Über die wahren Protagonisten der revolutionären 80er
Um 1980 versetzt die Neue Deutsche Welle ein sehr gestriges Land in Aufruhr: Es weht ein neuer Zeitgeist durch Musik, Mode und Literatur. Antirassismus, selbstbestimmter Sex und Geschlechterfragen - eine Handvoll junger Musiker und Künstlerinnen erfindet Deutschland radikal neu. Aber war die Neue Deutsche Welle wirklich so deutsch?
Ulrich Gutmair geht in diesem Buch zurück in die Zeit, auf der unsere Gegenwart gründet. Seine Korrektur an der Geschichtsschreibung der Popkultur würdigt die Rolle der Gastarbeiterinnen und Einwanderer, ohne die das Deutschland, in dem wir heute leben, nicht denkbar ist.
Schrille Synthiesounds, Röhrenjeans mit Loch, Coolness und Ironie, T-Shirts mit selbstgemachten Slogans drauf, Popsongs, in denen das Wort geil vorkommt - so erinnert man die frühen Achtziger. Doch die Bundesrepublik ist da noch ein Land von gestern, nach den 68ern beginnt gar eine neue Phase der Deutschtümeleimit dem Ruf nach einer nationalen Identität. Der queere Spanier Gabi Delgado-López, bekannt als Frontmann von DAF, und andere junge Künstlerinnen und Künstler wie der sizilianische Gastarbeiter Angelo Galizia oder die Frauenpunkband Östro 430 stellen sich radikal dagegen. Ihre Frage an das Patriarchat: Wer sind denn da die Mädchen, wer sind denn da die Boys? Ihre Antwort auf deutsche Überfremdungsangst: Wir sind die Türken von morgen.
Ulrich Gutmair zeigt, wie Popkultur funktioniert und wie sie mit der Geschichte des deutschsprachigen Raums verwoben ist. Wir sind die Türken von morgen lässt die Jugend von 1980 und die Welt, die sie revolutioniert, in einem neuen Licht erscheinen.
Um 1980 versetzt die Neue Deutsche Welle ein sehr gestriges Land in Aufruhr: Es weht ein neuer Zeitgeist durch Musik, Mode und Literatur. Antirassismus, selbstbestimmter Sex und Geschlechterfragen - eine Handvoll junger Musiker und Künstlerinnen erfindet Deutschland radikal neu. Aber war die Neue Deutsche Welle wirklich so deutsch?
Ulrich Gutmair geht in diesem Buch zurück in die Zeit, auf der unsere Gegenwart gründet. Seine Korrektur an der Geschichtsschreibung der Popkultur würdigt die Rolle der Gastarbeiterinnen und Einwanderer, ohne die das Deutschland, in dem wir heute leben, nicht denkbar ist.
Schrille Synthiesounds, Röhrenjeans mit Loch, Coolness und Ironie, T-Shirts mit selbstgemachten Slogans drauf, Popsongs, in denen das Wort geil vorkommt - so erinnert man die frühen Achtziger. Doch die Bundesrepublik ist da noch ein Land von gestern, nach den 68ern beginnt gar eine neue Phase der Deutschtümeleimit dem Ruf nach einer nationalen Identität. Der queere Spanier Gabi Delgado-López, bekannt als Frontmann von DAF, und andere junge Künstlerinnen und Künstler wie der sizilianische Gastarbeiter Angelo Galizia oder die Frauenpunkband Östro 430 stellen sich radikal dagegen. Ihre Frage an das Patriarchat: Wer sind denn da die Mädchen, wer sind denn da die Boys? Ihre Antwort auf deutsche Überfremdungsangst: Wir sind die Türken von morgen.
