Jonathan Safran Foer schafft es erneut, uns ein komplexes Thema wie die Klimakrise so nahe zu bringen wie niemand sonst. Und das Beste: Einen Lösungsansatz liefert er gleich mit.
Mit seinem Bestseller »Tiere essen« hat Jonathan Safran Foer weltweit Furore gemacht: Viele seiner Leser wurden nach der Lektüre Vegetarier oder haben zumindest ihre Ernährung überdacht. Nun nimmt Foer sich des größten Themas unserer Zeit an: dem Klimawandel. Der Klimawandel ist zu abstrakt, deshalb lässt er uns kalt. Foer erinnert an die Kraft und Notwendigkeit gemeinsamen Handelns und führt dazu anschaulich viele gelungene Beispiele an, die uns als Ansporn dienen sollen. Wir können die Welt nicht retten, ohne einem der größten CO2- und Methangas-Produzenten zu Leibe zu rücken, der Massentierhaltung. Foer zeigt einen Lösungsansatz auf, der niemandem viel abverlangt, aber extrem wirkungsvoll ist: tierische Produkte nur einmal täglich zur Hauptmahlzeit.
Foer nähert sich diesem wichtigen Thema eloquent, überzeugend, sehr persönlich und mit wachem Blick und großem Herz für die menschliche Unzulänglichkeit. Und das Beste: Seinen Lösungsansatz können Sie gleich in die Tat umsetzen.
Mit seinem Bestseller »Tiere essen« hat Jonathan Safran Foer weltweit Furore gemacht: Viele seiner Leser wurden nach der Lektüre Vegetarier oder haben zumindest ihre Ernährung überdacht. Nun nimmt Foer sich des größten Themas unserer Zeit an: dem Klimawandel. Der Klimawandel ist zu abstrakt, deshalb lässt er uns kalt. Foer erinnert an die Kraft und Notwendigkeit gemeinsamen Handelns und führt dazu anschaulich viele gelungene Beispiele an, die uns als Ansporn dienen sollen. Wir können die Welt nicht retten, ohne einem der größten CO2- und Methangas-Produzenten zu Leibe zu rücken, der Massentierhaltung. Foer zeigt einen Lösungsansatz auf, der niemandem viel abverlangt, aber extrem wirkungsvoll ist: tierische Produkte nur einmal täglich zur Hauptmahlzeit.
Foer nähert sich diesem wichtigen Thema eloquent, überzeugend, sehr persönlich und mit wachem Blick und großem Herz für die menschliche Unzulänglichkeit. Und das Beste: Seinen Lösungsansatz können Sie gleich in die Tat umsetzen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.2019Was sollen wir tun?
Revolutionen sind angesagt und große Erzählungen gefragt, aber auch Ratschläge für den Alltag werden präsentiert: Eine Auswahl neuer Bücher zum Klimawandel.
Von Joachim Müller-Jung
Die Ernsthaftigkeit, mit der plötzlich über Klimapolitik verhandelt wird, die diesen Namen auch verdient, hat offenbar etwas Erschreckendes, ja Verstörendes. Wie soll man regieren, handeln und überhaupt leben, oder wie die Scharfmacher rumoren: besser nicht leben, wenn nun offenkundig jede Tonne an Treibhausgas in der Atmosphäre zählt? Stillstand, Schrumpfung, Verzicht bis zum Äußersten, alles in Frage stellen, was die Moderne so bequem und den Menschen so frei gemacht hat: Mit solchen Zuspitzungen wird nicht mehr gespart, um noch den Bruch zu verhindern mit dem, was der Schweizer Autor Christoph Keller in seinem Buch "Benzin aus Luft - Eine Reise in die Klimazukunft" (Rotpunktverlag) "die real gelebte Normalität" unserer Welt nennt. Eine verrückte Normalität.
Es wird also polarisiert nach Strich und Faden in der Klimadebatte, und das lässt sich ebenso wie an der entsprechenden Protestkultur auf der Straße und an den sozialen Medien auch an den Neuerscheinungen auf dem Sachbuchmarkt ablesen: Der Kampfgeist ist hellwach. Jedenfalls war über Revolutionen, Kampf und Ratschläge für die Rettung des Planeten schon lange nicht mehr so viel Populäres und Grundsätzliches zu lesen wie in diesem Herbst. Dreh- und Angelpunkt, man könnte auch sagen: die Motivationsfigur schlechthin, ist Greta Thunberg und die Protestbewegung #FridaysForFuture.
Mit ihrer Panikrede auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos Anfang des Jahres, einer der schon erstaunlich vielen Höhepunkte im Leben der jungen Klimaaktivistin, hat die Schwedin den emotionalen Ton angeschlagen, der dreißig Jahre lang in der Ära der Sonntagsreden zum Klimawandel gefehlt hatte: "Erwachsene sagen ständig: ,Wir sind es den jungen Leuten schuldig, ihnen Hoffnung zu machen.' Aber ich will eure Hoffnung nicht. Ich will nicht, dass ihr hoffnungsvoll seid. Ich will, dass ihr in Panik geratet. Ich will, dass ihr die gleiche Angst habt, die ich täglich verspüre, und dann will ich, dass ihr handelt."
Das Phänomen Thunberg überlagert derzeit alles Klein-Klein im politischen Raum. Sie setzt die Maßstäbe. Elf Reden von ihr, von ihrem ersten Auftritt auf dem Klimamarsch von Stockholm bis zur Dankesrede für die Verleihung der Goldenen Kamera, sind nun als schmales Buch erschienen. Es ist nicht das einzige Buch über Thunberg. Aber es liefert in der Authentizität der unkommentierten Reden ein gutes Bild von der Stimmungslage auf den zahlreichen klimapolitischen Bühnen dieser Tage.
Tatsächlich ist die Frage nach Authentizität zum großen Thema geworden. Wer über das Klima schreibt, befragt sich zuerst selbst. Der Selbstbezug des Menschen, der in den klimatologischen Schriften regelhaft außer Acht gelassen wird, weil Subjektivität in der auch von Greta immer wieder befragten "grundsoliden Wissenschaft" nichts zu suchen hat, er bekommt in der neuen ökologischen Literatur eine ausgesprochen starke Rolle. Bernd Ulrich geht damit besonders virtuos zu Werke. Sein Buch mit dem Titel "Alles wird anders" ist für den altgedienten Redakteur der "Zeit" und Babyboomer, der sich lange als Vertreter der "sanftesten und grünsten Generation" hielt, die in Deutschland an der Macht war, ein Geständnis.
