühreife erotische Phantasien ebenso wenig wehren wie gegen die Sehnsucht nach der unbedingten Liebe. Lange verehrt er so heimlich das Küchenmädchen Ursula, das für ihn unerreichbar scheint, nicht zuletzt, weil es um einiges älter ist als er. Doch dann wird sein stilles Werben wie durch ein Wunder erhört. Dabei hat die Verbindung zu Ursula kaum eine Chance auf Dauer, aber das will Carl lange Zeit einfach nicht wahrhaben ...

Sowohl tiefgründig als auch aberwitzig und komisch, ist »Kahlenbeck« ein Pubertäts- und Internatsroman, wie man ihn lange nicht gelesen hat: ein beeindruckender Roman über Religion und Spiritualität, über Freundschaft und Rivalität, über das Fegefeuer der Pubertät und die Fallgruben der Liebe. Wie Christoph Peters diese Themen und Motive miteinander verknüpft, das ist höchste erzählerische Kunst.
Autorenporträt
Christoph Peters wurde 1966 in Kalkar geboren. Er ist Autor zahlreicher Romane und Erzählungsbände und wurde für seine Bücher vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Wolfgang-Koeppen-Preis (2018), dem Thomas-Valentin-Literaturpreis der Stadt Lippstadt (2021) sowie dem Niederrheinischen Literaturpreis (1999 und 2022). Christoph Peters lebt heute in Berlin. Zuletzt erschienen von ihm bei Luchterhand die ersten beiden Teile einer an Wolfgang Koeppen angelehnten Trilogie: "Der Sandkasten" (2022) und "Krähen im Park" (2023).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Rezensent Jörg Aufenanger hat sich mit großem Interesse von Christoph Peters in die abgeschottete Welt des katholischen Internats Kahlenbeck führen, in dem Jugendliche weniger den ewigen Kampf um erwachende Lust, Liebe und Todessehnsucht führen, als vielmehr den gegen Sünde, Zweifel und andere Verlockungen des Teufels". Aufenanger betont, dass Peters diese Welt der "religiösen Quarantäne" nicht kritische oder gar anklagend beschreibt, sondern "mit Sympathie und Verständnis". Und auch wenn vielen Lesern dieser ungebrochene Katholizismus etwas fremd sein dürfte, ist Aufenanger überzeugt, dass er sich von der Fähigkeit des Autors, anschaulich zu erzählen, mitreißen lassen wird.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2012

Die absolute Reinheit des Küchenmädchens

Das Schlimmste im Leben ist die Pubertät: Der Held in Christoph Peters' Internatsroman "Wir in Kahlenbeck" muss mit dem Teufel ringen.

Von Martin Halter

Der Internatsroman gilt spätestens seit Musils "Törless" und Hesses "Unterm Rad" als erledigtes Genre. Nicht so im Collegium Augustinianum in Gaesdonck bei Goch: Nach Paul Ingendaay ("Warum du mich verlassen hast") hat jetzt auch Christoph Peters einen Roman über seine Jahre im Augustinianum geschrieben; fehlen eigentlich nur noch die Mitschüler Gregor Hens und Marcus Ingendaay.

"Wir in Kahlenbeck" ist freilich kein klassischer Internatsroman. Wo die Zöglinge sonst gern mit alter Wut oder dem ironischen Augenzwinkern des Davongekommenen von frühem Leid und sexuellen Verwirrungen durch übergriffige Ordensbrüder, heimliche Selbstbefleckung und erste Liebe erzählen, präsentiert sich der Untertertianer Carl Pacher als verzweifelt glaubender Musterschüler. Natürlich kennt auch er Scham, Selbstzerknirschung und die Sehnsucht nach den verbotenen Früchten des Paradieses. Die strenge Klosterzucht von Kahlenberg verbietet Fernsehen, frevelhafte Bücher, Mädchen und holländische Pommes, und Präses Dr. Roghmann sagt auch, warum: "Das Leben ist ein Wettkampf mit dem Teufel. Wer gewinnt, bleibt bis zuletzt offen, aber wenn der Mensch nicht sein gesamtes Vermögen in die Waagschale wirft, hat er schon verloren."

Carl leidet unter Bigotterie, Verboten und dem Fraß aus der Schulkantine, aber er fühlt sich nie als gefesselter Prometheus oder Opfer äußerer Mächte. Er ist ja kein gedankenloser, oberflächlicher Onanist, sondern ein ernsthafter (und gerade darum tragikomischer) junger Mann, der verzweifelt mit seinen Dämonen ringt: "Er hat es nicht geschafft, dem Ruf des Herrn zu folgen, sich der Gnade zu öffnen. Zu schwach, der Glaube - keine Liebe. Statt dessen Gier nach Besitz, Macht, Lust mit Frauen, Lust an Grausamkeit." Carl geißelt sich mit dem Gürtel, betet Rosenkränze zur Jungfrau von Marienborn und sucht in seinem Aquarium die Geheimnisse der Schöpfung; aber er fühlt sich dennoch verworfen, nichtswürdig, durch und durch böse.

