Mit 'Wir sind die Wahnsinnigen' legt Christian Schmidt die - wie er selbst behauptet - "längst fällige Abrechnung mit Fischers Frankfurter Clan" vor. Unterhaltsam, desillusioniert und gewürzt mit reichlich Ironie, beschreibt er Joschkas wilde Zeit im Frankfurter Häuserkampf, seine Bekehrung zum alternativen Softie sowie seine Karriere bei den Grünen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.09.1998Blutgrätsche unter Genossen
Ein Enthüllungsbuch will Fischer bei Rechten und Linken zugleich demontieren / Das politische Erbe der Frankfurter Spontis
Christian Schmidt: "Wir sind die Wahnsinnigen . . .". Joschka Fischer und seine Frankfurter Gang. Econ-Verlag, München 1998. 319 Seiten, Abbildungen, 39,80 Mark.
Die Frankfurter Spontis waren eine besondere Spezies. Bei Versammlungen fielen sie mit Spottgesängen auf: "Wer tut uns weh? Der KBW! Wer macht uns froh? Das Sozialistische Büro! Wer macht Dampf? Revolutionärer Kampf!" Bei gewaltsamen Demonstrationen kämpften sie meist in den ersten Reihen, und am Wochenende übten sie beim Fußball die Blutgrätsche unter Genossen. Ihr Vorbild war die linksextremistische italienische "Lotta Continua". Daß die Frankfurter Spontis knapp dreißig Jahre später immer noch interessieren, liegt an dem Aufstieg, den Joschka Fischer, Daniel Cohn-Bendit, Tom Koenigs und andere ehemalige Mitstreiter bei und mit den Grünen gemacht haben.
Als Zerfallsprodukt der Studentenbewegung wollten auch die Spontis den revolutionären Umsturz. Innerhalb der sogenannten "antirevisionistischen" Linken - so nannten sich die Gruppen jenseits von DKP und Jusos - nahmen sie zahlenmäßig allerdings eine untergeordnete Rolle ein. Ihre Ideologie war ein Sammelsurium: individualistische und hedonistische Aspekte, verpackt in anarchistischer Maskerade. Ein Sponti-Milieu existierte nur in West-Berlin und vor allem in Frankfurt, wo die maoistisch angehauchten Spontis an linksradikalen Stammtischen sogar dominierten.
Heute sind die aus dem linksradikalen Denken abgeleiteten Handlungen, Rechtsbrüche eingeschlossen, als Jugendsünden abgehakt oder schlicht verdrängt. Christian Schmidt beschäftigt sich mit diesem Thema im Stil einer "Entlarvungsgeschichte". Und der Autor, der von 1989 bis 1995 für die Satirezeitschrift "Titanic" schrieb, arbeitet dabei mit Methoden, die er im linken Milieu gelernt hat. So gesehen, ist sein Buch ebenfalls eine Nachwirkung der Achtundsechziger-Revolte: Es fällt nicht wirklich aus ihrem geistigen Rahmen.
Ausführlich beschreibt der Autor die linke Frankfurter Szene Anfang der siebziger Jahre. Kristallisationspunkt der Spontis war der "Revolutionäre Kampf". Um die Arbeiterklasse zu missionieren, gingen ausgewählte RK-Kader etwa zu Opel nach Rüsselsheim. Auch Joschka Fischer lernte dort am Fließband die von Sartre beschworene entfremdete serielle Massenexistenz kennen, bis er als Störenfried entlassen wurde. Davon abgesehen hatten die Arbeiter keine Revolution gewollt. Als Konsequenz löste sich der RK auf. Man wandte sich nun der Besetzung leerstehender Häuser zu und initiierte den "Frankfurter Häuserkampf".
Demonstrationen gegen die Räumung besetzter Häuser wurden immer gewalttätiger; und eine spezielle mobile Einsatzgruppe der Frankfurter Spontis, die "Putztruppe", erlangte ob ihrer Gewaltbereitschaft, ihrer strategischen Vorbereitung und nicht zuletzt ihres läuferischen Geschicks bundesweit Berühmtheit im linksradikalen Milieu. Laut Schmidt probte die "Spezialeinheit" am Wochenende im Taunus den Straßenkampf, indem sie zum Beispiel "einen Keil bilden oder Gefangenenbefreiung in Dreiergruppen übte", wobei auch "echte Verletzte oder Ohnmächtige" zu verzeichnen gewesen seien.