Ulrich ist ein Wiedererweckter der ersten Umweltbewegung. Wie fast alle Autoren, die sich ernsthaft mit der notwendigen Wende zu einer klimaschonenden Lebens- und Wirtschaftsweise beschäftigen, geht der gebürtige Ruhrpottler mit den Verdrängungsmechanismen - auch den eigenen - hart ins Gericht. Seine eigene Wende hat er durch die Umstellung auf vegane Ernährung konsequent betrieben. Die Klappe aufreißen wolle er trotzdem nicht: "Dies ist nicht das Buch von einem, der es richtig macht, sondern nur von einem, der sich nichts mehr vormachen will, nicht von einem, der besser sein will als andere, sondern es besser machen will als bisher". Das könnte zur Maxime globaler Klimapolitik taugen, denn was getan wurde, es reicht nicht: "Grüne Tonne, grüne Lunge, grüne Partei, grüne Energie", resümiert Ulrich das Umweltbewusstsein bis dato, "nur eben der Natur geht es unter dem Strich immer schlechter".
Ulrich entlarvt die rhetorischen Tricks, mit denen das, was Bundeskanzlerin Merkel als "die größte Menschheitsfrage" und ihre Nachfolgerin im Amt der Parteichefin als "eines der ganz großen existentiellen Zukunftsthemen" bezeichnen, in den politischen Zirkeln seit Jahrzehnten verhandelt wird, die vielen Varianten des "Leugnens" und "Portionierens" in der Klimapolitik. Und deshalb warnt er nicht nur vor dem "Weiter so", sondern vor der Illusion, die man sich vor allem auf Seiten der, wie er sie nennt, "naiven Liberalen" macht. Denn nicht nur die Kosten eines ungebremsten Klimawandel werden sehr schnell auf die Gesellschaft und den freiheitlich-demokratischen Staat zurückschlagen. Es droht auch die Freiheit verlorenzugehen, wenn die beschleunigte Erderwärmung jede ökologische Stabilität zunichte macht: Die Temperaturkurve des Planeten als Kurve der menschlichen Unfreiheit. "Die Optionen nehmen dramatisch ab, die Zwänge nehmen rasant zu." Das heißt für Ulrich: Je früher gegengesteuert wird, desto freier bleibt der Mensch. Dass diese Erkenntnis politisch noch nicht ausreichend durchgedrungen ist, beklagt nicht nur Ulrich. Und auch dass der Aufschub entschiedenen Handelns Folgen hat, sickert erst allmählich in die Politik und in die Gesellschaft ein, trotz UN-Konventionen und Klimaabkommen.
Zu langsam setzen sich diese Einsichten durch, das treibt viele Autoren um. Aber wie sollte man das Ruder herumreißen, ohne die Menschen (und Wähler) zu verlieren? "Extinction Rebellion" positioniert sich da klar: Die noch junge, in London gegründete, aber schon auf fast allen Kontinenten vertretene Umweltbewegung hat sich in ihrem Handbuch "Wann, wenn nicht wir*" festgelegt: Radikal raus aus der Fossilwirtschaft, sich der Politik frontal, wenn auch gewaltfrei entgegenstellen, keine Zeit mehr verlieren.
Verglichen damit reduziert der amerikanische Schriftsteller Jonathan Safran Foer seinen Widerstand gegen das "Weiter so" auf den moralisch durchdachten Aufruf zur Mäßigung. Nach seinem erfolgreichen "Tiere essen" will Foer seine Leser nun davon überzeugen, auch fürs Klima weniger Fleisch zu essen. Allzu radikale Polarisierung hält er für Gift in der Debatte, ein neues "Wir" sei der richtige Weg in den notwendigen strukturellen Wandel: "Man kann sich am besten davor drücken, eine schwierige Aufgabe anzugehen, indem man so tut, als gäbe es nur zwei Optionen." Will sagen: Jeder kann etwas bewirken.
Womit eine der zentralen ethischen Fragen in den Klimadebatten angesprochen ist, die in vielen Klima-Büchern ihren Widerhall findet: die Frage nach kollektivem oder individuellem Handeln. Wie viel Verantwortung trägt der Einzelne im täglichen Leben, was kann er tun, damit die ökologische Erosion im Großen wirkungsvoll gebremst und die Erwärmung eingedämmt wird? Foer beantwortet die Systemfrage für sich mit einer Metapher: "Ein einzelner Autofahrer kann keinen Stau verursachen. Aber ohne einzelne Autofahrer gibt es keinen Stau. Wir stecken im Verkehr fest, weil wir der Verkehr sind."
Hier ist auf Cyril Dions Büchlein hinzuweisen, eines in Frankreich inzwischen gut bekannten Filmautors und Aktivisten, der mit seiner "Kurzen Anleitung zur Rettung der Erde" um eine neue große "gemeinsame Fiktion" kämpft. Der Begriff Fiktion überrascht im ersten Moment, doch Dion geht es darum, mit neuen Ideen Emotionen zu wecken - und damit Massen zu mobilisieren, welche die Trägheit des politischen Prozesses überwinden helfen sollen. Neue "Narrative" müssten dafür her. Er ist geradezu verliebt in die Idee, mit einer kollektiven Idee von der klimafreundlichen Zukunft "Berge zu versetzen" und die Revolution zu starten.
Wie viele Klimaforscher, Aktivisten und Autoren sieht sich der Franzose von den Politikern seines Landes betrogen. Er erinnert an die vielen vergeblichen Anläufe für ein grünes Wachstum, angestoßen mit viel Tamtam vom Staatspräsidenten: "Nicolas Sarkozy rief damals zu einer ,ökologischen Revolution' auf, unterstützte das Prinzip einer Kohlendioxidsteuer, unterstrich, dass ,unser Wachstumsmodell zum Scheitern verurteilt' sei, und verteidigte das Prinzip der Vorsorge, die als ein Prinzip der Verantwortung verstanden werden muss." Das ist zwölf Jahre her. Statt aber zu tun, was er angekündigt hatte, regierte Sarkozy unter dem Diktat kurzfristiger Interessen und der nächsten Wahlen. Gerade diese Interessen werden für Dion von einem Narrativ gestützt, das uns bis heute präge und um Konsum, Unterhaltung, Wohlstand kreise.
