Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Sehr untypisch fürs Genre "Autobiografie" wollen dem Rezensenten Andreas Bernard die im Alter von mehr als 90 Jahren verfassten Memoiren des als Musil-Herausgeber berühmt gewordenen, freilich auch als Romanautor tätigen Adolf Frise vorkommen. Nichts werde hier abgerundet und im Nachhinein in epische Zusammenhänge geglättet. Präsent wird vielmehr die Mühe des Erinnerns - und so präsent wie das Erinnern ist sein Gegenstück: das Vergessen. An seine Mitschüler etwa erinnert sich Frise kein bisschen. Dazu kommen Brechungen im Textmaterial selbst, wenn der Autor etwa frühe Notizen und Tagebuchaufzeichnungen zitiert und sogar die später noch einmal notierten Begegnungen mit Notiertem. Im Zentrum der Erinnerungen stehen nicht die Beschäftigung mit Musil, sondern Frises Leben als Journalist und Autor, die Begegnungen mit Menschen (einmal nur mit "Dr. Musil"). Das alles überwiegend im Protokollstil, der jedoch, so Bernard, immer wieder heftige Kontrastwirkungen zum dramatischen Geschehen hervorbringt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.01.2004Mann mit Möglichkeitssinn
Zupackende Diskretion: Die Erinnerungen von Adolf Frisé
Herbst 1923. Im Rheinland kämpfen die Separatisten für die "Rheinische Republik": Unruhen, Aufmärsche, Straßenschlachten. Am Ende kommt es sogar zu Lynchjustiz. "Nichts vergessen", ermahnt sich Adolf Frisé. Er ist dreizehn Jahre alt: "Ich hatte es mir schon einmal, schon mehrere Male, vorgenommen. Festhalten, was, wenn ich nicht zupacke, nicht wirklich geschehen ist, es läuft mir davon."
Was sich Adolf Frisé vor achtzig Jahren vornahm, hat jetzt noch einmal späte Früchte getragen: Acht Monate nach dem Tod des Musil-Herausgebers im Mai letzten Jahres sind nun Frisés Erinnerungen herausgekommen, die beeindruckenden Skizzen eines reichen Lebens, der Form nach fragmentarisch wie der Roman, der Frisé sein Leben lang begleitet hat, uneitel im Ton, eindringlich in der Beschreibung.
Frisés Lebensthema, das Werk Robert Musils und vor allem die Edition des "Mann ohne Eigenschaften", spielen dabei erstaunlicherweise nicht einmal eine besonders große Rolle. Die erste Begegnung mit Musil wird ebenso knapp beschrieben wie ein späteres Treffen. Noch im Treppenhaus, auf dem Weg zu Musils Wohnung, gesteht sich der junge Journalist ein, daß er nicht weiß, was er den bis dahin aus der Ferne bewunderten Dichter fragen könnte. Monatelang hatte Musil da schon in Berlin gelebt, ganz in der Nähe des legendären Lokals "Mampe", in dem damals, in den letzten Wochen der Weimarer Republik, ein anderer großer Schriftsteller residierte. Joseph Roth hatte dort einen Tisch für sich und seinen Kreis, dem auch der junge Adolf Frisé angehörte. Nun, am am 27. Januar 1933, sollte die erste Begegnung stattfinden: "9h abends zu Dr. Musil". Die Adresse: Kürfürstendamm 217, Ecke Fasanenstraße, Pension Stern. "Es war absurd. Keine fünfhundert Meter Luftlinie diagonal gegenüber Joseph Roths Mampe, niemand dort in der Runde schien etwas von dem großen Kollegen auf der anderen Seite unseres Boulevards zu wissen. Ich konnte ihm da schon mal begegnet sein, es war durchaus möglich, wir waren wildfremd aneinander vorbeigegangen."
