1919. Der Albtraum des Ersten Weltkriegs ist endlich vorbei, und das geschundene Frankreich versucht krampfhaft, in die Normalität zurückzufinden. Dabei sind die zahlreichen Soldaten, die nun von den Schlachtfeldern heimkehren, oft eher hinderlich. Das erfahren auch Albert und Édouard, der eine schwer traumatisiert, der andere entsetzlich entstellt. Also schmieden sie einen verwegenen Plan, um sich an den vaterländischen Heuchlern zu rächen. Niemand soll ungeschoren davonkommen. Vor allem nicht Offizier Pradelle, jener Mann, durch dessen Machtgier Albert fast ums Leben gekommen wäre und der nun zu einem besonders zynischen Kriegsgewinner mutiert ist.
buecher-magazin.deDie jungen Franzosen Édouard und Albert kämpfen gemeinsam an der Front kurz vor dem Ende des Ersten Weltkrieges. Der ehrgeizige, verlogene Leutnant Pradelle treibt die Truppe an, um sich nach dem Sieg gegen die Deutschen als Held feiern zu lassen. Édouard wird von Granatsplittern schwer verletzt, rettet aber seinen Freund Albert aus einem Trichter heraus. Verstümmelt wie er ist, will er nur unter falschen Namen in seine Heimatstadt Paris zurück, ohne seine wohlhabende Familie wiederzusehen. Lemaitre entlarvt die Vorstellungen der an der Front als "Helden" gefallenen Soldaten oder als "Sieger" in die Heimat Zurückkehrenden als Verschleierung sinnloser Gräuel. Nur einige skrupellose Akteure, die schon immer die Fäden in der Hand hielten, versäumen es auch in Friedenszeiten nicht, von der Misere der anderen zu profitieren. Fantasievoll und einfühlsam schildert der Autor die Freundschaft zwischen Albert und dem künstlerisch begabten Édouard. Gemeinsam gelingt es ihnen, in dem nach Kriegsende aufblühenden Geschäft mit Kriegsdenkmälern durch Bluff reich zu werden und der verlogenen Gesellschaft - in der sie nur Verlierer bleiben können - einen Spiegel vorzuhalten.
© BÜCHERmagazin, Nicole Trötzer
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Schon wieder ein Roman über den Ersten Weltkrieg, wollte Rezensentin Lena Bopp schon seufzen, musste aber bei der Lektüre von Pierre Lemaitres "Wir sehen uns dort oben" bald feststellen, dass dieser Roman seinesgleichen sucht. Denn zum einen beginne die Handlung in den letzten Tagen des Jahres 1918 und befasse sich zum anderen vor allem mit dem Geschehen nach dem Krieg, berichtet die Kritikerin. Fasziniert liest sie am Beispiel der beiden Soldaten Albert und Edouard, wie Zurückgekehrten versuchen, sich wiedereinzugliedern und wie schwer ihnen dieser Versuch von Staat und Gesellschaft gemacht wird. Vor allem aber würdigt die Kritikerin Lemaitres Gabe, dieses schwere und historisch brisante Thema äußerst unterhaltsam zu erzählen und seine beiden Protagonisten sympathisch und spannend bei ihren schließlich notgedrungen kriminellen Handlungen zu begleiten. Eine wunderbare Mischung aus Abenteuer- und Kriminalroman, lobt die Rezensentin, die sich schon jetzt auf die angekündigten Folgeromane freut.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.10.2014Mit kleinen Gräbern macht man größere Gewinne
Pierre Lemaitres Roman "Wir sehen uns dort oben" über den Ersten Weltkrieg ist eine klug komponierte Mischung aus Abenteuer und Historie
Wer dieses Buch in die Hände nimmt, wird sich zunächst fragen: Muss das sein? Schon wieder ein Roman über den Ersten Weltkrieg? Sind wir in diesem Jubiläumsjahr mit Gedenkliteratur, Gedenkausstellungen, Gedenkveranstaltungen und Gedenkkolloquien nicht schon so überschüttet worden, dass es für die nächsten vier Jahre reicht? Ja, natürlich! Aber andererseits: Was Pierre Lemaitre in seinem Roman "Wir sehen uns dort oben" beschreibt, ist mit dem, was man bisher über den Ersten Weltkrieg zu lesen bekam, nicht vergleichbar, und zwar aus verschiedenen Gründen.