Die Revolution beginnt für Dion deshalb klein, mit einem neuen Enthusiasmus jedes Einzelnen, der sich im Alltäglichen wie in seinem politischen Engagement für eine naturverträglichere Zukunft einsetzt. Er hofft sozusagen auf ansteckende Ideale, die eine politische Lawine zur Klimawende hin auszulösen vermögen: "Unser einziger Ausweg besteht darin, Räume für eine Zusammenarbeit zwischen Abgeordneten, Unternehmern und Bürgern zu schaffen."
Freilich, in solchen Räumen versammeln sich schon heute ziemlich viele Menschen. Nur zwei Zahlen: Mehr als sechstausend Unternehmen weltweit mit einem gemeinsamen Umsatz, der das Bruttoinlandsprodukt Chinas und der Vereinigten Staaten zusammen übersteigt, haben sich nach Paris offiziell neue Klimaziele gegeben. Außerdem lebt schon einer von fünf Weltbürgern in einer der zehntausend Städte und Regionen, die die UN-Klimaziele stützen. Deshalb auch dürften Ratgeber für ein klimaverträgliches Leben, wie sie etwa mit "Meine Reise nach Utopia" (Utopia GmbH) - eine Art Nachhaltigkeitshandbuch für den Alltag - nun vorliegen, durchaus auf Nachfrage stoßen. Meist sind sie auch, wie das Kinderbuch "50 kleine Revolutionen, mit denen du die Welt schöner machst", geradezu unaufgeregt und unideologisch und lassen die Klimapolitik als Streitthema fast vergessen. Ein anderes Beispiel liefert der großformatige Cartoonband "So geht Planet!" (Der Gestalten Verlag), der reich illustriert die für den Alltag relevanten Daten aus Ökologie, Klimatologie und Technik liefert und damit gewissermaßen die Faktenbasis für neue Ideen schafft.
In gewisser Weise leistet das auch der amerikanische Technikphilosoph Christopher Preston. Allerdings ist Prestons Utopie einer nachhaltigen Existenz des Homo sapiens völlig ungetrübt von dem Gedanken, noch zu retten, was gerettet werden kann. Er schließt sich damit Teilen des politischen Lagers an, die in künftigen Innovationen und einer rein technischen Lösung der Klimakrise die eigentliche Herausforderung sehen. Für Preston sind wir im Begriff, ins "synthetische Zeitalter" überzugehen. Diese neue schöpferische Epoche - er nennt sie "Plastozän" - schließt jede denkbare Manipulation der Atmosphäre, der Ökosysteme, ja auch der Organismen und des Menschen ein. "Die Erde und viele ihrer grundlegenden Prozesse werden ihre Unabhängigkeit von uns verlieren. Dann wird unsere Umwelt in einem sehr realen und endgültigen Sinn ihrer Natürlichkeit beraubt. Die Biosphäre wird vollständig der Technosphäre untergeordnet."
Das ist für Preston nicht etwa die Apokalypse, sondern der direkte Ausgang des Menschen aus der gegenwärtigen ökologischen Unmündigkeit in die Rolle des ultimativen Planetenverwalters. Kinder haben darf dann jeder so viele, wie er möchte, und Emissionen spielen keine Rolle mehr. Das ist zugegeben sehr langfristig gedacht. Doch alle dafür nötigen Technologien sind schon in der Pipeline der Weltingenieure.
Greta Thunberg: "Ich will, dass ihr in Panik geratet". Meine Reden zum Klimaschutz.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2019. 64 S., br., 7,- [Euro].
Pierdomenico Baccalario: "50 kleine Revolutionen, mit denen du die Welt (ein bisschen) schöner machst". Illustrationen von Anton Gionato Ferrari.
A. d. Italienischen von S. Marzolff. dtv, München 2019. 192 S., br., 12,95 [Euro].
Bernd Ulrich: "Alles wird anders". Das Zeitalter der Ökologie.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019.
224 S., br., 16,- [Euro].
Jonathan Safran Foer: "Wir sind das Klima". Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können.
A. d. Engl. von St. Jacobs und J. Schönherr. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2019. 336 S., geb., 22,- [Euro].
Cyril Dion: "Kurze Anleitung zur Rettung der Erde". Wofür wir heute kämpfen müssen.
Aus dem Englischen von Ute Kruse-Ebeling. ReclamVerlag, Ditzingen 2019. 173 S., geb., 18,- [Euro].
Christopher J. Preston: "Sind wir noch zu retten?"Wie wir mit neuen Technologien die Natur verändern können.
Aus dem Englischen von S. Vogel. Springer Verlag, Berlin / Heidelberg 2019. 288 S., Abb., br., 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Revolutionen sind angesagt und große Erzählungen gefragt, aber auch Ratschläge für den Alltag werden präsentiert: Eine Auswahl neuer Bücher zum Klimawandel.
Von Joachim Müller-Jung
Die Ernsthaftigkeit, mit der plötzlich über Klimapolitik verhandelt wird, die diesen Namen auch verdient, hat offenbar etwas Erschreckendes, ja Verstörendes. Wie soll man regieren, handeln und überhaupt leben, oder wie die Scharfmacher rumoren: besser nicht leben, wenn nun offenkundig jede Tonne an Treibhausgas in der Atmosphäre zählt? Stillstand, Schrumpfung, Verzicht bis zum Äußersten, alles in Frage stellen, was die Moderne so bequem und den Menschen so frei gemacht hat: Mit solchen Zuspitzungen wird nicht mehr gespart, um noch den Bruch zu verhindern mit dem, was der Schweizer Autor Christoph Keller in seinem Buch "Benzin aus Luft - Eine Reise in die Klimazukunft" (Rotpunktverlag) "die real gelebte Normalität" unserer Welt nennt. Eine verrückte Normalität.
Es wird also polarisiert nach Strich und Faden in der Klimadebatte, und das lässt sich ebenso wie an der entsprechenden Protestkultur auf der Straße und an den sozialen Medien auch an den Neuerscheinungen auf dem Sachbuchmarkt ablesen: Der Kampfgeist ist hellwach. Jedenfalls war über Revolutionen, Kampf und Ratschläge für die Rettung des Planeten schon lange nicht mehr so viel Populäres und Grundsätzliches zu lesen wie in diesem Herbst. Dreh- und Angelpunkt, man könnte auch sagen: die Motivationsfigur schlechthin, ist Greta Thunberg und die Protestbewegung #FridaysForFuture.