Schmidt bezeichnet Joschka Fischer als "Verteidigungsminister" der Frankfurter Spontis und führenden Kopf der "Putztruppe". Der damalige Oberbürgermeister Frankfurts, Arndt (SPD), charakterisierte sie seinerzeit so: "Das sind faschistoide Chaoten, die schlimmer sind als die SA und die SS in der Nazizeit." Anläßlich einer Demonstration nach dem Selbstmord von Ulrike Meinhoff im Mai 1976 wurde ein Frankfurter Polizist durch einen Brandsatz lebensgefährlich verletzt. Die Polizei verhaftete mehrere Personen, darunter auch Fischer, unter dem Verdacht des versuchten Mordes, der schweren Körperverletzung, der schweren Sachbeschädigung und der Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung. Fischer, den der Buchautor für diesen Einsatz von Brandsätzen verantwortlich macht, weil er angeblich am Vorabend dafür eingetreten sei, wird einige Tage später mangels Beweisen aus der Untersuchungshaft entlassen.
Für Fischer sollte diese Erfahrung zur entscheidenden Wende führen; Fortan sprach er sich öffentlich, auch gegen die weitverbreitete Meinung im linksradikalen Milieu, gegen den Einsatz von Gewalt aus. Weil sein Wort Gewicht hatte, bewahrte der ehemalige militante Sprecher der Frankfurter Spontis so wohl einige Mitstreiter vor dem Weg in den Untergrund. Die Grenzen zwischen der legalen gewaltbereiten Linken auf der einen und der im Untergrund operierenden terroristischen Linken waren damals nicht nur in Frankfurt fließend. Die RK-Parole "Zuschlagen und verhandeln" ließ hinreichenden Interpretationsspielraum.
Der Buchautor wertet Fischers Aufruf zur Gewaltfreiheit zwar als sein "größtes Verdienst", unterstellt aber als Beweggründe "reinen Selbsterhaltungstrieb" und "nackte Angst vor dem Gefängnis, die die wundersame Läuterung des Straßenkämpfers der ,proletarischen Union für Terror und Zerstörung' bewirkten". Und wenn? Davon abgesehen, dürfte aber Fischers wichtigste Leistung sein, die Grünen politik- und koalitionsfähig gemacht zu haben. Für den Buchautor ist aber gerade das der Sündenfall.
Nach Jahren der Perspektivlosigkeit und des Suchens hatten sich die ehemaligen Sponti-Größen mit Cohn-Bendit und Fischer an der Spitze den Grünen zugewandt, die inzwischen aus der Konkursmasse der antirevisionistischen Linken und ökologisch orientierten guten und einfachen Menschen eine in der Öffentlichkeit beachtete und bei Wahlen erfolgreiche politische Kraft geschaffen hatten. Die Unterwanderung der Grünen durch die Frankfurter Spontis und ihre unterwegs gefundenen Bundesgenossen gelang - und vor allem der unermüdliche Fischer profitierte davon. Er wurde Bundestagsabgeordneter, erster grüner Landesminister und agiert heute als grüner Fraktionsführer im Bundestag.
Auch andere ehemalige Genossen aus dem "Revolutionären Kampf" fanden den Weg nach oben. Fischer habe es geschafft, so stellt es jedenfalls Schmidt dar, nach dem Motto "Die Kader entscheiden alles" die Macht bei den Grünen zu übernehmen und seine Leute in wichtige Schlüsselpositionen zu hieven. Dabei gehe es ihnen nicht um politische Ziele, sondern nur um persönliche Macht.
Inzwischen habe die Fischer-Gruppe sogar die ursprüngliche politische Identität der Grünen zerstört und sie auf "flexible Machtpolitik" umgestellt. Mit Sorge betrachtet der Autor, daß die skrupellosen Opportunisten sogar die Möglichkeit einer schwarz-grünen Koalition in Erwägung ziehen: "Am Ende eines verworrenen Weges, der die ehemaligen Revolutionäre von linksaußen immer weiter nach rechts geführt hat, ist man bei Ideen gelandet, die in dieser Ecke schon immer großen Anklang gefunden haben." Das Strickmuster der Schmidtschen Argumentation läßt sich bereits in Lenins "Staat und Revolution" nachlesen: Der wahre Sozialist mißtraut kleinbürgerlichen Elementen, die beständig zwischen Ultrarevolutionismus und Rechtsopportunismus schwanken.