Viel ist über diese erste Begegnung nicht zu erfahren, denn Frisé hatte sich keine Notizen gemacht, sondern fest daran geglaubt, ihm würde jedes einzelne Wort des gut einstündigen Gesprächs auf lange Zeit im Gedächtnis bleiben. Das Zufällige der Begegnung und die Flüchtigkeit der Erinnerung daran sind charakteristisch für jene Jahre, in denen Frisé versucht, in den Zeitungskreisen der Hauptstadt Fuß zu fassen. Er schreibt für verschiedene Blätter, die Türen öffnen sich ihm, er lernt Chefredakteure und Verleger kennen, wird beachtet. Es ist eine kurze rauschhafte Phase, auf die jedoch schon der Schatten Hitlers fällt.
Noch in Heidelberg, wo er auf Vermittlung von Richard Alewyn bei Friedrich Gundolf studiert hatte, war der Zeitenwechsel zu spüren gewesen. Der junge Mann vom Niederrhein erlebte einen "Bücherrausch", wollte gleich bei zwei oder drei Fakultäten promoviert werden, hörte bei dem Kunsthistoriker August Grisebach und bei Karl Jaspers, wo Golo Mann und die Fürstin Lichnowsky in der ersten Reihe sitzen. Im Juni 1932 kommt es zu einer schrecklichen Szene im Altbau der Universität. Frisé kommt von der Mensa und sieht einen Pulk von zwanzig, dreißig Studenten, Gedrängel, Tumult. Golo Mann und seine Freunde werden umzingelt, Stockhiebe fallen, Golo Mann blutet aus einer Kopfwunde, bis Reinhold Cassirer die Umzingelung aufbricht und den Freund herausboxt. Frisé drückte sich "mit dem Rücken gegen die Wand gleich rechts beim Eingang, wie gelähmt". Daß der Überfall inszeniert und abgesprochen war, daran hat er keinen Zweifel.
Die Kindheitserinnerungen, mit denen das Buch beginnt, traumartig, impressionistisch, bilden die stilistisch schönsten Passagen des Buches, am beeindruckendsten aber sind die Schilderungen aus der Spätzeit der Weimarer Republik und aus den Anfängen des Nazi-Regimes. Wie die Publikationsmöglichkeiten abnehmen und das Mißtrauen wächst, wie vor kurzem noch angesehene Kritiker mit einem Mal durch die Straßen schleichen, mit buchstäblich eingezogenem Kopf und krummem Rücken, wie eine Freundin plötzlich mit dem Parteiabzeichen auftritt oder als Schriftleiterin in einer SA-Postille Artikel verantwortet, die Robert Musil und folglich auch Frisés Engagement für diesen Schriftsteller entschieden attackieren, all das wird in kurzen, rasch aufeinanderfolgenden Skizzen geschildert. Immer wieder taucht dabei der Schriftsteller Otto Rahn auf, ein enger Freund Frisés, der sich mit einem Stück über die Katharer einen Namen gemacht hatte, Protektion in der Partei fand und genoß und eines Tages in der schwarzen SS-Uniform vor den Freunden steht. Rahn wird zerrieben. Er muß Spitzeldienste leisten, soll Freunde verraten und zerbricht endgültig, nachdem er auf Geheiß seiner Vorgesetzten ein Konzentrationslager besuchen mußte. Er stirbt bei einem Bergunfall. Ein von der Partei befohlenes Ende? Ein Selbstmord?
Frisé kann die Distanz zum Regime wahren. Als er einen kritischen Artikel über seine niederrheinische Heimat veröffentlicht, droht Gefahr. Der Satz "Ein Gebiet ohne Mark und Rückgrat", gemünzt auf die Gegend um Viersen, Neuss und Rheydt, ruft den aus Rheydt stammenden Goebbels auf den Plan. Der Propagandaminister will wissen, wer sich hinter dem Autorenkürzel verbirgt. Der Chefredakteur verweigert die Auskunft, Frisé bittet um Nennung seines Namens, wohl vor allem, um den Chef zu schützen. Der aber bleibt Goebbels gegenüber hart: "Er blieb bei seinem Nein. Wir hörten nichts mehr."