Mit ihrer Panikrede auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos Anfang des Jahres, einer der schon erstaunlich vielen Höhepunkte im Leben der jungen Klimaaktivistin, hat die Schwedin den emotionalen Ton angeschlagen, der dreißig Jahre lang in der Ära der Sonntagsreden zum Klimawandel gefehlt hatte: "Erwachsene sagen ständig: ,Wir sind es den jungen Leuten schuldig, ihnen Hoffnung zu machen.' Aber ich will eure Hoffnung nicht. Ich will nicht, dass ihr hoffnungsvoll seid. Ich will, dass ihr in Panik geratet. Ich will, dass ihr die gleiche Angst habt, die ich täglich verspüre, und dann will ich, dass ihr handelt."
Das Phänomen Thunberg überlagert derzeit alles Klein-Klein im politischen Raum. Sie setzt die Maßstäbe. Elf Reden von ihr, von ihrem ersten Auftritt auf dem Klimamarsch von Stockholm bis zur Dankesrede für die Verleihung der Goldenen Kamera, sind nun als schmales Buch erschienen. Es ist nicht das einzige Buch über Thunberg. Aber es liefert in der Authentizität der unkommentierten Reden ein gutes Bild von der Stimmungslage auf den zahlreichen klimapolitischen Bühnen dieser Tage.
Tatsächlich ist die Frage nach Authentizität zum großen Thema geworden. Wer über das Klima schreibt, befragt sich zuerst selbst. Der Selbstbezug des Menschen, der in den klimatologischen Schriften regelhaft außer Acht gelassen wird, weil Subjektivität in der auch von Greta immer wieder befragten "grundsoliden Wissenschaft" nichts zu suchen hat, er bekommt in der neuen ökologischen Literatur eine ausgesprochen starke Rolle. Bernd Ulrich geht damit besonders virtuos zu Werke. Sein Buch mit dem Titel "Alles wird anders" ist für den altgedienten Redakteur der "Zeit" und Babyboomer, der sich lange als Vertreter der "sanftesten und grünsten Generation" hielt, die in Deutschland an der Macht war, ein Geständnis.
Ulrich ist ein Wiedererweckter der ersten Umweltbewegung. Wie fast alle Autoren, die sich ernsthaft mit der notwendigen Wende zu einer klimaschonenden Lebens- und Wirtschaftsweise beschäftigen, geht der gebürtige Ruhrpottler mit den Verdrängungsmechanismen - auch den eigenen - hart ins Gericht. Seine eigene Wende hat er durch die Umstellung auf vegane Ernährung konsequent betrieben. Die Klappe aufreißen wolle er trotzdem nicht: "Dies ist nicht das Buch von einem, der es richtig macht, sondern nur von einem, der sich nichts mehr vormachen will, nicht von einem, der besser sein will als andere, sondern es besser machen will als bisher". Das könnte zur Maxime globaler Klimapolitik taugen, denn was getan wurde, es reicht nicht: "Grüne Tonne, grüne Lunge, grüne Partei, grüne Energie", resümiert Ulrich das Umweltbewusstsein bis dato, "nur eben der Natur geht es unter dem Strich immer schlechter".
Ulrich entlarvt die rhetorischen Tricks, mit denen das, was Bundeskanzlerin Merkel als "die größte Menschheitsfrage" und ihre Nachfolgerin im Amt der Parteichefin als "eines der ganz großen existentiellen Zukunftsthemen" bezeichnen, in den politischen Zirkeln seit Jahrzehnten verhandelt wird, die vielen Varianten des "Leugnens" und "Portionierens" in der Klimapolitik. Und deshalb warnt er nicht nur vor dem "Weiter so", sondern vor der Illusion, die man sich vor allem auf Seiten der, wie er sie nennt, "naiven Liberalen" macht. Denn nicht nur die Kosten eines ungebremsten Klimawandel werden sehr schnell auf die Gesellschaft und den freiheitlich-demokratischen Staat zurückschlagen. Es droht auch die Freiheit verlorenzugehen, wenn die beschleunigte Erderwärmung jede ökologische Stabilität zunichte macht: Die Temperaturkurve des Planeten als Kurve der menschlichen Unfreiheit. "Die Optionen nehmen dramatisch ab, die Zwänge nehmen rasant zu." Das heißt für Ulrich: Je früher gegengesteuert wird, desto freier bleibt der Mensch. Dass diese Erkenntnis politisch noch nicht ausreichend durchgedrungen ist, beklagt nicht nur Ulrich. Und auch dass der Aufschub entschiedenen Handelns Folgen hat, sickert erst allmählich in die Politik und in die Gesellschaft ein, trotz UN-Konventionen und Klimaabkommen.
Zu langsam setzen sich diese Einsichten durch, das treibt viele Autoren um. Aber wie sollte man das Ruder herumreißen, ohne die Menschen (und Wähler) zu verlieren? "Extinction Rebellion" positioniert sich da klar: Die noch junge, in London gegründete, aber schon auf fast allen Kontinenten vertretene Umweltbewegung hat sich in ihrem Handbuch "Wann, wenn nicht wir*" festgelegt: Radikal raus aus der Fossilwirtschaft, sich der Politik frontal, wenn auch gewaltfrei entgegenstellen, keine Zeit mehr verlieren.
Verglichen damit reduziert der amerikanische Schriftsteller Jonathan Safran Foer seinen Widerstand gegen das "Weiter so" auf den moralisch durchdachten Aufruf zur Mäßigung. Nach seinem erfolgreichen "Tiere essen" will Foer seine Leser nun davon überzeugen, auch fürs Klima weniger Fleisch zu essen. Allzu radikale Polarisierung hält er für Gift in der Debatte, ein neues "Wir" sei der richtige Weg in den notwendigen strukturellen Wandel: "Man kann sich am besten davor drücken, eine schwierige Aufgabe anzugehen, indem man so tut, als gäbe es nur zwei Optionen." Will sagen: Jeder kann etwas bewirken.
Womit eine der zentralen ethischen Fragen in den Klimadebatten angesprochen ist, die in vielen Klima-Büchern ihren Widerhall findet: die Frage nach kollektivem oder individuellem Handeln. Wie viel Verantwortung trägt der Einzelne im täglichen Leben, was kann er tun, damit die ökologische Erosion im Großen wirkungsvoll gebremst und die Erwärmung eingedämmt wird? Foer beantwortet die Systemfrage für sich mit einer Metapher: "Ein einzelner Autofahrer kann keinen Stau verursachen. Aber ohne einzelne Autofahrer gibt es keinen Stau. Wir stecken im Verkehr fest, weil wir der Verkehr sind."