Die Eigenart vieler ehemaliger Protestler, politische Banalitäten, die ihnen erst spät einsichtig wurden, gleich wieder als weltbewegende Erkenntnisse zu verkaufen, hat Schmidt durchaus zutreffend beobachtet. Die gleichen Erkenntnisse aus dem Munde politischer Gegner hatten dieselben Leute früher noch mit Niederbrüllen oder Schlimmerem quittiert. Das aber wirft Schmidt den Fischers gar nicht vor - er beklagt vielmehr den Lernprozeß.
Das Bild, das von Fischer und seiner Gang gezeichnet wird, ist karikierend, der Ton durchweg gehässig, die Absicht vordergründig: Im fortwirkenden Ehrenkodex ehemaliger Linksradikaler soll Fischer als Verräter, bei rechtlich denkenden Demokraten als Rechtsbrecher entlarvt und so allerseits in Mißkredit gebracht werden. In diesem Zusammenhang ist die Herabwürdigung prominenter Grüner zu Witzfiguren noch das Harmloseste: Jürgen Trittin gleiche einem, der "in Fußgängerzonen Teppichshampoo verkauft", Gunda Röstel sei "Parteisprecherin und Lehrerin und sieht auch so aus". Vor allem Cohn-Bendit hat es dem Autor angetan. Er nennt ihn "Zappelphilipp", "verzogenes bockiges Gör", "Spontireligionsstifter", "Pausenclown", "trantütiger Hinterherdenker". Auch Thomas Schmid, der eigentliche Vordenker der Frankfurter Spontis, wird mit Spott und Häme bedacht. Strafverschärfend kommt bei letzterem hinzu, daß er nicht nur Wirres und schwer Verdauliches etwa über die Haltung zur RAF schriftlich hinterlassen hat, sondern daß seine spätere Karriere ihn bis zum stellvertretenden Chefredakteur der Hamburger Morgenpost führte, was Schmidt mit den Worten kommentiert: "Manch einer bleibt sich und seinen Prinzipien eben ein Leben lang treu." Inzwischen ist Thomas Schmid "Chefreporter" bei der "Welt".
Das eigentliche Ziel des Buches ist jedoch die Demontage Fischers. Der sei einer der Hauptverantwortlichen für die Gewalttätigkeit der Frankfurter Sponti-Szene. Das mag in einem allgemeinen Sinn sogar zutreffen; und vielleicht sollte Fischer sich mit diesem Abschnitt seiner Vergangenheit öffentlich über düstere Andeutungen hinaus auseinandersetzen. Keinesfalls akzeptabel ist es jedoch, Fischer für konkrete Folgen gewaltsamer Auseinandersetzungen ohne Belege schuldig zu sprechen - wobei es um Vorwürfe geht, die von schwerer Körperverletzung bis zum versuchten Mord reichen können. Auch wenn sich ehemalige Linksradikale mit dem Rechtsstaat schwertaten: Sein Schutz gilt auch für sie. Gleiches gilt für die Behauptung, Fischer habe "zu jener Zeit hauptsächlich vom strategisch gut geplanten Bücherklau gelebt".
Nichts daran ändert freilich, daß der Diebstahl von Büchern und Lebensmitteln in der linken Szene gang und gäbe war - und moralisch gerechtfertigt wurde. Wenn Personen wie Fischer heute erklären: "Diebstahl ist nicht akzeptabel und muß geahndet werden", ohne daß die Nachwirkungen eigenen Verhaltens bedacht werden, ist das nicht eben glaubwürdig. Doch wegen der vordergründigen Abrechnungsmentalität in Schmidts Buch droht dieser wichtige Aspekt unterzugehen: die Scheinheiligkeit linker und grüner Moralprediger. Zwar ist es ihnen nicht gelungen, die staatliche Autorität in den Grundfesten zu erschüttern und die kapitalistische Gesellschaft zu zerstören. Aber die Normen, für die sie heute eintreten, haben sie womöglich wirkungsvoller untergraben, als sie wahrhaben wollen.