Zunächst beginnt Lemaitres Geschichte im November 1918, wenige Tage vor dem Ende des Krieges. Lediglich etwas mehr als vierzig dieses gut fünfhundert Seiten langen Romans spielen somit tatsächlich in einem Schützengraben. Er liegt in der Nähe des "113. Frontabschnitts" an einem Ort, der offenbar so unbedeutend ist, dass der Erzähler uns nicht einmal mitteilt, wo genau er sich befindet. Wir erfahren nur, dass er irgendwo in Nordfrankreich liegt und dass Leutnant d'Aulnay-Pradelle ihn vor Kriegsende unbedingt noch erobern will - nicht um des Geländegewinns willen, sondern allein, weil er dann zum Hauptmann befördert wird und dies, so glaubt er nicht zu Unrecht, beim sozialen Aufstieg nach dem Krieg von entscheidendem Nutzen sein könnte. Viel mehr als um das Geschehen während des Krieges geht es in diesem Roman also um das Danach. Und da das letzte dieses in drei große Kapitel (und viele kleinere Unterkapitel) gegliederten Buches von Ereignissen erzählt, die sich im März 1920 abspielen, handelt es von genau jener kurzen Zeitspanne, für die der französische Historiker Bruno Cabanes erst vor rund zehn Jahren den Begriff sortie de guerre geprägt hat.
Vom Krieg auf der einen und der Nachkriegszeit auf der anderen Seite grenzt sich die sortie de guerre insofern ab, als sie ihr Augenmerk auf die kollektive, intellektuelle und psychologische Bewältigung der Kriegserfahrung legt. Cabanes hat anhand von Briefen und Notizen heimgekehrter Soldaten untersucht, wie schwer (oder leicht) ihnen die Wiedereingliederung ins zivile Leben fiel, und auch umgekehrt danach gefragt, wie leicht (oder schwer) ihnen dieser Wiedereintritt von den Daheimgebliebenen sowie den staatlichen Organisationen gemacht wurde. Um genau diese Fragen geht es auch in dem Roman von Pierre Lemaitre: Wie findet ein Soldat nach vier Jahren Krieg ins alte Leben zurück? Und was bleibt von der Dankbarkeit der Landsleute angesichts der Kriegsheimkehrer, die an ihren seelischen und körperlichen Verletzungen offensichtlich so schwer tragen?
Die Voraussetzungen für diese romanhafte Versuchsanordnung schafft Lemaitre in dem besagten Sturm auf den 113. Frontabschnitt: Die beiden Hauptfiguren, die Soldaten Albert Maillard und Edouard Péricourt, überleben den Angriff zwar. Aber Edouard wird bei dem (letztlich erfolgreichen) Versuch, seinem Kameraden das Leben zu retten, von einem Granatsplitter der Unterkiefer weggerissen. Fortan fühlt sich Albert seinem neuen Freund verpflichtet und besorgt ihm, weil Edouard sich mit entstelltem Gesicht nicht unter die Augen seines herrischen Vaters traut, eine neue Identität. Zurück in Paris, versorgt er ihn außerdem mit Morphium, von dem Edouard abhängig geworden ist. Bald fehlt den beiden das Geld an allen Ecken und Enden. Arbeit findet Albert nur als Plakatträger auf den Pariser Boulevards.
Was sich bei der vorangegangenen Demobilisierung, die chaotisch verlaufen war, schon angedeutet hatte, bestätigt sich somit nur wenig später auf ebenso banale wie brutale Weise: Das Verantwortungsbewusstsein Frankreichs gegenüber seinen Soldaten erlischt, kaum dass die Tinte unter dem Friedensvertrag getrocknet ist.
Pierre Lemaitre, der für "Wir sehen uns dort oben" im vergangenen Jahr in Frankreich mit dem renommierten Prix Goncourt ausgezeichnet worden ist, hat immer wieder darauf hingewiesen, dass er in dieser Unzuverlässigkeit der staatlichen Fürsorge ein strukturelles Problem erkenne, unter dem Frankreich auch heute noch leide. Nun muss man zwar nicht so weit wie Lemaitre gehen und die Lage der Kriegsheimkehrer von 1918 mit jener der Arbeitslosen von 2014 vergleichen, nur weil beide unzureichende Unterstützung erfahren.