Hier ist auf Cyril Dions Büchlein hinzuweisen, eines in Frankreich inzwischen gut bekannten Filmautors und Aktivisten, der mit seiner "Kurzen Anleitung zur Rettung der Erde" um eine neue große "gemeinsame Fiktion" kämpft. Der Begriff Fiktion überrascht im ersten Moment, doch Dion geht es darum, mit neuen Ideen Emotionen zu wecken - und damit Massen zu mobilisieren, welche die Trägheit des politischen Prozesses überwinden helfen sollen. Neue "Narrative" müssten dafür her. Er ist geradezu verliebt in die Idee, mit einer kollektiven Idee von der klimafreundlichen Zukunft "Berge zu versetzen" und die Revolution zu starten.
Wie viele Klimaforscher, Aktivisten und Autoren sieht sich der Franzose von den Politikern seines Landes betrogen. Er erinnert an die vielen vergeblichen Anläufe für ein grünes Wachstum, angestoßen mit viel Tamtam vom Staatspräsidenten: "Nicolas Sarkozy rief damals zu einer ,ökologischen Revolution' auf, unterstützte das Prinzip einer Kohlendioxidsteuer, unterstrich, dass ,unser Wachstumsmodell zum Scheitern verurteilt' sei, und verteidigte das Prinzip der Vorsorge, die als ein Prinzip der Verantwortung verstanden werden muss." Das ist zwölf Jahre her. Statt aber zu tun, was er angekündigt hatte, regierte Sarkozy unter dem Diktat kurzfristiger Interessen und der nächsten Wahlen. Gerade diese Interessen werden für Dion von einem Narrativ gestützt, das uns bis heute präge und um Konsum, Unterhaltung, Wohlstand kreise.
Die Revolution beginnt für Dion deshalb klein, mit einem neuen Enthusiasmus jedes Einzelnen, der sich im Alltäglichen wie in seinem politischen Engagement für eine naturverträglichere Zukunft einsetzt. Er hofft sozusagen auf ansteckende Ideale, die eine politische Lawine zur Klimawende hin auszulösen vermögen: "Unser einziger Ausweg besteht darin, Räume für eine Zusammenarbeit zwischen Abgeordneten, Unternehmern und Bürgern zu schaffen."
Freilich, in solchen Räumen versammeln sich schon heute ziemlich viele Menschen. Nur zwei Zahlen: Mehr als sechstausend Unternehmen weltweit mit einem gemeinsamen Umsatz, der das Bruttoinlandsprodukt Chinas und der Vereinigten Staaten zusammen übersteigt, haben sich nach Paris offiziell neue Klimaziele gegeben. Außerdem lebt schon einer von fünf Weltbürgern in einer der zehntausend Städte und Regionen, die die UN-Klimaziele stützen. Deshalb auch dürften Ratgeber für ein klimaverträgliches Leben, wie sie etwa mit "Meine Reise nach Utopia" (Utopia GmbH) - eine Art Nachhaltigkeitshandbuch für den Alltag - nun vorliegen, durchaus auf Nachfrage stoßen. Meist sind sie auch, wie das Kinderbuch "50 kleine Revolutionen, mit denen du die Welt schöner machst", geradezu unaufgeregt und unideologisch und lassen die Klimapolitik als Streitthema fast vergessen. Ein anderes Beispiel liefert der großformatige Cartoonband "So geht Planet!" (Der Gestalten Verlag), der reich illustriert die für den Alltag relevanten Daten aus Ökologie, Klimatologie und Technik liefert und damit gewissermaßen die Faktenbasis für neue Ideen schafft.
In gewisser Weise leistet das auch der amerikanische Technikphilosoph Christopher Preston. Allerdings ist Prestons Utopie einer nachhaltigen Existenz des Homo sapiens völlig ungetrübt von dem Gedanken, noch zu retten, was gerettet werden kann. Er schließt sich damit Teilen des politischen Lagers an, die in künftigen Innovationen und einer rein technischen Lösung der Klimakrise die eigentliche Herausforderung sehen. Für Preston sind wir im Begriff, ins "synthetische Zeitalter" überzugehen. Diese neue schöpferische Epoche - er nennt sie "Plastozän" - schließt jede denkbare Manipulation der Atmosphäre, der Ökosysteme, ja auch der Organismen und des Menschen ein. "Die Erde und viele ihrer grundlegenden Prozesse werden ihre Unabhängigkeit von uns verlieren. Dann wird unsere Umwelt in einem sehr realen und endgültigen Sinn ihrer Natürlichkeit beraubt. Die Biosphäre wird vollständig der Technosphäre untergeordnet."
Das ist für Preston nicht etwa die Apokalypse, sondern der direkte Ausgang des Menschen aus der gegenwärtigen ökologischen Unmündigkeit in die Rolle des ultimativen Planetenverwalters. Kinder haben darf dann jeder so viele, wie er möchte, und Emissionen spielen keine Rolle mehr. Das ist zugegeben sehr langfristig gedacht. Doch alle dafür nötigen Technologien sind schon in der Pipeline der Weltingenieure.
Greta Thunberg: "Ich will, dass ihr in Panik geratet". Meine Reden zum Klimaschutz.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2019. 64 S., br., 7,- [Euro].
Pierdomenico Baccalario: "50 kleine Revolutionen, mit denen du die Welt (ein bisschen) schöner machst". Illustrationen von Anton Gionato Ferrari.
A. d. Italienischen von S. Marzolff. dtv, München 2019. 192 S., br., 12,95 [Euro].
Bernd Ulrich: "Alles wird anders". Das Zeitalter der Ökologie.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019.
224 S., br., 16,- [Euro].
Jonathan Safran Foer: "Wir sind das Klima". Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können.
A. d. Engl. von St. Jacobs und J. Schönherr. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2019. 336 S., geb., 22,- [Euro].
Cyril Dion: "Kurze Anleitung zur Rettung der Erde". Wofür wir heute kämpfen müssen.
Aus dem Englischen von Ute Kruse-Ebeling. ReclamVerlag, Ditzingen 2019. 173 S., geb., 18,- [Euro].
Christopher J. Preston: "Sind wir noch zu retten?"Wie wir mit neuen Technologien die Natur verändern können.