Klaus Schroeder
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Ein Enthüllungsbuch will Fischer bei Rechten und Linken zugleich demontieren / Das politische Erbe der Frankfurter Spontis
Christian Schmidt: "Wir sind die Wahnsinnigen . . .". Joschka Fischer und seine Frankfurter Gang. Econ-Verlag, München 1998. 319 Seiten, Abbildungen, 39,80 Mark.
Die Frankfurter Spontis waren eine besondere Spezies. Bei Versammlungen fielen sie mit Spottgesängen auf: "Wer tut uns weh? Der KBW! Wer macht uns froh? Das Sozialistische Büro! Wer macht Dampf? Revolutionärer Kampf!" Bei gewaltsamen Demonstrationen kämpften sie meist in den ersten Reihen, und am Wochenende übten sie beim Fußball die Blutgrätsche unter Genossen. Ihr Vorbild war die linksextremistische italienische "Lotta Continua". Daß die Frankfurter Spontis knapp dreißig Jahre später immer noch interessieren, liegt an dem Aufstieg, den Joschka Fischer, Daniel Cohn-Bendit, Tom Koenigs und andere ehemalige Mitstreiter bei und mit den Grünen gemacht haben.
Als Zerfallsprodukt der Studentenbewegung wollten auch die Spontis den revolutionären Umsturz. Innerhalb der sogenannten "antirevisionistischen" Linken - so nannten sich die Gruppen jenseits von DKP und Jusos - nahmen sie zahlenmäßig allerdings eine untergeordnete Rolle ein. Ihre Ideologie war ein Sammelsurium: individualistische und hedonistische Aspekte, verpackt in anarchistischer Maskerade. Ein Sponti-Milieu existierte nur in West-Berlin und vor allem in Frankfurt, wo die maoistisch angehauchten Spontis an linksradikalen Stammtischen sogar dominierten.
Heute sind die aus dem linksradikalen Denken abgeleiteten Handlungen, Rechtsbrüche eingeschlossen, als Jugendsünden abgehakt oder schlicht verdrängt. Christian Schmidt beschäftigt sich mit diesem Thema im Stil einer "Entlarvungsgeschichte". Und der Autor, der von 1989 bis 1995 für die Satirezeitschrift "Titanic" schrieb, arbeitet dabei mit Methoden, die er im linken Milieu gelernt hat. So gesehen, ist sein Buch ebenfalls eine Nachwirkung der Achtundsechziger-Revolte: Es fällt nicht wirklich aus ihrem geistigen Rahmen.
Ausführlich beschreibt der Autor die linke Frankfurter Szene Anfang der siebziger Jahre. Kristallisationspunkt der Spontis war der "Revolutionäre Kampf". Um die Arbeiterklasse zu missionieren, gingen ausgewählte RK-Kader etwa zu Opel nach Rüsselsheim. Auch Joschka Fischer lernte dort am Fließband die von Sartre beschworene entfremdete serielle Massenexistenz kennen, bis er als Störenfried entlassen wurde. Davon abgesehen hatten die Arbeiter keine Revolution gewollt. Als Konsequenz löste sich der RK auf. Man wandte sich nun der Besetzung leerstehender Häuser zu und initiierte den "Frankfurter Häuserkampf".
Demonstrationen gegen die Räumung besetzter Häuser wurden immer gewalttätiger; und eine spezielle mobile Einsatzgruppe der Frankfurter Spontis, die "Putztruppe", erlangte ob ihrer Gewaltbereitschaft, ihrer strategischen Vorbereitung und nicht zuletzt ihres läuferischen Geschicks bundesweit Berühmtheit im linksradikalen Milieu. Laut Schmidt probte die "Spezialeinheit" am Wochenende im Taunus den Straßenkampf, indem sie zum Beispiel "einen Keil bilden oder Gefangenenbefreiung in Dreiergruppen übte", wobei auch "echte Verletzte oder Ohnmächtige" zu verzeichnen gewesen seien.