Aber Lemaitres Schilderung der Gleichgültigkeit, mit der die Franzosen den Soldaten begegnen, und besonders der Skrupellosigkeit, die manche von ihnen beim Geschäftemachen mit dem Gedenken an den Tag legen, birgt doch immer noch eine historische Brisanz. Zumal die Machenschaften des Hauptmanns Henri d'Aulnay-Pradelle wenigstens zum Teil wahren Begebenheiten nachempfunden sind: Von der Regierung ist er beauftragt worden, die während des Kriegs eilig verscharrten Soldatenleichen zu exhumieren und würdig zu bestatten. Aber der Hauptmann streicht lieber das Geld ein und legt die fehlerhaft identifizierten Soldaten in Särge, die viel zu klein für sie sind. All dies ist in Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg tatsächlich geschehen.
Dennoch, und darin liegt eine weitere Besonderheit, ist dieser Roman überhaupt keine schwer zu ertragende Lektüre. Ganz im Gegenteil: Die Art, wie Lemaitre die Lage vor allem der beiden Soldaten so zuspitzt, dass der Leser ihre sich allmählich entwickelnde kriminelle Energie - denn auch sie vergehen sich an der Opferbereitschaft ihrer Landsleute durch einen großangelegten Betrug - nicht als Sünde, sondern als notwendiges Übel begreift, ist in bestem Sinne unterhaltsam. Denn in dieser Art, aber auch in den immer wieder beiläufig gelegten Fährten, den charakterlich zuweilen etwas zu klar voneinander abgegrenzten Figuren sowie in der sich beschleunigenden Verdichtung des Geschehens, das auf ein nur zwanzig Seiten umfassendes Finale hinausläuft, erkennt man die Handschrift des Krimiautors, der Lemaitre vor diesem Roman war. Tatsächlich ist "Wir sehen uns dort oben" eine klug komponierte Mischung aus Abenteuer- und historischem Roman.
Von anderer Weltkriegsliteratur unterscheidet er sich außerdem durch seinen Ton, der so heiter ist, dass er dem Thema die Schwere nimmt, ohne es der Lächerlichkeit preiszugeben. Wenn es Lemaitre gelingt, diesen Ton zu halten, darf man auch auf seine Fortsetzung der Geschichte gespannt sein. Der Autor hat nämlich angekündigt, dass "Wir sehen uns dort oben" nur der Auftakt war - zu einem Romanreigen, der eine Zeitspanne von hundert Jahren umfassen soll. Lemaitre ist nicht so anmaßend, damit den Größen der epochenumspannenden Fresken etwa Balzacs oder Zolas nacheifern zu wollen. Er wolle aber, so sagte er vor kurzem, einen Streifzug durch das zwanzigste Jahrhundert schreiben, und zwar anhand von einzelnen historischen Ereignissen, die er aus "ungewöhnlicher Perspektive" betrachtet.
Derzeit sitzt er am letzten Buch des Panoramas. Es spielt 2015. Wie viele Romane er vorgesehen hat, um die Zwischenzeit zu erschließen? Das wollte Lemaitre nicht sagen. Immerhin, meinte er, sei er schon 63 Jahre alt. Was wohl heißen sollte: Es ist gut möglich, dass er einfach schreibt, solange er kann.
LENA BOPP
Pierre Lemaitre: Wir sehen uns dort oben". Roman.
Aus dem Französischen von Antje Peter. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2014. 521 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Pierre Lemaitres Roman "Wir sehen uns dort oben" über den Ersten Weltkrieg ist eine klug komponierte Mischung aus Abenteuer und Historie
Wer dieses Buch in die Hände nimmt, wird sich zunächst fragen: Muss das sein? Schon wieder ein Roman über den Ersten Weltkrieg? Sind wir in diesem Jubiläumsjahr mit Gedenkliteratur, Gedenkausstellungen, Gedenkveranstaltungen und Gedenkkolloquien nicht schon so überschüttet worden, dass es für die nächsten vier Jahre reicht? Ja, natürlich! Aber andererseits: Was Pierre Lemaitre in seinem Roman "Wir sehen uns dort oben" beschreibt, ist mit dem, was man bisher über den Ersten Weltkrieg zu lesen bekam, nicht vergleichbar, und zwar aus verschiedenen Gründen.