Aus dem Englischen von S. Vogel. Springer Verlag, Berlin / Heidelberg 2019. 288 S., Abb., br., 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.09.2019Zerquältes Selbstbild
Jonathan Safran Foer hat ein Buch über die Erderwärmung geschrieben,
in dem es um die Erderwärmung nur am Rande geht
VON ALEX RÜHLE
Die Amerikaner können das mit den Sachbüchern ja so viel besser als wir bräsigen Europäer. Noch das härteste Politsujet wird in ein packendes Cliffhangerdrama umgeschmolzen, selbst die abstraktesten Themen werden in ergreifende Ich-Geschichten verpackt, gern verbunden mit Lebensläuterung. Während wir Deutschen so: Erste Seite Problembeschreibung und dann 200 Seiten Faktengeprassel, Jahreszahlen, Weltuntergang, öd und niederschmetternd wie Novemberregen.
Nun sind die Fakten in Sachen Klima ja tatsächlich deprimierend. Erstens: Die Welt brennt, Amazonien, Sibirien, Indonesien. Zweitens gibt es ein weltweit ratifiziertes Klimaabkommen. Wenn sich alle Staaten wirklich ranhalten, um das in Paris festgelegte Ziel zu erreichen, würde sich die Erde „nur“ um zwei Grad erwärmen, was freilich schlimm genug wäre (Meeresspiegelanstieg um 50 Zentimeter, Hälfte aller Tierarten vom Aussterben bedroht). Allen ernst zu nehmenden Prognosen der Wissenschaft nach wird sie sich aber sehr schnell sehr viel stärker erwärmen, weil keiner auch nur ansatzweise konsequente Klimapolitik macht. Wie zum Beweis bastelt drittens die Groko gerade an einem Klimagesetz, das nach allem, was bisher darüber zu lesen ist, über schändlich kleinmütige Symbolpolitik nicht hinauskommen wird.
Vor diesem Hintergrund erscheint jetzt das neue Buch von Jonathan Safran Foer. Der amerikanische Romanautor hat vor einigen Jahren „Tiere essen“ geschrieben, eine donnernde Anklage gegen die grauenhafte Massentierhaltung und unseren übermäßigen Fleischkonsum, geschickt verpackt in persönliche Erlebnisse als liebender Vater und den täglichen Kampf mit dem eigenen inneren Schweinehund. Angeblich wurden nach der Lektüre dieses Buchs viele Menschen zu Vegetariern.
In seinem neuen Buch verschiebt Foer den Fokus. „Wir sind das Klima – Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können“ handelt wieder von unseren perversen Essgewohnheiten, nur wird die industrielle Massentierhaltung diesmal in Bezug auf die Erderwärmung untersucht. Was unbedingt ein Thema ist, werden nach einer Untersuchung des Worldwatch-Instituts doch 51 Prozent aller klimaschädlichen Gase durch die Tierhaltung und ihre Folgen verursacht. Oder andersrum: Wir alle haben im weltweiten Durchschnitt eine jährliche CO&sub2;-Bilanz von 4,6 Tonnen, Deutsche mehr, Amerikaner viel mehr. Wenn das Zwei-Grad-Ziel erreicht werden soll, müssen wir schnell auf 2,1 Tonnen runter. Wer zum Frühstück und Mittagessen auf tierische Produkte verzichtet, verbessert seine Bilanz um 1,3 Tonnen.
Oh Verzeihung, das war jetzt schon total verkehrt, weil viel zu sehr mit der Tür ins Rindermastelend. Foer macht das raffinierter. Er schreibt erst mal über sich selbst. Da gibt es dieses Buch, das er als Kind hatte. In dem stand, dass man als heutiger Mensch noch dieselben Moleküle atme wie Julius Cäsar. Ah, denkt man als Europäer, geschickter Anfangsdreh, wir sind alle eins, kleine Erde, Schicksalsgemeinschaft.
Dann schreibt er ein Kapitel darüber, wie die Amerikaner im Zweiten Weltkrieg an der Ostküste nachts alle Lichter ausgemacht haben. Ihnen selbst drohte gar keine Gefahr. Aber damit die Nazi-U-Boote die Hintergrundstrahlung der Städte nicht nutzen konnten, um auslaufende Schiffe zielgenauer zu torpedieren, haben alle konsequent mitgemacht. Okay, denkt sich der immer beeindrucktere Europäer, das braucht’s wahrscheinlich, so eine zweite, größere Eingangsstory, wir müssen alle Einsatz zeigen, hier und heute. Und die Nazitorpedos sind wahrscheinlich gleichzusetzen mit den Auswirkungen der Erderwärmung. Alles klar jetzt für Klima, Fleisch, Methan?
Im nächsten Kapitel steigt eine schwarze Amerikanerin in einen Bus und weigert sich, aufzustehen. Nein, eben nicht Rosa Parks! Sehen Sie, reingefallen. Sondern Claudette Colvin. Die war 15, schwanger von einem älteren Mann und bettelarm. Also wurde sie nicht zum Covergirl des schwarzen Widerstands. Gut. Sehr gut. Auch diese Message verstanden, man braucht die richtigen Protagonisten für jedes Thema. Und physikalische Vorgänge in der Atmosphäre kann man nur sehr schwer zur Story machen.
Okay, aber jetzt erzählst du doch trotzdem mal was darüber, oder? Nee, jetzt kommt der polnische Widerstandskämpfer Jan Karski. Der hat sich 1942 in die USA durchgeschlagen und erzählte dem Verfassungsrichter Felix Frankfurter davon, dass die Nazis in industriellem Maßstab die Juden umbringen. Frankfurter sagte: „Ich sage nicht, dass der junge Mann lügt. Ich sage nur, dass ich ihm nicht glauben kann. Mein Verstand und mein Herz sind so gemacht, dass ich das nicht akzeptieren kann.“
Angewandt auf den Klimawandel: Wir verhalten uns extrem dissoziativ, spalten ab, was für unseren kleinen Seelenhaushalt zu viel ist. Es wird nicht sonderlich überraschen, dass Foer auch in den nächsten Kapiteln nicht zur Sache kommt, sondern stattdessen seine sterbende Großmutter vorstellt, ins Kino geht, vom D-Day erzählt und beichtet, dass er selbst immer wieder auf Flughäfen einen Burger esse. Auf Seite 78 dann: „Dieses Buch handelt von den Auswirkungen landwirtschaftlicher Tierhaltung auf die Umwelt. Und doch habe ich diesen Umstand 77 Seiten lang verschleiert. Aus Angst, dass sich damit kein Blumentopf gewinnen lässt.“ Bis dahin dürfte freilich selbst beim beeindrucktesten europäischen Sachbuchleser zart die Frage aufgetaucht sein, ob die Siegerstraße Blumentopf über 77 Seiten Vorgeplänkel führt.