Als Frisé zur Wehrmacht einberufen wird, ist der Feuilletonist, der sich ganz der Literatur und der Arbeit in ihrem Dienst verschrieben hat, nicht mehr frei. Die Bindungsängste hat er wohl erst viel später überwunden, aber die Beziehung zu der mit einem holländischen Unternehmer verheirateten Eva wird zur ersten Konstante in seinem Privatleben. Allerdings sind die Umstände denkbar schwierig, Eva ist krank und überdies labil. Erst in den Nachkriegsjahren gelingt es dem Paar, zumindest eine Weile glücklich beisammen zu sein.
Die Sorge um die "Ärmste", wie er Eva nennt, durchzieht auch die Kriegszeit. Frisé verzichtet auf alle Frontberichte, vermeidet alle Wehrmachts- und Kameradschaftsklischees und wird nur einmal ausführlich in der Schilderung seiner Kriegserlebnisse. Die Beschreibung einer Massenerschießung russischer Zivilisten durch lettische Soldaten, Angehörige der SS und Männer in Polizeiuniformen hat sich dem zufälligen Beobachter unauslöschlich eingeprägt, bis ins Detail, bis hin zum Mienenspiel und der Körperhaltung eines lettischen Leutnants, der darüber wacht, daß kein Opfer womöglich nur leicht verwundet zwischen den Toten liegt.
Es war ein Zufall, der den Soldaten Frisé zum Zeugen dieses Kriegsverbrechens machte. Der Blick für das Zufällige im Leben, für die zuweilen absurde Koinzidenz der Ereignisse, der Glaube an die Lückenhaftigkeit des Daseins und an den Musilschen Möglichkeitssinn - all dies hat Adolf Frisé nie verloren. Es prägt seine Erinnerungsskizzen, die von einer ganz eigenen Lakonie und Zurückhaltung sind. Als er im Fragebogen dieser Zeitung vor gut zehn Jahren nach den Eigenschaften gefragt wurde, die er bei einem Mann am meisten schätze, lautete die Antwort: "Aufrichtigkeit, Selbstkontrolle, Verzicht auf eitle Selbstdarstellung". Nach der Lektüre dieses Buches möchte man eine Eigenschaft hinzufügen: Diskretion. Sie gilt den Freunden, mehr noch den Frauen. Aber man darf vermuten, daß Adolf Frisé den 45 Jahren, die er mit seiner Frau Maria verbracht hat, gerne mehr Platz eingeräumt hätte, wäre ihm die Zeit dazu geblieben.
Adolf Frisé: "Wir leben immer mehrere Leben." Erinnerungen. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2004. 256 S., geb., 19,90 [Euro].
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Zupackende Diskretion: Die Erinnerungen von Adolf Frisé
Herbst 1923. Im Rheinland kämpfen die Separatisten für die "Rheinische Republik": Unruhen, Aufmärsche, Straßenschlachten. Am Ende kommt es sogar zu Lynchjustiz. "Nichts vergessen", ermahnt sich Adolf Frisé. Er ist dreizehn Jahre alt: "Ich hatte es mir schon einmal, schon mehrere Male, vorgenommen. Festhalten, was, wenn ich nicht zupacke, nicht wirklich geschehen ist, es läuft mir davon."
Was sich Adolf Frisé vor achtzig Jahren vornahm, hat jetzt noch einmal späte Früchte getragen: Acht Monate nach dem Tod des Musil-Herausgebers im Mai letzten Jahres sind nun Frisés Erinnerungen herausgekommen, die beeindruckenden Skizzen eines reichen Lebens, der Form nach fragmentarisch wie der Roman, der Frisé sein Leben lang begleitet hat, uneitel im Ton, eindringlich in der Beschreibung.
