Marina Weisband führt in »Wir nennen es Politik« vor Augen, dass Demokratie mehr Beteiligung fordert. Sie ist aufgewachsen in der untergehenden Sowjetunion, jüdischen Glaubens und im Internet zuhause. Dort hat sie es als Selbstverständlichkeit erfahren, jederzeit die eigene Meinung zu sagen und dies auch zu nutzen, gehört zu werden und Dinge zu verändern. In ihrem Buch entwickelt sie Ideen für ein politisches Betriebssystem, das verantwortungsvolle aber nicht machthungrige Politiker und sich an der Demokratie beteiligende, mutige Bürger fordert: Nur so können die Herausforderungen der Demokratie bewältigt werden. Ein Plädoyer für die Politik und ein Aufruf zum Mitmachen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.2013Alles flüssig
Marina Weisbands Ideen
Als Marina Weisband noch zur Führungsspitze der "Piraten" gehört hat, ging es mit der Partei steil bergauf. Sie galt als Star. Dann wollte sie nicht mehr Politische Geschäftsführerin sein. Ihr Nachfolger wurde zum Problem. Auch die Umfragewerte brachen ein. Nun hat sie ein Buch geschrieben. Es verspricht "Ideen für eine zeitgemäße Demokratie". Eigentlich soll es kein Buch über die Partei sein - und das ist es natürlich doch. Und es ist auch ein Buch über sie selbst. Im Zentrum steht die Liquid Democracy, die flüssige Demokratie also, die es in ihrer Reinform allen Menschen erlauben soll, an allen Entscheidungen jederzeit teilzuhaben. Mit Hilfe des Internets natürlich. Die Liquid Democracy kennt keine Kompetenzgrenzen (oder Kompetenzanforderungen), vor allem aber auch keine Verpflichtungen. Man kann abstimmen, muss aber nicht. Stimmen können delegiert werden, und diese Delegierung kann jederzeit wieder aufgehoben werden. Nötig sei der Weg hin zu mehr Beteiligung über das Internet durch ebendieses geworden, schreibt Frau Weisband. Das Internet habe das Denken ihrer Generation verändert, ständiges Hinterfragen und Kommentieren ermöglicht. Die größte Schwäche des aktuellen politischen Systems sei daher: "Es passt nicht mehr zu unserem Denken."
Die Gedanken zur flüssigen Demokratie und sie begleitende Strukturen sind auch aus der Programmdebatte der Piraten bekannt. So zum Beispiel das bedingungslose Grundeinkommen, das ein politisches Engagement frei von Existenznöten ermöglichen soll. Probleme des Liquid-Konzepts - zum Beispiel die drohende Mehrheitsdiktatur oder auch die notwendige Lernbereitschaft - erwähnt Frau Weisband manchmal und manchmal auch nicht. Überzeugend aufgelöst werden sie kaum. Stattdessen sagt sie, sie glaube eben an den Menschen. So einfach macht sie sich das. Und sie erklärt zu ihrer Stärke, was man ihr auch als Schwäche vorhalten könnte: dass sie im Gegensatz zu Politikern und Wissenschaftlern nicht zu viel weiß, dass sie nicht an Betriebsblindheit leide. Haften bleiben neben dieser Lobpreisung der eigenen Naivität ein lesenswerter Abschnitt zu ihrem Weg in die Politik sowie das immer wieder aus dem Büchlein hervorquellende Unbehagen gegenüber den politischen Eliten und vor allem den Parteien.
MATTHIAS WYSSUWA.
Marina Weisband: Wir nennen es Politik. Ideen für eine zeitgemäße Demokratie. Tropen bei Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2013. 174 S., 16,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Marina Weisbands Ideen
Als Marina Weisband noch zur Führungsspitze der "Piraten" gehört hat, ging es mit der Partei steil bergauf. Sie galt als Star. Dann wollte sie nicht mehr Politische Geschäftsführerin sein. Ihr Nachfolger wurde zum Problem. Auch die Umfragewerte brachen ein. Nun hat sie ein Buch geschrieben. Es verspricht "Ideen für eine zeitgemäße Demokratie". Eigentlich soll es kein Buch über die Partei sein - und das ist es natürlich doch. Und es ist auch ein Buch über sie selbst. Im Zentrum steht die Liquid Democracy, die flüssige Demokratie also, die es in ihrer Reinform allen Menschen erlauben soll, an allen Entscheidungen jederzeit teilzuhaben. Mit Hilfe des Internets natürlich. Die Liquid Democracy kennt keine Kompetenzgrenzen (oder Kompetenzanforderungen), vor allem aber auch keine Verpflichtungen. Man kann abstimmen, muss aber nicht. Stimmen können delegiert werden, und diese Delegierung kann jederzeit wieder aufgehoben werden. Nötig sei der Weg hin zu mehr Beteiligung über das Internet durch ebendieses geworden, schreibt Frau Weisband. Das Internet habe das Denken ihrer Generation verändert, ständiges Hinterfragen und Kommentieren ermöglicht. Die größte Schwäche des aktuellen politischen Systems sei daher: "Es passt nicht mehr zu unserem Denken."
Die Gedanken zur flüssigen Demokratie und sie begleitende Strukturen sind auch aus der Programmdebatte der Piraten bekannt. So zum Beispiel das bedingungslose Grundeinkommen, das ein politisches Engagement frei von Existenznöten ermöglichen soll. Probleme des Liquid-Konzepts - zum Beispiel die drohende Mehrheitsdiktatur oder auch die notwendige Lernbereitschaft - erwähnt Frau Weisband manchmal und manchmal auch nicht. Überzeugend aufgelöst werden sie kaum. Stattdessen sagt sie, sie glaube eben an den Menschen. So einfach macht sie sich das. Und sie erklärt zu ihrer Stärke, was man ihr auch als Schwäche vorhalten könnte: dass sie im Gegensatz zu Politikern und Wissenschaftlern nicht zu viel weiß, dass sie nicht an Betriebsblindheit leide. Haften bleiben neben dieser Lobpreisung der eigenen Naivität ein lesenswerter Abschnitt zu ihrem Weg in die Politik sowie das immer wieder aus dem Büchlein hervorquellende Unbehagen gegenüber den politischen Eliten und vor allem den Parteien.
MATTHIAS WYSSUWA.
Marina Weisband: Wir nennen es Politik. Ideen für eine zeitgemäße Demokratie. Tropen bei Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2013. 174 S., 16,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Die ehemalige Piratenpolitikerin Marina Weisband hat mit "Wir nennen es Politik" ein "anstrengungslos zu lesendes Erbauungsbuch" für all jene geschrieben, die irgendwie mit den aktuellen politischen Prozessen unzufrieden sind und, auch nur irgendwie, wollen, dass es besser wird, berichtet Jens Bisky. Der Rezensent hätte sich von Weisband eigentlich gerne über die Anfänge der Piraten aufklären lassen, "Außenpolitische Exkurse à la Helmut Schmidt" hatte er ohnehin nicht erwartet, aber die Autorin überzeugt ihn weder mit politischem Sachverstand, noch unterhält sie ihn mit Anekdoten oder Wissenswertem aus dem Innern der Piratenpartei, stellt er fest. Stattdessen verliere sich Weisband in möglichst allgemeinen Aussagen, die selbst einen wohlwollenden Leser nicht vom Hocker hauen dürften, urteilt Bisky harsch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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