Ulrich Gutmair zeigt, wie Popkultur funktioniert und wie sie mit der Geschichte des deutschsprachigen Raums verwoben ist. Wir sind die Türken von morgen lässt die Jugend von 1980 und die Welt, die sie revolutioniert, in einem neuen Licht erscheinen.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Die achtziger Jahre sind heute von uns so weit weg, wie es damals der Kampf um Stalingrad war, seufzt Rezensent Andreas Bernard. Er liest trotzdem gern in Ulrich Gutmairs Buch über den migrantischen Einfluss im Pop der Neuen Deutschen Welle. Akribisch recherchiert ist das Buch, versichert Bernard, der Autor weiß einfach jedes Detail über die DAF und ihren Frontmann Gabi Delgado, Falco, Fehlfarben und Ideal. Dass Gutmair eher einzelnen Szenen zusammenfügt als eine stringente Argumentation schafft, sieht ihm Bernard nach. Und klar: Die Neue Deutsche Welle war "weiß und heteronormativ", das migrantische Leben findet sich nur in Spurenelementen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.04.2023Faszinierende
Facette
Welchen Einfluss hatten
migrantische Kulturen auf die
den NDW-Pop der Achtziger?
Der Höhepunkt der Neuen Deutschen Welle 1982, als Markus mit „Ich will Spaß“ die Charts anführte, ist heute genauso weit entfernt wie damals der deutsche Angriff auf Stalingrad. Post-Punk und New Wave sind historische Phänomene, die inzwischen Geschichtsbücher und Museen füllen, und eine besonders interessante und unerwartete Perspektive hat nun der Journalist Ulrich Gutmair gewählt: In seinem Buch „Wir sind die Türken von morgen“, benannt nach der Schlusszeile des Lieds „Kebabträume“ von DAF, beschäftigt er sich mit dem Einfluss migrantischer Kultur auf die neue deutschsprachige Musik in den Jahren um 1980.
Zentraler Protagonist ist Gabi Delgado-López, Sänger und Tänzer bei DAF, der bis zu seinem achten Lebensjahr bei der Großmutter in Spanien aufwuchs und 1966 seinen dem Franco-Regime entflohenen Eltern nach Dortmund folgte. Die insgesamt neun Verse von „Kebabträume“, die Delgado-López 1978 unter dem Eindruck eines Berlin-Konzerts zur Eröffnung des Kreuzberger Clubs SO36 schrieb, unterzieht Gutmair einer umfassenden literatursoziologischen Interpretation, in der er die persönliche Biografie des Musikers, die Geschichte des sogenannten Gastarbeiterabkommens der BRD zwischen 1955 und 1973 und die reaktionären politischen Ideologien der von Helmut Kohl eingeforderten „geistig-moralischen Wende“ miteinander in Beziehung setzt. Den sloganhaften Text würdigt er als eine Signatur der Epoche, verfasst „in einem historischen Moment, in dem sich die Westdeutschen bewusst zu werden beginnen, dass sie in einem Einwanderungsland leben“.
Ulrich Gutmair findet zahlreiche Dokumente für diese Allianz von Neuer Deutscher Welle und migrantischer Kultur, etwa das Lied „Aşk Mark ve Ölum“ („Liebe, D-Mark und Tod“) auf dem letzten Album von Ideal, dessen türkischer Text auf der Plattenhülle zwar abgedruckt, aber nicht übersetzt wurde, weil sich die Band erhoffte, dass Fragen nach seiner Bedeutung neue Bekanntschaften zwischen Deutschen und Türken stiften könnten. Eine andere wichtige Figur des Buches ist Angelo Galizia, italienischstämmiger Sänger der Limburger Band The Wirtschaftswunder, dessen Texte ebenfalls das Aufwachsen als „Gastarbeiterkind“ in Deutschland thematisieren.
„Wir sind die Türken von morgen“ ist eine Mischung aus pophistorischen Szenen, Interviewpassagen und eingefügten Zusammenfassungen maßgeblicher Denksysteme der Zeit (etwa von Habermas und Theweleit) und macht immer wieder anschaulich, wie sehr sich das Deutschland der frühen Achtziger trotz der modischen und klanglichen Frische einer Band wie DAF von der Gegenwart unterscheidet.