Frisés Lebensthema, das Werk Robert Musils und vor allem die Edition des "Mann ohne Eigenschaften", spielen dabei erstaunlicherweise nicht einmal eine besonders große Rolle. Die erste Begegnung mit Musil wird ebenso knapp beschrieben wie ein späteres Treffen. Noch im Treppenhaus, auf dem Weg zu Musils Wohnung, gesteht sich der junge Journalist ein, daß er nicht weiß, was er den bis dahin aus der Ferne bewunderten Dichter fragen könnte. Monatelang hatte Musil da schon in Berlin gelebt, ganz in der Nähe des legendären Lokals "Mampe", in dem damals, in den letzten Wochen der Weimarer Republik, ein anderer großer Schriftsteller residierte. Joseph Roth hatte dort einen Tisch für sich und seinen Kreis, dem auch der junge Adolf Frisé angehörte. Nun, am am 27. Januar 1933, sollte die erste Begegnung stattfinden: "9h abends zu Dr. Musil". Die Adresse: Kürfürstendamm 217, Ecke Fasanenstraße, Pension Stern. "Es war absurd. Keine fünfhundert Meter Luftlinie diagonal gegenüber Joseph Roths Mampe, niemand dort in der Runde schien etwas von dem großen Kollegen auf der anderen Seite unseres Boulevards zu wissen. Ich konnte ihm da schon mal begegnet sein, es war durchaus möglich, wir waren wildfremd aneinander vorbeigegangen."
Viel ist über diese erste Begegnung nicht zu erfahren, denn Frisé hatte sich keine Notizen gemacht, sondern fest daran geglaubt, ihm würde jedes einzelne Wort des gut einstündigen Gesprächs auf lange Zeit im Gedächtnis bleiben. Das Zufällige der Begegnung und die Flüchtigkeit der Erinnerung daran sind charakteristisch für jene Jahre, in denen Frisé versucht, in den Zeitungskreisen der Hauptstadt Fuß zu fassen. Er schreibt für verschiedene Blätter, die Türen öffnen sich ihm, er lernt Chefredakteure und Verleger kennen, wird beachtet. Es ist eine kurze rauschhafte Phase, auf die jedoch schon der Schatten Hitlers fällt.
Noch in Heidelberg, wo er auf Vermittlung von Richard Alewyn bei Friedrich Gundolf studiert hatte, war der Zeitenwechsel zu spüren gewesen. Der junge Mann vom Niederrhein erlebte einen "Bücherrausch", wollte gleich bei zwei oder drei Fakultäten promoviert werden, hörte bei dem Kunsthistoriker August Grisebach und bei Karl Jaspers, wo Golo Mann und die Fürstin Lichnowsky in der ersten Reihe sitzen. Im Juni 1932 kommt es zu einer schrecklichen Szene im Altbau der Universität. Frisé kommt von der Mensa und sieht einen Pulk von zwanzig, dreißig Studenten, Gedrängel, Tumult. Golo Mann und seine Freunde werden umzingelt, Stockhiebe fallen, Golo Mann blutet aus einer Kopfwunde, bis Reinhold Cassirer die Umzingelung aufbricht und den Freund herausboxt. Frisé drückte sich "mit dem Rücken gegen die Wand gleich rechts beim Eingang, wie gelähmt". Daß der Überfall inszeniert und abgesprochen war, daran hat er keinen Zweifel.
Die Kindheitserinnerungen, mit denen das Buch beginnt, traumartig, impressionistisch, bilden die stilistisch schönsten Passagen des Buches, am beeindruckendsten aber sind die Schilderungen aus der Spätzeit der Weimarer Republik und aus den Anfängen des Nazi-Regimes. Wie die Publikationsmöglichkeiten abnehmen und das Mißtrauen wächst, wie vor kurzem noch angesehene Kritiker mit einem Mal durch die Straßen schleichen, mit buchstäblich eingezogenem Kopf und krummem Rücken, wie eine Freundin plötzlich mit dem Parteiabzeichen auftritt oder als Schriftleiterin in einer SA-Postille Artikel verantwortet, die Robert Musil und folglich auch Frisés Engagement für diesen Schriftsteller entschieden attackieren, all das wird in kurzen, rasch aufeinanderfolgenden Skizzen geschildert. Immer wieder taucht dabei der Schriftsteller Otto Rahn auf, ein enger Freund Frisés, der sich mit einem Stück über die Katharer einen Namen gemacht hatte, Protektion in der Partei fand und genoß und eines Tages in der schwarzen SS-Uniform vor den Freunden steht. Rahn wird zerrieben. Er muß Spitzeldienste leisten, soll Freunde verraten und zerbricht endgültig, nachdem er auf Geheiß seiner Vorgesetzten ein Konzentrationslager besuchen mußte. Er stirbt bei einem Bergunfall. Ein von der Partei befohlenes Ende? Ein Selbstmord?