Die Ereignisse spielen Anfang der achtziger Jahre, aber die Zeit scheint in Kahlenbeck stehengeblieben zu sein. Wer heitere Coming-of-Age-Dramen, schneidige Attacken gegen Gott und Kirche erwartet, kommt bei Peters kaum auf seine Kosten. Die beiden Motti umreißen das weite Feld, zwischen denen er Himmel und Hölle aufspannt. Das eine stammt von Helge Schneider ("Das Schlimmste im Leben ist die Pubertät"), das andere aus den "Apopthegmata Patrum," einer Spruchsammlung ägyptischer Wüstenheiliger aus dem fünften Jahrhundert: "Wenn du einen Jüngling siehst, der mit seinem Eigenwillen zum Himmel hinaufsteigt, dann halte seinen Fuß und ziehe ihn auf die Erde, denn das andere nützt nichts." Carl wird von seiner unzeitgemäßen Glaubensinbrunst hinauf und von seinem "Gottesraub" hinabgezogen, von seiner Liebe zu Ulla selig gemacht und zerschmettert. Eigentlich ist ein "dickliches Küchenmädchen mit schlechtem Geschmack", das Dallas liebt und sich Gitarre spielenden Hippies an den Hals wirft, unter seiner Würde. Aber Ulla ist anders, vor allem, wenn man keusch und aufrichtig liebt und unter ihren Glaubens- und Bildungslücken das "innere Leuchten" und die "absolute Reinheit" sieht. "Jede Liebe zwischen zwei Menschen", glaubt Carl, "hat ihren Ursprung in Gott."

Seine Mitschüler mögen den Präses für einen Schwätzer und Tyrannen halten: für Carl ist Roghmann ein "heiligmäßiger Mann", dessen Absturz in den Schweizer Bergen ihn erschüttert. Carls Freunde haben nur Fußball, Frank Zappa und den Kondomautomaten im Bahnhof im Kopf: Er wird von Liszts Mephisto-Walzer in tiefster Seele getroffen und hält sich schon für verflucht, weil er für eine Nacht mit Ulla seine Seele verkaufen würde; nicht einmal dem liberalen Spirtual Lenders kann er seine Sünde wider den Heiligen Geist beichten. Das "tägliche Scheitern an Jesu Geboten" macht Carl unglücklicher und einsamer als alle Hormonwallungen, schlechten Noten oder Fummeleien von Präfekt Wiepers.

Carls Freunde verstärken seine Schuldgefühle. Kuffel ist ein guter Mensch, klug, sensibel und glaubensstark, aber er kann seine Homosexualität, die "unmögliche Möglichkeit", kaum beherrschen. Holzkamp ist ein radikalkatholischer Zyniker, der mit dialektischen Spitzfindigkeiten Carls Tugend- und Fischfimmel verhöhnt, die Evolutionstheorie als Gotteslästerung und Carls Liebe zu Ulla als "Perversion unseres transzendentalen Verlangens nach dem Absoluten" verdammt. So wird Carl von seinen Lehrmeistern in die Zange genommen wie einst Hans Castop im "Zauberberg" von dem sanften Humanisten Settembrini und dem jesuitischen Terroristen Naphta, bis er sich vor sich selbst ekelt: "Er schämt sich seiner Liebe zum Herrn. Er würde Ihn ohne Not verleugnen. Es gibt bloß keine Seitentür, durch die er sich hinausstehlen könnte." Peters hat sich schon in Gaesdonck mit christlicher Mystik, Schamanismus, Zenbuddhismus und Sufismus befasst, und dieses Interesse an religiösen Fragen spürte man in all seinen Romanen; selbst in der heiteren Liebesgeschichte "Mitsukos Restaurant" (2009) geriet eine japanische Teezeremonie zum erotisch-spirituellen Ereignis. Die langen theologisch-philosophischen Debatten in Kahlenbeck über Gott und Teufel, Darwin und den Heiden Goethe sind vielleicht nicht jedermanns Sache. Carl lässt sich noch auf die verstiegensten Argumente des mephistophelischen Holzkamp und seiner Gönnerin, Gräfin Warnstorf, ein. Er klettert mit dem Präses zum Ruhme Gottes auf die Berge und stürzt in die Niederungen der Pubertät, im Hinterkopf immer ein Bibelzitat, ein Kirchenlied, eine religiöse Allegorie. Weder Lehrer, Freund noch Ulla ziehen den aufwärtsstrebenden Jüngling auf die Erde zurück, und so bleibt er wie Jakob auf der Leiter allein mit seinen eingebildeten und wirklichen Sünden.

Christoph Peters' Roman "Wir in Kahlenbeck" ist ein großartig erzählter, weltfrommer, um nicht zu sagen: heiligmäßiger Internatsroman.

Christoph Peters: "Wir in Kahlenbeck". Roman.

Luchterhand Verlag, München 2012. 506 S., geb., 23,- [Euro].

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"Einer der beeindruckendsten deutschsprachigen Romane der vergangenen Jahre - philosophisch durchgearbeitet, mitreißend erzählt." Christoph Schröder / KulturSPIEGEL