Die deutsche Vereinigung war eine der Sternstunden der an solchen nicht gerade reichen deutschen Geschichte. Das Buch beschreibt knapp und verständlich den Prozeß der deutschen Einigung als Ergebnis der friedlichen Revolution der Menschen der DDR. Es schildert den Wandel der weltpolitischen Konstellationen, vor allem durch Gorbatschow innerhalb der damaligen Sowjetunion, der die Voraussetzungen schuf für die deutsche Wiedervereinigung. Die finanz-, wirtschafts- und sozialpolitischen Verhandlungen zwischen Deutschland West und Deutschland Ost werden auf der Basis neu erschlossener Quellen mit interessanten Details beleuchtet, die Ergebnisse analysiert und auch die verfassungsrechtlichen Optionen skizziert.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.01.2010Zeitdruck
Einheit und Sozialstaat
Gerhard A. Ritter nimmt den umfassenden Transformationsprozess in den Fokus, der auf die friedliche Revolution von 1989/90 folgte und gleichsam die zweite Revolution darstellt. Dieser Adaptionsprozess setzte bereits in den letzten Monaten der DDR mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion ein. Dabei verliert der Autor keineswegs aus den Augen, dass die Wiedervereinigung ohne den Willen der Menschen in der DDR zur Einheit nicht zustande gekommen wäre. Vielmehr hat die Dynamik der inneren Einigung die äußere Einigung stets vorangetrieben - man denke nur an die zirka 10 000 "DDRler", die seit der Öffnung der Mauer Monat für Monat den ungeliebten SED-Staat verließen. Das Herzstück des hoch informativen Büchleins ist der "Sozialpolitik in der deutschen Einigung" gewidmet. Damals kamen ordnungspolitisch zwei Staaten wie Feuer und Wasser mit ebenso unterschiedlicher Wirtschaftsleistung zusammen. Das galt auch für die Sozialsysteme mit ihren Bestandteilen Sozialversicherung, Renten, Arbeitslosen- und Unfallversicherung, Sozialhilfe und Kriegsopferversorgung sowie das Gesundheitswesen und das Arbeitsrecht. Überzeugend weist Ritter nach, dass es letztlich keine Alternative zur Übertragung des bundesdeutschen Sozialstaats auf die neuen Bundesländer gab, dadurch aber "die latente Krise des deutschen Sozialstaats entscheidend verschärft" wurde.
Angesichts des Problem- und Zeitdrucks waren es vor allem die Exekutive und die Ministerialbürokratie, die zum permanenten Handeln gezwungen wurden. Fehler blieben nicht aus, wie bei der Finanzierung der Wiedervereinigung, die zu wesentlichen Teilen von den Solidargemeinschaften der Arbeitslosen- und der Rentenversicherung getragen wurde und die unteren und mittleren Schichten der Bevölkerung "überproportional belastete". Die parallele Erhöhung der Tariflöhne und -gehälter, die wiederum aus sozialpolitischen Gründen erfolgte, verschlechterte die Konkurrenzfähigkeit der neuen Bundesländer gegenüber den übrigen ehemaligen Ostblockstaaten.
GÜNTHER HEYDEMANN
Gerhard A. Ritter: Wir sind das Volk! Wir sind ein Volk! Geschichte der deutschen Einigung. C.H. Beck, München 2009. 190 S., 12,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Einheit und Sozialstaat
Gerhard A. Ritter nimmt den umfassenden Transformationsprozess in den Fokus, der auf die friedliche Revolution von 1989/90 folgte und gleichsam die zweite Revolution darstellt. Dieser Adaptionsprozess setzte bereits in den letzten Monaten der DDR mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion ein. Dabei verliert der Autor keineswegs aus den Augen, dass die Wiedervereinigung ohne den Willen der Menschen in der DDR zur Einheit nicht zustande gekommen wäre. Vielmehr hat die Dynamik der inneren Einigung die äußere Einigung stets vorangetrieben - man denke nur an die zirka 10 000 "DDRler", die seit der Öffnung der Mauer Monat für Monat den ungeliebten SED-Staat verließen. Das Herzstück des hoch informativen Büchleins ist der "Sozialpolitik in der deutschen Einigung" gewidmet. Damals kamen ordnungspolitisch zwei Staaten wie Feuer und Wasser mit ebenso unterschiedlicher Wirtschaftsleistung zusammen. Das galt auch für die Sozialsysteme mit ihren Bestandteilen Sozialversicherung, Renten, Arbeitslosen- und Unfallversicherung, Sozialhilfe und Kriegsopferversorgung sowie das Gesundheitswesen und das Arbeitsrecht. Überzeugend weist Ritter nach, dass es letztlich keine Alternative zur Übertragung des bundesdeutschen Sozialstaats auf die neuen Bundesländer gab, dadurch aber "die latente Krise des deutschen Sozialstaats entscheidend verschärft" wurde.
Angesichts des Problem- und Zeitdrucks waren es vor allem die Exekutive und die Ministerialbürokratie, die zum permanenten Handeln gezwungen wurden. Fehler blieben nicht aus, wie bei der Finanzierung der Wiedervereinigung, die zu wesentlichen Teilen von den Solidargemeinschaften der Arbeitslosen- und der Rentenversicherung getragen wurde und die unteren und mittleren Schichten der Bevölkerung "überproportional belastete". Die parallele Erhöhung der Tariflöhne und -gehälter, die wiederum aus sozialpolitischen Gründen erfolgte, verschlechterte die Konkurrenzfähigkeit der neuen Bundesländer gegenüber den übrigen ehemaligen Ostblockstaaten.
GÜNTHER HEYDEMANN
Gerhard A. Ritter: Wir sind das Volk! Wir sind ein Volk! Geschichte der deutschen Einigung. C.H. Beck, München 2009. 190 S., 12,95 [Euro].
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