Danach wird es kaum besser. Als habe er panische Angst vor Zahlen und Fakten, packt er alles Wissenswerte in 30 Seiten Powerpointlisten (alle Zahlen in diesem Text stammen aus diesen Seiten). Statt dann aber diese Fakten zu diskutieren, macht er danach 200 Seiten lang weiter wie zuvor, historische Parallelen, sehr oft mit der Nazizeit und dem Holocaust, Besuche am Sterbebett seiner Großmutter, Szenen mit seinen Kindern, ein 30-seitiges, hochgewitztes, dialektisches Streitgespräch mit seiner eigenen Seele über Engagement und Verzweiflung angesichts der Tatsache, dass der CO&sub2;-Ausstoß in den USA 2018 erneut um mehr als drei Prozent gestiegen ist.
Foers Vorgehensweise ist in sich verständlich, erklärt er doch in epischer Breite, dass bloßes Faktenwissen wenig Verhaltensänderung bringt. Der Mensch liest, dass ein Kilo Rindfleisch 40 mal so viel CO&sub2;-Emissionen erzeugt wie ein Kilo Reis; der innere Schweinehund des Menschen sagt, Steak schmeckt aber trotzdem besser, und alles geht weiter wie bisher. Er will zeigen, schau, ich bin ja selbst schwach und inkonsequent und dennoch geb ich mir Mühe.
Das Problem ist einerseits, dass all die sorgsam ausgebreiteten moralischen Mehrwertanekdoten über die inkonsequente Fehlkonstruktion Mensch tatsächlich beim Lesen zu einer Mischung aus erschlaffter Resignation und Verärgerung über die dauernden Holocaustparallelen führen (sind die CO&sub2;-Moleküle dann die Nazis oder was?). Das zweite Ärgernis ist, dass das Buch fast schon absurd privatistisch daherkommt. Weit und breit ist auf all den Seiten nichts von Politik zu sehen. Es geht nur um uns Einzelne, und wenn Foer schreibt, „um unseren Planeten zu retten, brauchen wir das Gegenteil von einem Selfie“, fragt man sich schon, was das die letzten 300 Seiten gewesen sein soll, wenn nicht das rührend zerquälte Selfie eines engagierten Aktivisten. Wie gut, dass es momentan „Fridays for Future“ gibt, die aus einer ganz ähnlich entsetzten Wut auf die Verhältnisse heraus konkrete Forderungen an die Politik stellen.
Wie gut, dass es
auf den Straßen momentan
„Fridays for Future“ gibt
Panische Angst vor Zahlen und Fakten: der Schriftsteller Jonathan Safran Foer.
Foto:David Levenson / Getty
Jonathan Safran Foer:
Wir sind das Klima!
Aus dem Englischen
von Stefanie Jacobs
und Jan Schönherr.
Verlag Kiepenheuer
& Witsch, Köln 2019.
336 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Jonathan Safran Foer hat ein Buch über die Erderwärmung geschrieben,
in dem es um die Erderwärmung nur am Rande geht
VON ALEX RÜHLE
Die Amerikaner können das mit den Sachbüchern ja so viel besser als wir bräsigen Europäer. Noch das härteste Politsujet wird in ein packendes Cliffhangerdrama umgeschmolzen, selbst die abstraktesten Themen werden in ergreifende Ich-Geschichten verpackt, gern verbunden mit Lebensläuterung. Während wir Deutschen so: Erste Seite Problembeschreibung und dann 200 Seiten Faktengeprassel, Jahreszahlen, Weltuntergang, öd und niederschmetternd wie Novemberregen.
Nun sind die Fakten in Sachen Klima ja tatsächlich deprimierend. Erstens: Die Welt brennt, Amazonien, Sibirien, Indonesien. Zweitens gibt es ein weltweit ratifiziertes Klimaabkommen. Wenn sich alle Staaten wirklich ranhalten, um das in Paris festgelegte Ziel zu erreichen, würde sich die Erde „nur“ um zwei Grad erwärmen, was freilich schlimm genug wäre (Meeresspiegelanstieg um 50 Zentimeter, Hälfte aller Tierarten vom Aussterben bedroht). Allen ernst zu nehmenden Prognosen der Wissenschaft nach wird sie sich aber sehr schnell sehr viel stärker erwärmen, weil keiner auch nur ansatzweise konsequente Klimapolitik macht. Wie zum Beweis bastelt drittens die Groko gerade an einem Klimagesetz, das nach allem, was bisher darüber zu lesen ist, über schändlich kleinmütige Symbolpolitik nicht hinauskommen wird.
Vor diesem Hintergrund erscheint jetzt das neue Buch von Jonathan Safran Foer. Der amerikanische Romanautor hat vor einigen Jahren „Tiere essen“ geschrieben, eine donnernde Anklage gegen die grauenhafte Massentierhaltung und unseren übermäßigen Fleischkonsum, geschickt verpackt in persönliche Erlebnisse als liebender Vater und den täglichen Kampf mit dem eigenen inneren Schweinehund. Angeblich wurden nach der Lektüre dieses Buchs viele Menschen zu Vegetariern.
In seinem neuen Buch verschiebt Foer den Fokus. „Wir sind das Klima – Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können“ handelt wieder von unseren perversen Essgewohnheiten, nur wird die industrielle Massentierhaltung diesmal in Bezug auf die Erderwärmung untersucht. Was unbedingt ein Thema ist, werden nach einer Untersuchung des Worldwatch-Instituts doch 51 Prozent aller klimaschädlichen Gase durch die Tierhaltung und ihre Folgen verursacht. Oder andersrum: Wir alle haben im weltweiten Durchschnitt eine jährliche CO&sub2;-Bilanz von 4,6 Tonnen, Deutsche mehr, Amerikaner viel mehr. Wenn das Zwei-Grad-Ziel erreicht werden soll, müssen wir schnell auf 2,1 Tonnen runter. Wer zum Frühstück und Mittagessen auf tierische Produkte verzichtet, verbessert seine Bilanz um 1,3 Tonnen.