Die Nähe zu Weltkrieg und Holocaust war noch im Straßenbild spürbar, an den beinamputierten Kriegsveteranen, denen sowohl Mittagspause als auch Family 5 einen Song widmeten, an den Beschimpfungen der Punks, denen von Passanten bescheinigt wird, dass sie „unter Hitler vergast“ worden wären, oder auch an einer berührenden Figur wie dem alten jüdischen Friseur in Düsseldorf, der 1980 noch wusste, wie man die unter den ersten Punks beliebte Dreißigerjahre-Kurzhaarfrisur schnitt, und der sich später das Leben nahm.
Die Stärke des akribisch recherchierten Buches sind die unzähligen Details und Funde, die Gutmair mit der Souveränität des profunden Kenners einstreut, über die Frühgeschichte des Döners in West-Berlin, über die heimliche Quelle der Texte Falcos, der sich regelmäßig bei den Songs der ersten Wiener Punkband Chuzpe bediente, oder darüber, dass Schlagzeuger und Programmierer von DAF, Robert Görl, immer dann wusste, dass ein Song Gestalt annahm, wenn Gabi Delgado im Studio zu tanzen begann.
Um klare, stringent durchargumentierte Hypothesen geht es dem an Exkursen reichen Buch weniger, was daran liegen könnte, dass sein nur zwischen den Zeilen zu fassendes Thema – der migrantische Anteil der Neuen Deutschen Welle – eher eine faszinierende Facette als eine markante historische Spur ist. Die ersten Assoziationen zu NDW (Markus, Nena, Fehlfarben, Joachim Witt, Peter Schilling) sind so weiß und heteronormativ wie kaum eine andere popkulturelle Strömung der vergangenen Jahrzehnte. Markus’ berühmter Refrain hieß „Ich geb Gas, ich will Spaß“ – eine Wortfolge, die 37 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bereits wieder von großer Unbedarftheit der deutschen Geschichte gegenüber zeugte.
ANDREAS BERNARD
„Kebabträume“ von
DAF wird zur Signatur
der Epoche
Ulrich Gutmair: Wir sind die Türken von morgen – Neue Welle, neues Deutschland. Tropen Verlag, Berlin 2023. 304 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Facette
Welchen Einfluss hatten
migrantische Kulturen auf die
den NDW-Pop der Achtziger?
Der Höhepunkt der Neuen Deutschen Welle 1982, als Markus mit „Ich will Spaß“ die Charts anführte, ist heute genauso weit entfernt wie damals der deutsche Angriff auf Stalingrad. Post-Punk und New Wave sind historische Phänomene, die inzwischen Geschichtsbücher und Museen füllen, und eine besonders interessante und unerwartete Perspektive hat nun der Journalist Ulrich Gutmair gewählt: In seinem Buch „Wir sind die Türken von morgen“, benannt nach der Schlusszeile des Lieds „Kebabträume“ von DAF, beschäftigt er sich mit dem Einfluss migrantischer Kultur auf die neue deutschsprachige Musik in den Jahren um 1980.
Zentraler Protagonist ist Gabi Delgado-López, Sänger und Tänzer bei DAF, der bis zu seinem achten Lebensjahr bei der Großmutter in Spanien aufwuchs und 1966 seinen dem Franco-Regime entflohenen Eltern nach Dortmund folgte. Die insgesamt neun Verse von „Kebabträume“, die Delgado-López 1978 unter dem Eindruck eines Berlin-Konzerts zur Eröffnung des Kreuzberger Clubs SO36 schrieb, unterzieht Gutmair einer umfassenden literatursoziologischen Interpretation, in der er die persönliche Biografie des Musikers, die Geschichte des sogenannten Gastarbeiterabkommens der BRD zwischen 1955 und 1973 und die reaktionären politischen Ideologien der von Helmut Kohl eingeforderten „geistig-moralischen Wende“ miteinander in Beziehung setzt. Den sloganhaften Text würdigt er als eine Signatur der Epoche, verfasst „in einem historischen Moment, in dem sich die Westdeutschen bewusst zu werden beginnen, dass sie in einem Einwanderungsland leben“.