Zunächst beginnt Lemaitres Geschichte im November 1918, wenige Tage vor dem Ende des Krieges. Lediglich etwas mehr als vierzig dieses gut fünfhundert Seiten langen Romans spielen somit tatsächlich in einem Schützengraben. Er liegt in der Nähe des "113. Frontabschnitts" an einem Ort, der offenbar so unbedeutend ist, dass der Erzähler uns nicht einmal mitteilt, wo genau er sich befindet. Wir erfahren nur, dass er irgendwo in Nordfrankreich liegt und dass Leutnant d'Aulnay-Pradelle ihn vor Kriegsende unbedingt noch erobern will - nicht um des Geländegewinns willen, sondern allein, weil er dann zum Hauptmann befördert wird und dies, so glaubt er nicht zu Unrecht, beim sozialen Aufstieg nach dem Krieg von entscheidendem Nutzen sein könnte. Viel mehr als um das Geschehen während des Krieges geht es in diesem Roman also um das Danach. Und da das letzte dieses in drei große Kapitel (und viele kleinere Unterkapitel) gegliederten Buches von Ereignissen erzählt, die sich im März 1920 abspielen, handelt es von genau jener kurzen Zeitspanne, für die der französische Historiker Bruno Cabanes erst vor rund zehn Jahren den Begriff sortie de guerre geprägt hat.
Vom Krieg auf der einen und der Nachkriegszeit auf der anderen Seite grenzt sich die sortie de guerre insofern ab, als sie ihr Augenmerk auf die kollektive, intellektuelle und psychologische Bewältigung der Kriegserfahrung legt. Cabanes hat anhand von Briefen und Notizen heimgekehrter Soldaten untersucht, wie schwer (oder leicht) ihnen die Wiedereingliederung ins zivile Leben fiel, und auch umgekehrt danach gefragt, wie leicht (oder schwer) ihnen dieser Wiedereintritt von den Daheimgebliebenen sowie den staatlichen Organisationen gemacht wurde. Um genau diese Fragen geht es auch in dem Roman von Pierre Lemaitre: Wie findet ein Soldat nach vier Jahren Krieg ins alte Leben zurück? Und was bleibt von der Dankbarkeit der Landsleute angesichts der Kriegsheimkehrer, die an ihren seelischen und körperlichen Verletzungen offensichtlich so schwer tragen?
Die Voraussetzungen für diese romanhafte Versuchsanordnung schafft Lemaitre in dem besagten Sturm auf den 113. Frontabschnitt: Die beiden Hauptfiguren, die Soldaten Albert Maillard und Edouard Péricourt, überleben den Angriff zwar. Aber Edouard wird bei dem (letztlich erfolgreichen) Versuch, seinem Kameraden das Leben zu retten, von einem Granatsplitter der Unterkiefer weggerissen. Fortan fühlt sich Albert seinem neuen Freund verpflichtet und besorgt ihm, weil Edouard sich mit entstelltem Gesicht nicht unter die Augen seines herrischen Vaters traut, eine neue Identität. Zurück in Paris, versorgt er ihn außerdem mit Morphium, von dem Edouard abhängig geworden ist. Bald fehlt den beiden das Geld an allen Ecken und Enden. Arbeit findet Albert nur als Plakatträger auf den Pariser Boulevards.
Was sich bei der vorangegangenen Demobilisierung, die chaotisch verlaufen war, schon angedeutet hatte, bestätigt sich somit nur wenig später auf ebenso banale wie brutale Weise: Das Verantwortungsbewusstsein Frankreichs gegenüber seinen Soldaten erlischt, kaum dass die Tinte unter dem Friedensvertrag getrocknet ist.
