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»In Liebermann bewundere ich Berlin«, äußerte Thomas Mann einst und brachte damit die fast symbiotische Beziehung des großen Malers und seiner Familie mit der preußisch-deutschen Hauptstadt zum Ausdruck. Tatsächlich haben die Liebermanns das Gesicht Preußens und Berlins maßgeblich mitgeprägt. Mit eindringlicher Erzählkraft gelingt es Regina Scheer, die 200-jährige Geschichte dieser deutsch-jüdischen Familie lebendig werden zu lassen.

Produktbeschreibung
»In Liebermann bewundere ich Berlin«, äußerte Thomas Mann einst und brachte damit die fast symbiotische Beziehung des großen Malers und seiner Familie mit der preußisch-deutschen Hauptstadt zum Ausdruck. Tatsächlich haben die Liebermanns das Gesicht Preußens und Berlins maßgeblich mitgeprägt. Mit eindringlicher Erzählkraft gelingt es Regina Scheer, die 200-jährige Geschichte dieser deutsch-jüdischen Familie lebendig werden zu lassen.

Autorenporträt
Regina Scheer, geboren in Berlin. Nach dem Studium der Theater- und Kulturwissenschaft war sie von 1980 bis 1990 Redakteurin der Literaturzeitschrift Temperamente. Seitdem lebt sie als freie Redakteurin und Autorin in Berlin. Zahlreiche literarische und zeitgeschichtliche Buchveröffentlichungen, darunter Im Schatten der Sterne. Eine jüdische Widerstandsgruppe (2004).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.11.2006