Ulrich Gutmair findet zahlreiche Dokumente für diese Allianz von Neuer Deutscher Welle und migrantischer Kultur, etwa das Lied „Aşk Mark ve Ölum“ („Liebe, D-Mark und Tod“) auf dem letzten Album von Ideal, dessen türkischer Text auf der Plattenhülle zwar abgedruckt, aber nicht übersetzt wurde, weil sich die Band erhoffte, dass Fragen nach seiner Bedeutung neue Bekanntschaften zwischen Deutschen und Türken stiften könnten. Eine andere wichtige Figur des Buches ist Angelo Galizia, italienischstämmiger Sänger der Limburger Band The Wirtschaftswunder, dessen Texte ebenfalls das Aufwachsen als „Gastarbeiterkind“ in Deutschland thematisieren.
„Wir sind die Türken von morgen“ ist eine Mischung aus pophistorischen Szenen, Interviewpassagen und eingefügten Zusammenfassungen maßgeblicher Denksysteme der Zeit (etwa von Habermas und Theweleit) und macht immer wieder anschaulich, wie sehr sich das Deutschland der frühen Achtziger trotz der modischen und klanglichen Frische einer Band wie DAF von der Gegenwart unterscheidet.
Die Nähe zu Weltkrieg und Holocaust war noch im Straßenbild spürbar, an den beinamputierten Kriegsveteranen, denen sowohl Mittagspause als auch Family 5 einen Song widmeten, an den Beschimpfungen der Punks, denen von Passanten bescheinigt wird, dass sie „unter Hitler vergast“ worden wären, oder auch an einer berührenden Figur wie dem alten jüdischen Friseur in Düsseldorf, der 1980 noch wusste, wie man die unter den ersten Punks beliebte Dreißigerjahre-Kurzhaarfrisur schnitt, und der sich später das Leben nahm.
Die Stärke des akribisch recherchierten Buches sind die unzähligen Details und Funde, die Gutmair mit der Souveränität des profunden Kenners einstreut, über die Frühgeschichte des Döners in West-Berlin, über die heimliche Quelle der Texte Falcos, der sich regelmäßig bei den Songs der ersten Wiener Punkband Chuzpe bediente, oder darüber, dass Schlagzeuger und Programmierer von DAF, Robert Görl, immer dann wusste, dass ein Song Gestalt annahm, wenn Gabi Delgado im Studio zu tanzen begann.
Um klare, stringent durchargumentierte Hypothesen geht es dem an Exkursen reichen Buch weniger, was daran liegen könnte, dass sein nur zwischen den Zeilen zu fassendes Thema – der migrantische Anteil der Neuen Deutschen Welle – eher eine faszinierende Facette als eine markante historische Spur ist. Die ersten Assoziationen zu NDW (Markus, Nena, Fehlfarben, Joachim Witt, Peter Schilling) sind so weiß und heteronormativ wie kaum eine andere popkulturelle Strömung der vergangenen Jahrzehnte. Markus’ berühmter Refrain hieß „Ich geb Gas, ich will Spaß“ – eine Wortfolge, die 37 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bereits wieder von großer Unbedarftheit der deutschen Geschichte gegenüber zeugte.
ANDREAS BERNARD
„Kebabträume“ von
DAF wird zur Signatur
der Epoche
Ulrich Gutmair: Wir sind die Türken von morgen – Neue Welle, neues Deutschland. Tropen Verlag, Berlin 2023. 304 Seiten, 22 Euro.
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»'Wir sind die Türken von morgen' schlägt viele Haken und weite Bögen - und fügt der Geschichtsschreibung der Neuen Deutschen Welle Erstaunliches hinzu.« Christina Mohr, KAPUT - Magazin für Insolvenz & Pop, 20. Juli 2023 Christina Mohr KAPUT - Magazin für Insolvenz & Pop 20230720