Solidarität war gestern - Leben in einem gespaltenen Land
Immer mehr Bürger in Deutschland sind vom wirtschaftlichen Reichtum des Landes ausgeschlossen. Nicht nur Arbeitslose oder Rentner, auch viele Menschen, die sich in einer Endlosspirale von Billigjobs und Zeitarbeit befinden. Früher konnten sie sich nicht nur der sozialstaatlichen Unterstützung, sondern auch einer gewissen Solidarität sicher sein. Doch damit ist es nun vorbei. Wer nicht mehr mitkommt in unserer Wirtschaft, ist selber schuld. Reflexhaft werden ihm Bildung, soziale Kompetenz oder gar der Arbeitswille abgesprochen. Die Intellektuellen gewöhnen sich an, die Verlierer der entfesselten Konkurrenz nach ästhetischen Kriterien ("Billigkonsum" und "Unterschichten-TV") abzuurteilen. Die abstiegsbedrohte Mittelschicht übernimmt diese Sicht. Dabei ist die Armut - die heute natürlich ein anderes Gesicht hat als früher - längst in dieser Mitte unserer Gesellschaft angekommen.
Kathrin Hartmann erkundet in Reportagen und in bestechend genauen Analysen unsere sich zunehmend spaltende Konsumgesellschaft: hier die Elite, die sich in gentrifizierten Stadtvierteln, neuerdings auch in Gated Communities und speziellen Clubs abschottet, dort die pauschal als "Unterschicht" für nutzlos erklärten Menschen, die sich oft nur noch über die sogenannten Tafeln ernähren können. Kommt es wenigstens dort noch zu einer wirklichen Begegnung von Arm und Reich?
Immer mehr Bürger in Deutschland sind vom wirtschaftlichen Reichtum des Landes ausgeschlossen. Nicht nur Arbeitslose oder Rentner, auch viele Menschen, die sich in einer Endlosspirale von Billigjobs und Zeitarbeit befinden. Früher konnten sie sich nicht nur der sozialstaatlichen Unterstützung, sondern auch einer gewissen Solidarität sicher sein. Doch damit ist es nun vorbei. Wer nicht mehr mitkommt in unserer Wirtschaft, ist selber schuld. Reflexhaft werden ihm Bildung, soziale Kompetenz oder gar der Arbeitswille abgesprochen. Die Intellektuellen gewöhnen sich an, die Verlierer der entfesselten Konkurrenz nach ästhetischen Kriterien ("Billigkonsum" und "Unterschichten-TV") abzuurteilen. Die abstiegsbedrohte Mittelschicht übernimmt diese Sicht. Dabei ist die Armut - die heute natürlich ein anderes Gesicht hat als früher - längst in dieser Mitte unserer Gesellschaft angekommen.
Kathrin Hartmann erkundet in Reportagen und in bestechend genauen Analysen unsere sich zunehmend spaltende Konsumgesellschaft: hier die Elite, die sich in gentrifizierten Stadtvierteln, neuerdings auch in Gated Communities und speziellen Clubs abschottet, dort die pauschal als "Unterschicht" für nutzlos erklärten Menschen, die sich oft nur noch über die sogenannten Tafeln ernähren können. Kommt es wenigstens dort noch zu einer wirklichen Begegnung von Arm und Reich?
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Dieser Ton! Weinerlich, vorwurfsvoll und zynisch zugleich, das kann Maximilian Weingartner nur schwer ertragen. Die von der Autorin konstatierte zunehmende Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich will er ja nicht in Zweifel ziehen. Aber wenn schon statt Analysen Anekdoten über Gated Communities als Nachweis für den Befund dienen sollen, meint er, dann doch bitte weniger Schmollen beim Schreiben. Kathrin Hartmanns pauschale Urteile über Marktfreiheit, Sarrazin und ehrenamtliche Hilfe sorgen überdies dafür, dass er der Autorin nicht glaubt. Schließlich, schreibt Weingartner, bediene sie sich der gleichen Mittel, die sie ihren Gegnern vorwerfe.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.04.2012Hadern mit dem Laminat
Diffus die Angst, real die Effekte: Zwei Bücher handeln von Abstieg und Armut in der deutschen Gesellschaft
Was bislang nur in Ländern wie Brasilien oder den Vereinigten Staaten üblich war, existiert seit 2009 auch in Deutschland: ein Condominio, eine Gated Community namens "Arcadia". Dieses bewachte Dorf für Wohlhabende nahe Potsdam nimmt Kathrin Hartmann, ehemalige Redakteurin der "Frankfurter Rundschau", in ihrem Buch "Wir müssen leider draußen bleiben" als Beispiel, um die Spaltung der Gesellschaft zu beschreiben. Für die Sicherheit der Bewohner gibt es einen Zaun und eine Standleitung zur Polizei. Ein Wachmann sei auch geplant, weiß Hartmann: "Warum nicht gleich eine Selbstschussanlage", fragt die Autorin rhetorisch. Diese zynische Sicht der Dinge durchzieht das gesamte Buch, sachliche Analyse ist hier nicht zu erwarten.