Schmidt bezeichnet Joschka Fischer als "Verteidigungsminister" der Frankfurter Spontis und führenden Kopf der "Putztruppe". Der damalige Oberbürgermeister Frankfurts, Arndt (SPD), charakterisierte sie seinerzeit so: "Das sind faschistoide Chaoten, die schlimmer sind als die SA und die SS in der Nazizeit." Anläßlich einer Demonstration nach dem Selbstmord von Ulrike Meinhoff im Mai 1976 wurde ein Frankfurter Polizist durch einen Brandsatz lebensgefährlich verletzt. Die Polizei verhaftete mehrere Personen, darunter auch Fischer, unter dem Verdacht des versuchten Mordes, der schweren Körperverletzung, der schweren Sachbeschädigung und der Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung. Fischer, den der Buchautor für diesen Einsatz von Brandsätzen verantwortlich macht, weil er angeblich am Vorabend dafür eingetreten sei, wird einige Tage später mangels Beweisen aus der Untersuchungshaft entlassen.
Für Fischer sollte diese Erfahrung zur entscheidenden Wende führen; Fortan sprach er sich öffentlich, auch gegen die weitverbreitete Meinung im linksradikalen Milieu, gegen den Einsatz von Gewalt aus. Weil sein Wort Gewicht hatte, bewahrte der ehemalige militante Sprecher der Frankfurter Spontis so wohl einige Mitstreiter vor dem Weg in den Untergrund. Die Grenzen zwischen der legalen gewaltbereiten Linken auf der einen und der im Untergrund operierenden terroristischen Linken waren damals nicht nur in Frankfurt fließend. Die RK-Parole "Zuschlagen und verhandeln" ließ hinreichenden Interpretationsspielraum.
Der Buchautor wertet Fischers Aufruf zur Gewaltfreiheit zwar als sein "größtes Verdienst", unterstellt aber als Beweggründe "reinen Selbsterhaltungstrieb" und "nackte Angst vor dem Gefängnis, die die wundersame Läuterung des Straßenkämpfers der ,proletarischen Union für Terror und Zerstörung' bewirkten". Und wenn? Davon abgesehen, dürfte aber Fischers wichtigste Leistung sein, die Grünen politik- und koalitionsfähig gemacht zu haben. Für den Buchautor ist aber gerade das der Sündenfall.
Nach Jahren der Perspektivlosigkeit und des Suchens hatten sich die ehemaligen Sponti-Größen mit Cohn-Bendit und Fischer an der Spitze den Grünen zugewandt, die inzwischen aus der Konkursmasse der antirevisionistischen Linken und ökologisch orientierten guten und einfachen Menschen eine in der Öffentlichkeit beachtete und bei Wahlen erfolgreiche politische Kraft geschaffen hatten. Die Unterwanderung der Grünen durch die Frankfurter Spontis und ihre unterwegs gefundenen Bundesgenossen gelang - und vor allem der unermüdliche Fischer profitierte davon. Er wurde Bundestagsabgeordneter, erster grüner Landesminister und agiert heute als grüner Fraktionsführer im Bundestag.
Auch andere ehemalige Genossen aus dem "Revolutionären Kampf" fanden den Weg nach oben. Fischer habe es geschafft, so stellt es jedenfalls Schmidt dar, nach dem Motto "Die Kader entscheiden alles" die Macht bei den Grünen zu übernehmen und seine Leute in wichtige Schlüsselpositionen zu hieven. Dabei gehe es ihnen nicht um politische Ziele, sondern nur um persönliche Macht.
Inzwischen habe die Fischer-Gruppe sogar die ursprüngliche politische Identität der Grünen zerstört und sie auf "flexible Machtpolitik" umgestellt. Mit Sorge betrachtet der Autor, daß die skrupellosen Opportunisten sogar die Möglichkeit einer schwarz-grünen Koalition in Erwägung ziehen: "Am Ende eines verworrenen Weges, der die ehemaligen Revolutionäre von linksaußen immer weiter nach rechts geführt hat, ist man bei Ideen gelandet, die in dieser Ecke schon immer großen Anklang gefunden haben." Das Strickmuster der Schmidtschen Argumentation läßt sich bereits in Lenins "Staat und Revolution" nachlesen: Der wahre Sozialist mißtraut kleinbürgerlichen Elementen, die beständig zwischen Ultrarevolutionismus und Rechtsopportunismus schwanken.