Frisé kann die Distanz zum Regime wahren. Als er einen kritischen Artikel über seine niederrheinische Heimat veröffentlicht, droht Gefahr. Der Satz "Ein Gebiet ohne Mark und Rückgrat", gemünzt auf die Gegend um Viersen, Neuss und Rheydt, ruft den aus Rheydt stammenden Goebbels auf den Plan. Der Propagandaminister will wissen, wer sich hinter dem Autorenkürzel verbirgt. Der Chefredakteur verweigert die Auskunft, Frisé bittet um Nennung seines Namens, wohl vor allem, um den Chef zu schützen. Der aber bleibt Goebbels gegenüber hart: "Er blieb bei seinem Nein. Wir hörten nichts mehr."
Als Frisé zur Wehrmacht einberufen wird, ist der Feuilletonist, der sich ganz der Literatur und der Arbeit in ihrem Dienst verschrieben hat, nicht mehr frei. Die Bindungsängste hat er wohl erst viel später überwunden, aber die Beziehung zu der mit einem holländischen Unternehmer verheirateten Eva wird zur ersten Konstante in seinem Privatleben. Allerdings sind die Umstände denkbar schwierig, Eva ist krank und überdies labil. Erst in den Nachkriegsjahren gelingt es dem Paar, zumindest eine Weile glücklich beisammen zu sein.
Die Sorge um die "Ärmste", wie er Eva nennt, durchzieht auch die Kriegszeit. Frisé verzichtet auf alle Frontberichte, vermeidet alle Wehrmachts- und Kameradschaftsklischees und wird nur einmal ausführlich in der Schilderung seiner Kriegserlebnisse. Die Beschreibung einer Massenerschießung russischer Zivilisten durch lettische Soldaten, Angehörige der SS und Männer in Polizeiuniformen hat sich dem zufälligen Beobachter unauslöschlich eingeprägt, bis ins Detail, bis hin zum Mienenspiel und der Körperhaltung eines lettischen Leutnants, der darüber wacht, daß kein Opfer womöglich nur leicht verwundet zwischen den Toten liegt.
Es war ein Zufall, der den Soldaten Frisé zum Zeugen dieses Kriegsverbrechens machte. Der Blick für das Zufällige im Leben, für die zuweilen absurde Koinzidenz der Ereignisse, der Glaube an die Lückenhaftigkeit des Daseins und an den Musilschen Möglichkeitssinn - all dies hat Adolf Frisé nie verloren. Es prägt seine Erinnerungsskizzen, die von einer ganz eigenen Lakonie und Zurückhaltung sind. Als er im Fragebogen dieser Zeitung vor gut zehn Jahren nach den Eigenschaften gefragt wurde, die er bei einem Mann am meisten schätze, lautete die Antwort: "Aufrichtigkeit, Selbstkontrolle, Verzicht auf eitle Selbstdarstellung". Nach der Lektüre dieses Buches möchte man eine Eigenschaft hinzufügen: Diskretion. Sie gilt den Freunden, mehr noch den Frauen. Aber man darf vermuten, daß Adolf Frisé den 45 Jahren, die er mit seiner Frau Maria verbracht hat, gerne mehr Platz eingeräumt hätte, wäre ihm die Zeit dazu geblieben.
Adolf Frisé: "Wir leben immer mehrere Leben." Erinnerungen. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2004. 256 S., geb., 19,90 [Euro].
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