Hartmann beschreibt in Reportagen und Anekdoten die ihrer Meinung nach zunehmende spaltende Konsumgesellschaft: hier die Elite, die sich in gentrifizierten Stadtvierteln und Gated Communities abschottet; dort die von der Mehrheitsgesellschaft pauschal als "Unterschicht" für nutzlos erklärten Menschen.
Man muss schon ein glühender Anhänger der Linkspartei sein, um den vorwurfsvollen, weinerlichen Ton bis zum Ende durchzuhalten. Obendrein schwächt die Autorin selbst ihre Glaubwürdigkeit, indem sie zu den gleichen Mitteln greift, die sie ihren Gegner vorwirft - sie urteilt pauschal, beleidigt und bedient Vorurteile. Passt Hartmann eine andere Meinung nicht, verteilt sie Etiketten, die das Ansehen beschädigen und andere Standpunkte aus der Debatte werfen sollen. Wer auf die Freiheit des Marktes setzt, wird schnell als "neoliberal" tituliert, der Historiker Paul Nolte ist ein "Hassprediger", Sarrazin ein "Rechtspopulist". Ehrenamtliche Helfer werden herabgesetzt, weil sie so aussehen, als ob sie in der Maximilianstraße in München einkaufen und einen Mini fahren.
Darüber gerät ihr eigentliches Anliegen in den Hintergrund, nämlich dass es in einem so reichen Land wie Deutschland immer noch Armut gibt und Menschen zur Tafel gehen müssen, weil immer mehr Bürger in Deutschland vom wirtschaftlichen Reichtum des Landes ausgeschlossen sind. Nicht nur Arbeitslose oder Rentner, auch viele Menschen, die sich in einer Endlosspirale von Billigjobs und Zeitarbeit befinden. Inmitten des Buches, in einem Halbsatz, entpuppt sich dann auch das Ziel der Autorin, nämlich aufzuzeigen, mit welch "menschenverachtender Strategie" die Elite ihren Bestand sichert. Eine Verschwörung von Menschen, die mehr als 50 000 Euro im Jahr verdienen? Das wäre wahrlich eine zu einfache Erklärung.
Auch Kathrin Fischer behandelt in ihrem Buch "Generation Laminat" das Auseinanderdriften von Arm und Reich. Die gelernte Journalistin, Jahrgang 1967, wuchs im Wohlstand der achtziger Jahre auf. Der ist lange vorbei, heute gilt für sie: "Wir müssen uns mehr anstrengen, um weniger zu erreichen. Weil die meisten sich mit dem Weniger aber nicht zufriedengeben wollen, lebt eine ganze Generation über ihre Verhältnisse", schreibt sie. Wo die Elterngeneration mit einem Gehalt eine Familie ernährte und ein Haus baute, reicht das Geld heute gerade für eine Mietwohnung mit Laminat. Probleme, über die Kathrin Herrmann wahrscheinlich nur lachen könnte. Dabei ist sich die Autorin durchaus bewusst, dass sie auf hohem Niveau jammert. Der langsame Abstieg der Mittelschicht und die Aushöhlung des Sozialstaats manifestiert sich für sie unter anderem in der privaten Altersvorsorge, der Zusatzversicherung für den Zahnarzt, den prekären Beschäftigungsverhältnissen, dem Auseinanderdriften der Mittelschicht. Dennoch stellt Fischer am Ende ihrer Analyse fest, dass die Angst des Abstiegs einerseits begründet ist, andererseits auch wieder nicht, etwa wenn man die hohe Beschäftigungsquote von Akademikern - derzeit bei vierundneunzig Prozent - zugrunde lege.