Die Eigenart vieler ehemaliger Protestler, politische Banalitäten, die ihnen erst spät einsichtig wurden, gleich wieder als weltbewegende Erkenntnisse zu verkaufen, hat Schmidt durchaus zutreffend beobachtet. Die gleichen Erkenntnisse aus dem Munde politischer Gegner hatten dieselben Leute früher noch mit Niederbrüllen oder Schlimmerem quittiert. Das aber wirft Schmidt den Fischers gar nicht vor - er beklagt vielmehr den Lernprozeß.
Das Bild, das von Fischer und seiner Gang gezeichnet wird, ist karikierend, der Ton durchweg gehässig, die Absicht vordergründig: Im fortwirkenden Ehrenkodex ehemaliger Linksradikaler soll Fischer als Verräter, bei rechtlich denkenden Demokraten als Rechtsbrecher entlarvt und so allerseits in Mißkredit gebracht werden. In diesem Zusammenhang ist die Herabwürdigung prominenter Grüner zu Witzfiguren noch das Harmloseste: Jürgen Trittin gleiche einem, der "in Fußgängerzonen Teppichshampoo verkauft", Gunda Röstel sei "Parteisprecherin und Lehrerin und sieht auch so aus". Vor allem Cohn-Bendit hat es dem Autor angetan. Er nennt ihn "Zappelphilipp", "verzogenes bockiges Gör", "Spontireligionsstifter", "Pausenclown", "trantütiger Hinterherdenker". Auch Thomas Schmid, der eigentliche Vordenker der Frankfurter Spontis, wird mit Spott und Häme bedacht. Strafverschärfend kommt bei letzterem hinzu, daß er nicht nur Wirres und schwer Verdauliches etwa über die Haltung zur RAF schriftlich hinterlassen hat, sondern daß seine spätere Karriere ihn bis zum stellvertretenden Chefredakteur der Hamburger Morgenpost führte, was Schmidt mit den Worten kommentiert: "Manch einer bleibt sich und seinen Prinzipien eben ein Leben lang treu." Inzwischen ist Thomas Schmid "Chefreporter" bei der "Welt".
Das eigentliche Ziel des Buches ist jedoch die Demontage Fischers. Der sei einer der Hauptverantwortlichen für die Gewalttätigkeit der Frankfurter Sponti-Szene. Das mag in einem allgemeinen Sinn sogar zutreffen; und vielleicht sollte Fischer sich mit diesem Abschnitt seiner Vergangenheit öffentlich über düstere Andeutungen hinaus auseinandersetzen. Keinesfalls akzeptabel ist es jedoch, Fischer für konkrete Folgen gewaltsamer Auseinandersetzungen ohne Belege schuldig zu sprechen - wobei es um Vorwürfe geht, die von schwerer Körperverletzung bis zum versuchten Mord reichen können. Auch wenn sich ehemalige Linksradikale mit dem Rechtsstaat schwertaten: Sein Schutz gilt auch für sie. Gleiches gilt für die Behauptung, Fischer habe "zu jener Zeit hauptsächlich vom strategisch gut geplanten Bücherklau gelebt".
Nichts daran ändert freilich, daß der Diebstahl von Büchern und Lebensmitteln in der linken Szene gang und gäbe war - und moralisch gerechtfertigt wurde. Wenn Personen wie Fischer heute erklären: "Diebstahl ist nicht akzeptabel und muß geahndet werden", ohne daß die Nachwirkungen eigenen Verhaltens bedacht werden, ist das nicht eben glaubwürdig. Doch wegen der vordergründigen Abrechnungsmentalität in Schmidts Buch droht dieser wichtige Aspekt unterzugehen: die Scheinheiligkeit linker und grüner Moralprediger. Zwar ist es ihnen nicht gelungen, die staatliche Autorität in den Grundfesten zu erschüttern und die kapitalistische Gesellschaft zu zerstören. Aber die Normen, für die sie heute eintreten, haben sie womöglich wirkungsvoller untergraben, als sie wahrhaben wollen.
Klaus Schroeder
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