Oh Verzeihung, das war jetzt schon total verkehrt, weil viel zu sehr mit der Tür ins Rindermastelend. Foer macht das raffinierter. Er schreibt erst mal über sich selbst. Da gibt es dieses Buch, das er als Kind hatte. In dem stand, dass man als heutiger Mensch noch dieselben Moleküle atme wie Julius Cäsar. Ah, denkt man als Europäer, geschickter Anfangsdreh, wir sind alle eins, kleine Erde, Schicksalsgemeinschaft.
Dann schreibt er ein Kapitel darüber, wie die Amerikaner im Zweiten Weltkrieg an der Ostküste nachts alle Lichter ausgemacht haben. Ihnen selbst drohte gar keine Gefahr. Aber damit die Nazi-U-Boote die Hintergrundstrahlung der Städte nicht nutzen konnten, um auslaufende Schiffe zielgenauer zu torpedieren, haben alle konsequent mitgemacht. Okay, denkt sich der immer beeindrucktere Europäer, das braucht’s wahrscheinlich, so eine zweite, größere Eingangsstory, wir müssen alle Einsatz zeigen, hier und heute. Und die Nazitorpedos sind wahrscheinlich gleichzusetzen mit den Auswirkungen der Erderwärmung. Alles klar jetzt für Klima, Fleisch, Methan?
Im nächsten Kapitel steigt eine schwarze Amerikanerin in einen Bus und weigert sich, aufzustehen. Nein, eben nicht Rosa Parks! Sehen Sie, reingefallen. Sondern Claudette Colvin. Die war 15, schwanger von einem älteren Mann und bettelarm. Also wurde sie nicht zum Covergirl des schwarzen Widerstands. Gut. Sehr gut. Auch diese Message verstanden, man braucht die richtigen Protagonisten für jedes Thema. Und physikalische Vorgänge in der Atmosphäre kann man nur sehr schwer zur Story machen.
Okay, aber jetzt erzählst du doch trotzdem mal was darüber, oder? Nee, jetzt kommt der polnische Widerstandskämpfer Jan Karski. Der hat sich 1942 in die USA durchgeschlagen und erzählte dem Verfassungsrichter Felix Frankfurter davon, dass die Nazis in industriellem Maßstab die Juden umbringen. Frankfurter sagte: „Ich sage nicht, dass der junge Mann lügt. Ich sage nur, dass ich ihm nicht glauben kann. Mein Verstand und mein Herz sind so gemacht, dass ich das nicht akzeptieren kann.“
Angewandt auf den Klimawandel: Wir verhalten uns extrem dissoziativ, spalten ab, was für unseren kleinen Seelenhaushalt zu viel ist. Es wird nicht sonderlich überraschen, dass Foer auch in den nächsten Kapiteln nicht zur Sache kommt, sondern stattdessen seine sterbende Großmutter vorstellt, ins Kino geht, vom D-Day erzählt und beichtet, dass er selbst immer wieder auf Flughäfen einen Burger esse. Auf Seite 78 dann: „Dieses Buch handelt von den Auswirkungen landwirtschaftlicher Tierhaltung auf die Umwelt. Und doch habe ich diesen Umstand 77 Seiten lang verschleiert. Aus Angst, dass sich damit kein Blumentopf gewinnen lässt.“ Bis dahin dürfte freilich selbst beim beeindrucktesten europäischen Sachbuchleser zart die Frage aufgetaucht sein, ob die Siegerstraße Blumentopf über 77 Seiten Vorgeplänkel führt.
Danach wird es kaum besser. Als habe er panische Angst vor Zahlen und Fakten, packt er alles Wissenswerte in 30 Seiten Powerpointlisten (alle Zahlen in diesem Text stammen aus diesen Seiten). Statt dann aber diese Fakten zu diskutieren, macht er danach 200 Seiten lang weiter wie zuvor, historische Parallelen, sehr oft mit der Nazizeit und dem Holocaust, Besuche am Sterbebett seiner Großmutter, Szenen mit seinen Kindern, ein 30-seitiges, hochgewitztes, dialektisches Streitgespräch mit seiner eigenen Seele über Engagement und Verzweiflung angesichts der Tatsache, dass der CO&sub2;-Ausstoß in den USA 2018 erneut um mehr als drei Prozent gestiegen ist.
Foers Vorgehensweise ist in sich verständlich, erklärt er doch in epischer Breite, dass bloßes Faktenwissen wenig Verhaltensänderung bringt. Der Mensch liest, dass ein Kilo Rindfleisch 40 mal so viel CO&sub2;-Emissionen erzeugt wie ein Kilo Reis; der innere Schweinehund des Menschen sagt, Steak schmeckt aber trotzdem besser, und alles geht weiter wie bisher. Er will zeigen, schau, ich bin ja selbst schwach und inkonsequent und dennoch geb ich mir Mühe.
Das Problem ist einerseits, dass all die sorgsam ausgebreiteten moralischen Mehrwertanekdoten über die inkonsequente Fehlkonstruktion Mensch tatsächlich beim Lesen zu einer Mischung aus erschlaffter Resignation und Verärgerung über die dauernden Holocaustparallelen führen (sind die CO&sub2;-Moleküle dann die Nazis oder was?). Das zweite Ärgernis ist, dass das Buch fast schon absurd privatistisch daherkommt. Weit und breit ist auf all den Seiten nichts von Politik zu sehen. Es geht nur um uns Einzelne, und wenn Foer schreibt, „um unseren Planeten zu retten, brauchen wir das Gegenteil von einem Selfie“, fragt man sich schon, was das die letzten 300 Seiten gewesen sein soll, wenn nicht das rührend zerquälte Selfie eines engagierten Aktivisten. Wie gut, dass es momentan „Fridays for Future“ gibt, die aus einer ganz ähnlich entsetzten Wut auf die Verhältnisse heraus konkrete Forderungen an die Politik stellen.
Wie gut, dass es
auf den Straßen momentan
„Fridays for Future“ gibt
Panische Angst vor Zahlen und Fakten: der Schriftsteller Jonathan Safran Foer.
Foto:David Levenson / Getty
Jonathan Safran Foer:
Wir sind das Klima!
Aus dem Englischen
von Stefanie Jacobs
und Jan Schönherr.
Verlag Kiepenheuer
& Witsch, Köln 2019.
336 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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»Gut verständlich liefert er viele Fakten - und legt seine eigenen Widersprüche offen.« Bärbel Schäfer myself 20200512