Am Wannsee wohnten Heil und Unheil
Als Flaneurin und Chronistin geht Regina Scheer der Geschichte der Berliner Familie Liebermann nach
Vogelschwärme über den Kuppeln des Berliner Doms beobachtend, erinnert sich die Autorin, dass Stare ungewöhnliche Klangfolgen speichern können, die sie an die Folgegenerationen weitergeben. Auf ihrer Spurensucheam Spreeufer sinniert Regina Scheer darüber nach, ob man neben Luftschutzsirenen, Kinderliedern, dem Lachen längst Verstorbener auf diese Weise auch „den ersten Schrei” Max Liebermanns nach dessen Geburt wiederhören könne?
Der berühmte Maler wurde unweit des Doms in der Burgstraße geboren, aber das Haus steht nicht mehr. Wie andere Teile von Berlins historischer Mitte wurde auch diese Straße in einer Bombennacht des Kriegsjahres 1943 fast komplett zerstört. Zu diesem Zeitpunkt war der Glanz der Liebermanns bereits erloschen. Die meisten Mitglieder der jüdischen Familie waren längst emigriert oder von den Nazis deportiert, Martha Liebermann, die Witwe des Malers, hatte sich 85-jährig das Leben genommen, um sich den Verfolgungen zu entziehen.
Mit der Vorstellung, das Stimmgedächtnis der Stare könne die einziglebendige Erinnerung an das von den Liebermanns so vollkommen repräsentierte großbürgerliche Berlin sein, will sich Scheer nicht abfinden. Zwar läuft ihr Buch auf den berühmten Max zu, in erster Linie aber geht es um die Rekonstruktion der gesamten „Geschichte einer Familie”, deren Aufstieg im 19. Jahrhundert bis zum erzwungenen Niedergang nach 1933. Die Liebermanns waren eine weitverzweigte Dynastie, eng verwandt mit den Rathenaus, aber auch Hugo Preuß, der die Weimarer Verfassung maßgeblich erarbeitete und eine Großnichte des Malers heiratete, gehörte dazu.
Arno Brekers Todesmaske
Wer die Geschichte der immens reichen und einflussreichen Liebermanns schreiben möchte, muss sich darüber im Klaren sein, wie eng in diesem Fall Familiengeschichte mit preußisch-deutscher Geschichte verzahnt ist. Der Aufstieg der märkischen Kaufleute zu Berliner Industriemagnaten binnen zweier Generationen zeigt nicht allein die vielfach mit der Preisgabe jüdischer Identität verbundenen Assimilationsbemühungen. Wie die Rathenaus waren auch die Liebermanns prominente Akteure, ohne die der ökonomische Erfolg Preußens wie des deutschen Kaiserreiches undenkbarist.
Das weiß selbstverständlich auch Regina Scheer. Leider aber ist esnicht ihr wichtigstes Anliegen, exemplarisch den Makrokosmos der großen Geschichte im familiären Mikrokosmos der Liebermanns zu spiegeln. Stattdessen gibt sie sich mit einer überwiegend lokalen Perspektive zufrieden, die der historischen Bedeutung der Liebermanns schwerlich gerecht wird. Scheer hat so akribisch recherchiert, dass sie im Eifer ihrer Rekonstruktionsversuche nicht merkt, wie ermüdend manche ihrer Ergebnisse sind. Von jedem Mitglied der Familie Liebermann die Berliner Adresse samt Hausnummer meist nicht mehr existierender Straßen in Erfahrung zu bringen,war gewiss mühsam; niemand wird sich jedoch all die Ortsnamen und Ziffern merken können oder für solche Details Interesse aufbringen. Ähnlich steht es mit manchen Darstellungen genealogischer Verzweigungen, deren Zweck unklar bleibt.
So solide dieses Buch recherchiert ist, so brav bleibt es meist auch. Von Deutungen kaum eine Spur; ohne These lässt sich aber Quellen- und anderes Recherchematerial nur schwer operationalisieren. Diesen Mangel vermag auch die Trauer der Autorin über den Verlust des liberalen jüdischen Bürgertums nicht auszugleichen. Lieber hätte man etwas zur sozialen Funktion einer kulturell prägenden bürgerlichen Elite erfahren, wie auch darüber, ob aufstiegsorientierte Assimilation über das Kaiserreich hinaus nicht doch ein probates Integrationsmodell ist. Dass die „preußischen Juden” à la Liebermann Vorbildcharakter besitzen, steht zwar zwischen den Zeilen, Kapital schlägt Scheer aber nichtdaraus. Das heutige Berlin ist kein Nährboden mehr für Parvenus, umso stärker hätte dieser mittlerweile bloß mehr historische Typus akzentuiert werden müssen.
Lesenswert ist diese Familiengeschichte trotz Einschränkungen aber dennoch. Mit sicherem Sprachempfinden gelingen Scheer, mehr Flaneurin und Chronistin als Bürgertumsforscherin, immer dann lebendige Schilderungen, wenn sie das Straßen- und Stadtleben eines längst erloschenen Berlin heraufbeschwört. Ihre Spurensuche, eingestreut in die verschiedenen historischen Kapitel, ist so animierend, dass sie im Leser das Bedürfnis wecken, einen der zahlreichen jüdischen Friedhöfe Berlins oder wieder einmal Max Liebermanns Bilder aufzusuchen.
Am meisten überzeugt Scheers Blick für bestimmte geschichtliche Kontingenzen, die einem den Atem nehmen. Ausgerechnet Arno Breker war es, der Max Liebermann die Totenmaske abnahm, und Paul Baumgarten, der das Sommerhaus des Künstlers entworfen hatte, war auch Architekt des benachbarten, 1915 vollendeten Hauses, das später als „Wannseevilla” berüchtigt wurde.
Das letzte Kapitel des Buches ist dem blonden und blauäugigen Rolf Liebermann gewidmet, einem deutschen Patrioten, der sich nicht ausgrenzen lassenwollte. Durch Protektion prominenter Nationalsozialisten gelang es dem getauftenJuden, Unteroffizier der Wehrmacht zu werden, 1942 fiel er an der Ostfront. Die sich auf bloße Fakten beschränkende knappe Darstellung dieses Lebenslaufes erinnert an die bizarren Biographien, die man aus der „Chronik der Gefühle” eines Alexander Kluge kennt.
Nur en passant lässt Scheer erkennen, was sie bewog, dieses Buch zu schreiben. 1985 habe sie sich mit anderen Ostberlinern zu einer Gedenkfeier aus Anlass des 50. Todestages von Max Liebermann an dessen Grab auf dem Jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee eingefunden. Dieses konspirative Gedenken – die offizielle DDR assoziierte alles Jüdischemit Israel als „Bollwerk des Imperialismus” – erinnert die Autorin an die Augenzeugenberichte des Begräbnisses von Max Liebermann, dasvon der Gestapo bespitzelt wurde. Hätte Scheers Buch mit dieser Episode begonnen, wäre deutlicher geworden, dass sie antitotalitäre Geschichtslehren einer Erinnerung vorzieht, die nur sentimentaler Selbstzweck ist.
THOMAS MEDICUS
REGINA SCHEER: „Wir sind die Liebermanns”. Die Geschichte einer Familie. Propyläen Verlag. Berlin 2006. 416 Seiten. 22,90 Euro.
Wo sind die Reste des großbürgerlichen Berlin? Max Liebermann, „Der Kuenstler und seine Familie in seinem Haus am Wannsee”, um 1926.
Foto: AKG/PA
Max Liebermann 1922 mit seiner Enkelin Maria
Foto: Ullstein
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