Auch wenn man selbst nicht von Arbeitslosigkeit betroffen ist - der Nachbar aus derselben Schicht ist es. Diese diffuse Angst vor dem eigenen Abstieg aufgreifend, tastet sich Fischer langsam voran, wirft Fragen auf, diskutiert und analysiert die bröckelnden Eckpfeiler der Gesellschaft. Ihre Bekenntnisse sind glaubwürdig: "Solidarisch gefühlt habe ich mich mit denen am unteren Rand der Gesellschaft jedenfalls bisher nicht. Ich habe mich noch nicht mal für sie interessiert. Ihre Armut ist mir, tatsächlich, gleichgültig." Natürlich ist dies auch kein sachlicher, neutraler Stil. Das Buch ist in Ich-Form geschrieben, aber die subjektive Sicht der Dinge wird hier - anders als bei Kathrin Hartmann - nicht verschleiert.
Dabei existieren durchaus inhaltliche Parallelen zwischen den beiden Autorinnen: Auch Fischer stellt das Wirtschaftsmodell des Kapitalismus in der bisherigen Form in Frage, fordert höhere Steuern für Besserverdienende, eine Vermögensabgabe. Aber erst nachdem sie Steuern, Bildung, Einkommensverteilung sowie das mangelnde Interesse an Inhalten und das lethargische Demokratieverständnis der Bürger erörtert hat. Sie ahnt: "Demokratie ist zu langsam für die gegenwärtige Welt." Dass der von ihr geschätzte Sozialstaat drei Jahrzehnte auf Pump finanziert wurde, unterschlägt Kathrin Fischer allerdings. Ihr anfänglicher Schock über den Wohlstandsverlust, sich nur noch eine Mietwohnung mit Laminat leisten zu können, weicht der Einsicht, dass sie ihren Lebensstil zu verändern, bescheidener zu leben hat.
MAXIMILIAN WEINGARTNER
Kathrin Hartmann: "Wir müssen leider draußen bleiben". Die neue Armut in der Konsumgesellschaft.
Blessing Verlag, München 2012. 416 S., br., 18,95 [Euro].
Kathrin Fischer: "Generation Laminat". Mit uns beginnt der Abstieg - und was wir dagegen tun müssen.
Knaus Verlag, München 2012. 288 S., br., 16,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Diffus die Angst, real die Effekte: Zwei Bücher handeln von Abstieg und Armut in der deutschen Gesellschaft
Was bislang nur in Ländern wie Brasilien oder den Vereinigten Staaten üblich war, existiert seit 2009 auch in Deutschland: ein Condominio, eine Gated Community namens "Arcadia". Dieses bewachte Dorf für Wohlhabende nahe Potsdam nimmt Kathrin Hartmann, ehemalige Redakteurin der "Frankfurter Rundschau", in ihrem Buch "Wir müssen leider draußen bleiben" als Beispiel, um die Spaltung der Gesellschaft zu beschreiben. Für die Sicherheit der Bewohner gibt es einen Zaun und eine Standleitung zur Polizei. Ein Wachmann sei auch geplant, weiß Hartmann: "Warum nicht gleich eine Selbstschussanlage", fragt die Autorin rhetorisch. Diese zynische Sicht der Dinge durchzieht das gesamte Buch, sachliche Analyse ist hier nicht zu erwarten.
Hartmann beschreibt in Reportagen und Anekdoten die ihrer Meinung nach zunehmende spaltende Konsumgesellschaft: hier die Elite, die sich in gentrifizierten Stadtvierteln und Gated Communities abschottet; dort die von der Mehrheitsgesellschaft pauschal als "Unterschicht" für nutzlos erklärten Menschen.
Man muss schon ein glühender Anhänger der Linkspartei sein, um den vorwurfsvollen, weinerlichen Ton bis zum Ende durchzuhalten. Obendrein schwächt die Autorin selbst ihre Glaubwürdigkeit, indem sie zu den gleichen Mitteln greift, die sie ihren Gegner vorwirft - sie urteilt pauschal, beleidigt und bedient Vorurteile. Passt Hartmann eine andere Meinung nicht, verteilt sie Etiketten, die das Ansehen beschädigen und andere Standpunkte aus der Debatte werfen sollen. Wer auf die Freiheit des Marktes setzt, wird schnell als "neoliberal" tituliert, der Historiker Paul Nolte ist ein "Hassprediger", Sarrazin ein "Rechtspopulist". Ehrenamtliche Helfer werden herabgesetzt, weil sie so aussehen, als ob sie in der Maximilianstraße in München einkaufen und einen Mini fahren.