Pierre Lemaitre, der für "Wir sehen uns dort oben" im vergangenen Jahr in Frankreich mit dem renommierten Prix Goncourt ausgezeichnet worden ist, hat immer wieder darauf hingewiesen, dass er in dieser Unzuverlässigkeit der staatlichen Fürsorge ein strukturelles Problem erkenne, unter dem Frankreich auch heute noch leide. Nun muss man zwar nicht so weit wie Lemaitre gehen und die Lage der Kriegsheimkehrer von 1918 mit jener der Arbeitslosen von 2014 vergleichen, nur weil beide unzureichende Unterstützung erfahren.
Aber Lemaitres Schilderung der Gleichgültigkeit, mit der die Franzosen den Soldaten begegnen, und besonders der Skrupellosigkeit, die manche von ihnen beim Geschäftemachen mit dem Gedenken an den Tag legen, birgt doch immer noch eine historische Brisanz. Zumal die Machenschaften des Hauptmanns Henri d'Aulnay-Pradelle wenigstens zum Teil wahren Begebenheiten nachempfunden sind: Von der Regierung ist er beauftragt worden, die während des Kriegs eilig verscharrten Soldatenleichen zu exhumieren und würdig zu bestatten. Aber der Hauptmann streicht lieber das Geld ein und legt die fehlerhaft identifizierten Soldaten in Särge, die viel zu klein für sie sind. All dies ist in Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg tatsächlich geschehen.
Dennoch, und darin liegt eine weitere Besonderheit, ist dieser Roman überhaupt keine schwer zu ertragende Lektüre. Ganz im Gegenteil: Die Art, wie Lemaitre die Lage vor allem der beiden Soldaten so zuspitzt, dass der Leser ihre sich allmählich entwickelnde kriminelle Energie - denn auch sie vergehen sich an der Opferbereitschaft ihrer Landsleute durch einen großangelegten Betrug - nicht als Sünde, sondern als notwendiges Übel begreift, ist in bestem Sinne unterhaltsam. Denn in dieser Art, aber auch in den immer wieder beiläufig gelegten Fährten, den charakterlich zuweilen etwas zu klar voneinander abgegrenzten Figuren sowie in der sich beschleunigenden Verdichtung des Geschehens, das auf ein nur zwanzig Seiten umfassendes Finale hinausläuft, erkennt man die Handschrift des Krimiautors, der Lemaitre vor diesem Roman war. Tatsächlich ist "Wir sehen uns dort oben" eine klug komponierte Mischung aus Abenteuer- und historischem Roman.
Von anderer Weltkriegsliteratur unterscheidet er sich außerdem durch seinen Ton, der so heiter ist, dass er dem Thema die Schwere nimmt, ohne es der Lächerlichkeit preiszugeben. Wenn es Lemaitre gelingt, diesen Ton zu halten, darf man auch auf seine Fortsetzung der Geschichte gespannt sein. Der Autor hat nämlich angekündigt, dass "Wir sehen uns dort oben" nur der Auftakt war - zu einem Romanreigen, der eine Zeitspanne von hundert Jahren umfassen soll. Lemaitre ist nicht so anmaßend, damit den Größen der epochenumspannenden Fresken etwa Balzacs oder Zolas nacheifern zu wollen. Er wolle aber, so sagte er vor kurzem, einen Streifzug durch das zwanzigste Jahrhundert schreiben, und zwar anhand von einzelnen historischen Ereignissen, die er aus "ungewöhnlicher Perspektive" betrachtet.
Derzeit sitzt er am letzten Buch des Panoramas. Es spielt 2015. Wie viele Romane er vorgesehen hat, um die Zwischenzeit zu erschließen? Das wollte Lemaitre nicht sagen. Immerhin, meinte er, sei er schon 63 Jahre alt. Was wohl heißen sollte: Es ist gut möglich, dass er einfach schreibt, solange er kann.
LENA BOPP
Pierre Lemaitre: Wir sehen uns dort oben". Roman.
Aus dem Französischen von Antje Peter. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2014. 521 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Schon alles zum Ersten Weltkrieg gelesen? Aber wohl nichts, was so spannend wäre wie der Roman. ... Hundertfünfzig Jahre nach Balzac bespielt Lemaitre die menschliche Komödie als Satire.« Susanne Mayer, Die Zeit, 11.12.2014 Susanne Mayer Die Zeit 20141211