Darüber gerät ihr eigentliches Anliegen in den Hintergrund, nämlich dass es in einem so reichen Land wie Deutschland immer noch Armut gibt und Menschen zur Tafel gehen müssen, weil immer mehr Bürger in Deutschland vom wirtschaftlichen Reichtum des Landes ausgeschlossen sind. Nicht nur Arbeitslose oder Rentner, auch viele Menschen, die sich in einer Endlosspirale von Billigjobs und Zeitarbeit befinden. Inmitten des Buches, in einem Halbsatz, entpuppt sich dann auch das Ziel der Autorin, nämlich aufzuzeigen, mit welch "menschenverachtender Strategie" die Elite ihren Bestand sichert. Eine Verschwörung von Menschen, die mehr als 50 000 Euro im Jahr verdienen? Das wäre wahrlich eine zu einfache Erklärung.
Auch Kathrin Fischer behandelt in ihrem Buch "Generation Laminat" das Auseinanderdriften von Arm und Reich. Die gelernte Journalistin, Jahrgang 1967, wuchs im Wohlstand der achtziger Jahre auf. Der ist lange vorbei, heute gilt für sie: "Wir müssen uns mehr anstrengen, um weniger zu erreichen. Weil die meisten sich mit dem Weniger aber nicht zufriedengeben wollen, lebt eine ganze Generation über ihre Verhältnisse", schreibt sie. Wo die Elterngeneration mit einem Gehalt eine Familie ernährte und ein Haus baute, reicht das Geld heute gerade für eine Mietwohnung mit Laminat. Probleme, über die Kathrin Herrmann wahrscheinlich nur lachen könnte. Dabei ist sich die Autorin durchaus bewusst, dass sie auf hohem Niveau jammert. Der langsame Abstieg der Mittelschicht und die Aushöhlung des Sozialstaats manifestiert sich für sie unter anderem in der privaten Altersvorsorge, der Zusatzversicherung für den Zahnarzt, den prekären Beschäftigungsverhältnissen, dem Auseinanderdriften der Mittelschicht. Dennoch stellt Fischer am Ende ihrer Analyse fest, dass die Angst des Abstiegs einerseits begründet ist, andererseits auch wieder nicht, etwa wenn man die hohe Beschäftigungsquote von Akademikern - derzeit bei vierundneunzig Prozent - zugrunde lege.
Auch wenn man selbst nicht von Arbeitslosigkeit betroffen ist - der Nachbar aus derselben Schicht ist es. Diese diffuse Angst vor dem eigenen Abstieg aufgreifend, tastet sich Fischer langsam voran, wirft Fragen auf, diskutiert und analysiert die bröckelnden Eckpfeiler der Gesellschaft. Ihre Bekenntnisse sind glaubwürdig: "Solidarisch gefühlt habe ich mich mit denen am unteren Rand der Gesellschaft jedenfalls bisher nicht. Ich habe mich noch nicht mal für sie interessiert. Ihre Armut ist mir, tatsächlich, gleichgültig." Natürlich ist dies auch kein sachlicher, neutraler Stil. Das Buch ist in Ich-Form geschrieben, aber die subjektive Sicht der Dinge wird hier - anders als bei Kathrin Hartmann - nicht verschleiert.
Dabei existieren durchaus inhaltliche Parallelen zwischen den beiden Autorinnen: Auch Fischer stellt das Wirtschaftsmodell des Kapitalismus in der bisherigen Form in Frage, fordert höhere Steuern für Besserverdienende, eine Vermögensabgabe. Aber erst nachdem sie Steuern, Bildung, Einkommensverteilung sowie das mangelnde Interesse an Inhalten und das lethargische Demokratieverständnis der Bürger erörtert hat. Sie ahnt: "Demokratie ist zu langsam für die gegenwärtige Welt." Dass der von ihr geschätzte Sozialstaat drei Jahrzehnte auf Pump finanziert wurde, unterschlägt Kathrin Fischer allerdings. Ihr anfänglicher Schock über den Wohlstandsverlust, sich nur noch eine Mietwohnung mit Laminat leisten zu können, weicht der Einsicht, dass sie ihren Lebensstil zu verändern, bescheidener zu leben hat.
MAXIMILIAN WEINGARTNER
Kathrin Hartmann: "Wir müssen leider draußen bleiben". Die neue Armut in der Konsumgesellschaft.
Blessing Verlag, München 2012. 416 S., br., 18,95 [Euro].
Kathrin Fischer: "Generation Laminat". Mit uns beginnt der Abstieg - und was wir dagegen tun müssen.
Knaus Verlag, München 2012. 288 S., br., 16,99 [Euro].
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"In den USA gäbe es für so etwas einen Pulitzer-Preis." Pieke Biermann, Deutschlandradio Kultur